Nancy Pelosi – die Gegenspielerin

Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, ist die erste Frau im dritthöchsten Staatsamt. Foto: Jason Reed/Reuters
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Politik hat in der Familie Pelosi Tradition. Vater: Thomas D’Alesandro Jr., Kongressabgeordneter, legendärer Bürgermeister von Baltimore und Roosevelt-Anhänger. Bruder: Tommy, Bürgermeister von Baltimore und Abgeordneter im Stadtrat. Nancy: Sprecherin des US-Repräsentantenhauses seit November 2006.

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Doch Nancy Pelosi wird nicht müde, auf die kräftigste Wurzel in diesem politischen Stammbaum zu verweisen, die im Gegensatz zu den anderen Familienmitgliedern keinen Titel trägt: ihre Mutter. "Eigentlich war meine Mutter die treibende Kraft. Sie war sehr engagiert und leidenschaftlich." Pelosis politisches Erbe – die taktischen Fähigkeiten ihres Vaters kombiniert mit dem Gerechtigkeitssinn ihrer Mutter – plus ihre eigene beharrliche Arbeit hat sie jetzt an die Spitze US-amerikanischer Politik gebracht. Als Sprecherin des Repräsentantenhauses ist sie heute die mächtigste Frau in der amerikanischen Geschichte.

Pelosis Vater nutzte früher das Reihenhaus der Familie als Basis, von der aus er seine politischen Aktivitäten in Angriff nahm. Als kleines Mädchen durfte Nancy die Post fertig machen und ihren Vater auf Veranstaltungen begleiten. Ihre Mutter hieß jeden Besucher oder Bittsteller zum Abendessen willkommen. "Sie machte dann einfach eine Portion Nudeln, Stew und von allem anderen mehr." Und: "Sie verfügte über eine ganze Armee von Frauen, die sie jederzeit für die unterschiedlichsten Aktionen mobilisieren konnte. Sie war eine Organisation!"

Diplomatie und Organisationskraft werden auch von Pelosis Kollegen oft als typisch für ihren Führungsstil bezeichnet – und als einer der Gründe, warum sie es schaffte, Demokraten der verschienenen Flügel für sich einzunehmen. Bei nächtlichen Sitzungen gibt es auch in Nancys Büroräumen im Kapitol immer etwas zu essen. Ihre Suite wurde zum Treffpunkt ermatteter Abgeordneter, die es nach Kaffee und einem Sandwich verlangte. Die informellen Gespräche nutzte Pelosi dazu, sich über spezielle Anliegen und Probleme in den jeweiligen Regierungsbezirken zu informieren.

Im Oktober, im Endspurt der Wahlkampagne, eilte Pelosi zwischen Fundraising-Events, Strategiesitzungen und Wie-kriege-ich-die-Bevölkerung-zum-Wählen-Besprechungen hin und her. Gleichzeitig kümmerte sie sich um ihre Tochter Alexandra, die kurz vor der Geburt von Pelosis sechstem Enkelkind stand.

Pelosis politischer Instinkt ist ihr zur zweiten Natur geworden, aber ihre Karriere startete sie erst im zweiten Schritt. In jüngeren Jahren konzentrierte sich die heute 66-Jährige darauf, Hausfrau und Mutter von fünf Kindern zu sein. Dennoch war Pelosi immer politisch aktiv. Zum Beispiel in der Frauenbewegung. In ihrem Haus in San Francisco – ihr Ehemann Paul war ein erfolgreicher Investor geworden – empfing sie auch regelmäßig Mitglieder der Demokraten, um Umwelt- oder Wirtschaftsthemen zu diskutieren. Sie ermutigte die Frauen dazu, für politische Ämter zu kandidieren und unterstützte deren Kampagnen durch Spendensammlungen und Hilfe bei der Organisation so enthusiastisch, als wäre es ihre eigene Kampagne – und erwarb sich den Ruf einer der erfolgreichsten SpendenbeschafferInnen der Demokraten. Im Jahr 1987 wurde die bekennende Feministin schließlich zum ersten Mal in das amerikanische Repräsentantenhaus gewählt.

Nun bekleidet sie als erste Frau das dritthöchste Staatsamt. Ihrer geschichtsträchtigen Rolle ist sie sich sehr wohl bewusst. "Für einen Moment hatte ich das Gefühl, als ob Susan B. Anthony, Lucretia Mott, Elizabeth Cady Stanton – alle, die sich für das Wahlrecht von Frauen und deren Vorankommen in der Politik eingesetzt hatten – mit mir im Raum wären."

Würden Präsident und Vizepräsident ausfallen, würde laut Protokoll die Speakerin ins Oval Office einziehen. Doch auch ohne dieses hypothetische Szenario ist Pelosis Macht groß. Die Sprecherin wählt die Vorsitzenden von Sonder- und Vermittlungsausschüssen aus und entscheidet, welche Gesetze zur Abstimmung kommen. Kurzum: Pelosi und ihr demokratisches Team werden die Agenda des republikanischen Präsidenten bestimmen.

Pelosi gehört zu der tapferen Minderheit, die damals gegen den Irak-Krieg stimmte. Sie weiß, dass die Empörung über den Krieg besonders die weiblichen Wähler dazu veranlasst hat, bei den Wahlen im November den Demokraten ihre Stimme zu geben. Führende Köpfe der Demokraten sind sich einig, dass nun Gesetze gemacht werden müssen, die Frauen finanziell entlasten. Da Frauen die Mehrheit der unterbezahlten Arbeitsplätze innehaben, würde eine Erhöhung des Mindestlohns auf 7,25 Dollar pro Stunde ihr Einkommen deutlich verbessern. Und ältere Frauen würden von einer Änderung des Medicare-Programms für verschreibungspflichtige Medikamente profitieren.

Selbstverständlich ist Pelosi eine entschiedene Verteidigerin des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung inklusive Abtreibung. Allerdings war sie noch nie der Auffassung, dass sich die Interessen von Frauen auf die sogenannten "Frauenthemen" beschränken, sondern sie sich durchaus mit der nationalen Sicherheit, Wirtschaftsfragen und Umweltschutz beschäftigen sollten. Die Themen dagegen, die üblicherweise mit Frauen in Verbindung gebracht werden – wie gute Kinderbetreuung – sind für Pelosi "eigentlich Themen, die auch Männer etwas angehen. Vermutlich nennt man sie nur Frauenthemen, weil sich ohne den Einsatz von Frauen auf diesen Gebieten nichts verändern würde".

Aktualisierte Fassung vom 4.1.2018.

 

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