Sanae Takaichi ist die Erste
Wie ein Popstar wurde Sanae Takaichi beim Besuch von US-Präsident Donald Trump Ende Oktober gefeiert. Bei seinen Worten „Diese Frau ist eine Gewinnerin – die erste weibliche Premierministerin in der Geschichte Japans!“, hüpfte Takaichi mehrmals auf der Bühne mit nach oben gestreckter Faust in die Höhe, während Hunderte von US-Soldaten sie umjubelten – eine im verhaltenen Japan verblüffende Szene.
War dies dieselbe Frau, die bisher als erzkonservative Hardlinerin galt, Japans Kriegsschuld kleinredete und regelmäßig einen Schrein besuchte, in dem auch verurteilte Kriegsverbrecher verehrt werden? Die gegen die weibliche Thronfolge in der Kaiserfamilie ist, gegen die Ehe für alle, und die eigene Namen von Ehepartnern strikt ablehnt? Doch diese Themen interessieren offenbar eher die ausländische Presse. Sowie die älteren Wählerschichten, die der Friedensbewegung verbunden sind und die die als militärischer Falke geltende Takaichi mit Sorge betrachten. Bei der jungen Generation bis 40 hat Takaichi hingegen Traum-Zustimmungsraten von 80 Prozent.
„Meine Mutter hat mir gesagt, ich soll dieselbe Tasche wie Sanae Takaichi bestellen“, schreibt eine japanische X-Nutzerin. In den sozialen Medien trendete die – inzwischen ausverkaufte – „Sanae-Bag“ schon bald. Unter dem Hashtag #sanakatsu – angelehnt an die in Japan „oshikatsu“ genannte Fan-Kultur – feiert das Netz die neue Regierungschefin eines der patriarchalsten Länder der Welt.
Selbst ihre Kritiker erhoffen sich von ihr positive Impulse für die Gleichberechtigung. Im japanischen Unterhaus ist nur jede zehnte Person weiblich, im Oberhaus knapp jede dritte. In Takaichis Kabinett finden sich nur zwei Frauen (von 19 Mitgliedern).
Takaichis Vorbild ist die „eiserne Lady“ Margaret Thatcher, britische Premierministerin der 1990er Jahre: „Eine Politikerin, die ich bewundere!“. Bei ihrer Antrittsrede versprach sie: „Ich werfe den Begriff Work-Life-Balance über Bord. Ich werde arbeiten, arbeiten, arbeiten, arbeiten, arbeiten.“
Um gut 30 Jahre nach ihrer ersten Wahl ins japanische Unterhaus an die Spitze zu kommen, musste Takaichi in der Tat eine Menge leisten. Als Kind von zwei berufstätigen Eltern – der Vater in der Automobilbranche, die Mutter in der Verwaltung bei der Polizei – hat sie nach der Schule bei ihrem jüngeren Bruder die Windeln gewechselt, anstatt mit Freundinnen zu spielen. Als Oberschülerin jobbte sie als Nachhilfelehrerin, schenkte im langen Kleid auf Hotelpartys Gästen die Getränke nach oder stand mit Werbeschildern an Straßenecken. Weil ihre Eltern sie lieber verheiraten wollten, finanzierte sie so selbst ihren Unibesuch. Umso bemerkenswerter, dass ausgerechnet ihr Vater sie finanziell unterstützte, nachdem ihr erster Versuch, ins Unterhaus zu gelangen, fehlgeschlagen war.
An ihrer Mehrfachbelastung hat sich bis heute nichts geändert: Die 64-Jährige pflegt ihren Ehemann, der 2024 an Krebs erkrankte und im Jahr darauf einen Schlaganfall erlitt. Sie hatten 2004 geheiratet, sich „wegen politischer Differenzen“ 2017 getrennt, und fanden 2021 erneut zusammen. Bei der Wiederheirat nahm er ihren Namen an – ein äußerst ungewöhnlicher Schritt in Japan. Takaichi adoptierte die drei Kinder ihres Mannes aus seiner früheren Ehe.
Takaichi stammt, anders als viele Amtsvorgänger, nicht aus einer Politikerdynastie. Was die Self-Made-Politikerin nicht an persönlichen Finanzen und familiärem Einfluss hatte, machte sie durch mächtige Mentoren wett – der wichtigste von ihnen war Shinzo Abe, langjähriger Premierminister, der 2022 auf offener Straße erschossen wurde. Auch dessen „Bromance“ mit Trump machte sich Takaichi zunutze.
„Für ein starkes und florierendes japanisches Inselreich. Japans Potenzial nutzen, für künftiges Wachstum!“ Mit diesem Motto war sie angetreten. Bürgerinnen und Bürger erwarten von Takaichi, dass sie etwas gegen den Preisanstieg im Land tut. Gelingt ihr das, und hält sie sich anders als viele Vorgänger länger als ein Jahr im Amt, würde das ihrer Anhängerschaft Zeit geben, auf die Ankunft ihrer „Sanae-Bag“ zu warten. Sie soll Ende Juni 2026 geliefert werden.
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