Mehr Kita-Plätze? Frauen wählen!

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Politik fängt vor der Haustür an: in der eigenen Gemeinde, in der Kommunalpolitik. Dort gibt es aber so gut wie keine Frauen. Nur jede zehnte Bürgermeisterin ist weiblich (EMMA berichtete). Warum? Weil Kommunalpolitik noch immer am Tresen, am Fußballplatz oder auf dem Männerklo gemacht wird. Gemeinderatssitzungen am späten Abend sind für Frauen, die Familie haben, äußerst unattraktiv. Sie können die vorherrschende Präsenzkultur nicht so bedienen wie Männer und haben oft auch nicht so viel Vitamin B.

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Das hat Konsequenzen. Denn Männer machen Politik für Männer. Frauen hingegen haben auch Frauen im Blick. Sie setzen Geld in der Gemeinde vor allem für die Infrastruktur für Familien ein. Das zeigt ein Diskussionspapier des Münchener Ifo-Instituts. Kommunen treiben demnach den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen deutlich stärker voran, sobald der Frauenanteil in ihren Gemeinderäten steigt. Setzt sich bei Kommunalwahlen eine Frau im direkten Duell gegen einen männlichen Kandidaten durch, steigen die Ausgaben der Gemeinden für die Kinderbetreuung um 40 Prozent schneller als in anderen Kommunen.

Sie investieren in Infra-Struktur für Familien & verändern die Gesprächskultur

Für ihre Studie erforschten die Mannheimer Ökonomin Zohal Hessami und der Siegener Wirtschaftsprofessor Thushyanthan Baskaran die Ergebnisse der Kommunalwahlen in Bayern zwischen 2002 und 2014. Sie filterten alle Fälle heraus, in denen sich Frauen im direkten innerparteilichen Konkurrenzkampf gegen einen männlichen Kandidaten durchgesetzt hatten.

Außerdem analysierten sie anhand von 7.700 Gesprächsprotokollen die politische Debatte in den monatlichen Gemeinderatssitzungen. Mit jeder weiteren Frau veränderte sich demnach die Gesprächskultur in den Sitzungen: Weibliche Gemeinderäte meldeten sich öfter zu Wort und Themen wie Kinderbetreuung wurden öfter besprochen – und zwar unabhängig davon, für welche Partei die Frau angetreten war. Durch ihren Einsatz gewann das Thema in der Kommunalpolitik insgesamt an Gewicht.

„Eine kleine Zahl an Frauen kann bereits einen Unterschied machen“, heißt es in der Studie. Was dann erst eine große Zahl an Frauen bewirken könnte…

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"Drohungen kommen immer von Männern"

Britta Costecki (li) und Franziska Krumwiede-Steiner gut gelaunt im Oberhausener Raatssaal.
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Am 2. Juni wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke mutmaßlich von einem Neonazi erschossen. Sind Sie schon einmal bedroht worden?
Costecki Ja, einmal. Der Mann hatte ganz oft mit Leserbriefen heftig gegen mich geschossen. Und eines Tages hat er dann zu Kollegen von mir gesagt: Wenn ich bei einer Veranstaltung den roten Punkt auf meiner Stirn sehen würde, dann wüsste ich: Er sei da.

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Haben Sie den Mann angezeigt?
Costecki Nein. Zuerst war ich schockiert, dann hab ich es runtergespielt. Und letztlich nichts unternommen – was ich im Nachhinein falsch finde.

Krumwiede-Steiner Ich habe einmal eine Postkarte mit einem Galgenmännchen bekommen, auf der stand: Verreckt alle! Manche Drohungen kommen aber gar nicht zu mir durch, weil sie direkt im Rathaus landen. Da ermittelt dann automatisch der Staatsschutz.

Costecki Als Gleichstellungsbeauftragte wird man ja immer gleich auf der persönlichen Ebene angegangen. Als ich zum Beispiel gefordert habe, die Kinderbetreuung in den Randzeiten müsste ausgebaut werden, wurde ich als die größte Rabenmutter aller Zeiten beschimpft. Ich wolle am liebsten alle Frauen direkt aus dem Kreißsaal wieder ins Büro schicken. Als ich eine Bordellwerbung kritisiert habe, wurde geschrieben: „Sie sieht ja gar nicht so schlecht aus. Komisch, dass sie trotzdem so prüde ist.“

Krumwiede-Steiner Die Drohungen kommen immer von Männern und sind immer sexistisch gefärbt. Da wird ja gleich mit Vergewaltigung gedroht. Es gibt eben Männer, die sich per se daran stören, wenn Frauen – und gerade junge Frauen – ihre Meinung öffentlich kundtun. Bei Twitter habe ich mich inzwischen abgemeldet, weil ich dort massiv angefeindet wurde. Auf Facebook geht es etwas moderater zu.

Costecki Besonders die anonymen Kommentarfunktionen bieten ja die Möglichkeit, ungehindert alles zu veröffentlichen. Dieser Hass hat sich in den letzten Jahren gesteigert, weil alle anonym alles verbreiten können und sich gegenseitig aufheizen. Und das gilt nicht nur für die Rechtsextremen, sondern für die gesamte Palette des Antifeminismus.

Schüchtern solche Drohungen Sie ein?
Costecki Nein, gerade dann muss man weitermachen! Natürlich darf man nicht naiv sein und muss Gefahren abwägen. Ich habe auch schon Veranstaltungen gemacht zu Mädchen in der rechten Szene oder zum Frauenbild der AfD. Denn es ist ja erstaunlich, dass die Kritik an der AfD immer um das Thema Fremdenfeindlichkeit kreist, dass aber deren rückschrittliches Frauenbild selten im Fokus ist.

Krumwiede-Steiner Von Drohungen lasse ich mich nicht einschüchtern. Man darf diese Leute doch nicht gewinnen lassen! Allerdings: Als ich bei einer Demo gegen die Erhöhung der Grundsteuer, die wir wegen der desolaten Finanzlage leider beschließen mussten, bespuckt und als „Abschaum“ beschimpft wurde, habe mich schon gefragt: Warum mache ich das mit der Kommunalpolitik eigentlich?

Warum Sie beide das machen, darüber möchten wir jetzt mit Ihnen sprechen. Wie sind Sie eigentlich in die Kommunalpolitik gekommen?
Krumwiede-Steiner Ich komme ja aus Bayern, aus dem schönen Städtchen Ingolstadt, der Heimat von Seehofer. Mein Mann ist Mülheimer. Er arbeitet in seinem Familienbetrieb. Deshalb ist er halt örtlich gebunden. Im Gegensatz zu Ingolstadt muss man in Mülheim wirklich die Stellen suchen, wo es schön ist. Und dann habe ich irgendwann gedacht: Entweder heule ich jetzt weiter rum, dass ich es hier so schrecklich finde – oder ich versuche, was draus zu machen. Und da bin ich in Mühlheim bei den Grünen eingetreten. Damals war gerade Fukushima, außerdem bin ich grün sozialisiert. Meine ganze Familie ist grün.

Da sind Sie dann gleich stellvertretende Fraktionsvorsitzende geworden.
Krumwiede-Steiner Ja, denn mir war klar: Wenn du was machen willst, dann richtig!

Und Sie, Frau Costecki?
Costecki Ich habe mit zarten 16 Jahren bei der Stadtverwaltung angefangen. Mit Mitte 20 war ich dann Referentin beim Oberbürgermeister. Da war ich die einzige Frau in dem ReferentInnen-Stab. Und dann war natürlich ich diejenige, die für die Gleichstellungsstelle zuständig war, die es schon seit 1985 gab. Ich war auch frauenpolitisch aktiv und habe die „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen“ Oberhausen wieder mitbelebt. Ja, und jetzt bin ich seit 2012 Gleichstellungsbeauftragte, und ich muss sagen: Das ist einfach ein Superjob!

Eingeweihte sagen, das sei die lebendigste Stelle im Rathaus.
Costecki Das stimmt! Heute mache ich das Thema „Anonyme Spurensicherung“, morgen das Thema „Flüchtlingsfrauen“ und nächste Woche die „Situation der Prostituierten in Oberhausen“. Es kommen auch viele Impulse von außen: Wollen wir nicht was machen zu 70 Jahre Grundgesetz? Wollen wir nicht was machen zum 200. Geburtstag von Clara Schumann? Oder eine Kampagne mit dem Jugendparlament zum Hinterfragen von Schönheitsidealen? Beim Thema Alter thematisieren wir die Feminisierung der Altersarmut. Also das ist schon eine breite Palette.

Sind Frauen in einer Stadt näher am Leben dran?
Costecki Ja! Wer geht denn auf den Kinderspielplatz, zur Kinderärztin? Wer benutzt die öffentlichen Verkehrsmittel?

Krumwiede-Steiner Deshalb macht es ja auch so viel Sinn, dass wir uns in die Kommunalpolitik einbringen.

Sind die Männer nicht manchmal sauer auf Sie?
Costecki Natürlich gibt es mal ein Naserümpfen, wenn alles über Armut redet, und ich komme dann auch noch mit den Alleinerziehenden. Letztens ging es um das Thema Kriminalität, und dann komme ich mit dem Thema Häusliche Gewalt und dass die in den Statistiken überhaupt nicht vorkommt. Alle freuen sich darüber, dass die Kriminalität total gesunken ist. Und ich sitze da und sage: Halt! Aber die Gleichstellungsbeauftragte muss das machen, das ist ihr Job, dafür wird sie bezahlt.

Frau Krumwiede-Steiner, Sie beklagen, dass die Männer im Stadtrat sich gern in Showkämpfen gegenseitig beschimpfen und Sitzungen in die Länge ziehen nach dem Motto: Es wurde zwar schon alles gesagt, aber nicht von mir.
Krumwiede-Steiner Ja, oft bin ich die einzige Frau, die was sagt. Wir haben bei den Grünen ja eine quotierte Redeliste, das heißt: Wenn ich mich als Frau melde, komme ich dran, nachdem ein Mann etwas gesagt hat. Aber im Rathaus kommen erst alle dran, die sich vorher gemeldet haben. Und die ­Männer haben ihre Reden ausformuliert. Das mache ich nicht, weil ich ja auf die Situation reagieren und auf die Beiträge der anderen eingehen will. Die Männer lesen ihre vorformulierten Reden ab, auch, wenn alles schon ­dreimal gesagt wurde. Sie müssen es dann halt nochmal sagen. Das ist so frustrierend. Hinzu kommt: Die Ausschuss-Sitzungen selbst sind eigentlich eine Showveranstaltung, weil alles vorher schon geregelt ist.

Der Beschluss ist vorher schon im Hinterzimmer ausgekungelt?
Krumwiede-Steiner Ja. Aber Fakt ist: Nur so kriegt man auch was voran. Wenn man vorher nicht schon Absprachen getroffen hätte, dann würden die meisten Beschlüsse krachend scheitern.

Warum?
Krumwiede-Steiner In den Ausschüssen wollen sich alle profilieren. Da wird nicht wirklich was ausgehandelt. Diese Treffen, die im Hinterzimmer stattfinden, dauern dann schon mal bis elf, halb zwölf nachts. Das sind die anstrengenden Sitzungen, aber da geht was voran. Man muss einfach lernen, die anderen mit ins Boot zu holen.

Was hält die Frauen fern?
Costecki  Männer fördern oftmals vor allem andere Männer. Und das hängt wiederum damit zusammen, dass die Frauen diese verdammte Präsenzkultur nicht so bedienen können wie Männer, weil sie eben immer noch für die Kinder zuständig sind. Plakativ gesagt: Werner schustert Walter den Job ja nicht einfach so zu, sondern deshalb, weil der Walter seit 20 Jahren immer neben ihm am Grillstand steht. Aber die Frau mit Kind, die war auf den letzten beiden Veranstaltungen nicht da. In Oberhausen ist die Kinderbetreuung in den Randzeiten eine Katastrophe.

Was muss passieren?
Krumwiede-Steiner Uns Kommunalpolitikerinnen muss weniger Druck in Sachen Präsenzkultur gemacht werden. Es gibt wichtige Sitzungen, da muss ich auf jeden Fall da sein. Aber wenn es nicht auf eine Stimme ankommt, dann kann man in einer Ratssitzung auch mal fehlen. Ich sage: Zwei Abendveranstaltungen zwischen Montag und Donnerstag sind das Limit. Das ziehe ich durch.

Costecki Was ich außerdem total wichtig finde, sind Frauen als Vorbilder. Um zu sehen: Aha, die kann das doch auch!

Das ganze Interview in der aktuellen September/Oktober-EMMA.  Am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel und im EMMA-Shop.

 

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