Susan Brownmiller ist tot

Susan Brownmiller 1988. - Foto: Jill Krementz
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„Against Our Will“ wurde 1975 veröffentlicht, in ein Dutzend Sprachen übersetzt und von der New York Public Library als eines der 100 wichtigsten Bücher des 20. Jahrhunderts ausgewählt. Susan Brownmiller legte damit erstmals eine umfassende historische Aufarbeitung des Themas Vergewaltigung vor, beginnend mit dem alten Babylon bis hin zum Einsatz als Waffe in Kriegszeiten.

Die aufstrebende Frauenbewegung hatte die Öffentlichkeit bereits sensibilisiert zu sexueller Gewalt. Susan Brownmiller öffnete ihr endgültig die Augen. Zahlreiche Krisenzentren für Vergewaltigungsfälle wurden gegründet, Selbstverteidigungskurse erfreuten sich steigender Beliebtheit, mehrere US-Bundesstaaten änderten ihre Gesetze, um die Verfolgung von Vergewaltigern zu erleichtern. Vergewaltigung in der Ehe wurde zu einem Verbrechen (Anm. der Red: Nur in den USA, in Deutschland erst 1996).

„Gegen unseren Willen“ wurde an die Spitze der Bestsellerlisten katapultiert, gleichzeitig mobilisierte es Kritiker, sowohl links wie rechts, die es als männerfeindliche Polemik bezeichneten.

Vergewaltigung: das ultimative Instrument der Männer zur Unterdrückung der Frauen

Anstatt sexuelle Gewalt weiter durch eine liberale politische Brille zu betrachten, sah Brownmiller sie nun durch eine feministische Brille - und verstand Vergewaltigung als das ultimative Instrument der Männer zur Unterdrückung der Frauen. Das Buch räumte genial mit mehreren von Männern geschaffenen Mythen auf. Nein, schrieb Brownmiller, Frauen wünschten sich nicht insgeheim, sexuell missbraucht zu werden, und ja, es sei physisch möglich, gegen den eigenen Willen vergewaltigt zu werden.

„Erschreckend und monumental“, nannte das die Anwältin Mary Ellen Gale in der New York Times Book Review. Das Time Magazine schrieb: „Das rigoroseste und provokativste Werk der Wissenschaft, das bisher aus der feministischen Bewegung hervorgegangen ist“. Es ernannte Brownmiller zu einer seiner 12 Frauen des Jahres.

„Die Entdeckung des Mannes, dass seine Genitalien als Waffe dienen können, um Angst zu erzeugen, muss als eine der wichtigsten Entdeckungen der prähistorischen Zeit gelten“, schrieb Brownmiller und setzte diese Entdeckung mit der Entdeckung des Feuers gleich. Und: Vergewaltigung „ist nicht mehr und nicht weniger als ein bewusster Prozess der Einschüchterung, durch den alle Männer alle Frauen in einem Zustand der Angst halten.“

Eine von Brownmillers schärfsten Kritikerinnen: die Linke Angela Davis

Eine ihrer schärfsten Kritikerinnen innerhalb der Linken war Angela Davis, militante Schwarze und bekennende Kommunistin. Sie behauptete, Brownmiller hätte historische Fälle, in denen schwarze Männer weiße Frauen vergewaltigt hatten, falsch interpretiert, als sie zu dem Schluss gekommen sei, dass die schwarzen Männer die Schuld trügen. „Indem sie sich ungeachtet der Umstände auf die Seite der weißen Frauen stellt“, schrieb Davis, „kapituliert Brownmiller selbst vor dem Rassismus“.

Auf der politisch rechten Seite spottete Joseph Sobran in der National Review: „Was sie wirklich betreibt“, schrieb er, “ist nicht wissenschaftliche Arbeit, sondern Henpecking (Anm. der Red: ständiges Nörgeln) - jener bewusste Prozess der Einschüchterung, mit dem alle Frauen alle Männer unter dem Pantoffel halten.“

Brownmillers bahnbrechendes Werk über Vergewaltigung "Against our Will" erschien 1975. (Auf deutsch "Gegen unseren Willen 1977).
Brownmillers bahnbrechendes Werk über Vergewaltigung "Against our Will" erschien 1975. (Auf deutsch "Gegen unseren Willen 1977).

Im Jahr 2015, zum 40. Jahrestag der Veröffentlichung von „Against Our Will“, rückte Susan Brownmiller erneut in den Fokus der Medien. Damals war sie 80 Jahre alt. Sie hielt an den Thesen ihres Buches fest und äußerte gleichzeitig scharfe Kritik an jungen Frauen. Diese, so meinte sie, glaubten offenbar, sie könnten genauso viel Alkohol trinken wie Männer und sich provokant kleiden – ohne die Verantwortung zu übernehmen, wenn sie sexuell angegriffen würden. 

Brownmiller im New York Magazine: „Mein Gefühl gegenüber jungen Frauen, die in sexualisierten Situationen gefangen sind, die sie nicht wollen, ist: Habt ihr die Warnzeichen nicht gesehen? Was erwartet ihr: Wer soll für euch kämpfen, wenn nicht ihr selbst?“ Viele wollten, so meinte sie, „die Augen davor verschließen“, was ihnen möglich sei – und wo ihre Grenzen lägen: „Sie wollen nicht wahrhaben, dass für sie bestimmte Einschränkungen gelten.“ Als eine Interviewerin von Al-Jazeera ihr entgegenhielt, dass Frauen sich doch gerade bestärkt und selbstbestimmt fühlen wollten, entgegnete Brownmiller: „Frauen haben ein falsches Gefühl von Selbstermächtigung. Die Wahrheit ist: Sie können nicht alles tun, was Männer tun können – denn da draußen gibt es Täter.“

Susan Brownmiller wurde am 15. Februar 1935 in Brooklyn als Susan Warhaftig geboren. Ihre Eltern, Samuel und Mae Warhaftig, waren Juden und gehörten der unteren Mittelschicht an. Die Mutter arbeitete als Sekretärin, der Vater als Verkäufer bei Macy’s.

Die Tochter besuchte eine hebräische Schule, und obwohl sie ihr jüdisches Erbe in ihren Schriften nie betonte, erkannte sie dessen Einfluss an. „Der Weg, den ich gewählt habe - der Kampf gegen Gewalt, insbesondere gegen den Terror der Gewalt gegen Frauen - hatte seinen Ursprung in dem, was ich in der hebräischen Schule über die Pogrome und den Holocaust gelernt hatte“, schrieb sie.

Sie registrierte Schwarze zur Wahl und organisierte Sit-ins gegen Rassentrennung, 

Sie besuchte zwei Jahre lang die Cornell Universität in Ithaca und kehrte dann nach New York zurück, um ihrer damaligen Leidenschaft, der Schauspielerei, nachzugehen und begann, bald hauptberuflich, unter dem Namen Brownmiller zu schreiben.

Doch im Grunde ihres Herzens war sie eine Aktivistin; ihre Leidenschaften waren Politik und Bürgerrechte. Sie beteiligte sich an Sit-ins zur Aufhebung der Rassentrennung und organisierte eine Streikpostenkette vor einer Woolworth-Filiale in New York. Sie registrierte schwarze Wähler in Harlem und in Meridian, Mississippi. Sie leitete feministische Versammlungen und half, 1970 ein Sit-in beim Ladies Home Journal anzuzetteln, um gegen den Fokus der Zeitschrift auf Schönheit und Hausarbeit und die Abwesenheit von Frauen innerhalb der Redaktion zu protestieren. „Ich bin kämpferisch, wachsam und verbal angriffslustig“, schrieb sie in „Against our Will".

1970 griff sie Hugh Hefner, den Herausgeber des Playboy, in der „Dick Cavett Show“ an. Sie kritisierte ihn dafür, dass er ein Imperium aufgebaut hatte, das auf der Unterdrückung von Frauen beruht, er Frauen ihre Menschlichkeit abspricht und sie erniedrigt, indem er sie „wie Tiere aussehen lässt“. Sie sagte zu Hefner, sie warte auf den Tag, „an dem Sie bereit sind, mit einem Baumwollschwanz am Hintern hierher zu kommen“, genau wie die Bunnies in seinen Playboy-Clubs. Hefner war sprachlos.

Brownmiller wurde zu einer vehementen Gegnerin der milliardenschweren Pornografie-Industrie. Sie war der festen Überzeugung, dass die Entmenschlichung von Frauen in dieser Branche maßgeblich zu sexueller Gewalt beiträgt.

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Als Mitglied einer Gruppe mit dem Namen Women Against Pornography (Frauen gegen Pornografie) machte sie sogar Aufklärungsführungen über den damaligen Times Square mit seinen unzähligen Pornoläden und Leuchtreklamen, die „Girls Girls Girls“ anboten. „Miss Brownmiller stellte sich wie eine Fremdenführerin an eine Ecke und gestikulierte die West 42d Street auf und ab und kommentierte anzüglichen Sehenswürdigkeiten“, berichtete die Times 1979. „Ihr Vortrag war so professionell, dass mehrere Touristen stehen blieben und zuhörten.“

Im Laufe der Jahre lebte Susan mit drei verschiedenen Männern zusammen, aber sie wollte nie Kinder (sie hatte drei Abtreibungen) und sie hat nie geheiratet. Sie sagte einmal, sie glaube an „Romantik und Partnerschaft“ und wolle „in enger Verbindung mit einem Mann sein, dessen Arbeit ich respektiere“, aber sie sei „nicht zu Kompromissen bereit“.

Susan Brownmiller widmete ihr Leben dem Schreiben und lehrte bis in ihre 80er Jahre an der Pace University. Sie schrieb zahlreiche Zeitschriftenartikel und ein halbes Dutzend Bücher, angefangen 1970 mit einem Kinderbuch über Shirley Chisholm, der ersten schwarzen Frau, die in den Kongress gewählt wurde. In ihrem 1984 erschienenen Buch „Femininity“ (Weiblichkeit) dekonstruierte sie die Bedeutung dieses Wortes.

Zu ihren weiteren Büchern gehören „Seeing Vietnam: Encounters of the Road and Heart“ (1994) und „In Our Time: Memoir of a Revolution“ (1999), ein Insiderbericht über die Frauenbewegung.

Erst 2008 verabschiedeten die Vereinten Nationen eine Resolution, in der Vergewaltigung als Kriegswaffe definiert wurde. „Zurückschlagen“, schlussfolgerte sie in „Gegen unseren Willen“, würde ihr ständiger Schlachtruf sein. „Auf vielen Ebenen“, schrieb Brownmiller, „müssen wir uns gemeinsam engagieren, wenn wir - die Frauen - das Ungleichgewicht ausgleichen und uns und die Männer von der Ideologie der Vergewaltigung befreien wollen.“

KATHARINE Q. SEELYE

Der Nachruf erschien am 24. Mai in der New York Times. Er wurde hier leicht gekürzt.

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