Paradebeispiel Österreich

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Beim Wiener Verein „Autonome Österreichische Frauenhäuser“ ist man dieser Tage „sehr zufrieden“. Denn im Nachbarland ist gerade etwas Gutes noch besser gemacht geworden: das Gewaltschutzgesetz. Als am 1. Mai 1997 das österreichische Gewaltschutzgesetz in Kraft trat, war das ein Quantensprung im Kampf gegen Häusliche Gewalt. Zum ersten Mal galt in einem europäischen Land das Prinzip: Wer schlägt, der geht! Nicht mehr die – oft über Jahre misshandelten – Frauen und ihre Kinder mussten aus ihren vier Wänden flüchten. Stattdessen wurde nun der Schläger von der Polizei für zehn Tage der Wohnung verwiesen. Stellte die Frau in dieser Zeit einen Antrag beim Gericht, bekam sie die Wohnung zugewiesen: Drei Monate lang – bei Ehepaaren bis zum Ende des Scheidungsverfahrens – konnte sie bleiben. Keine überstürzte Suche nach einer neuen Bleibe mehr, kein Schulwechsel der Kinder, stattdessen Ruhe zum Nachdenken darüber, wie es weitergehen soll.

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Es dauerte fünf Jahre, bis Deutschland das Gesetz übernahm: Am 1. Januar 2002 trat es unter der Ägide von Frauenministerin Christine Bergmann (SPD) und Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) in Kraft. Allerdings hatten die Österreicherinnen den deutschen Frauen etwas voraus: Die Aktivistinnen aus Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern hatten ihre Regierung davon überzeugen können, dass es ­allein mit der Wegweisung des Schlägers nicht getan ist. Und so wurden in jedem der neun österreichischen Bundesländer eine „Interventionsstelle“ eingerichtet. Plus „Zweigstellen“ in ländlichen Gebieten.

Deren Aufgabe: Weist die Polizei einen prügelnden Mann aus dem Haus, benachrichtigen die Beamten gleichzeitig per Fax die zuständige Interventionsstelle. Die nimmt Kontakt mit der Frau auf und bietet ihr Unterstützung an. Ein äußerst effektives Konzept, denn so erreichen die Beraterinnen Frauen, die von sich aus den Weg in ein Hilfsprojekt – und aus der Gewaltbeziehung – nicht gefunden hätten. Und: „Wir sehen aus der Evaluation des Gesetzes, dass sich bei unbetreuten Frauen die Gewalt oft wiederholt“, erklärt Rosa Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle und „Mutter des Wegweisungsgesetzes“.

Auch in Deutschland wurde nach österreichischem Vorbild dieser „proaktive ­Ansatz“ eingeführt. Allerdings: Hier ignorierte der Wegweisungs-Gesetzgeber, dass zusätzliche Stellen notwendig wären, um die Frauen, dann auch zu betreuen. Denn es geschah das Gegenteil. Statt neue Stellen zu schaffen, begann kurz nach Inkraft­treten des Gewaltschutzgesetzes in vielen Bundesländern ein Stellen-Streichkonzert bei Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern. Im Nachbarland dagegen stockten Frauenministerin Doris Bures (SPÖ) und Innenminister Wilhelm Molterer (ÖVP) den Etat der Interventionsstellen um stolze 60 Prozent auf. „Für uns in der Wiener Interventionsstelle hieß das, dass wir unsere zehn Stellen auf 20 verdoppeln konnten“, freut sich Rosa Logar.

Und jetzt hat Österreich das vorbildliche Gesetz sogar noch einmal novelliert. Zum Beispiel um den neuen Straftatbestand der „Fortgesetzten Gewaltausübung“. „Es war uns wichtig, dass jemand, der seine Frau über Jahre misshandelt, härter ­bestraft wird als jemand, der einmal ­zuschlägt“, erklärt Daniela Alma vom Verein Autonome Österreichische Frauen­häuser (AÖF). Deshalb wird jetzt mit drei Jahren Haft bestraft, wer „gegen eine ­andere Person eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausübt“. Bis zu fünf Jahre Gefängnis drohen, wenn der Täter „durch die Tat eine umfassende Kontrolle des Verhaltens der verletzten Person herstellt oder eine erhebliche Einschränkung der autonomen Lebensführung der verletz­ten Person bewirkt.“ Und zehn Jahre kann der Richter verhängen, wenn der Mann dabei immer wieder „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung begeht“.

Seither muss die misshandelte Frau vor Gericht nicht mehr jeden einzelnen Knochenbruch oder jede einzelne Vergewaltigung nachweisen, wie es bei der Verurteilung wegen Körperverletzung der Fall war. „Und es wird auch nicht nur die einzelne Körperverletzung gesehen, sondern die gesamte Straftat, die oft aus einem System aus Prügeln, Isolation und Vergewaltigung besteht.“

Eine weitere Verbesserung: Die Polizei kann jetzt nicht mehr nur den Ehemann oder Lebensgefährten aus der Wohnung weisen, sondern auch andere gewalttätige Personen wie einen WG-Mitbewohner oder einen Freund, der zu Besuch ist. Künftig dürfen die weggewiesenen Männer die Wohnung erst nach zwei Wochen wieder betreten statt nach zehn Tagen. Und eine weitere Frist wurde verlängert: Die ehemals gemeinsame Wohnung wird der misshandelten Frau jetzt nicht mehr nur für drei Monate zugesprochen, sondern für ein halbes Jahr. „Das war von Anfang an ein Kritikpunkt, denn oft ändern die Frauen ja in dieser Zeit ihr ganzes Leben.“ In Deutschland galt die einstweilige Verfügung von Anfang an für sechs Monate.

Und: Die österreichische Regierung griff nicht nur für die Interventionsstellen in die Tasche. Aus dem Etat des Justizministeriums wird der geschlagenen Frau eine ­Rechts­anwältin und eine Sozialarbeiterin finanziert, die die geflüchtete Frau bei ihren Prozessen begleiten.

Also alles perfekt bei den Nachbarinnen? Nicht ganz. Denn da, wo nicht der Bund, sondern die Länder zuständig sind, wird es, ganz wie in Deutschland, auch in Österreich eng: bei den Frauenhäusern. Zum Beispiel im ländlich-konservativen Tirol, wo das Frauenhaus „ein baufälliges Gebäude ist und die Landesregierung sich jedes Jahr aufs neue überlegt, ob sie die Arbeit überhaupt weiter finanzieren soll“, klagt AÖF-Sprecherin Alma. Genau wie in Deutschland lautet also die Forderung der Österreicherinnen: Entweder muss die Finanzierung des Frauenhäuser Bundessache werden – oder ein Rahmengesetz regelt, dass die Länder ausreichend Plätze für geflüchtete Frauen ­bereitstellen müssen.

Miss Handelt!

Vor einer Sekunde war ihr Gesicht noch unversehrt gewesen. Die junge Frau hatte sich im Spiegel geschminkt und ausgehfertig gemacht. Schnitt. Jetzt hat sie eine aufgeschlagene Lippe, die Wimperntusche ist vom Weinen verschmiert. Mit einem Taschentuch wischt sie sich das Gesicht ab. Als sie das Tuch in ihre Jeanstasche stecken will, erscheint ein Schrift­zug: „Steck’s nicht weg!“ Dieser Clip ist einer von zwölf Kurzfilmen gegen Männer­gewalt, die im Rahmen des Projekts „Miss Handelt!“ entstanden sind. Die österreichische Filmerin Elke Oberleitner vom Medienkulturhaus Wels trommelte sieben RegisseurInnen und SchauspielerInnen sowie 36 angehende Film­schaffende zusammen, die in Workshops mit Frauenhäusern Ideen für die Anti-Gewalt-Clips entwickelten. Einer der Clips läuft gerade im Kino-Vorprogramm. LehrerInnen, SozialarbeiterInnen und alle, die das Thema Gewalt gegen Frauen mit Jugendlichen behandeln wollen, können die Clip-DVD plus Begleitbuch für 25 € bestellen: e.oberleitner@medienkulturhaus.at

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www.aoef.at
www.wave-network.org
Dossier Männergewalt (1/10)
Wer schlägt, der geht (1/08)
Modell Österreich (2/99)

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