Es geht doch!

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Innerlich zitterte der potenzielle Vater, als er seine Vorstellungen auf den Tisch packte. Und war einigermaßen verdattert von der prompten Reaktion: „Kein Problem, das geht klar“, antwortete sein Gegenüber und fragte, ob Ganser überhaupt vom firmen­eigenen Kinderhaus wisse? Wusste er nicht.

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Zwei Tage später hatte Werner Ganser nicht nur die Stelle im schwäbischen Ober­eisenbach, sondern auch einen sicheren ­Be­treuungsplatz – reserviert für sein Kind ab März 2009. Alles genau so, wie er und seine Frau sich das gewünscht hatten. Gewünscht – aber nicht in ihren kühnsten Träumen hatten sie vermutet, dass ihr Wunsch so einfach in Erfüllung gehen würde.

Beim Bundeswettbewerb „Erfolgsfaktor Familie“ ist die Firma VauDe im Mai 2008 von  der Bundesfamilienministerin in Berlin als eines der zwölf familienfreundlichsten Unternehmen in Deutschland ausgezeichnet worden. Ursula von der Leyen bezeichnete das Unternehmen als „Trendsetter für die gesamte Wirtschaft“.  Begründung: Seit vielen Jahren ist es bei VauDe selbstverständlich, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten den familiären Bedürfnissen anpassen.

Die Zahlen sprechen für sich: Es gibt bei VauDe und seinen beiden Tochterunternehmen Edelrid und Markill etwa hundert Teilzeitstellen. Manche Mitarbeiter reduzieren je nach Lebensphase von ganztags auf Teilzeit und später wieder auf ganztags.

Noch ist es freilich so wie in vielen anderen familienfreundlichen Betrieben auch: Deutlich mehr Frauen als Männer reduzieren ihre Stelle, beantragen Elterngeld oder einen Platz für ihr Kind im Kinderhort. Bei VauDe gilt aber: Die Angebote richten sich definitiv genauso an Männer und an solche in hohen Positionen. Und langsam aber sicher greifen die auch zu. Die Juniorchefin Antje von Dewitz, 35, sagt: „Lösungen findet man auf allen Ebenen – wenn man will“.

Ausgerechnet ihr Lebensgefährte Wolfgang Ungelert ist eines der herausragenden Beispiele dafür, wie sich verantwortliche Arbeitsstelle und engagiertes Vater-Sein hervorragend vereinbaren lassen – vorausgesetzt die Firma zieht mit. Wolfgang Ungelert ist ein sportlicher Mann, 37 Jahre alt, strahlende Augen, fester Händedruck. Er steht im weitläufigen Garten des VauDe-Kinderhauses, an sein Bein klammert sich sein jüngster Sohn Mats, ein blondes Kerlchen. Mats kriegt gerade Zähne, er quängelt viel und ist seit Tagen schlechter Dinge. „Ich freu mich drauf, mal wieder eine Nacht durchzuschlafen“, sagt Ungelert. Im Hintergrund sitzt sein Ältester, der dreijährige Paul, auf der Schaukel und ruft nach jemandem, der ihn anschieben könnte.

Ungelert ist geduldig, er zieht dem Kleinen Schuhe an und schubst den Größeren auf der Schaukel an, zwischendurch schaut er immer wieder auf die Uhr, denn er muss seine beiden Töchter Julie und Lotta von der Schule abholen. Antje von Dewitz und Wolfgang Ungelert sind sich einig: Ihre vier Kinder brauchen jeweils ein ­Elternteil, das sich wirklich um sie kümmert – zwei volle Jobs, das geht nicht. Antje hat die Möglichkeit, mehr Geld zu verdienen als Wolfgang. Sie will außerdem voll arbeiten – Anfang 2009 übernimmt sie von ihrem Vater die Geschäftsführung bei VauDe. Also kümmert sich vor allem der Vater um die Kinder, nebenher renoviert er den Altbau, den sie sich vor kurzem gekauft haben.

Der gelernte Holztechniker arbeitet bei VauDe immer vormittags als Produktmanager. Wenn er nicht da ist, übernimmt ein Kollege. Das funktioniert. Gut sogar. „Eigentlich jeder ist doch ersetzbar“, findet Wolfgang Ungelert. Nur manchmal wundert er sich, wie selbstverständlich die Menschen, auch die Kollegen in der eigenen Firma, davon ausgehen, dass Männer natürlich ganztags arbeiten: Konferenzen, an denen er teilnehmen soll, werden versehentlich in den Nachmittag gelegt; und immer wieder hört er, vor allem von Geschäftspartnern aus ­anderen Firmen, den völlig überraschten Ausruf: „Was? Sie arbeiten nur Teilzeit?“

Warum tut ein mittelständisches Unternehmen, 411 Angestellte, sich das an? Die Schranke öffnen, seinen Mitarbeitern signalisieren: Kommt her, lasst uns über eure Bedürfnisse sprechen, lasst uns nach Lösungen suchen, die wirklich zu euch, zu eurem Familienzuschnitt passen? Nur weil die Juniorchefin selber Mutter ist? Nein, nicht nur.

Birgit Weber, die Pressesprecherin, berichtet, es habe schon lange Tradition. Der Firmengründer Albrecht von Dewitz startete 1978 ein Ein-Mann-Unternehmen, das Wohnzimmer der fünfköpfigen Familie diente als Arbeitsraum. Bald kam ein enger Freund dazu. „Es ging um Bergsport – man ging von Anfang an sportlich und fair miteinander um“, sagt Weber. Die ersten Mitarbeiter, die von Dewitz engagierte, waren Freunde und Bekannte – es liegt auf der Hand, dass da ganz individuell ausgehandelt wurde, was zeitlich an Mitarbeit drin war.

Uwe Beck zum Beispiel ist schon seit über 20 Jahren bei VauDe, er bezeichnet sich als Urgestein. Als Lagerist fing er an, inzwischen ist er der Teamchef in der ­Logistik. In einer Zeit, da es noch unüb­licher war als heute, sich für alle nach außen sichtbar um die Erziehung der ­Kinder zu kümmern, beantragte Beck vor 14 Jahren Erziehungsurlaub. Er setzte 18 Monate aus. Kein schiefer Blick, alles überhaupt kein Problem, erinnert er sich heute – nur, dass er damals keinen einzigen anderen Mann auf dem Spielplatz traf und sich natürlich sehr gefreut hätte, auch noch Elterngeld zu kassieren.

Beck möchte die Zeit, die er mit seinem Sohn verbracht hat, auf keinen Fall missen. Er ist sicher: Dass er eine so gute Basis mit dem Jungen hat, hängt mit der intensiven, gemeinsamen Anfangszeit zusammen. „So was kann man später nicht mehr nachholen.“ Jedem Mann würde er eine Auszeit fürs Kind empfehlen, in jedem Betrieb – und bei VauDe natürlich sowieso: „Weil dir das sicher nicht die Karriere vermasselt.“

Lange bevor seine Tochter selber Kinder hatte, trug sich Albrecht von Dewitz bereits mit der Idee, Kinderbetreuung ­anzubieten. Er scheiterte an den bürokratischen Hürden – niemand in der Gemeinde hatte Erfahrung mit firmeneigenen Betreuungsstätten.  Im August 1999 kam Julie auf die Welt, seine erste Enkelin. Die Tochter arbeitete damals als Produktmanagerin. Sie hatte studiert und promoviert und einiges von der Welt gesehen – als sie nach Oberschwaben zurückkam, war sie erschrocken: Job und Familie lassen sich hier in der Regel überhaupt nicht vereinbaren, stellte sie fest. Kindergärten machen über Mittag dicht, nachmittags beschränkt sich die Betreuung auf zwei Stunden. Also griff die junge Mutter die Idee mit dem Kinderhaus neu auf.

Inzwischen gibt es im schwäbischen Kinderhaus eine altersgemischte Gruppe für 21 Kinder zwischen drei und sechs Jahren und eine Kinderkrippe für zehn Kinder ab dem Alter von sechs Monaten. VauDe lässt sich diese Form der Eltern-Entlastung einiges kosten: Alle Investitionen in das Gebäude und die laufenden Kosten trägt das Unternehmen. Das Personal wird von den Eltern und mit ­Zuschüssen der Kommunen bezahlt.

Immer wieder muss Antje von Dewitz sich über bürokratische Hindernisse ärgern: Bei Kindern, die nicht in der Gemeinde wohnen, muss mit der Behörde an deren speziellem Wohnort extra verhandelt werden. Für ein Unternehmen, das seine Mitarbeiter aus weitem Einzugsgebiet rekrutiert, ein Unding, findet Dewitz. Da müsse sich noch viel tun, um auch andere Unternehmen zu ermutigen, in Kinderbetreuung zu investieren. Sie wünscht sich vor allem einen Ansprechpartner, zum Beispiel in der Landesregierung, der dabei hilft, die bürokratischen Hürden zu nehmen.

Dennoch, trotz einiger ärgerlicher Klippen ist die Kinderbetreuung jetzt hervorragend geregelt. Von Montag bis Donnerstag ist das Kinderhaus von 7 bis 17 Uhr, am Freitag von 7 bis 13.30 Uhr geöffnet, für alle gibt es Mittagessen, und die ­Eltern, die nebenan arbeiten, können jederzeit zwischendurch zu Besuch kommen und auch mitessen. Aus Sicht der Geschäftsleitung ist es nur logisch, dass, seit es die Kinderbetreuung gibt, die Zahl der VauDe-Mitarbeiter-Kinder kontinuierlich ansteigt, sie hat sich seit dem Jahr 2000 verdreifacht. Die Juniorchefin unterhält sich oft mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – sie ist sicher: Dass die sich häufiger als andere zutrauen, Kinder in die Welt zu setzen, ist kein Zufall.

Auch die Unternehmen hätten keine Nachteile, sagt sie, wenn sie Vätern und Müttern individuelle Verträge anböten, die in diese Lebensphase passen. Die Firmen müssten nur flexibler werden. Jobsharing sei oft eine clevere Lösung: Zwei Kollegen teilen sich eine Stelle und sprechen sich miteinander ab. Homeoffices haben sich bei VauDe ebenfalls bewährt – die freie Zeiteinteilung zuhause fördere die Selbstverantwortung, und Selbstverantwortung trage wesentlich zur Motivation bei.

Antje von Dewitz hat ihre Doktorarbeit zum Thema „Die Schaffung von leistungsstarken Arbeitsverhältnissen in mittelständischen Unternehmen“ geschrieben. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, wenn Job und Familienleben auch für die Männer in der Balance sind, dann profitiert der Arbeitgeber ganz erheblich, hat sie unter anderem herausgefunden. Von 2006 auf 2007 stiegen die Umsätze von VauDe um 40 Prozent.

MitarbeiterInnen, die Familie und Job gut vereinbaren können, bleiben ihrer Firma treu. Bei VauDe gibt es kaum Fluktuation, die zeitintensive Einarbeitung neuer Kräfte reduziert sich auf ein Minimum. Werner Ganser, Wolfgang Ungelert und Uwe Beck sind gute Beispiele für Firmenloyalität und Engagement, das über das Muss hinausgeht: Beck schiebt auch mal Überstunden, die er nicht aufschreibt. Ungelert kommt, wenn’s brennt, selbstverständlich auch am Nachmittag vorbei. Und für Ganser ist es gar keine Frage: Die Firma darf ihn, den EDV-Spezialisten, natürlich auch zuhause anrufen. Ganz klar: Alle haben was davon.

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