DER PROZESS: Newton gegen EMMA

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Anscheinend hatte das Landgericht München an diesem 27. Juli 1994 nur über Fragen des Urheberrechts zu entscheiden. Wann und in welchem Ausmaß dürfen Bilder honorarfrei und ohne Genehmigung zu einem Text zitiert werden, der sich mit eben diesen Bildern auseinandersetzt? Allen jedoch, inklusive Richtern, war klar, dass es hier nicht nur um das Zitatrecht nach § 51 ging, sondern auch um Inhalte und die Frage: Dürfen alle Bilder, die gemacht werden, auch unwidersprochen und unbegrenzt veröffentlicht werden?

"Alice im Newton-Land" titelte der Spiegel neckisch. "Die Frauen-Rächerin in Schwarz unterliegt dem kalten Ästheten", wusste die Süddeutsche Zeitung zu vermelden (das "Schwarz" war übrigens Dunkelblau). "Newton zieht EMMA aus", titelte die Bunte pikant. "Bilderklau" triumphierte die FAZ!

Eigenartig, diese spöttische Distanz der Medien. Ging doch dieser Prozess, unabhängig von seinen Inhalten, eigentlich alle Medien an und wäre ein ganzer Sieg von EMMA durchaus auch im Interesse der anderen gewesen. Denn in einer Welt der zunehmenden Visualisierung sollten Medien das Recht haben, auch Bilder zu zitieren, so wie sie längst das Recht haben, Texte zu zitieren. Bildanalysen sind ohne Darstellung des analysierten Bildes unmöglich - und ein Zitierverbot von Bildern käme dem Verbot von Bildkritik gleich.

Das fand auch das Münchner Gericht. Darum stimmte es Alice Schwarzer im Kern zu und bestätigte ihr Recht auf Bildzitate zu ihrem Newton-Text. Nur: EMMA hätte weniger, hätte statt 19 nur neun Fotos zitieren dürfen, fanden die Richter. Und deshalb habe EMMA nun zu zahlen.

Dass das Gericht die Anzahl der zitierten Fotos kritisch sah, zeichnete sich bereits bei der ersten Verhandlung am 6. Juni ab. Alice Schwarzers Gegenargument vor Gericht: "Diese Anzahl war das Minimum zur Belegung  meiner These von der grundsätzlichen Menschenverachtung in Newtons Fotos. Dazu musste ich den ganzen weiten Bogen spannen: vom offensichtlichen Sexismus in Newtons Bildern, über die subtileren faschistoiden Elemente bis hin zu den kruden Folter- und Tötungsphantasien seiner Bildsprache. Das alles gehört ja zusammen. Die relativ geringe Anzahl von 19 Fotos steht durchaus in Relation zu den Dutzenden von Fotobänden und Hunderten von Veröffentlichungen Newtons in Zeitschriften, Büchern und Museen."

Doch das sah die taz schon vor Urteilsverkündung ganz anders. Am Tag der Urteilssprechung veröffentlichte sie einen raumgreifenden Artikel mit vielen schönen Bildzitaten von Newton (honorarfrei?), in dem quasi jeder Fakt - bis hin zur angeblich von Emma zu zahlenden Summe - falsch war. Dafür stimmte die Ideologie.

Die taz-Autorin (!) verteidigte allen Ernstes den "explizit spielerischen Charakter der Newton-Bilder" (auf die Formulierung war bis dato noch niemand gekommen!), schwärmte vom "freiwilligen Charakter der Unterwerfungsrituale" beim Sadomaso-Sex und beklagte "das EMMA-Weltbild", in dem es "für Frauen nur zwei Optionen gibt: Blümchensex oder Opferdasein". Zu guter letzt unterstellte sie Schwarzer die "Verwechslung von symbolischer und realer Ebene" - nicht begreifen könnend oder wollend, dass es hier immer und nur um die Kraft eben des Symbolischen geht.

Ebenfalls zur rechten Zeit, nämlich drei Tage vor dem Urteil, durfte die Frankfurter Wissenschaftlerin und Ex-Weiberrats-Aktivistin Silvia Bovenschen über drei Seiten fündig werden (sie trat zuletzt 1979 mit der Veröffentlichung ihres Buches "Die imaginierte Weiblichkeit" in Erscheinung und 1988 mit einem Angriff in der FAZ auf die PorNO-Kampagne von EMMA). Bovenschen attestierte Schwarzers "Schmähschrift" einen "altfeministischen Fundamentalismus". Die "Grenzwächter der Correctness" schreckten zwar gerade noch zurück vor der Ausrufung des "totalen Bildersturms", in Wahrheit jedoch gehe es EMMA "offen um die Zumutung, einen Teil der Bildbestände unserer Museen und Archive unter Verschluss zu bringen".

Wen wundert's, dass in der Stunde so höchster Gefahr auch Professor Klaus Honnef vom Rheinischen Landesmuseum Bonn auf den Plan trat, der in der deutschen Museumsszene als "Entdecker" Newtons gilt. Er veröffentlichte ein Contra in der inter- nationalen Kunstzeitschrift "European Photography", in der zunächst ein Nachdruck von Schwarzers Analyse erscheinen sollte, dem jedoch im letzten Augenblick ein Gegentext beigegeben wurde. Good connections, Mister Newton.

Auch Honnef ist nicht zimperlich in dieser Stunde der Not. Er bietet der "Staatsanwältin von eigenen Gnaden" und "Scharfrichterin" Einhalt bei ihrer "maßlosen Attacke auf den großen Fotografen Helmut Newton". Dabei schreckt der Professor nicht davor zurück, ihr die Berufung "auf ein Bilderverbot der Bibel" zu unterstellen (Alice Schwarzer hatte in ihrem Text gleichnishaft das alttestamentarische Bilderverbot zitiert, das die Definitionsmacht spiegelt, die darin liegt, wenn man sich "ein Bild macht" vom anderen - vielleicht wäre die Deutung auf Sartre für deutsche Intellektuelle schicklicher gewesen?)

Mehr noch: Professor Honnef scheut nicht davor zurück, zu behaupten, Schwarzer hätte Newton in ihrem Text als "Halbjuden" bezeichnet (ein Begriff aus dem Untermenschenjargon der Nazizeit, den Newton selbst vor kurzem in einem Interview benutzte und Schwarzer unterschob).

Der Boden war also entsprechend bereitet, als das Urteil gefällt wurde. Und es fiel wahrhaft salomonisch aus - im Sinne der Gegner. Urheberrechtlich siegte im Kern Alice Schwarzer - politisch aber verlor sie, scheinbar. Es durfte eben auf keinen Fall so aussehen, als habe sie recht - selbst dann, wenn man ihr recht gab.

Das Urteil: Nach Auffassung der Richter entspricht Schwarzers Newton-Analyse den Erfordernissen des § 51 des Urheberrechts, das Bildzitate dann erlaubt, wenn es sich bei dem Text um ein "eigenständiges wissenschaftliches Werk" handelt, also eine "ernsthafte, methodisch geordnete Suche nach Erkenntnis" (Zeit und FAZ werden erschüttert sein - ihnen schien es schier ausgeschlossen, dass in einem Blatt wie EMMA etwas erscheinen könnte, was sich den hehren Kriterien von "Wissenschaftlichkeit" auch nur annähern könnte). Gleichzeitig aber missbilligte das Gericht die Anzahl der Bildzitate und verkündete: "Die Wiedergabe der 19 Fotos hält sich nicht im Rahmen des Zitatrechts."

Sodann machte das Gericht sich die Mühe aufzuzählen, welche Fotos Schwarzer sich hätte sparen sollen: Trader and Slave (die Nackte am Strich), Hugh Hefner's projections room (das preußisch-nazistische Militärbordell) sowie alle Bilderpaare aus den "Archive de Nuits" bis auf die beiden letzten: die KZ-Ambiente suggerierenden Fotos von "Insassin und Wärterin" sowie die Nackte in der Folterkammer mit blick auf Birkenwald. In den vorangehenden Bilderpaaren war es um die Entwicklung vom "täglichen Sexismus" gegangen (exhibitionistischer Mann im Mantel und nackte Frau) bis hin zur Verherrlichung tödlicher Gewalt (Frauen- und Tierleiche neben Müllsack).

Die Veröffentlichung der Analyse von Alice Schwarzer im November 93 war nicht die erste Kritik an Newton, politisch wie künstlerisch. Auch für viele Leute in der Foto- und Werbebranche ist klar, dass er glatt reaktionär ist. Und für einen ernstzunehmenden Fotografen wie Prof. Robert Haussier ist Newtons Fotografie "schlecht und reine Effekthascherei auf dem Niveau von Sex-Magazinen". Das Neue an Alice Schwarzers Text ist die umfassende politische Analyse der Fotos: der Versuch des Nachweises eines zwangsläufigen Zusammenhangs zwischen Frauen- und Menschenfeindlichkeit und die nicht zufällige Eskalation ins Faschistoide. Die Belegung dieser Analyse durch Bildbeispiele war unerlässlich.

Newton und sein Verlag antworteten auf diese Kritik mit dem Geldhammer. Die Verlags-Anwältin Gräfin von Westerholt bezeichnete Schwarzers Text als "geschäftsschädigend" und forderte zunächst 2.000 DM (!) pro abgebildetem Foto. Einige Monate darauf erhöhte sie auf 4.000 DM, also insgesamt 76.000 DM - eine Forderung, die das Gericht schon bei der ersten Verhandlung am 8. Juni für "unangemessen" hielt. Wie so vieles aus der Welt der Fakten hatte die taz auch das nicht mitbekommen, ging noch am 27. Juli von 76.000 DM aus und kommentierte hoffnungsvoll: "Eine Summe, die EMMA durchaus das Genick brechen könnte."

Doch auch bei der Urteilsverkündung ließ das Gericht die Summe offen, die EMMA letztendlich an den Newton-Verlag zahlen soll. Die Richter wollen für diese Entscheidung einen "Experten" hinzuziehen (eine allgemeine Tendenz in deutschen Gerichten, egal ob es um Mord geht oder Geld: Nicht Richter entscheiden, sondern Experten). Und noch eine Extravaganz ließ das hohe Gericht sich einfallen: Da EMMA zehn Bilder zuviel zitiert habe, verfalle nun ihr gesamtes Zitatrecht und sie müsse jetzt nicht nur für die zehn "zuviel" abgebildeten Fotos zahlen, sondern auch für die neun zu recht abgebildeten...

Also: Prozess juristisch gewonnen - politisch aber verloren (durch die existentielle finanzielle Bedrohung und die öffentliche Darstellung).

Helmut Newton selbst erschien nicht vor Gericht. Er hatte schon im November 93 eine von der "Deutschen Gesellschaft für Photographie" geplante Diskussion mit Alice Schwarzer zunächst zugesagt, dann aber wieder abgesagt. Er redet lieber mit den Journalisten. In zahlreichen Interviews plauderte der 73-jährige über das Aussehen des "Frollein Schwarzer", das "verbissen" und "nicht sehr hübsch" aussehe, da sei es ja kein Wunder, dass ...

Auch sein Verleger hätte besser öfter geschwiegen. Zum Beispiel am Vorabend der ersten Verhandlung, als Schirmer einer NDR-Moderatorin steckte: "Wenn sie mich schön drum bittet, muss sie nicht zahlen." - Also auf die Knie, Frau Schwarzer! Ganz Newton-like. Dann werden die Herren Erbarmen haben...

Nur: EMMA will keine Gnade, EMMA will ihr Recht. Und das aller Frauen! Hier geht es um so unendlich viel mehr als um Geld. Hier geht es um die Menschenwürde und das Leben von Frauen. Doch weil diese Herren nichts zu sagen haben, klagen sie - und versuchen, EMMA an ihrer vermeintlichen Achillesferse, dem Geld, zu treffen. Aber gerade da wissen wir, dass wir nicht allein sind: So wurden die Kosten für den Stern-Prozess (1978 ebenfalls ausgelöst durch ein Newton-Foto: die nackt kniende Grace Jones in Ketten) bis zum letzten Pfennig durch Spenden abgedeckt.

Damals, beim Stern, hatte EMMA gegen die frauenfeindlichen Titel in dem Wissen geklagt, dass dieser Prozess nicht zu gewinnen war, weil es noch kein entsprechendes Gesetz gab (und es immer noch nicht gibt). Diesmal ist EMMA verklagt worden. Urheberrechtlich haben wir eigentlich gewonnen. Politisch aber haben wir wieder einmal auf die Achillesferse der Männermedien gezielt: nämlich auf die nicht ungestraft steigende Verbreitung frauen- und menschenfeindlicher Bilder plus Verherrlichung der Lust auf Erniedrigung und Gewalt. Dafür haben wir die Quittung bekommen.

Noch steht die Entscheidung zum Geld aus: Zu welcher Summe pro Bild wird EMMA verurteilt werden? Sollen wir für alle 19 Bilder zahlen? Und wie werden die Gerichts- und Anwaltskosten aufgeteilt? - Sollte die Kostenentscheidung stark zu Lasten von EMMA gehen (obwohl wir den Prozess ja im Kern gewonnen haben!), gehen wir ganz sicher in Berufung.
EMMA September/Oktober 1994

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