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Kaiserring für Katharina Fritsch

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Die Wolken über London hingen tief, die Bäume waren kahl und die klassizistische Fassade der National Gallery wirkte uralt. Über diese Tristesse des Alltags erhob sich von 2013 bis 2015 der blaue, übergroße Hahn der Katharina Fritsch aus Polyesterharz wie ein fantastisches Federvieh im strahlenden Ultramarin. In seiner stoischen Ruhe schien er den historischen Platz zu beherrschen. Der deutsche Gockel steht für die männliche Eitelkeit, heißt es doch im Schimpfwörterbuch, er schreie am lautesten, habe das farbenprächtigste Kleid und lege noch nicht einmal Eier. Im Englischen gilt „Cock“ dem Hahn wie dem Geschlechtsteil des Mannes.

Die Künstlerin, die 1956 in Essen geboren wurde, gehört seit den 1980er Jahren zur Düsseldorfer Kunstszene, die prägend für die Kunst der Zeit ist. Sie wird gefeiert, erhielt den Goldenen Löwen von Venedig und wird in Goslar mit dem 50. Kaiserring geehrt. Sie erzeugt dreidimensionale Bilder im Raum. Objekte wie Erscheinungen. Materiell und immateriell zugleich. Hochaktuell wie der multiplizierte Mann aus der „Tischgesellschaft“ (1988), der geklont erscheint und an einen Avatar in einer medialen Welt erinnert.

Schon als Studentin der Kunstakademie Düsseldorf bei Fritz Schwegler entstanden Katharina Fritschs erste Modelle und Entwürfe, klar in ihrer Geometrie und in der Anordnung von Wegen oder Büschen, als stünden sie kurz vor ihrer Realisierung. Die Tuschezeichnung „Friedhof für Urnengräber“ (1982/1983) enthält als Grund- und Aufriss ein Achteck, die klassische Form für einen aura­tischen Ort wie den Dom zu Aachen oder die ­oströmisch-byzantinischen Sakralbauten. Diese Form greift sie 1995 im großformatigen Modell eines idealen Museums für den Deutschen Pavillon in Venedig auf, im kleinen Tempel als Binnenform wiederholt und von 200 stacheligen, schwarz gestrichenen Alustab-Bäume beschützt.

Die Objekte sind ambivalent, die Figuren sind Stereotypen

Fritschs Frühwerk ist voller Geheimnis, wie die Reproduktion eines lebensgroßen Elefanten als mystisches Wunder mit faltiger Haut in monochromem Grün (1987). 1995/1996 entsteht „Kind mit Pudeln“, eine spektakuläre Inszenierung, wo eine in vier Kreisen hintereinander angeordnete Schar schwarzer Hunde ein kleines, weißes Jesuskind aus Gips auf einem gelben Stern aus lackierter Spiegelfolie umringt. Beten die Tiere das Kind an oder werden sie es gleich zerfleischen? 

Mehr EMMA lesen! Die September/Oktober-Ausgabe gibt es als Printheft oder eMagazin im www.emma.de/shop
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Diese Auseinandersetzung mit Raum, Architektur und der Wahrnehmung von Kunst wird begleitet von Fragen nach Tod und Leben, Abgrund und Schönheit. Die Objekte und Bilder sind ambivalent, die Figuren Stereotypen. Die Dreiergruppe „Mönch, Doktor und Händler“ (1997 – 2001) ist für die Künstlerin ein Sinnbild aller Machos dieser Welt. Es sind groteske, übersteigerte Gestalten. Sie wirken real, surreal und irreal zugleich, sind an der Wirklichkeit orientiert und machen dank der oszillierenden Farben den Eindruck des Fiktiven. Die Kunst der Katharina Fritsch ist eine Gratwanderung, die dem Alptraum wie dem Göttlichen und Erhabenen nahesteht.

Manchmal gehen Träume einer Inszenierung voraus. Wie eine Nachtmär wirkt „Mann und Maus“ (1991 – 1992): Es liegt der bleiche Kopf eines Mannes im weichen Kissen und eine Riesenmaus hockt über dem armen Wicht, der fürchten muss, zerquetscht zu werden. Das ist ironischer Geschlechterkampf. 

Fritsch vermischt Persönliches mit Kollek­tivem. Dazu gehören vergrößerte und farblich verfremdete Siebdrucke von Karten und Fotos. Die stammen vom Großvater aus Essen, der seiner Enkelin Grüße aus der Heimat ins benachbarte Düsseldorf schickte. Ihre reproduzierten Abbilder von Abbildern knüpfen an den Umgang mit Bildern in der Pop-Art an. Sie sind eingängig und schnörkellos wie Lexikon-Zeichnungen und entspringen der Fantasiewelt eines Kinderbuchs wie die Inszenierung „Hexenhaus und Pilz mit vier Kugeln“ (1999), oder sind christlich inspiriert wie das Wandobjekt „Birkenkreuz“ (2023). Es sind Proto­typen wie „Madonna“, eine lebensgroße Replik, Typ Lourdes, in leuchtend gelber Farbe, die 1987 bei den „Skulptur Projekten Münster“ zwischen Kirche und Kaufhaus stand und abwechselnd verehrt oder zerstört wurde.

Die kleinen Objekte der Künstlerin sind faszinierend in ihrer Spiritualität. Zu „Hand (Mene­tekel)“ von 2020 aus Gips und gelblich-grünlicher Acrylfarbe gehört ein meterhoher Sockel. Er zeigt, dass diese warnende Hand mit dem erhobenen Zeigefinger nichts Alltägliches ist. Mit einem Menetekel wird dem König Belsazar in der Bibel sein baldiger Tod und der Untergang seines Königreichs überbracht. „Muschel (rot)“ (2022/2023) ist eine Kauri-Muschel aus lackiertem Kunststoff. Sie galt einst in Afrika, Asien und in der Südsee als Zahlungsmittel und in der griechischen Antike als Symbol der Aphrodite, der Göttin der Liebe, der Schönheit und der Fruchtbarkeit.

Nun wird diese wichtigste deutsche Bildhauerin in der Kaiserpfalz in Goslar geehrt, am 11. Oktober um 11 Uhr. Wir gratulieren!  

TERMINE
Ausstellung Katharina Fritsch im ­Mönchehaus Museum Goslar 11.10. – 18.1.2026

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