Alice Schwarzer schreibt

"Profit geht vor Menschenrechten"

Shirin Ebadi im Gespräch mit Alice Schwarzer. - Foto: Bettina Flitner
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Shirin Ebadi, welche Auswirkungen haben die Revolutionen in Tunesien und Ägypten auf den Iran? Und zwar sowohl auf das ­Regime wie auf das Volk?
Shirin Ebadi Das Regime behauptet, dass das, was in Nordafrika geschieht, die Fortsetzung der islamischen Revolution sei. Die grüne Bewegung erklärt das ­Gegenteil: Es sei die Folge der iranischen Protestbewegung.

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Beide reklamieren die Jasmin-Revolution also für sich?
Genau. Ich aber meine: Es ist ganz einfach die Konsequenz des technologischen Fortschritts. Denn die Menschen dort waren schon vor Jahrzehnten, als ich diese Länder besucht habe, gegen die diktatorischen Regimes. Das Internet hat diesem Protest jetzt ein Forum und eine Stimme gegeben.

Aber das träfe ja auch auf Iran zu: Der Protest der Bevölkerung und die Existenz der neuen Medien.
Das stimmt. Aber in Ägypten und Tunesien war die Armee auf der Seite der Bevölkerung. Und darum konnten die Menschen die Machthaber besiegen. Doch im Iran sind Armee und Revolutionswärter auf der Seite der Macht, genauer: Sie sind die Macht.

Eine friedliche Opposition hat also keine Chance gegen die Machthaber?
Wie sollen Menschen mit leeren Händen gegen diese schwer bewaffneten Truppen ankommen? Die Folge wäre ein blutiger Bürgerkrieg, wie in Libyen. Es gibt allerdings langfristig Hoffnung. Denn in den Reihen der Revolutionswächter wie auch der Religiösen – also den beiden Säulen der Macht in Iran – macht sich allmählich Nachdenklichkeit breit. Die ist vor allem der Friedfertigkeit unserer Oppositionsbewegung zuzuschreiben.

Sie hoffen also auf ein Aufweichen der Fronten?
Langfristig ja.

Täuscht der Eindruck – oder ist die Repres­sion im Iran in den letzten Wochen und Monaten wieder stärker geworden?
So ist es. Gegen alle Oppositionellen, aber speziell auch gegen die Frauen.

Sie sind eine der Initiatorinnen der „1 Millionen Unterschriften Kampagne“. Zahlreiche Frauenrechtlerinnen wurden in den vergangenen Monaten verhaftet, gefoltert und verurteilt. Können diese Frauen überhaupt noch weitermachen?
Sie tun es trotzdem. Denn unser Ziel ist ja nicht nur das Sammeln von Stimmen, der Protest, sondern gleichzeitig die Aufklärung der Frauen über ihre Rechte.

Ihre Mitarbeiterin, die Juristin Nasrin Sotoudeh, ist im Herbst 2010 verhaftet und jetzt zu elf Jahren Gefängnis und 20 Jahren Berufsverbot verurteilt worden. Was können wir von Europa aus für sie und die anderen tun? Beeindrucken Petitionen Präsident Ahmadinedschad?
Schreiben Sie an Ihre eigene Regierung und fordern Sie sie auf, die Menschenrechte in ihren diplomatischen Beziehungen mit Iran zu thematisieren. Das ­Regime unter Druck zu setzen! Es wäre jedoch kontraproduktiv, Iranern keine Visa mehr zu geben, wie es erwogen wurde. Das bestraft die Menschen. Man sollte nur Iranern, die im Iran an der ­Verletzung der Menschenrechte beteiligt sind, keine Visa mehr ausstellen. Und man könnte auch deren Vermögen im Ausland beschlagnahmen.

Was allerdings mit den Interessen der Wirtschaft kollidieren würde. Ist es nicht überhaupt so, dass die Politik sich aus Rücksicht auf die Wirtschaft mit Kritik an Iran zurückhält?
Genau so ist es! Wissen Sie, dass der Handel von Deutschland mit Iran ausgerechnet in den vergangenen zwei Jahren sprunghaft angestiegen ist? Diese Verträge wurden alle nach dem Protest der grünen Bewegung gegen die manipulierten ­Prä­sidentschaftswahlen geschlossen. Auch Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten in seiner Beziehung zum Iran die Menschenrechte immer den wirtschaft­lichen Interessen geopfert. Es sollten auch keine Geschäfte mehr mit Iran gemacht werden dürfen, die sich gegen die Bevölkerung richten. Wie zum Beispiel der Verkauf der Software durch Siemens und Nokia, die das Abhören der Handys ermöglichte. Wir haben dagegen protestiert. Erfolgreich. Vor vier Monaten haben die Firmen sich entschuldigt und zurückgezogen. Allerdings: Jetzt macht Ericsson das Geschäft. Es kann also weiter abgehört werden in Iran.

Kommen wir nochmal auf die Frauen zurück, für die Sie sich ja seit Jahrzehnten so mutig engagieren. Wie anno 1979 in Iran standen auch jetzt in Tunesien und Ägypten die Frauen an vorderster Front. Schon so oft haben die Frauen die Freiheit mit erkämpft – durften aber dann nicht in Freiheit leben. Wie in Iran. Wie schätzen Sie jetzt die Chancen der Tunesierinnen und Ägypterinnen ein?
Die Tunesierinnen haben eine große Chance. Sie hatten schon vorher relativ viele Rechte. Und Tunesien ist ja auch kein religiöser Staat. In Ägypten hingegen befürchte ich große Probleme für die Frauen. Dort spielen die islamistischen Moslembrüder eine zentrale Rolle. Die Islamisten sind sehr, sehr stark in Ägypten. Sie halten sich zurzeit zwar noch zurück und behaupten, sie wollten die Frauenrechte nicht zurückdrehen – aber ob sie Wort halten, ist sehr fraglich. Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft der Ägypterinnen.

Ich muss Ihnen leider noch eine schmerzliche Frage stellen. Im letzten Jahr hat Ihr Mann sich im iranischen Fernsehen öffentlich von Ihnen distanziert. Sie seien auf einem „Irrweg“ und hätten auch ihn unterdrückt, ja sogar mal mit einem Schuh nach ihm geworfen.
Mein Mann war verhaftet worden. Nach seiner Entlassung rief er mich sofort an und erzählte mir, was passiert war. Dass man ihn gezwungen hatte, so etwas zu sagen. Sonst wäre er nicht wieder freigelassen worden. Ich habe ihm gesagt, dass ich es richtig finde, dass er das getan hat. Wir wissen ja, wie solche so genannten „Geständnisse“ funktionieren.

Hat Ihr Mann heute das Recht, auszureisen?
Nein. Man hat seinen Reisepass beschlagnahmt.

Sie leben seit zwei Jahren im Westen. Wenn Sie jetzt nach Iran zurückkehren würden – würde man Sie verhaften?
Ich habe nichts Unrechtes getan. Aber das Recht wird in Iran nicht respektiert. Man würde mich also wohl ins Gefängnis werfen. Schon nur dafür, dass sie Kontakt mit mir hatte, hat Nasrin Sotoudeh fünf Jahre von ihren elf Jahren Gefängnis kassiert.

Wo leben Ihre beiden Töchter heute?
Die eine ist in Amerika verheiratet. Die andere studiert in London Jura. Wir arbei­ten zusammen.

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Shirin Ebadi: „Ich habe keine Angst!“ (3/06)

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