Ein Besuch bei Domenica

Alice Schwarzer im Gespräch mit Domenica. - © Bettina Flitner
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Alice Schwarzer: Du hast gestern abend, als wir zusammen essen waren, ein paarmal gesagt: Ich hätte schon vor Jahren mit dir sprechen sollen, Alice. Warum? Was wolltest du mir sagen?
Domenica Niehoff: Ich hätte dir meine Sorgen erzählt. Denn ich denke, daß du eine Frau bist, die emanzipiert ist. Wir hätten dann gemeinsam die Probleme, die ich hier so habe, anpacken können. Aber das können wir ja jetzt immer noch tun...

Welche Probleme?
Das mangelnde Selbstbewußtsein der Mädchen hier. Ihnen klarmachen, daß sie nicht für die Liebe zahlen müssen!

Wieso? Ich dachte, die würden für die "Liebe" bezahlt?
Ich meine nicht die Freier, ich meine die Zuhälter. Gut 70 Prozent aller Frauen und Mädchen, die anschaffen, haben ja einen Zuhälter. Und den bezahlen sie. Fürs Nichtstun.

Außerhalb vom Kiez nennt man dich "Die Königin der Reeperbahn". Hier auf dem Kiez aber hast du eher den Ruf einer "Emanze". Es heißt, du würdest "die Mädchen wachmachen". Das Haus auf der Herbertstraße, in dem du zuletzt gearbeitet hast, hatte den Spitznamen "Emanzen-Puff". Seit wann hast du diesen Ruf, Domenica?
Das hat vor sechs Jahren bei mir angefangen. Ich sah so viele Mädchen, die aufs Gemeinste ausgebeutet wurden und auch geschlagen wurden. Und das hat mir leid getan. Ich hab gedacht: Mensch, kann man denn hier nichts tun?! Und es wird ja auch immer schlimmer. Die Mädchen, die jetzt anschaffen, werden immer jünger. Heute stehen schon die 12-, 13-, 14-Jährigen auf der Straße. Hier auf der Reeperbahn geht's ja noch, hier sind sie schon meist 18. Schlimm ist das in Sankt Georg, wo die Mädchen voll sind mit Drogen. Die schaffen das auch gar nicht, mit den Freiern richtig umzugehen.

Was heißt das?
Also, wenn bei mir ein Mann frech ist, den schick ich gleich wieder weg. Bei mir muß man sich gut benehmen. Mein Zimmer ist kein Mülleimer, ich bin kein Schrotthaufen. Wir Alt-Huren haben unsere Gesetze. Wir machen's nur mit Kondom, immer schon. Wir lassen uns nicht küssen, denn das ist ja was, was man natürlich nur zuhause tut. Anal gibt es überhaupt nicht. Aber die jungen Mädchen, die meist von einem Zuhälter Drogen kriegen und dann auf die Straße geschickt werden, die machen alles. Denen ist alles egal. Die sind so kaputt, die haben gar nicht mehr die Kraft, auf sich zu achten. Früher wurde man eingeführt von älteren Huren. Da wurde gesagt: Das machst du, und das machst du nicht. Heute stehen die da ziemlich isoliert, die sind ganz ihren Kerlen ausgeliefert.

Verderben diese jungen Frauen dadurch auch euren Markt?
Noch nicht mal. So einen Gast, der sowas mit jungen Mädchen macht, den möchte ich vor meinem Fenster gar nicht haben.

Du hast öffentlich gesagt, du freust dich über jede, die aussteigt.
Ja, ich freue mich über jede, die aussteigen will und das auch kann! Und über jede, die hier erfolglos ist und eine andere Arbeit findet. Ich freue mich auch, wenn sie nicht erst aussteigen, wenn es zu spät ist.

Für dich selbst, Domenica, ist es fast schon zu spät.
Ja, für mich ist es fast schon zu spät. Noch verdiene ich mein Geld, aber das ist ja eine Zeitfrage. Eine Berufsausbildung habe ich nicht.

Welchen Beruf hättest du denn gern gehabt?
Ich wäre schrecklich gerne Modezeichnerin geworden. Aber naja...

Dichter haben auf dich Gedichte geschrieben, Maler haben dich gemalt. Du scheinst das Paradebeispiel für die erfolgreiche, selbstbewußte Hure zu sein. Und dennoch warnst du heute jede Frau vor der Prostitution.
Weil das ein sehr schwerer Beruf ist. Den übersteht nicht jede unbeschadet, unbeschadet am Körper und an der Seele. Es ist auch nicht besser geworden in unserem Gewerbe. Aids. Arbeitslose Männer. Immer mehr Frauen schaffen an. Aber es kommen immer weniger Gäste. Und die Gäste werden auch immer jünger. Und perverser. Die stehen auf Urin und so. Hinzu kommt: Früher war der Weg in die Prostitution auch wirklich schwerer. Heute gehen manche auf den Strich wie auf die Kirmes. Sie kommen heute auch oft aus besseren Kreisen. Früher kamen die Huren aus einem so armen Milieu, dem nichts anderes übrig blieb. Heute kommen sie auch aus den besten Familien.

Es gibt Frauen, die behaupten, auf dem Strich wäre es leicht "eine schnelle Mark " zu machen. Zum Beispiel die von dem Berliner Prostituiertenprojekt Hydra. Die sagen auch, die modernen Prostituierten hätten alle keine Zuhälter mehr, sie würden ihr Geld selbst behalten.
Das ist natürlich Quatsch. Und es ist auch verdammt gefährlich, sowas zu erzählen. Pieke Biermann hat neulich im Fernsehen gesagt, es gäbe das Problem Zuhälter nicht. Da muß ich mich sehr wundern ... Das Schlimme ist: Die jungen Mädchen glauben das auch noch, und dann haben sie die Bescherung. Es ist besser, die Wahrheit zu sagen. Und diese Wahrheit kennen wir Huren selbst natürlich nur zu gut. Das Problem bei Hydra ist, daß das fast alles Sozialarbeiterinnen sind, die die Sache nicht aus eigener Erfahrung kennen. Und die glauben, sie täten uns Huren einen Gefallen, wenn sie sowas erzählen. Die Wahrheit ist: Maximal ein Drittel der Huren hat einen netten Mann, der selber verdient, oder gar keinen. Alle anderen werden abkassiert. Und das oft mit Gewalt. Die meisten Huren werden auch heute noch überhaupt erst von einem Mann auf den Strich geschickt. Daß eine von ganz alleine hier ankommt und sagt: So, jetzt will ich anschaffen — also das ist mir in all den Jahren kaum begegnet. Das sind dann auch Mädchen, die gar nicht erst auf die Straße gehen, die versuchen, in Appartements zu arbeiten. Die jungen Mädchen müssen doch wissen, was auf sie zukommt. Eine Warnung, das ist doch das wenigste, was wir Alt-Huren ihnen schuldig sind.

Und was kommt auf sie zu?
Elend. Verdammt viel Elend. 90 von 100 Huren werden ein Fall fürs Sozialamt.

Und du, Domenica? Hast du gespart?
Ich war genauso blöd wie alle. Ich hab' auch nicht gespart. Ich hab' mein Geld verschenkt. Oder verplempert. Für Reisen. Für Klamotten. Fürs Trinken. Ich hab' früher jede Nacht für 400, 500 Mark gesoffen. Du spülst da natürlich auch einiges runter...

Domenica Niehoff 1988, fotografiert von Bettina Flitner
Domenica Niehoff 1988, fotografiert von Bettina Flitner

Du bist eine der ganz wenigen Prostituierten, die sich öffentlich kritisch über Zuhälter äußert.
Mir ist ein netter Freier lieber als ein fieser Zuhälter. Der Freier bezahlt wenigstens. Der Zuhälter kassiert.

Damit sprichst du etwas aus, was viele deiner Kolleginnen kaum zu denken wagen. Denn so ein Zuhälter, der ist ja bei seiner Hure so tabu wie der Ehemann bei seiner Hausfrau.
Du sagst es.

Es gibt Leute, die finden, daß du zu weit gehst. Die machen sich Sorgen um dich.
Was soll ich denn tun? Soll ich schweigend zusehen? Es bleibt mir ja nichts anderes übrig, als den Mund aufzumachen.

Du bist heute damit nicht mehr allein. Allein in Berlin gibt es drei Huren-Gruppen. Und in Hamburg existiert seit dem Mord an der Prostituierten Sabine Demuth am29. März 1987 die "Solidarität Hamburger Huren". Gestern Nachmittag haben wir hier bei dir zusammen mit Liliane von Rönn gesessen, die zur Zeit die Sprecherin der "Solidarität" ist. Liliane arbeitet als Domina und will sich selbst "bald beruflich verändern". Sie hat gestern zu dir gesagt: "Domenica, du hast uns den Weg bereitet." - Wie hat sie das gemeint?
Naja, die meint meinen Einzelkampf in den letzten Jahren. Aber so ging das ja auch nicht weiter. Gottseidank gibt es jetzt eine Gruppe. Früher bin ich ja ganz allein an die Öffentlichkeit gegangen. Und wenn es nur mit einem netten Lächeln war, um zu zeigen: Huren sind auch Menschen. Und in der letzten Zeit hab ich mir zunehmend den Kopf eingerannt, bin zu den Mädchen in Sankt Georg gegangen und hab auf die eingeredet: Steigt aus! Geht doch lieber in einen Blumenladen. - Jetzt gibt's die Gruppe. Die stärkt das Selbstbewußtsein der Mädchen. Die wissen jetzt: Da ist eine Gruppe von Huren, von wirklich professionellen Huren, die für uns kämpfen. Da können wir hingehen.

Du rührst ja nicht nur an das Tabu Zuhälter, du rührst an ein noch größeres Tabu: die Polizei. Du hast öffentlich gesagt, daß Prostituierte, die von ihren eigenen Männern, von ihren Zuhältern also erpreßt oder mißhandelt werden, ruhig zur Polizei gehen sollen, wenn sie sich nicht anders zu helfen wissen. Nun ist es aber ein ungeschriebenes Gesetz in deinem Milieu - und nicht nur in deinem, wenn's um den eigenen Mann geht - daß man auf keinen Fall zur "Schmiere" gehen darf. Wer das tut, ist vogelfrei. Ein Gesetz übrigens, das für die, die die Macht und die Gewalt haben, sehr praktisch ist...
Ja, Lampen baut man nicht...

Was heißt das?
...zur Polizei gehen. Früher war "Lampen-Braut" das fürchterlichste Schimpfwort. Und die Frauen haben das auch so hingenommen. Eine Frau, die ihren Schläger angezeigt hat, fühlte sich selbst wie der letzte Dreck.

Das war ja nicht nur bei den Prostituierten so...
Ja, und damit wollte ich aufräumen. Von wegen: Sowas tut man nicht! Wieso nicht? Wenn ich aufs Gemeinste ausgebeutet, bedroht und geschlagen werde, ja dann muß ich mich wehren können. Ich kenne Fälle, da sind Frauen schwer mißhandelt worden. Die Fußnägel rausgezogen, zu zehn Zuhältern drauf uriniert und so. Wenn ich dann kein Recht kriege, ja dann muß ich eben zur Polizei gehen!

Du sagst das so gelassen. Ein guter Freund hat dich gestern in meiner Gegenwart gewarnt, hat dir gesagt: Sei vorsichtig, Domenica, wenn du so weitermachst, passiert dir nochmal was...
Stimmt. Ich bin auch ein bißchen ängstlich. Aber da geht's dir doch nicht anders, Alice,oder? Ich bin der Meinung: Die Frauen müssen wissen, daß sie sich wehren können.

Wir waren gestern abend zusammen in der Herbertstraße, dieser Bordellgasse mitten auf der Reeperbahn, wo die Frauen im Schaufenster sitzen und mit den Kunden dann rauf ins Zimmer gehen, und zu der Frauen normalerweise keinen Zutritt haben. Du hast uns erzählt, daß es in der Herbertstraße "Frauenhäuser" gibt und "Männerhäuser". Die Frauenhäuser gehören Frauen, die Männerhäuser Männern.
Die Frauenhäuser gehören Ex-Huren. Die nehmen weniger Geld für Getränke und Miete von den Frauen und sind auch nicht ganz so hart. In einigen Männerhäusern muß ein Mädchen, das einen Abend lang nichts verdient, weiterarbeiten, bis sie ihr Geld hat.

Du selbst hattest zwischendurch ja auch mal ein Haus.
Ja. Das hab ich aber wieder verkauft. Das ist eigentlich nichts für mich. Wenn da mal eine nix verdient hat, dann hab ich der noch 50 Mark in die Hand gedrückt und gesagt: Ich kann's nicht mehr mit ansehen, geh mal einen trinken. Aber mein Haus war auch das mit der höchsten Erfolgsquote!

Was für ein Erfolg?
Das Haus mit den meisten Aussteigerinnen.

Du scheinst mir wirklich nicht die geeignete Bordellbesitzerin zu sein, Domenica... Aber als Prostituierte hast du ja einen legendären Ruf. Darf ich dich fragen, wie deine Arbeit eigentlich konkret abläuft?
Wie soll ich das denn sagen?

Ganz sachlich. Halt für die Frauen, die nicht jeden Tag auf dem Kiez sind.
Tja, also erst nehm ich ihm mal das Geld ab. Das ist klar.

Und bevor du ihm das Geld abnimmst?
Also, ich sitze im Fenster. Dann kommt ein Gast auf mich zu. Den schätzt man dann schon ein bißchen ab: Hat er was? Hat er nichts? Ist er nett? Ist er nicht nett? Dann fragt der, was es kostet. Ich sage dann: 100 Mark. Wenn er fragt: "Was gibts denn da alles für?", sage ich: ,,Ne nette halbe Stunde. Wie, werden wir oben sehen, ich kenn ja deine Neigungen noch nicht..." Viele Frauen versprechen unten schon alles, auf Druck der Männer (Bumst du auch? Machst du auch Französisch?), weil die sonst gar nicht erst mit hochgehen. Oben fängt man dann ganz blöde an. Bist du Hamburger? Oder so. Warst du schon mal öfter bei Huren? Das frag ich nur, um zu wissen, ob er sich auskennt in unseren Spielregeln. Von den Schüchternen kann man zwar mehr Geld kriegen, aber die Erfahrenen wissen, daß sie nicht alles verlangen und machen können... Na, dann sag' ich: Leg mir mal dein "Geschenk" dahin. Dann versuch ich, ein größeres ,,Geschenk'' zu kriegen. Ich sage: Es könnte ja dann viel netter werden, wir könnten verschiedene Sachen machen... Ich finde, 100 Mark ist das Minimum. 50 Mark ist viel zu wenig. Alle Frauen sollten mindestens 100 Mark verlan-gen! Aber die jungen Mädchen, die begnügen sich ja oft schon mit 20 oder 30 Mark. Vor allem, wenn sie drogenabhängig sind und auf dem Schlauch stehen.

Du hast den Ruf einer Domina. Aber bist du im klassischen Sinn ja gar nicht. In Wahrheit bist du eher der Typ "energische Frau", du quälst die Männer doch nicht, oder?
Also, ich quäle auch ganz gerne. Aber nur seelisch. Durch mein Äußeres, die strenge Frisur und so, provoziere ich bei den Männern meistens die Phantasie, dominiert, bestimmt zu werden. Als Tante, Mutter oder Lehrerin. Ich soll dem Mann befehlen, was er zu machen hat. Ich befehle ihm zum Beispiel, meine Stiefel zu küssen. Er muß um alles betteln. Er darf mich nicht einfach so anfassen - ich muß ihm das erlauben. So gesehen arbeite ich ganz gerne mit Masochisten. Ich mache nur nichts, was mit Blut zusammenhängt oder wehtut. Was ich für mich nicht will, mache ich auch nicht mit anderen.

Eine Kollegin von dir hat mal gesagt: Masochistische Ehemänner lassen deshalb ihre Phantasien nicht bei den eigenen Frauen raus, weil sie derselben Frau dann nicht fünf Minuten später befehlen können: Deck jetzt mal den Tisch!
Klar. Für 'ne Stunde ist das ja mal ganz schön, aber ansonsten wollen die doch der Mann bleiben. Ich mache ja auch nur das, was die Männer eigentlich wollen. Die bezahlen mich doch dafür. Das heißt, ich spiele ihre Wünsche. Die Männer sind also die wahren Herren der Situation.

Auf den ersten Blick scheint diese Variante der Prostitution leichter für die Frauen. Auf den zweiten aber frage ich mich, ob das aktive Sich-Reindenken in die Männer nicht in Wahrheit härter ist als ein passives Die-Beine-breit-machen? Das faßt zwar nicht den Körper an, aber die Seele.
Man muß schon sehr einfallsreich und sehr einfühlsam sein.

Ist es da nicht schwer für dich, zwischen Beruf und Privatleben, zwischen Kunde und Liebhaber zu unterscheiden?
Ich hab' ja kaum Liebhaber. Ich sag das ganz ehrlich. Mein privates Sexualleben hat unter dieser Sache ganz schwer gelitten. Heute schalte ich bei der Arbeit ab, steh' richtig neben mir. Früher habe ich, wenn überhaupt, Sex meistens im Geschäft gesucht: Der hat gezahlt, das war anonym - das war mir genauso recht wie dem Gast.

Damit hast du aber eine der heiligsten Huren-Spielregeln verletzt.
Was heißt Huren-Spielregeln? Ich glaube eher, daß das die Spielregeln der Zuhälter sind: daß ein Gast einem auf keinen Fall zu gefallen hat! so ein Freier ist manchmal netter als der Zuhälter. Und in der letzten Zeit ist auch so manche Kollegin von einem Freier rausgeholt worden. Und genau das wollen die Zuhälter verhindern, wenn sie die Freier so verteufeln. - Ich selbst habe mir das immer zugestanden, auch mal einen Gast nett zu finden. Ich habe ja auch keinen festen Mann zuhause. Aber ich war da eine Ausnahme. Ich würde auch den Frauen den Rat geben, weiterhin kühl zu arbeiten. Es ist einfacher so.

Das ist ja auch Teil deines Erfolgsgeheimnisses, daß man gesagt hat: Die tut es gerne.
Ja. Ich hab's 100 mal nicht gern getan. Und eben einmal gern. Und ich habe mich nie so geekelt wie viele andere. Es gibt Kolleginnen, die ekeln sich bei 100 mal 100 mal. Ich habe mich vielleicht bei 100 mal 20 mal geekelt.

Domenica, welches Verhältnis hast du eigentlich privat zur Sexualität?
Da hab ich Schwierigkeiten. Da bin ich gar nicht mehr so stark. Dann hab' ich den Mann nicht mehr so im Griff, kann nicht mehr so bestimmen. Aber das geht doch jeder Frau so, oder...? Und dann hab ich natürlich auch Probleme mit den Vorstellungen, die die Männer so von mir haben. Mensch, das ist doch die Domenica, die hat ja schon 10.000 Männer gehabt, die schmeißt die Beine von da nach da... Sex, Sex und noch mal Sex, so stellen die sich das vor. Ich mach dann lieber gar keinen Sex. Der soll mich ja als Mensch kennenlernen. Ich kann lustig sein, ich kann traurig sein...

Domenica und Charlotte: Noch'n Tässchen Kaffee?
Domenica und Charlotte: Noch'n Tässchen Kaffee?

Wie ziehst du dich denn an, wenn du verliebt bist?
Ich war so lange nicht mehr verliebt.

Versuch mal, dich zu erinnern.
Na, dann versuch ich schon, mich schick zu machen. Aber nicht mit Brüsten raus. Eher seriös. Wenn ich verliebt bin, bin ich sowieso meistens hilflos...

Hast du schon die Erfahrung gemacht, daß Liebhaber sich auch mal in dich eindenken, in deine Phantasien?
Ja, auch schon. Ja, doch. Einmal.

Welche Folgen hat eigentlich deine Berühmtheit für dich?
Die ist nicht nur von Vorteil. Das Geschäft ist schlechter geworden, weil zu viele Gaffer kommen. Auch der Gast will keine berühmte Hure ficken. Ein Mann geht gerne mit einer berühmten Schauspielerin aus, aber nicht mit einer berühmten Hure. Ich könnte auch nicht mehr so einfach aussteigen wie anonyme Kolleginnen. Jeder weiß, daß ich als Hure gearbeitet habe.

Berühmt gemacht hat dich vor allem die linke Intelligenzia, Schriftsteller wie Wolf Wondratschek, Zeichner und Maler wie Tomi Ungerer und Horst Janssen. Wolf Wondratschek hat im "Playboy" 1980 auf dich das "Loblied auf eine Hure" gesungen. Wenigstens du würdest, so der Szene-Dichter, deinen "Beruf noch mit Freude und Frömmigkeit" ausüben, denn du seist endlich die solange gesuchte, legendäre Hure, die wirklich "zwischen den Beinen glüht". Leider, leider aber seist du eine Ausnahme. Die Mehrheit der Huren sei nichts als "Fließband-Schicksen'', "perfide Diebinnen", denen es noch nicht einmal "Spaß macht".
Naja... Dafür hat er übrigens viel Geld kassiert, aber keinen Pfennig abgegeben. Schlimm, sowas zu schreiben! Ich finde es ganz richtig, daß meine Kolleginnen ganz klar ihr Geschäft im Auge haben. Das ist es ja auch. Da kann ich mir nur selber den Vorwurf machen, daß ich manchmal so blöd war, das nicht so gemacht zu haben. Wondratschek tobt mit solchen Sprüchen ja auch eher seine Komplexe aus. Der ist am Boxring besser aufgehoben als im Bordell.

Was hältst du für das Geheimnis deines Erfolges?
Man muß schon Ausstrahlung haben. Nur schön sein genügt nicht. Vor allem wissen die Männer, daß ich ziemlich großherzig bin.

Gestern hast du gesagt, dein Herz wäre schon kleiner geworden, und du würdest hoffen, daß du bald gar keines mehr hättest. Wie meinst du das?
Ich kann so schlecht Nein sagen. Das kann einen in ganz schlimme Situationen bringen. Ich hab' auch schon versucht, das abzustellen, hab' mir gesagt: Jetzt bist du mal ganz kühl. Aber da war ich totunglücklich. Ich könnte gar nicht anders leben... Es bringt mir auch keinen Spaß.

Aber ein paar Illusionen hast du schon verloren in diesen letzten Jahrzehnten?
Ja...? Ich glaube nicht. Leider...

Es ist doch nicht zu überhören, daß du lieber heute als morgen aussteigen würdest.
Wenn ich eine gute Alternative hätte: gerne! Ich würde zum Beispiel schrecklich gern einen Salon machen, so ein Lokal mit Ausstellungsraum, mit Künstlern, wo auch die Mädchen hinkommen können. Aber dazu brauche ich Geld... Allerdings: Ich erlaube mir, und habe es mir immer erlaubt, auch mal frei zu machen, wenn ich die Schnauze voll habe. Ich konnte mir das auch immer erlauben, weil ich niemanden hatte, bei dem ich das Geld abliefern mußte.

Du hast aber auch schon selbst einen Zuhälter gehabt. Ganz am Anfang. Dreieinhalb Jahre lang.
Ja. Einmal. Aber danach nie wieder. Früher war das eben einfach so. Aber nur, weil es so war, muß es ja nicht so bleiben. Wachgeworden bin ich erst danach. Wenn ich heute manchmal so höre, wie eine Kollegin sagt: Guck mal, die tolle Uhr, die hat er mir geschenkt - dann könnte ich ausflippen. Die hast du doch selbst verdient! sag ich dann. So blöd können die Frauen sein.

Du bist eine Rebellin. Du warst immer eine Außenseiterin, eine Paria. Deine Eltern waren nicht verheiratet, dein Vater war Italiener, deine Mutter hat gejobt und gezockt. Mit vier Jahren bist du ins Waisenhaus gekommen, zu den Nonnen, und mit 14 wieder raus. Du hast einen starken Gerechtigkeitssinn entwickelt.
Den bekommt man im Heim! Man kann ja da nur dann eine Revolte machen, wenn alle mitmachen. Und so ist es bei uns hier doch auch. Als ich zum ersten Mal auf den Kiez kam, hat mich das am meisten schockiert: Schon wieder Gesetze, schon wieder Druck - das kannte ich ja schon aus dem Waisenhaus. Da hab ich angefangen, mich zu wehren. Ich halte lange still. Ich sitze meist wie so'n Buddha in der Ecke, aber irgendwann wird's mir dann zu viel...

Die Oktober-Ausgabe von 1988 mit Domenica Niehoff auf dem Cover.
Die Oktober-Ausgabe von 1988 mit Domenica Niehoff auf dem Cover.

Deine Mutter war nicht sehr angepaßt. Einem Richter, vor dem sie wegen Hehlerei stand, hat sie mal eine Tasche auf den Kopf gehauen und dafür prompt eine verschärfte Strafe gekriegt, nämlich ein Jahr Gefängnis. Aber obwohl sie auf der Flucht war, hat sie dich und deine zwei Geschwister weiterhin im Heim besucht, heimlich. Ausgerechnet mitten während deiner Kommunionsfeier ist sie dann verhaftet worden...
Ja, das war schrecklich für mich. Ich war ziemlich fromm. Ich stand da in meinem weißen Kleid. Da kommt die Polizei die Treppe hoch. Meine Mutter versteckt sich erst hinter der Säule. Und haut dann ab. Dadurch habe ich kein einziges Foto von meiner Kommunion! Mein schönster Tag war natürlich gelaufen. - Hätte die Polizei da nicht fünf Minuten warten können...? Sowas ist in meiner Kindheit öfter vorgekommen. Darum hatte ich auch ziemliche Wut auf die Polizei. Und Angst. Mit 14, 15 ist mal so ein Kerl bei uns aufgetaucht, hat mir eine Marke gezeigt, und ich bin mitgegangen. Vor lauter Angst.

Hat der dich mißbraucht?
Ja, hat er. Aber ich hab das freiwillig gemacht. Aus Angst. Ich hab gedacht, das muß ich machen. 

Du hast dann mit 17 eine Beziehung mit einem Mann angefangen, der zwei Bordelle hatte. Der hat dich aber nicht ins Bordell geschickt, sondern in die Küche. Du warst seine Hausfrau. Warum bist du nicht gegangen?
Das weiß ich auch nicht... Der Mann war, wenn er betrunken war, ziemlich brutal. Wenn er nüchtern war, war er nett. Mich hat auch die Sicherheit seines Geldes gehalten. Ich hatte nichts gelernt, und mit den Jahren wurde ich immer abhängiger von dem Mann. Ich hab mir auch nichts mehr zugetraut. Mein bißchen Selbstvertrauen hatte der mir genommen.

Er hat sich später umgebracht.
Ja. Für mich war es dann, nach elf Jahren im Haus, eine richtige Erleichterung, selbst in den Puff zu gehen. Das war dann endlich selbständiges, selbstverdientes Geld. Und groß war der Schritt ja nicht. Die ganze Welt war für mich ein Puff.

Du hast lange Jahre gut verdient und tust es noch. Trotzdem sagst du heute: Es hat sich nicht gelohnt.
Ich habe bereut, nichts gelernt zu haben. Darum sage ich heute den jungen Mädchen: Steigt aus! Lernt was!

Wenn du eine Tochter hättest, die auf den Strich gehen will, was würdest du tun?
Ich würde versuchen, ihr alle Schwierigkeiten, alles Schlimme, alles Elend in diesem Beruf klarzumachen. Ich würde ihr sagen, wie es wirklich ist. Und daß es nur schlimmer geworden ist. Trostloser. Härter. Und wenn sie es dann immer noch mit aller Macht wollte, würde ich versuchen ihr beizustehen. Ich würde sie auf keinen Fall fallenlassen. Das ist übrigens eine schöne Erfahrung, die ich neuerdings mache: Daß die Mütter hierherkommen und ihre Töchter besuchen. Die Prostitution ist nicht mehr so im Ghetto. Dafür kämpfe ich seit langem. Aber das hat auch Nachteile: Dadurch ist der Schritt in die Prostitution natürlich auch leichter geworden als früher. Das macht mir Sorgen. Denn an dem Beruf gibt's nichts zu verherrlichen. Die meisten von uns bleiben auf der Strecke.

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