Prostitution: Liebe Grüne, schaut hin!

Der Parteivorstand: (v.l.) Peter, Kellner, Özdemir, Mayer, Jarasch und Agena. - © Rainer Weisflog/imago
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Liebe Grüne,

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wer immer das jetzt liest - mir ist klar, dass es kaum einen Sinn hat, mit den Grünen zum Thema Prostitution weiter zu diskutieren.

Also will ich etwas anderes loswerden. Vielen von euch ist, glaube ich, überhaupt nicht klar, in welchem Ausmaß Eure Haltung zur Prostitution von vielen, die bei Euch Mitglieder sind oder die Euch, so wie ich, praktisch jahrzehntelang gewählt haben, als unglaublicher Verrat empfunden wird. Ich kann kaum noch in den Spiegel schauen. Dafür, dass ich eure unglaubliche Oberflächlichkeit, eure Privilegienputzerei, eure Machtanbiederung, eure Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit so lange nicht gesehen habe, solange nicht sehen wollte und vermutlich auch geteilt habe.

Wie konnte ich Euch so lange wählen?

Als Frau zwischen 40 und 50, ledig, verbeamtet, mit überdurchschnittlichem Bildungsabschluss dürfte ich der wesentlichen Grünen-Wählergruppe angehören - und aus dieser Position heraus ist es leicht, eure Arroganz zu teilen. Es ist trotzdem möglich, mal wieder nachzudenken. Und sich von der Politik auch grundlegend andere Ansätze zu wünschen, als einen mit etwas Nachhaltigkeit ausgestatteten Status Quo, der in der von Euch propagierten "Bio"-Prostitution seinen klarsten Ausdruck findet.

In Euren Texten und in Eurem Beschluss wird offenbar immer noch davon ausgegangen, dass wir alle nicht verstanden haben, was Ihr wollt - bitte lasst diesen Gedanken endlich fallen. Wir verstehen es, wir denken nur nicht, dass es klappt. Es kann nicht klappen, schon vom Ansatz her nicht.

Die aus dem „Positionspapier“ herauszulesende Überzeugung, alle ProstitutionskritikerInnen seien erzkonservativ, nur mit dem Gehsteig vor ihrem Haus beschäftigt, "moralisch" (wobei der Moralbegriff wirklich einmal zu klären wäre) und hätten nicht den Blick aufs Ganze - das ist sachlich und politisch falsch. Für uns stellt sich nach der Analyse des Positionspapiers die Frage, ob hier wirklich ein paar Grüne ProstitutionskritikerInnen ernst genommen wurden, oder ob die mangelnde Konsistenz eher Auseinandersetzungen über die richtige Strategie, eher taktischen Differenzen geschuldet ist. Ob die wenigen Sätze, die auf ein Problembewusstsein hinweisen, nicht eher der Tatsache geschuldet sind, dass sich diejenigen eben weniger durchsetzen konnten, die immer noch glauben, alle Gewalt und Ausbeutung bei der Prostitution ließe sich durch eine "entstigmatisierende", bejubelnde Beschreibung der "Sexarbeit" beseitigen, weil die geänderte Wahrnehmung das Problem an sich ändern würde.

Diese Dunkelfeldgeschichten zu Schweden (Gemeint ist die Behauptung, das schwedische Sexkaufverbot „verlagere“ die Prostitution lediglich und führe zu einem schlechteren Schutz der Prostituierten, Anm. d. Red.) übergehe ich jetzt. Aber was ich nicht übergehe, ist das Zitieren einer praktisch von der holländischen Regierung ins Leben gerufenen und anfangs weitgehend von ihr finanzierten Pro-Prostitutions-Lobby-Gruppe, die nie als neutrale Institution intendiert war. Was ich auch nicht übergehe, ist eure Weigerung, zu Schweden irgendetwas anderes als Susanne Dodillet, Petra Östergren und die von diesen beiden in Umlauf gebrachten Studien zu rezipieren und jede andere Studie zu verschweigen. Das Totschweigen der positiven Ergebnisse aus Norwegen zur Effizienz des Sexkaufverbots übergehe ich auch nicht.

Und der dahingeworfene Satz zur Bordellwerbung. ("Bereits jetzt kann Werbung mit sexuellen Inhalten, die ‚grob anstößig wirkt‘, als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.") Letztlich wirkt so etwas im Kontext des Papiers lachhaft. Wer zeigt hier Doppelmoral? Die Sache ist okay, aber bitte, unsere Kiiiiinder sollen das doch nicht in aller Härte sehen. In der Tat, sie sollen es weder sehen noch erleben. Brutale Werbung trägt zur Normalisierung der Gewalt bei.

Und jetzt bitte einen Schritt weiter: Prostitution in Deutschland, die staatlich geförderte und geschützte Infrastruktur zur sexuellen Benutzung von vor allem Frauen durch fast ausschließlich Männer trägt zur Normalisierung wovon bei? Der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen? Der Entwicklung von weniger klischeehaften Sexualitätsvorstellungen?

Wie konnte ich eine Truppe wie Euch so lange wählen!

Flatrate wird zwar angesprochen ("menschenunwürdige Geschäftsmodelle oder Dienstleistungen") und als "sittenwidrig" bezeichnet, aber vorsichtshalber nicht im gleichen Satz. Ob Flatrates also wirklich unter diese Definition fallen, bleibt offen.

Wer zeigt hier Doppelmoral? 

Ihr solltet langsam endlich hinschauen. Was ihr jahrelang geglaubt habt (und ich gehe davon aus, dass ihr helfen wolltet), entsprang letztlich den Marketing-Strategien einer milliardenschweren, gut vorbereiteten Lobby. Jetzt langsam zeigen sich Brüche in der Vermarktung. Die Brüche liegen nicht an mangelnden Formulierungen oder problematischen von euch gerne kleingeredeten "Details". Die Brüche liegen in den Grundstrukturen der Prostitution und der Verachtung und Diskriminierung der Frauen selber.

Auch dieser Brief wird nichts nützen. Ziel meines Briefes ist: Den Grünen ProstitutionskritikerInnen zu zeigen, wie viele Menschen sich wünschen, mehr und sehr laut von ihnen zu hören. Den anderen zu sagen, dass die Vermarktungsstrategien und mehr oder weniger subtilen Diffamierungen von Prostitutionskritik immer weniger funktionieren. Wenn sie wirklich denken, ihre GegnerInnen sind nur verklemmte, erzkonservative, ungebildete NIMBYs (Not In My Backyard, Anm. d. Red) - naja. Politisch nützt eine so kolossale Fehleinschätzung der Lage nur den Claqueuren und Claqueurinnen sexueller Gewalt und denen, die wirklich in diese Definition passen.

Obwohl ich euch ja glatt zugestehen muss, dass ihr es diesmal ohne Feministinnen-Bashing und sogar ohne EMMA-Bashing geschafft habt. Trotzdem. Denkt endlich mal nach!

Mit Grüßen
Inge Kleine
 

Alternative Positionen zu Prostitution, der deutschen und internationalen Debatte dazu, Stimmen aus der Wissenschaft, Politik und von Aussteigerinnen hier:
EMMA-Appell gegen Prostitution
www.karlsruherappell.com
www.abolition2014.blogspot.de
diestoerenfriedas.de
www.banishea.wordpress.com
spaceinternational.ie
Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt

Weiterlesen
Alice Schwarzer: "Prostitution - ein deutscher Skandal" (KiWi) - Im EMMA-Shop bestellen

 

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Offener Brief an CDU/CSU-Fraktions-Chef Volker Kauder

Sozialarbeiterin Sabine Constabel (mi). - © Bettina Flitner
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Sehr geehrter Herr Kauder,

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ich bitte Sie herzlich, sich als Fraktionsvorsitzender für die Anhebung des Mindestalters von 21 Jahren einzusetzen.

Ich arbeite seit 23 Jahren in der Beratung und Betreuung von Prostituierten. Jeden Tag habe ich es mit jungen Frauen zu tun, die fürchterlich unter der Prostitution leiden, die verzweifelt sind, die aussteigen möchten und es einfach nicht schaffen. Weil der Bruder dabei ist und aufpasst, oder sie Kinder Zuhause haben, die sie ernähren müssen, oder der Zuhälter sie keinen Moment aus den Augen lässt.

Die Frauen müssen ge- schützt werden

Wären Sie wie ich Tag für Tag in den Bordellen, Terminwohnungen, auf der Straße und in den Clubs unterwegs, wären Sie sich sicher, dass Prostitution ein großes Unrecht ist und die Frauen geschützt werden müssen.

In der Regulierung dürfen nicht die wirtschaftlichen Interessen einer Handvoll Dominas und BordellbesitzerInnen im Vordergrund stehen, sondern muss es um die zigtausende Armuts- und Zwangsprostituierten gehen, die auf unserem Prostitutionsmarkt jeden Tag psychisch und physisch zerstört werden.

Wie Sie wissen, sind mindestens achtzig Prozent der Frauen in der Prostitution Ausländerinnen. Der Anteil der unter 21-Jährigen steigt in den letzten Jahren konstant und hat sich im Prostitutionsmarkt als Wettbewerbsvorteil heraus gestellt. Trotzdem sprechen sich die Betreiber der legalen Bordelle für die Anhebung der Altersgrenze auf 21 Jahre aus, unter der Bedingung, dass diese dann überall gilt und nicht zum Wettbewerbsnachteil Einzelner führt. Denn auch auf Bordellbetreiber machen viele der unter 21-jährigen Osteuropäerinnen keinen erwachsenen Eindruck.

Für die Anhebung des Einstiegsalters sind auch die wenigen deutschen Frauen, die in der Prostitution verblieben sind. Sie sehen sich durch die Konkurrenz der ganz jungen Frauen, die keinerlei Erfahrung haben und alles mit sich machen lassen, aus dem Geschäft gedrängt.

Ganz anders sieht das natürlich bei den BetreiberInnen kleinerer Prostitutionsstätten aus, die in Kooperation mit den Zubringern der jungen und besonders hilflosen Mädchen, durchaus einen Marktvorteil gegenüber den Großbordellen haben.

Diese sehr jungen Frauen in der Prostitution sind zumeist Opfer von Loverboys, denn mittlerweile ist diese Art der Anwerbung nicht nur für die deutschen jungen Frauen, sondern auch in Osteuropa üblich geworden. In der Praxis zeigt sich, dass nahezu immer bei den unter 21-Jährigen eine starke emotionale Abhängigkeit zu einem Mann besteht, der sie in die Prostitution gebracht hat und an den sie ihren Verdienst abgeben müssen.

Die Kenntnisse über Sexualität sind bei den jungen Osteuropäerinnen frappierend gering. Sie stammen aus Gesellschaften, in denen Sexualität weitgehend tabuisiert ist und würden weder im Elternhaus, noch in der Schule sexuell aufgeklärt. Die jungen Osteuropäerinnen kennen, wenn sie in den Prostitutionsmarkt gebracht werden, zumeist nur den Sex mit ihrem Freund. Und von der Prostitution nehmen sie an, dass Frauen da eben Männern gegen Geld für Sex zur Verfügung zu stehen haben. Mehr nicht.

Die jungen Frauen waren in keinster Weise auf die extremen sexuellen Wünsche ihrer Kunden vorbereitet. Da sie meist kein Deutsch sprechen, verstehen sie nicht, welche Praktik der Freier fordert. Sie selbst können sich auch nicht mitteilen und müssen deshalb im sexuellen Vollzug erfahren, was mittlerweile in der Prostitution üblich geworden ist: den Freier ohne Kondom oral befriedigen, in jede Körperöffnung penetriert werden, gewürgt werden, als Toilette dienen und ähnliches. Diese jungen Frauen berichten von ständiger Todesangst während der Arbeit.

Sind die Frauen länger in der Prostitution, berichten sie darüber, dass sie sich an den konkreten Kontakt mit dem Freier immer häufiger nicht mehr erinnern können. Sie wissen nicht mehr, wie sie zu den blauen Flecken gekommen sind, ob der Freier das Kondom anbehalten hat, was sie genau getan haben und wozu der Freier sie benutzt hat. Die Frauen dissoziieren.

Die Verschärfung der Freierwünsche, hin zu extremen Praktiken, hat in den letzten Jahren stark zugenommen und ist mit eine der Ursachen, warum nur noch so wenige deutsche Frauen in der Prostitution zu finden sind. Professionell arbeitende Frauen lassen derartige Praktiken nicht zum Normalpreis von 30 bis 50 Euro über sich ergehen. Sie achten auch auf ihre Gesundheit und geben schon deshalb derartigen Freierwünschen nicht nach.

Auch die Loverboy-Masche ist bei 17- bis 20-Jährigen, also in dem Alter, in dem die Mädchen von den Loverboys kontaktiert werden, wesentlich erfolgversprechender als bei einer älteren Frau. Die Jungen sind ganz ausgeliefert Argumenten wie: „Es ist legal“ – „Es ist doch nichts dabei, wenn du das ein paar Wochen lang machst, um mir zu helfen“ – „Das ist ein ganz normaler Job“. Die Bereitschaft, Grenzen zu setzen und sich zu wehren, steigt mit dem Alter und der Erfahrung. Drei Jahre machen da viel aus.

Die Befürchtung, dass eine Erhöhung des Schutzalters zu einem Abgleiten der Frauen in die Illegalität, ins schwer zu kontrollierende Dunkelfeld führt, ist in der Praxis nicht nachzuvollziehen. Denn im Dunkelfeld, also ohne Werbung, kann kein Prostitutionsbetrieb wirtschaftlich geführt werden.

Erst letzte Woche traf ich wieder auf eine junge Frau, die im Sommer erst 18 Jahre alt wurde und ihren ersten Sexualkontakt hier in der Prostitution hatte. Diese junge Frau war, wie alle, nicht aufgeklärt, hatte keine Ahnung, wie sie sich vor Geschlechtskrankheiten schützen kann und wie sie eine Schwangerschaft verhüten kann. Sie wusste auch nicht, dass es in Deutschland nicht legal ist, eine Frau zur Prostitution zu zwingen. Sie leidet fürchterlich unter dieser Tätigkeit, ist aber emotional nicht in der Lage, sich gegen ihre „neue Familie“, die sie aus dem Kinderheim geholt hat, zu positionieren.

Die jungen Frauen berichten von ständiger Todesangst

Jetzt, wenige Wochen nach ihrer Einreise, hat sie bereits eine Geschlechtskrankheit und ist schwanger. Ihre „Familie“, vertreten hier durch einen „Bruder“, bringt sie am kommenden Wochenende nach Ungarn zurück, damit sie dort abtreibt. Danach wird sie weiter in der deutschen Prostitutionsindustrie vermarktet werden.

Diese junge Frau hatte keine Chance, erwachsen zu werden, sie hatte keine Zeit zu reifen und die Stärke zu entwickeln, die notwendig ist, um nicht so ausgeblutet zu werden. Wäre sie drei Jahre älter gewesen, hätte sie Zeit gehabt, ein eigenes selbstständiges Leben zu beginnen. Sie wäre heute mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Prostituierte.

Sehr geehrter Herr Kauder, ich bitte Sie herzlich, setzen Sie sich als Fraktionsvorsitzender dafür ein, dass junge Frauen durch die Anhebung des Mindestalters für Prostituierte auf 21 Jahre geschützt werden können.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Constabel

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