Sabine Postel: Die Beliebte

© Radio Bremen/ Stephan Pick
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Es ist schwierig bis unmöglich, ein Porträt über Sabine Postel zu schreiben, in dem es nicht andauernd um Inga Lürsen geht. Ständig schreibt man aus Versehen Lürsen, wenn man eigentlich Postel meint und umgekehrt. Aber vielleicht ist das auch kein Zufall. Schließlich bezeichnet die Schauspielerin ihre Kommissarin Inga Lürsen selbst als „Zwitter“: „Ein Drittel bis die Hälfte hat was mit mir zu tun.“ Zum Beispiel die gemeinsame „68er-Vergangenheit“ oder dass Lürsen „nicht intrigant ist und nicht mobbt“. Die so genannte „Stutenbissigkeit“ sei auch ihr immer fremd gewesen, sagt Postel. „Ich war eigentlich immer frauensolidarisch.“

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Ich war eigent-
lich immer frauensolidarisch

Und so geht es weiter mit den Parallelen. Als Postel sich damals vor fast zwanzig Jahren per Schießtraining auf ihre Rolle als Lürsen vorbereitete, hat sie zwar „sehr gut geschossen“. Aber sie hat eben auch „gemerkt, was so eine Waffe für ‘ne Wucht hat und was man damit anrichten kann“. Und weil die Schauspielerin Postel bei der Entwicklung der Figur Lürsen ein Wörtchen mitzureden hatte, verpasste man der Kommissarin eine Art Pistolenallergie. 

Das zweite, was sich die damals 43-jährige Postel für ihre Inga Lürsen ausbat, war, dass die als Mutter angelegte Figur bitteschön alleinerziehend sein sollte, denn: „Wenn schon Mutter, dann ­Rabenmutter!“ Dieser Satz lässt ahnen, womit Postel es zu tun bekam, als sie selbst alleinerziehende Mutter wurde. Als ihr Mann 2003 an Lungenkrebs starb, war Sohn Moritz elf Jahre alt. Natürlich blieb seine Mutter berufstätig – was sonst?  

1994 war Sabine Postel für ihre patente Mutter Sybille in der ­Familienserie „Nicht von schlechten Eltern“ mit dem Bambi ausgezeichnet worden. „Seither bekam ich ewig nur Mutterrollen angeboten. Und es bestand die akute Gefahr, dass ich zur Mutter der Nation werde.“ Zwecks Gefahrenabwehr lehnte sie alle Mutterrollen ab – bis Kommissarin Lürsen kam. Nach Lena Odenthal trat also 1997 im Tatort eine Kommissarin in Bremen ihren Dienst an, die man am treffendsten mit folgenden Adjektiven charakterisiert: bodenständig, robust, emanzipiert – auch wenn sie das Rennen an ihren Kollegen Stedefreund delegiert. Engagiert, aber von der Doppelbelastung bisweilen auch strapaziert. Keine Neurosen, wie neuerdings bei Tatort-Kommissaren üblich. Kurz: irgendwie ziemlich normal. 

Auf den ersten Blick mag das nicht rasend aufregend klingen. Aber genau das ist es, was Lürsen/Postel für die Zuschauerinnen so spannend macht, dass der Bremer Tatort auch nach 18 Jahren die magische Zehn-Millionen-Zuschauerhürde knackt.

Wenn schon Mutter, dann ­Rabenmutter!

Sabine Postel liegt in einer aktuellen Umfrage zur „Akzeptanzquote“ deutscher Schauspielerinnen vor Iris Berben und Hannelore Elsner. „Die Leute denken: Die ist eine von uns!“, glaubt Postel. Von Frauen kriegt sie „total schöne Briefe, richtige kleine Liebeserklärungen sind das“. Mit Sätzen wie: „Sie hatten es so schwer nach dem Tod Ihres Mannes und haben trotzdem durchgehalten.“ Oder: „Sie haben sich nicht operieren lassen und sehen immer noch gut aus.“

Das Robuste, Bodenständige kommt daher, dass Sabine Postel als Kind „Freiraum ohne Ende“ hatte. Zuerst auf dem Land, genauer: in Neustadt am Rübenberge am Steinhuder Meer, wo sie zwischen den Ziegen und Hühnern der Oma aufwuchs. Aber auch nach der Einschulung im trümmerigen Nachkriegs-Köln, wo Vater Kurt als WDR-Unterhaltungsredakteur Kabarettisten entdeckte und die Mutter als Chefsekretärin bei Kaufhof arbeitete, war das Abenteuer nicht zu Ende. „Man ging halt raus zum Spielen und kam irgendwann wieder.“ Die Eltern, „sehr jung und sehr lässig“, ließen sie.

Sabine macht Kinderfunk beim WDR. 20, 30 Mark verdiente man da an einem Wochenende. „So hatte ich schon als kleines Mädchen mein eigenes Geld, das ich auf meinem Sparbuch hervorragend verwaltete.“ Mit dem Vater, der vom riskanten Schauspiel-Beruf abrät, macht die Tochter einen Deal: Wenn sie an der Schauspielschule beim ersten Versuch angenommen wird, darf sie weitermachen. Sie wird angenommen, 1971 in Bochum. Am Staatstheater Oldenburg spielt sie Brecht, Tschechow und Stücke des Grips-Theaters, schließlich will man „die Welt verändern“.

Dass man sich auf dem Höhepunkt der Frauenbewegung darüber einig ist, dass Frauen die selben Rechte haben, ist „selbstverständlich“. Theoretisch. Praktisch verdienen auch an linken Theatern Schauspielerinnen weniger als Schauspieler. Worauf Postel der Gewerkschaft beitritt und für gleichen Lohn für gleiche Arbeit kämpft.

Was unterscheidet nun Postel von Lürsen? „Sie hat eine gewisse Ruppigkeit, die ich privat nicht habe“, sagt die Schauspielerin. Die gemeinsamen zwei Stunden in einem Kölner Café bestätigen das nicht wirklich. Über die „Scheiß-Einschaltquote“ flucht sie, die ein „Hirnriss“ ist, wenn man im Fernsehen Qualität machen will. „Mist“ ist, dass sich „das Rad in Sachen Gleichberechtigung gerade wieder zurückdreht“. Denn: „Dass es sinnvoll ist, dass Frauen arbeiten und ihr eigenes Geld haben – das hatten wir doch alles schonmal geklärt. Man kommt sich ja vor wie in der 50er Jahren!“ Da poltert Sabine Postel wie Inga Lürsen, wenn Stedefreund auf der Leitung steht.

Man kommt sich ja vor wie in den 50er Jahren!

Einen echten Unterschied zwischen Kommissarin Lürsen und Schauspielerin Postel gibt es aber doch. Während die eine als Dauersingle unterwegs ist, lebt die andere lieber in trauter Zweisamkeit. Mit einem Partner, der jünger ist als sie. Was im umgekehrten Fall keinen Buchstaben wert gewesen wäre, wurde hier zur Schlagzeile mit Ausrufezeichen. Dabei sei das „nur eine Frage des Selbstbewusstseins der Männer“, erklärt Postel. „Hat man es nötig, sich mit einer jungen Frau zu schmücken?“ Und überhaupt: „Ich finde nicht, dass Männer in den 60ern zwingend so wahnsinnig viel attraktiver sind als Frauen.“ Dieser Satz könnte nun wieder auch von Inga Lürsen stammen.

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30. Folge: Happy Birthday, Bella!

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Die Lenas und Bellas standen von Anfang an unter schwerem Verdacht. Als sie Mitte der 1990er Jahre ihren Dienst als TV-Kommissarin antraten, lautete der Tatvorwurf: Verlust der Weiblichkeit. Die Beweise: Sie schossen, fluchten und soffen. Ihre Kolleginnen Lea und Rosa mussten dagegen in High Heels auf Verbrecherjagd gehen. Jetzt hat bereits die dritte Kommissarinnen-Generation den Finger am Abzug. Wie scharf schießen Sarah, Nora oder Conny auf die Rollenklischees? Barbara Sichtermann kommt nach Besichtigung der Tatorte zu dem Schluss: Die Kommissarinnen sind zart oder hart, gefühlvoll oder gemein, sexy oder sachlich, aber vor allem eines: effektiv.

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Die Kommissarin im Fernsehen ist nunmehr ein über zwanzig Jahre altes Phänomen. Und es erhebt sich die Frage: Wie hat sie sich entwickelt? Geht es so weiter oder sind wir ihrer überdrüssig? Und: Was charakterisiert die Töchter von Bella Block, Inga Lürsen und Eva Maria Prohacek? Hat sich das vermeintliche Paradox weiblich = kämpferisch in Richtung Selbstverständlichkeit aufgelöst.

Als die Kommissarinnen im Fernsehen loslegten, sprach man auch in anderen Kontexten gern von den neuen „starken Frauen“. Im Fernsehen gab es immer mehr Talkmasterinnen und eindrucksvolle leading ladies in Serien und Spielfilmen, inzwischen gibt es auch immer mehr Regisseurinnen. Was die Kommissarin betrifft, so brachte sie für den Krimi eine Extra-Spannung mit. Als Newcomerin in diesem Berufszweig hatte sie es ja schwerer, und das Publikum wollte nicht nur sehen, wie sie den Mörder zur Strecke brachte, sondern auch, wie sie sich in der Männerdomäne Polizei durchsetzte. Diese Doppelspannung hatten männliche Kommissare nicht zu bieten, also gingen Drehbuchschreiber und Produzenten dazu über, die Frau mit der Waffe immer wieder und immer neu zu entwerfen – und das Publikum ging mit.

Das führte dazu, dass man für die berühmtesten und beliebtesten Schauspielerinnen eigens Krimi-Serien erfand (so geschehen bei Hannelore Elsner und Iris Berben) – als wäre eine Darstellerin ohne Kommissarin im Rollenfächer noch nicht ganz an die Spitze vorgedrungen. Kurz gesagt: Es entwickelte sich rund um die Frau im Polizeidienst eine eigene Fernsehwelt, der es ziemlich schnuppe war, dass es im wahren Leben längst nicht so viele Frauen auf den Revieren gab wie in der Krimi-Szenerie des Fernsehens.

Die Kommissarin stieß ästhetisch, erzählerisch und spannungsmäßig auf eine außergewöhnliche Akzeptanz, deshalb wurde sie immer wieder inszeniert bis hin zu einer neuen Generation, die heute jung und frisch und optimistisch von der Polizeischule kommt und ihren Dienst beginnt. Also: Ein Ende ist keineswegs abzusehen, und überdrüssig ist man der Kommissarin auch nicht, weder der altgedienten noch der Anfängerin.

Vor 22 Jahren landete der ARD-„Tatort“ mit Ulrike Folkerts als Lena Odenthal den ersten richtigen Volltreffer. Die Amazone aus Ludwigshafen tut noch immer Dienst, ihre Fangemeinde ist stabil. Sie war es, die den Weg frei geschossen hat für all die kantigen, kauzigen, coolen und komplizierten Frauencharaktere, die in zwei Wellen, Mitte der 1990er Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends, die TV-Polizeireviere besetzten, vor allem im „Tatort“ bzw. „Polizeiruf 110“.

Das ZDF konterte mit Bella Block, seit 1994 gespielt von Hannelore Hoger. Sie darf als die eigenwilligste und zugleich effektivste ihrer Zunft gelten. Inzwischen ist sie verrentet, geht aber weiter auf die Jagd, sie kann es nicht lassen. Das Publikum kann auch von ihr nicht lassen: Eine so vitale, öfter mal mürrische Person, die dann aber wieder mit so viel sechstem Sinn und Sinnlichkeit ausgestattet ist, die es braucht, um die gewiefteren Verbrecher zu fangen, gibt es sonst nirgends. Abgesehen vielleicht von Senta Berger als Eva Maria Prohacek, interne Ermittlerin bei der Münchner Polizei. Die Reihe „Unter Verdacht“ (seit 2002 im ZDF nach dem britischen Vorbild mit Helen Mirren) gibt der Schauspielerin Berger Gelegenheit, kämpferische Verwegenheit unter Beweis zu stellen – anstelle der ewigen Darling-Herzlichkeit, auf die sie zuvor festgelegt schien.

Dabei ist Prohacek eine Frau mit schwachen Seiten: Sie hat Asthma, schafft es trotzdem nicht, sich das Rauchen abzugewöhnen und neigt zu Ausfällen gegen ihren geplagten Assistenten. Dass sie dennoch ihre Frau in einer Weise steht, die der gesamten Behörde Respekt abnötigt, peinigt insbesondere ihren leicht korrupten Vorgesetzten.

Die Kommerzsender besannen sich Mitte der 90er ebenfalls auf den Reiz des Flintenweibes und schickten mit Corinna Harfouch als Eva Blond in einer Action-Parodie (Sat.1) und mit Despina Pajanou als Sabrina Nikolaidou im „Doppelten Einsatz“ neben wechselnden Partnerinnen das erste rein weibliche Ermittler-Duo in den Kampf um die Quote (RTL). Im West-Tatort folgte nach der Jahrtausendwende auf Lena Odenthal und Sabine Postels Bremer Stehauffrau Inga Lürsen die bis heute beliebteste Kommissarin Charlotte Lindholm, gespielt von einer kühl-konzentrierten Maria Furtwängler im Niedersachsen-Tatort. Lindholm agiert als nüchterne Beamtin, die weiß, was sie tut, aber Furtwänglers Ausstrahlung konterkariert das: Sie bringt die Aura eines immer modisch gestylten irdischen Engels ein, unter dessen Schutz sich jedes potenzielle Opfer flüchten möchte. Diese paradoxe Wirkung ist so intensiv wie ungewöhnlich.

Die Kritik bemerkte seinerzeit nicht ohne Häme, dass Frauen mit Schießeisen, die dem Übeltäter auflauern und ihn schließlich auch stellen, auf eine bizarre Art sexy seien und deshalb im Publikum so viel Anklang fänden. Mit Emanzipation und Stärke hätte das alles gar nichts zu tun. Mag sein, dass Lena Odenthal oder Charlotte Lindholm von manchen eher attraktiv als kämpferisch empfunden wurden. An den Brennpunkten der Geschichte aber, wenn sich die Kommissarin gegen ihren Vorgesetzen, ihren Kollegen oder schließlich gegen die Bösen durchsetzt, kippt es: Jetzt überzeugt nicht mehr schlicht die schöne Frau, sondern die starke. Sie sind Vorbilder, Rollenmodelle und Inbegriffe einer Frau, die sich die Schlüsselattribute positiv bewerteter Männlichkeit – Kampfbereitschaft, Durchhaltefähigkeit und Unerschrockenheit – angeeignet hat. Die Kommissarinnen haben das Frauenbild mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur im Fernsehen, sondern auch in der Realität verändert.

Doch die Schwierigkeit mit der Sexyness einer bewaffneten Frau gehen weiter. Drehbuchschreiber und Stoffentwickler beim Fernsehen hatten immer schon das Problem, dass ihre Kommissarinnen bei aller Augenhöhe zu den männlichen Kollegen doch ihre Weiblichkeit bitte nicht verlören – was immer darunter zu verstehen sei. Kurz gesagt: Um zu überzeugen und zu gefallen, durften die Beamtinnen eben nicht als Quasi-Männer daherkommen, sie mussten „Frauen bleiben“. Man hat für dieses Problem zu Beginn sehr grobe Lösungen ausprobiert: So bekannte eine der Vorgängerinnen von Odenthal, sie habe ihre besten Eingebungen in Sachen Täterjagd „beim Frisör“; andere Polizistinnen mussten auf High Heels zum Tatort hetzen, und Kommissarin Lucas, gespielt von Ulrike Kriener in der gleichnamigen Serie, hat immer noch einen Schuh-Tick. Später wurden die Protagonistinnen realistischer. Inga Lürsen musste einen Dauerzoff mit ihrer aufmüpfigen Tochter durchstehen, Charlotte Lindholm hat ein Kleinkind und muss Ermittlungsarbeit mit Betreuung vereinbaren (zur Not kommt Oma).

Die schärfste Waffe aber beim Kampf um die so genannte Weiblichkeit der Kommissarinnen war und ist im optischen Medium Fernsehen deren Aussehen. Maria Furtwängler, Darstellerin der Lindholm, ist schön, dasselbe lässt sich für Senta Berger sagen. Und auch unter den jungen Kommissarinnen sind etliche, die jeden Schönheitswettbewerb gewinnen würden.

Aber die Frau vom Revier hat es drauf, egal, wie sie aussieht. Nicht mal Schönheit ist ein Hinderungsgrund für Qualifikation. Für die Nachwuchskommissarinnen, die heute in der ARD beim Tatort oder Polizeiruf, im ZDF beim „Duo“ oder in anderen Reihen tätig sind, hat sich die Frage nach der Herausarbeitung von Weiblichkeit trotz superhartem Männerberuf weitgehend erledigt – wohl auch deshalb, weil die Weiblichkeitsvorstellungen der Gegenwart so vielfältig und offen geworden sind, dass frau keine Stöckelschuhe mehr braucht, um zu beweisen, dass sie kein Mann ist.

Was an „Weiberkram“ hie und da noch vorkommt, betrifft das Privatleben und wird von den „Weibern“ selbst oft als lästig empfunden. So mag es die junge Kollegin gar nicht, wenn die Kerle sie auf ihre „biologische Uhr“ und deren Ticken ansprechen oder sie Bemerkungen über ihr Outfit parieren muss. Die junge Kommissarin von heute ist in erste Linie Profi und als solcher keine Ausnahme mehr, sondern im Fernsehen schon fast die Regel, belegt durch die (manchmal erst nach anfänglichen Kämpfen erfolgte) Anerkennung der beeindruckten Kollegen.

Ihre Weiblichkeit steht dennoch für eine mögliche Brechung, denn es ist unausgesprochen immer klar, dass die Beziehung zwischen Kollege und Kollegin auch eine ganz andere sein könnte, nämlich eine erotische. Diese Möglichkeit darf gerne mitinszeniert werden. Aber während in älteren Zeiten die erotische im Grunde die wichtigste, wenn nicht die einzige Beziehung war, die eine Frau zu den Männern in ihrem Umkreis haben konnte, so ist das heute anders. Und das ist ein gewaltiger Fortschritt, vielleicht sogar der wichtigste in der gesamten TV-Krimi-Welt.

Früher haben es Männer in der TV-Fiktion schon mal augenzwinkernd zugelassen, dass eine Frau sich beruflich ausprobierte – bis sie endlich den Richtigen gefunden hatte und aus der Konkurrenz wieder ausschied. Diese Art, Frauen zu inszenieren, ist aus und vorbei. Die Hauptkommissarin ist heute erstmal mit ihrem Beruf verheiratet, egal, was es sie kostet. Sogar wenn es ans Eingemachte geht und der Partner oder WG-Genosse die Gemeinschaft kündigt, weil die Frau nie rechtzeitig zum Essen kommt – so erging es Bella Block und Charlotte Lindholm – steht ein echter Profi das durch, ein weiblicher allemal.

Dieser soziale Lernprozess – auch für die Frau geht der Beruf manchmal vor – hat im Krimi während der letzten zwanzig Jahre mehr oder weniger explizit stattgefunden, er war lange Subtext und ist im Wesentlichen abgeschlossen. Wenn er auch in Einzelfällen neu durchlaufen werden muss. So kann derzeit Sibel Kekilli als Sarah Brandt im Kieler Tatort neben Axel Milberg zeigen, was alles in ihr steckt, genauso wie Isabell Gerschke als Nora Lindner im Polizeiruf Nord und Nina Kunzendorf neben Joachim Król als Conny Mey im Hessen-Tatort.

Diese jungen Polizistinnen sind widersprüchliche Gestalten: zart und hart, gefühlvoll und gemein, sexy sowieso, aber vor allem effektiv. Sie wissen, wo es lang geht, im Leben und im Beruf, sie vertun sich auch mal, aber wenn, dann bitte zu Hundertprozent!

Erfolgsmenschen sind langweilig. Beim ZDF hat Lisa Martinek als Clara Hertz eine Frau an der Seite – Alt-Kommissarin Ahrens, gespielt von Charlotte Schwab, die mit tiefer Stimme und gnadenlosem Pragmatismus einen guten Kontrast zur manchmal traumtänzerischen Art der mädchenhaften Martinek abgibt. Die mehrfach ausgezeichnete Anneke Kim Sarnau ist als Katrin König in den Polizeiruf eingestiegen, ebenso Maria Simon als Olga Lenski. Katharina Wackernagel verleiht als Nina Petersen der ZDF-"Stralsund"-Reihe eine standfeste, kraftvolle Zentralfigur. Als sie einmal in die Gewalt der Gangster gerät, beweist sie eine absolut glaubwürdige Kaltblütigkeit und sieht dabei – bittesehr – wunderbar weiblich aus.

Alle diese Kämpferinnen treten ein Erbe an, das ihnen einerseits viel abverlangt, andererseits aber auch manches erleichtert. Sie müssen nicht mehr auf ihre bedrohte Weiblichkeit achten, sie können Menschen sein und als solche Frauen, die ihren Beruf mögen und in ihm gut sind – für Männer immer schon selbstverständlich, für Frauen Neuland. Sicher, man könnte auch die Langhaarfrisur, die Lena Odenthal neuerdings trägt oder die Herztöne, die Bella Block in späteren Folgen anklingen ließ, erst recht die Flucht ihres Geliebten Simon Abendroth, man kann die Zerbrechlichkeit der jungen Sarah Brandt und die (scheinbare) Unbedarftheit der Clara Hertz im Sinne eines Backlash deuten. Als würde es Machern und Zuschauern zu viel mit den knallharten Weibern, als wolle man allmählich in die alte Geschlechterordnung zurück.

Aber das wäre wohl etwas zu pessimistisch. Lange Haare und Herztöne gehen in Ordnung, solange sie die professionelle Kompetenz nicht stören. Selbst zittrige Nervosität weiblicher Cops bis hin zur Verhuschtheit müssen das kriminalistische Geschick nicht beeinträchtigen, wie schon Charlotte Sänger im alten Hessen-Tatort und auf ihre Art auch Eva Maria Prohacek in „Unter Verdacht“ gezeigt haben. Was die Abwehr der Männer gegen neu eingestellte Kolleginnen betrifft, so zieht sich dieses Motiv seit zwanzig Jahren durch die Geschichte der Kommissarinnen, und es ist ja durchaus realistisch. Alle Männerclubs neigen zur Verschwörung gegen die Weibsleut, dieses Wir-Gefühl bildet seit Jahrtausenden einen Kitt, der Organisationen wie Militär, Kirchen und Zünfte, aber auch Polizeieinheiten zusammenhält. Kommt eine Frau in nicht-dienender Funktion hinzu, so ist erstmal die Irritation groß.

Mit ihr kämpft unsere Gesellschaft seit den 1970er Jahren – schließlich besteht unsere soziale Welt in ihren funktionalen Subsystemen nach wie vor zumeist aus Männerclubs. Die Invasion der Frauen nimmt zu, der Irritationsgrad ab, dafür sorgt die normative Kraft des Faktischen, wenn auch nicht überall gleichermaßen. Da die Invasion nicht zu stoppen ist, kann und wird die Irritation irgendwann überall sinken. Auch davon erzählen die Krimis mit den Frauen vom Revier. Hier dehnt sich neuerdings die weiblich-männliche Kumpelebene auf erfreuliche Weise aus. Sogar die Überheblichkeit der Männer, was körperliche Einsatzfähigkeit angeht, weicht nach und nach. Denn die jungen Kolleginnen sind sportlich, es gibt fast immer eine Szene, in der sie körperliche Wendigkeit, rasche Reaktion und Schnellkraft beweisen können.

Ältere Polizisten bleiben allerdings öfter mal skeptisch – nicht nur, was die körperliche Leistungsfähigkeit, sondern was ganz allgemein die Eignung von Frauen für den Polizeidienst betrifft. Isabell Gerschke, als Nora Lindner im Polizeiruf Nord aktiv, sagt im Interview auf die Frage, wie sie es finde, dass der ältere Kollege enttäuscht auf einen weiblichen Neuzugang reagiert: „Reibung ist ja interessant. Ich finde das besser, als wenn alles gleich Ringelpietz mit Anfassen wird.“ Man kann vielleicht sagen: Pragmatische Konfliktbereitschaft, das ist es, was die jungen Kommissarinnen im Berufsalltag auszeichnet.

Die Älteren brauchten oft noch väterliche Vorgesetzte, die sie schützten, bis sie ihre Autorität etabliert hatten. Oder sie waren so autoritative Ausnahmeerscheinungen wie Bella Block. Der feministische Blick aber interessiert sich weniger für die Sonderfälle als für den Normalfall, für die kleine Kommissarin von der Straße sozusagen. Die wird heute losgeschickt, und sie macht ihren Job im Großen und Ganzen gegen schwindende Widerstände ganz ausgezeichnet. Sie kommt ohne Übervater im Hintergrund und ohne übermenschliche Anstrengung aus. Nicht mehr Superwoman will sie sein, sondern so eine wie Clara Hertz, die auf die Bitte eines Kollegen um ein Rendezvous achselzuckend antwortet, sie könne heute nicht, sie müsse zum Training auf den Schießplatz.

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