Die Fußballer und der Puffbetreiber

Die zweite Herrenmannschaft mit ihrem neuen Sponsor Mesut Öztürk (2 v.l.)
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Das niedersächsische Wagenfeld, gelegen inmitten grüner Moore zwischen Bremen und Osnabrück, ist ein wahrhaft beschaulicher Ort mit kleinen Fachwerkhäuschen. Gerade mal 7.000 Menschen sind hier zu Hause. Die erleben in ihrer Region in diesem Sommer gleich mehrere Highlights. Der „Förderverein Hallen-Freibad e.V.“ aus Wagenfeld feiert am 21. Juni „mit buntem Programm“ sein 20-jähriges Bestehen. Der Landkreis Diepholz kommt am 21. Juli zum „Tag des Sports“ zusammen. Und im „exklusiven Partytreff Dolce Vita“ findet ebenfalls im Juli das (laut Veranstalter) größte „Porno- und Sexfestival“ in ganz Europa statt. Ein „Mega-Event“ mit „16 Pornostars“, „40 bis 50 weiteren heißen Girls“, „Sex“, „Shows“, „Gang Bang“, „Spanferkel“ und „Grillen“. Die Gang-Bang-Party gehört ohnehin zum wöchentlichen Angebot des Bordells mit insgesamt 1.000 Quadratmetern Fläche. So wie auch das „lebende Buffet“ (Männer essen vom Körper einer Frau), „Bukake“ (mehrere Männer onanieren auf eine Frau) und „Natursekt“ (Praktiken mit Urin). Die „Girls“ in dem Bordell sind meist Anfang bis Mitte Zwanzig. Sie kommen fast alle aus Rumänien, Polen und Ungarn.

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Ob die Spieler „Europas größtes Porno- und Sexfestival“ besuchen werden?

Ob die Spieler des Wagenfelder Fußballvereins „Europas größtes Porno- und Sexfestival“ besuchen werden? Bordell-Betreiber Mesut Öztürk hat der „zweiten Herrenmannschaft“ jedenfalls schon mal die neuen Trainingsanzüge gesponsert. „Ein Zufall“, erklärte deren Trainer Marco Sandmann im Telefonat mit EMMA. Auf der Suche nach einem Sponsor habe man sich spontan an den Inhaber ihres Stammimbiss „Pohly’s Snack Eck“ gewendet. Und der wiederum habe vorgeschlagen, Mesut Öztürk zu fragen. So läuft das halt, man kennt sich. Und wenn die Fußballer vom TuS Wagenfeld aufs Feld traben, prangt auf ihrer Trainings-Jacke jetzt eben das Logo eines Puffs, der simulierte Gruppenvergewaltigungen im Angebot hat.

„Wir haben den Vereins-Vorstand gefragt, ob das in Ordnung ist“, berichtet Sandmann. Und das war es. Kritik habe es im Prinzip keine gegeben. Ein Frauen- oder Mädchenteam hat der Verein derzeit ohnehin nicht. Und auch die Spielerfrauen, so berichtet es Sandmann, haben keine Einwände gehabt. Sandmann: „Ich finde, die Anzüge sehen schön aus und ich freue mich, dass wir überhaupt jemanden gefunden haben, der etwas dazu geben wollte.“ Außerdem: „Das heißt ja nicht, dass wir da jetzt hingehen!“ Wirklich gar keine Diskussion in Wagenfeld? Innerhalb des Vereins, der Sport für die ganze Familie im Angebot hat – von Tischtennis bis Volleyball? Nein. „Unsere Handballer haben ja auch schon mal damit geworben“, sagt Sandmann gleichmütig.

Die lokale Kreiszeitung jauchzte gar: „Angesichts dieser Tatsache bekommen Fußballfloskeln wie ‚Einen Volltreffer landen’, ‚Den Ball im Tor versenken', ‚Hinten offen wie ein Scheunentor’ oder ‚Den Hammer rausholen’ gleich eine ganz neue Bedeutung“.

Das überregionale Fußballmagazin 11 Freunde kommentierte: „Zu einer Vor-Ort-Besichtigung beim neuen Sponsor durch die Mannschaft ist es laut Trainer Marco Sandmann noch nicht gekommen. Außerdem ‚ist und bleibt das Vereinsheim das Landhaus Wiedemann’. Schade eigentlich. Denn im ‚Dolce Vita’ gibt es seit kurzem neben Pool und ‚lebendem Buffet’ auch ‚professionelle Massagen’ und mithin also alles, was das Fußballer-Herz begehrt.“

Auf der Webseite bedankt sich der TuS Wagenfeld auch bei seinen neuesten Sponsoren: Matthias Herbst von der LVM-Versicherung und Viktor Hummel, Inhaber der Firma ITM, unterstützen die Jugendfußballer mit „schicken T-Shirts und Taschen“.  Die Familie Hempe sponserte der Mannschaft der C2 Junioren neue Trikots. Die Trainingsanzüge von Mesut Öztürk für die Fußballherren hingegen werden nicht erwähnt. Und das Logo des Bordells steht auch nicht auf der Vereins-Sponsorenseite.

Ein Protestbrief hat sogar die Kölner EMMA-Redaktion erreicht

So selbstverständlich scheint die Sache in Wagenfeld also doch nicht zu sein. Ein Protestbrief hat sogar schon die Kölner EMMA-Redaktion erreicht. „Ich kann es kaum fassen!“, schreibt eine Leserin aus dem Ort. Vor allem nicht, dass die Wagenfelder nur hinter vorgehaltener Hand über diesen Skandal sprechen. Und (noch) niemand protestiert gegen die, wie sie schreibt,  „Massenvergewaltigung als Flatrate“ in der direkten Nachbarschaft. Und: Kann es wirklich sein, dass die seit über zwei Jahren tobende gesellschaftliche Debatte um das Prostitutionsgesetz und seine katastrophalen Folgen vollständig an Wagenfeld vorbeigegangen ist?

Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

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Prostitution: Zum Beispiel Ioana

Ioana mit ihrer Familie in Rumänien.
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Am 13. März 2014 kam die 19-jährige Ioana aus dem rumänischen Dorf Bobolia am Leipziger Hauptbahnhof an. Dort wurde sie von ihrer Schulfreundin Florentina abgeholt. Die hatte sie seit Monaten am Telefon bedrängt, doch nach Deutschland zu kommen. Sie könnten sich dann einen Putzjob teilen und alle drei Monate alternierend nach Hause fahren. Ioana zögerte lange, doch dann entschloss sie sich: „Mama, ich gehe, um Geld zu verdienen und meinem Kind ein besseres Leben zu ermöglichen.“

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Das waren ihre letzten Worte zu Hause. Viereinhalb Monate später, am 31. Juli 2014, lag Ioana halb totgeschlagen in einer „Modelwohnung“ in Köln, mitten in der Innenstadt, gegenüber von Karstadt.

Was war passiert? Als Ioana in Leipzig in die Wohnung ihrer Schulfreundin kam, begriff sie schnell. Denn die lebte zusammen mit ihrem Landsmann Robert T., einem Zuhälter. Der zwang nun auch Ioana, sich zu prostituieren. Mehrmals am Tag. Mit Gewalt. Auch pornografische Fotos wurden von ihr aufgenommen. Nach zwei Monaten Leipzig wurde Ioana weitergeschoben, nach Nürnberg, in das nächste Bordell. Ob es vor Köln noch weitere Stationen gab, ist noch nicht bekannt.

Der Mann ihrer Freundin zwang nun auch Ioana zur Prostitution

Am 31. Juli 2014 fand eine Zimmernachbarin in dem Wohnhaus in der Glockengasse mit „Modelwohnungen“ Ioana reglos im Bett. Der Notarzt brachte sie ins Krankenhaus. Dort stellte man eine Hirnblutung und zahlreiche schwere Verletzungen fest. Die junge Frau wurde ins künstliche Koma versetzt. Seither wurde sie dreimal operiert.

Zunächst tappte die Polizei noch im Dunkeln. Wer hatte Ioana das angetan? Ein Zuhälter? Ein Freier? Man stellte auf jeden Fall fest, dass sie auch zahlreiche ältere Hämatome hatte, also schon seit Monaten ein Opfer von Gewalt gewesen war.

Robert T. und die Schulfreundin waren verschwunden – bis sie wieder auftauchte, im rumänischen Fernsehen: Dort beschuldigte Florentina ihren Mann, mit dem sie ein dreijähriges Kind hat, schwer. Er habe sie gezwungen, Ioana nach Deutschland zu locken. Er habe die Freundin in die Prostitution getrieben. Er habe sie halb totgeschlagen.

Der Fall Ioana schlägt seither hohe Wellen in den rumänischen Medien. Die Rumänen halten das Schicksal der 19-Jährigen für typisch. Eine junge Frau wird unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus dem armen Rumänien ins reiche Deutschland gelockt und dort mit Gewalt in die Prostitution gezwungen.

Robert T. konnte nur dank der Aussagen seiner Ehefrau, die inzwischen die Scheidung eingereicht hat, verhaftet werden. Sie hat inzwischen auch bei der deutschen Polizei ausgesagt. Er sitzt seit Ende November in U-Haft in Köln. Genauer: Robert T. war inzwischen bereits im Gefängnis in Leipzig inhaftiert gewesen. Dort wartete auf ihn die Auslieferung nach Rumänien, wo er wegen Doppelmordes gesucht wird. In drei EU-Ländern hatte der Zuhälter bereits vor dem Kölner Skandal Einreiseverbot. Fragt sich, warum so ein Verbrecher sich in Deutschland frei bewegen konnte.

Inzwischen war Ioanas Mutter Gratiela mehrfach am Krankenbett ihrer Tochter. Noch ist deren Zustand sehr kritisch, aber die Ärzte geben sie nicht auf. Doch im besten Fall wird die junge Frau ein lebenslanger Pflegefall sein.

Die Medien be-
zeichnen sie als „Prostituierte“. Dabei wollte sie nur Geld für ihr Kind verdienen. Mit Putzen.

Die Mutter hatte sich schon kurz nach der Abreise der Tochter nach Leipzig Sorgen gemacht. Ioana klang komisch am Telefon. Und irgendwann meldete sie sich überhaupt nicht mehr. Sie konnte keinen Schritt tun und kein Wort sagen ohne die Überwachung von Robert T., sagt heute Florina. Er diktierte ihr jedes Wort. Auch wenn sie mit ihrer Familie telefonierte.

Anfang August gelang es der Mutter erstmals, das Geld für die Reise nach Köln zusammenzukratzen. Der Schock am Krankenbett ihrer Tochter war groß. Mitte Oktober kam sie wieder, für fünf Tage. Nachts schlief sie im Auto. Geld für ein Hotel hatte sie nicht. Inzwischen gibt es Hilfe. Die Mutter muss viel öfter kommen, sagen die Ärzte. Ihre Anwesenheit ist extrem wichtig für die Genesung von Ioana. Ebenso wie das geplante Wiedersehen mit dem Sohn David.

Das einzig Tröstliche in der ganzen so grauenvollen wie in dem Milieu in Deutschland alltäglichen Geschichte ist: Das Schicksal von Ioana hat eine Welle von Hilfsbereitschaft für sie und ihre Familie ausgelöst. In Rumänien wie in Deutschland.

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