"Soldatin" Eleonore von Aquitanien

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Sie war die einflussreichste Frau des Hochmittelalters: Eleonore, Herzogin von Aquitanien (1122–1204). Zwei Kronen trug sie: zuerst die französische, danach die englische. Zehn Kinder gebar sie. Eleonores Reisen führten sie durch Europa und darüber hinaus – sie nahm sogar an einem Kreuzzug teil. Tatkräftig griff sie in politische und militärische Entscheidungen ein. Shakes­peare lässt Eleonore von sich selber sagen: „Ich bin ein Soldat.“

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Sie wurde über 80 Jahre alt und erlebte in ihrer Zeit so gut wie keinen Frieden. Waren nicht Aufstände niederzuschlagen, Grenzscharmützel zu entscheiden, Zerwürfnisse mit dem Klerus zu schlichten, Verschwörer abzustrafen, Eroberungskriege oder Feldzüge ins Heilige Land durchzuführen, konspirierte die Königin selbst gegen den eigenen Gemahl. 15 Jahre verbrachte sie als ­Ge­fangene hinter Festungsmauern. Am Ende ihres Lebens hatte sie mit ihren Gatten für Frankreich ebenso wie für England die Königsmacht konsolidieren können. Geliebt aber hat sie nur ein einziges Land: ihre Heimat Aquitanien. Doch die verlor sie am Ende.

Wo liegt Aquitanien? Zur Zeit von Eleonores Geburt 1122 in Poitiers war das Herzogtum mit seinen reichen Burgen und Städten Bordeaux, La Rochelle, Poitiers, Chinon, Angoulème und Limoges eine blühende Region und deshalb umkämpft. Es grenzte im Süden an die Pyrenäen, im Westen an den Atlantik und im Norden an die Loire. Als Eleonore gestorben war, wurde ihr Herzogtum dem Königreich Frankreich zugeschlagen.

Ihr Großvater Wilhelm IX war ein temperamentvoller, tatkräf­tiger Fürst, der viel Freude an seiner Enkelin gehabt haben soll. Denn sie glich ihm. Sie war das erste Kind ihrer Eltern Wilhelm X und seiner Frau Aenor von Châtellerault – und blieb die Erbin, da ihr Bruder im Kindesalter starb. Über ihre Jugendjahre sind keine Dokumente erhalten, manches aber lässt sich erschließen. Wilhelms jüngerer Sohn Raimund, Eleonores Onkel, lebte einige Jahre am Hof zu Bordeaux, und die Prinzessin wird von der brüderlichen Freundschaft dieses nur sieben Jahre älteren Verwandten viel profitiert haben. Vermutlich hat er die Kleine das Reiten gelehrt, sie auf die Jagd und zu den Troubadouren mitgenommen; kurzum, sie überall da eingeführt, wo Mädchen nicht vorgesehen waren.

Eleonore war sehr wissbegierig. Dass sie Latein gelernt hat, ist verbürgt; mithin war sie imstande, an den theologischen Disputen ihrer Zeit teilzunehmen. Zu Hause sprach man Okzitanisch. Aber sie beherrschte auch das Französische. Die junge Eleonore darf man sich als hübsch, gebildet, selbstbewusst und resolut vorstellen. Womöglich ahnte sie, was auf sie zukam. Denn Aquitanien erlaubte die weibliche Erbfolge.

Gleichwohl entging Eleonore nicht dem Schicksal aller Kinder des Adels, auch der Knaben: Heiratspläne, bei denen es nur darum ging, Länder, Loyalitäten und Einflusssphären beieinander zu halten, wurden über ihren Kopf hinweg geschmiedet. Prinz Ludwig, der spätere Ludwig VII von Frankreich, war für sie der Auserwählte – so bliebe Aquitanien in Personalunion mit Frankreich verbunden. Ostern 1137 starb Herzog Wilhelm X, und seine Tochter Eleonore wurde nur wenige Monate später in ihrer Heimat Bordeaux Prinz Ludwig angetraut – in einer prunkvollen ­Zeremonie. Der Bräutigam war 17, die Braut 15 Jahre alt. Nach der Krönung des Paares in Poitiers zur Herzogin und zum Herzog von Aquitanien ging es mit großem Gefolge nach Paris.

Für Eleonore hatte sich innerhalb nur weniger Monate die Welt verändert. Sie hatte das heitere, üppige Aquitanien ­auf­geben müssen und fand auf der Ile de la Cité ein Hofleben vor, das von ihrer sittenstrengen Schwiegermutter geprägt war. Wo waren die poetischen Troubadoure, der schwere Wein und das weite Meer? Wenig später erlag Ludwig VI, genannt der Dicke, seinem Darmleiden. Nun trugen die Jungvermählten als König und Königin von Frankreich Verantwortung.

Der 17-jährige Ludwig VII war eigentlich für die geistliche Laufbahn erzogen worden. Die Zufälle der Erbfolge – sein älterer Bruder war bei einem Reitunfall umgekommen – hatten ihn zum König bestimmt; er selbst war darüber nicht froh. Er hätte lieber nur seinem Gott gedient als seinem Volk und dem Götzen Macht. Bei Eleonore war es umgekehrt.

Die Stellung der französischen Königinnen war damals recht stark. Sie gestalteten das Hofleben, hielten an der Seite ihres Gatten ­Gerichtstag, empfingen Gesandte und nahmen gemeinsam mit dem König den Lehnseid der Vasallen entgegen. Eleonore lag daran, die Unabhängigkeit Aquitaniens von Frankreich so weit wie möglich zu bewahren. Für sie hatte sich lediglich ihr Einflussbereich nach Norden erweitert. Erst 1145 bekam sie das erste Kind, ein Mädchen Marie.

15 Jahre lang blieb Eleonore an der Seite ihres Mannes Ludwig, auch bei Feldzügen gegen aufsässige oder noch zu unterwerfende Lehnsempfänger. Im Jahr 1146 kündigte sie an, ihren Gatten bei dessen nächstem großen Unternehmen, einem Kreuzzug ins Heilige Land, begleiten zu wollen. Ludwig erschrak – wie so oft, wenn seine Gemahlin ihre Beschlüsse kundgab. Aber da es keinem Christenmenschen zu verwehren war, als Pilger an die heiligen Stätten zu ziehen, gab er nach. Die Königin hatte jedoch gar keine frommen Absichten. Sie wollte vor allem ihren Onkel Raimund wiedersehen, der es zum Fürsten von Antiochia gebracht hatte. Antiochia lag auf dem Weg. Und in der Tat: Eleonore warf sich in Raimunds Arme. Die Legende will, dass sie ein Liebespaar wurden.

Die Legende will so manches bei Eleonore, schon weil die Quellen so dürftig sind. Was wir wissen ist, dass der Kreuzzug von 1147/48 für Ludwigs Heer entsetzlich scheiterte. Die junge Königin reiste durch Byzanz und Antalya, geriet mehrfach in ­Lebensgefahr und kam nur mit viel Glück heil davon. Die Verluste beider Seiten, der Christen und der Muselmanen, waren beträchtlich. Eleonore begriff, dass die religiösen Fragen Vorwände waren, hinter denen sich Machtfragen, Geschacher um Handelswege und Einflusssphären, verbargen.

Auf dem Rückweg nach Frankreich besuchte das Königspaar Papst Eugen in Rom. Beide bezweifelten, dass der Fortbestand ihrer Ehe noch Sinn hätte und wollten den Papst bitten, ihren Bund zu lösen. Ludwig war seiner anstrengenden Frau, die ihm in gut zehn Jahren Ehe nur ein Mädchen geboren hatte, überdrüssig. Und Eleonore kommentierte ihr Scheidungsbegehren mit den Worten: „Ich habe einen Mönch geheiratet und keinen Mann.“ Der Heilige Vater aber dachte nicht daran, den Wünschen des Paares zu ­entsprechen. Statt der Auflösung ihrer Ehe bot er den beiden ein ­geschmücktes Doppelbett und zog sich lächelnd zurück.

Gehorsam versuchten es die Majestäten erneut mit der Zeugung eines Prinzen. Und in der Tat, der päpstliche Segen wirkte, die ­Königin ward schwanger. Nach der Rückkehr kam in Paris die zweite Tochter zur Welt, Alice, auch sie später eine bedeutende Fürstin. Nun zweifelte die Familie des Gatten nicht länger: Eleonore war eine Hexe und der königlichen Familie Kapet zu deren ­Untergang vom Teufel gesandt. Zwei Jahre nachdem der Segen des Papstes zu nichts Besserem als zu einer weiteren Tochter geführt hatte, wurde die Ehe des französischen Königspaares vom Heiligen Stuhl aufgelöst. Eleonore war frei, ihre Erleichterung groß.

Das Los einer höchstinstanzlich weggeschiedenen Frau, egal wie hoch ihr Rang war, hieß im Mittelalter stets: Kloster. Das aber war nichts für Eleonore. Die Aquitanierin hatte Geschmack an der Macht gefunden, sie wusste, wie man sie ergreift; jetzt wollte sie zeigen, wie man sie festhält.

Zunächst stellte Eleonore klar, dass sich an ihrem Status als Herzogin von Aquitanien nichts ändern würde. Sie hatte schon vor ihrer Scheidung Kontakt zur aufstrebenden Familie der Plantagenet von Anjou, zu Gottfried dem Schönen, Herzog der Normandie und König von England, geknüpft. Die Legende will gar, dass beide zueinander in Leidenschaft entbrannten. Doch Gottfried war nicht frei. Und so plante das Paar im Geheimen eine Ehe Eleonores mit Gottfrieds Sohn Heinrich, der den Thron erben sollte. Er war zwar erst 18 Jahre alt, aber männlich-kühn und kampferprobt.

Der junge Heinrich Plantagenet war fasziniert von der Aussicht, das reiche Aquitanien, welches an das Anjou grenzte, seinem Herrschaftsbereich zurechnen zu können. Außerdem gefiel ihm die attraktive 30-jährige Herzogin. 1152 heiraten er und Eleonore in Poitiers. Und siehe da: Ganz plötzlich verstirbt nun Eleonores verehrter und begehrter Schwiegervater Gottfried.

Sohn Heinrich trauert nicht lange. Er ist derart in Eroberungs­laune, dass er den englischen Bürgerkrieg gegen den (von seiner Warte aus so zu nennenden) Thronräuber Stephan von Blois für sich entscheidet, den Rivalen ins Grab ärgert und König wird. Im Dezember 1154 finden die Krönungsfeierlichkeiten für Heinrich II und Eleonore von Aquitanien in Westminster statt. Der erste gemeinsame Sohn Wilhelm ist da schon auf der Welt. Ein Jahr später wird Heinrich geboren, in den Jahren darauf erst Mathilde, dann Richard, schließlich Gottfried und Eleonore. Nach einer Pause schenkt die über Vierzigjährige noch Johanna und Johann das Leben.

Spricht dieser Kinderreichtum für eine glückliche Ehe? Nicht zwingend, denn auch das Gebären war Politik und Eleonore war sich dessen bewusst. Gleichwohl: Die Majestäten von England passten zusammen, waren beide ungestüme Machtmenschen, impulsiv und hitzig, aber immer klug genug, auf weisen Rat zu hören. Mutter Eleonore zog ihre Kinder natürlich nicht selber groß. Sie gab sie in die Obhut von Ammen und Geistlichen; als Königin hatte sie andere Pflichten.

König oder Königin sein hieß im Mittelalter: auf Reisen gehen. Denn die Besitzungen eines einzelnen Herrscherhauses lagen – durch Zufälle der Lehnsvergabe und der Erbschaften – oft so weit voneinander entfernt, dass Herr oder Herrin ihr Reich nie im Ganzen überblicken konnten; Illoyalität, Verrat und Abfall ganzer Provinzen waren an der Tagesordnung, und der Lehnsherr musste vor Ort erscheinen, um Frieden zu stiften und für den Fluss der Steuern zu sorgen.

Erschwerend kam hinzu, dass es kein einheitliches Recht gab und dass neben dem Patchwork von Gewohnheitsrechten und verbrieften Vorrechten im weltlichen Bereich noch die ebenfalls regional unterschied­liche Kanonische Rechtsprechung existierte. So flammten immer wieder lokale Fehden auf, die manchmal mit schwer bewaffneten Truppen in blutigen Schlachten entschieden werden mussten.

Heinrich war in seiner Funktion als Heerführer fast so oft ­unterwegs wie in der als Richter. In den Zeiten seiner Abwesenheit führte Eleonore die Regierungsgeschäfte. Sie hatte sich nach und nach genaue Kenntnisse der Verwaltung und der Gesetz­gebung angeeignet und regierte das Reich mit fester Hand. Oft geschah es allerdings, dass Heinrich und sie aneinander gerieten, denn beide waren willensstark und wenig diplomatisch, und beide sahen die Dinge verschieden. So wollte Heinrich sein Reich einig sehen und widersetzte sich hartnäckig einer Vergabe von Domänen an seine heranwachsenden Söhne. Eleonore war eher dem Leitsatz: „Divide et impera“ (teile und herrsche) zugeneigt, stritt für die Unabhängigkeit Aquitaniens und wollte ihre Kinder durch zeitige Vergabe von Ländereien versorgt sehen.

Da Heinrich immer nur Nein sagte, lehnten sich schließlich seine Söhne Richard, Gottfried und Johann gegen ihn auf. Eleonore schlug sich auf ihre Seite. Sie wollte ihren Liebling Richard zum Nachfolger aufbauen – und ihn als Herrn über Aquitanien einsetzen. So reiste sie mit dem 14-Jährigen nach Poitiers und ließ ihm dort die Insignien eines künftigen Herzogs überreichen. Heinrich missbilligte diesen Schritt entschieden. Seine Söhne, Hitzköpfe wie er, hielten es aber, je älter sie wurden, im Wartestand nicht mehr aus. Schließlich suchte Richard beim französischen König Rückendeckung für die Entmachtung seines Vaters.

Eleonore stahl sich bei Nacht und Nebel in Männerkleidern nach Paris. Mutter und Söhne hatten genug Vasallen auf ihre Seite gebracht, um den Aufstand zu wagen. Doch die Verschwörung wurde aufgedeckt. Die Söhne mussten zu Kreuze kriechen, Eleonore wurde gefangen gesetzt. Für 15 Jahre verschwand die Aufrührerin hinter Festungsmauern.

Sie landete hinter vergoldeten Gittern. Die Königin konnte ihren Hofstaat mitnehmen, verfügte über großzügigen Unterhalt und ­geräumige Suiten – allerdings gab es auch Bewacher, die aufpassten, dass die Queen nicht neue Intrigen spann oder gar entfloh. Und es gab Spione, die Heinrich berichteten, was sie sprach und tat.

Lange Jahre sah Eleonore weder Söhne noch Töchter, und da sie den Tröstungen der Religion nicht sehr zugeneigt war, gab sie sich jetzt den Anregungen der Wissenschaft und der Künste hin. Anlässlich hoher Feiertage wie Weihnachten hielt Heinrich Hoftag in Chinon oder Windsor, zu denen auch Eleonore willkommen war.

Der König tröstete sich mit seiner Geliebten Rosamund. Die Legende kolportiert, dass Eleonore versucht habe, die Rivalin zu vergiften. Tatsache ist, dass Rosamund früh starb. In Eleonores Lebensgeschichte gab es viele plötzliche und schwer erklärliche Todesfälle. Ihr Bruder? Ihr Vater? Gottfried der Schöne? Ludwig der Dicke? Wäre dem König seine verräterische Ehefrau ein Dorn im Auge gewesen, hätte er sie wahrscheinlich beseitigen lassen. Stattdessen suchte er noch in Zeiten äußerster Distanz zuweilen ihren Rat. Auch sie hat ihn bis zum Schluss geachtet. Heinrich starb 1189 in Chinon als einsamer alter Mann. Jetzt wurde Richard König.

Eleonore war frei und noch einmal sehr erleichtert. Gleich stürzte sich die betagte Königinmutter wieder in die Politik und reiste nach Aquitanien, um Städteprivilegien zu vergeben. Dann weiter nach Kastilien, um ihre Enkelin Blanca für die Hochzeit mit dem französischen Thronfolger Ludwig, später dem VIII, abzuholen. Diese Ehe sollte den Bund zwischen den verfeindeten und doch aufeinander angewiesenen Kapetingern und Plantagenets besiegeln.

Königin Eleonore war fast achtzig Jahre alt und hatte zwei Ehemänner und die meisten ihrer Kinder überlebt. Einen letzten schweren Verlust musste sie hinnehmen, als ihr Sohn Richard, der sich auf seinen Kreuzzügen den Beinamen Löwenherz verdient hatte, nach der Niederschlagung eines Aufstandes in Aquitanien schwer verletzt heimkehrte und in ihren Armen starb.

Jetzt war ihr außer Tochter Eleonore, der Mutter Blancas, nur noch ihr Jüngster geblieben, an dessen politischen und militärischen Fähigkeiten sie stets gezweifelt hatte. Johann „Ohneland“ – so genannt, weil er bei dem allfälligen Gezerre um Besitztümer stets leer ausgegangen war – wird nun König von England. Eleonore stirbt 1204 im Kloster Fontevrault. Sie hat nicht mehr miterlebt, dass der glücklose King John das Reich nicht zusammenhalten konnte. Als erstes geht Aquitanien verloren.

Historiker betonen, dass Eleonore nie eine souveräne Herrscherin gewesen sei, sondern „nur“ in Vertretung ihrer königlichen Gatten regiert habe. Das trifft rein formal zu. Doch Eleonore hat alle Spielräume, die sich ihr boten, mit einer unerhörten Energie und Zielstrebigkeit genutzt und ausgeweitet, bis hin zum versuchten Umsturz. Dafür hat sie einen hohen Preis gezahlt – ohne je in Selbstmitleid zu verfallen. Vielleicht konnte sie so kraftvoll ­auf­treten, weil sie aus einem Land kam, in dem die weibliche Erbfolge galt. Mit Sicherheit hat der Stolz des Großvaters auf seine ­begabte Enkelin, hat ihr Selbstbewusstsein als designierte Herzogin dazu beigetragen, dass die Königin mit den zwei Kronen den engen Radius einer weiblichen Herrscher-Existenz im Hochmittelalter sprengen konnte.

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Pharaonin Hatschepsut

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Die Pharaonin Hatschepsut kam um das Jahr 1495 vor Christus in der Hauptstadt Theben zur Welt. Die Epoche, in der sie über Ober- und Unterägypten regierte (zirka 1479-1458 vor Christus) wird "Neues Reich" genannt. Sie begann ihre Herrschaft als Witwe und Regentin für ihren vierjährigen Neffen und Stiefsohn Thutmosis III. Anfangs ließ sie sich noch hinter ihm stehend abbilden, womit sie anzeigte, dass ihm, dem Kind Thutmosis, der Vortritt gebühre. Doch irgendwann genügte ihr die Regentschaft nicht mehr und sie griff nach der ganzen Macht.

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Hatschepsut nannte sich "Maat Kare" (König von Ober- und Unterägypten) und bestieg den Horusthron. Statuen und Reliefs zeigen sie mit allen Insignien der Macht, in männlichem Königsmantel und mit dem Pharaonenbart. Objektiv gesehen war Hatschepsut eine der bedeutendsten Pharaonen des ägyptischen Reiches. Sie bescherte ihrem Land zwei Jahrzehnte großer Prosperität, Frieden und Reichtum. Dennoch war sie über 3.000 Jahre vergessen, ausradiert. Ihr Nachfolger hatte dafür gesorgt, dass uns beinahe kein einziges Abbild von ihr erhalten geblieben wäre, geschweige denn die Geschichte ihres langen Wirkens. Und bis ins 21. Jahrhundert hinein ist Hatschepsut für viele ägyptische Männer ein rotes Tuch. Schon nur die Erwähnung dieser vor genau 3.467 Jahren gestorbenen Frau provoziert im Nilstromland bis heute gereizte Debatten über Frauen und Macht. Wer also war sie wirklich, diese Hatschepsut, genannt Maat Kare?

Auch im alten Ägypten galt eigentlich einzig die männliche Erbfolge. Hatschepsut aber wurde von ihrem Vater Thutmosis I seinen männlichen Nachkommen vorgezogen, vielleicht weil sie das erste Kind war, das ihm seine Hauptfrau Ahmose geboren hatte. Es folgte aus dieser Verbindung noch eine Tochter, aber kein Sohn.

Hatschepsuts Mutter Ahmose entstammte als einzige jenem göttergleichen Pharaonengeschlecht, das nach langer Fremdherrschaft der so genannten Hyksos die Macht über Ober- und Unterägypten zurückerobert hatte. Jetzt musste dieses Geschlecht seine Herrschaft festigen. Und zwar über Ahmose, die das genealogisch mächtigere Geschlecht repräsentierte als ihr Gatte Thutmosis I, Hatschepsuts Vater, der einer weniger wichtigen Nebenlinie entsprossen war. Hier deutet sich also schon eine über Frauen vermittelte Erbfolge bzw. Machtweitergabe an.

Hatschepsut, Tochter der Ahmose und des Thutmosis, genoss die allerbeste Erziehung, begleitete ihren Vater auf dessen Expeditionen und lernte früh, was es heißt, über ein Land zu gebieten. Die Forschung glaubt Anzeichen dafür gefunden zu haben, dass der Pharao sie – entgegen der Tradition – von Anbeginn an als Nachfolgerin aufbauen wollte.

Sie heiratete, den Gepflogenheiten folgend, in früher Jugend ihren Halbbruder Thutmosis II, der als kränklich oder gar geistig behindert dargestellt wird. Nach dem Hinscheiden von beider Vater Thutmosis I wurde Hatschepsut, die "große königliche Gemahlin", wahrscheinlich sogleich mit den Regierungsgeschäften betraut. Nach nur dreieinhalb Jahren auf dem Horusthron verstarb Hatschepsuts Bruder-Ehemann; das Paar hatte lediglich eine Tochter, Neferure (auch: Nofrure).

Als legitimer Thronerbe wurde nun Thutmosis III, Sohn von Thutmosis II mit seiner Nebenfrau Isis, eingesetzt. Für diesen vierjährigen Knaben trat seine Tante und Stiefmutter Hatschepsut im Jahre 1479 vor Christus die Regentschaft an. Doch sie sollte sich zur Pharaonin aufschwingen und den Thron bis zu ihrem Ende nicht mehr aufgeben.

Ein Pharao hatte zunächst sein Reich zu verwalten; hierin hatte es das alte Ägypten weit gebracht. Ein großer und differenzierter Beamtenapparat stand zur Verfügung und musste von Hatschepsut geleitet werden. Anzunehmen, dass sie die dafür nötigen Kenntnisse als Liebling und rechte Hand des Vaters, sowie als Mitherrscherin an der Seite ihres beschränkten Bruder-Gatten längst erworben hatte. Jetzt aber kam die Autorität der Pharaonin hinzu. Hatschepsut stieß auf wenig Schwierigkeiten, wenn es galt, sich durchzusetzen.

Selbstverständlich stand der Pharao auch an der Spitze des Militärs; auch hier kannte Hatschepsut sich aus. Der Vater hatte seine Tochter in die Geheimnisse der Kriegskunst eingeweiht, wenn er sie nicht sogar mitnahm auf einige seiner "Strafexpeditionen" oder Feldzüge gegen Aufrührer oder Abtrünnige, etwa aus dem Lande Kusch. Hatschepsut aber war dennoch keine kriegerische Pharaonin; sie zog es vor, das Land durch Förderung des Bergbaus, des Handwerks und des Güteraustauschs sowie durch mancherlei Reformen groß zu machen.

Ihre weiten Reisen zum Zwecke des Warenaustausches sind legendär. So schickte sie eine Handelsmission in das sagenhafte afrikanische Land Punt (dessen genaue Lage auf dem afrikanischen Kontinent bis heute unbekannt ist), um Weihrauch, Elfenbein, Gold und Tierfelle zu erwerben.

Eine weitere wichtige Aufgabe des Pharaos war die Pflege der Baukunst, die religiöse Pflicht, Denkmäler, Grabstätten, Tempel und Stelen zu errichten – zu Ehren der Götter und des Herrscherhauses. Wir kennen bis heute diese großartigen Zeugnisse des Wirkens der Pharaonen als Pyramiden, Tempel, Skulpturen und Obelisken. Hatschepsuts Totentempel, ein in den Fels getriebenes Terrassenbauwerk im westlichen Theben nahe dem hochberühmten "Tal der Könige", ist – in Resten, die immer noch den Atem rauben – bis heute zu besichtigen.

Und wer die Stadt Paris besucht, kommt kaum um den Hatschepsut-Obelisken herum, der den Place de la Concorde beherrscht. Die Franzosen haben ihn im 19. Jahrhundert in Ägypten geklaut. Im Amun-Tempel zu Karnak am Ufer des Nil ließ die Pharaonin die damals höchsten Obelisken errichten (dreißig Meter); etliche weitere große Anlagen, so der Mut-(=Name der Göttin Thebens)Tempel zu Karnak, gehen auf ihre Regierungszeit zurück.

Die wichtigste aller Pflichten der Pharaonin jedoch war der Dienst an den Göttern. Als Herrscherin war sie zugleich die Gebieterin aller Priester, die höchste Vertreterin der Götter auf Erden – ja, mehr noch: sie war selbst von göttlicher Natur. Hatschepsut streute die Legende, dass niemand anderes als Gott Amun selbst sie gezeugt habe – nachdem er die Gestalt von Thutmosis I angenommen hatte.

Möglicherweise war es üblich, dass ein Pharao sich auf diese Weise eine göttliche Abkunft zuschrieb. Vielleicht aber hat Hatschepsut auf dieser hohen Geburt auch deshalb bestanden, weil sie als Frau auf dem Thron eine zusätzliche Legitimation liefern musste. Sie hatte ja schon Ahmose vorzuweisen, eine hochkönigliche Mutter. Der Vater sollte dann gleich Thebens Schutzgott selbst sein. Auch war da noch das Orakel des Amun, in dem ihr die Herrscherwürde prophezeit worden war ...

Im Leben der alten Ägypter war die Religion kein Bereich für sich – sie durchwirkte den Alltag mit all seinen Verrichtungen, sie war stets gegenwärtig. Die Pharaonin lebte ihr Leben quasi in Tuchfühlung mit den Göttern. An den Feiertagen zu Ehren der Götter und der Pharaonenfamilie legte Hatschepsut die männliche Tracht und den Bart an, und zollte so dem ursprünglich rein männlichen Thronanspruch Tribut.

Offenbar verstand diese Pharaonin und Gottestochter es sehr gut, sowohl das Volk als auch die Eliten, das heißt die Beamtenschaft, die Heerführer, Priester und Gelehrten derart für sich einzunehmen, dass niemand ihr die höchste Majestät streitig machte. Ihre auf Frieden, Handel und Baukunst gerichteten Regierungsziele überzeugten und machten sie zu einer beliebten Herrscherin ihrer Zeit, deren Ruhm über die Grenzen des Landes hinaus für Ägypten und sein Herrscherhaus warb.

Wichtige Unterstützung bei den Regierungstätigkeiten sowie den Bauvorhaben leistete ihr der Hauslehrer ihrer Tochter, der als Architekt weithin bekannte Senenmut. Die Forschung nimmt an, dass die langjährige Nähe zwischen Hatschepsut und ihrem engsten Berater ein Liebesverhältnis wurde. Die Deuter der Quellen glauben sogar ein Kind von Hatschepsut und Senenmut nachweisen zu können. Manche vermuten gar, Neferure sei Senenmuts Tochter gewesen. In späteren Jahren fiel der große Berater und Freund bei seiner Pharaonin in Ungnade, es kam zu keiner Versöhnung mehr. Senenmut verschwand von der Bildfläche. Die Gründe sind unbekannt.

Nun gab es aber doch einen, der mit Neid und Missgunst auf die Frau auf dem Horusthron blicken musste, und das war Thutmosis III. Der junge Mann wuchs im Königspalast auf, während seine Tante/Stiefmutter regierte. Die Priester, Lehrer und Berater, die ihn unterrichteten, erwiesen ihm die Ehrerbietung eines künftigen Pharao, und auch Hatschepsut ließ sich häufig mit ihm sehen. Nach außen hin und auch gemäß dem Protokoll und dem Erbfolgegesetz war und blieb Hatschepsut eine Regentin in Vertretung ihres Neffen/Stiefsohns. Die Tatsachen aber sahen anders aus.

Auch als Thutmosis III herangewachsen war und sich auf der Jagd und in den allfälligen Grenzscharmützeln als wahrer Heißsporn erwies, war es weiterhin seine Tante/Stiefmutter Hatschepsut, die die politischen Entscheidungen fällte: Schiffe für Handelsmissionen ausrüstete, den Bau der Grabanlagen für die Pharaonenfamilie leitete, Heerführer und Spitzenbeamte ernannte und die Scharen von Bediensteten im Palast auf das Zeremoniell um ihre Person konzentrierte. Thutmosis, obwohl längst erwachsen, blieb ohne Einfluss, eine Nebenfigur. Wir wissen nicht, was er dabei empfand, dürfen aber annehmen, dass ein tiefer Grimm in ihm kochte.

War nicht er der wahre Pharao und sie nur seine Stellvertreterin? Aber was konnte er ihrer göttlichen Abkunft entgegensetzen, er, der Sohn des zweiten Thutmosis, der ja nur einer Nebenlinie entstammte, der Sohn der im Vergleich mit Ahmose unbedeutender Nebenfrau Isis? Der Familienzwist im Pharaonenpalast ist uns nicht überliefert, aber er muss heftig gewesen sein und entschied sich für Hatschepsut – sie verließ den Thron erst nach zwanzig Jahren und neun Monaten, als sie um 1458 starb.

Es wird von einem zeremoniellen Begräbnis berichtet, in dem kein Ritus fehlte, der einer Herrscherin gebührte. Lange Zeit galt ihre Mumie als verschollen. Erst im Jahre 2007 wurde sie quasi zufällig in einem Hinterraum des ägyptischen Nationalmuseums in Kairo entdeckt. Neueste Prüfmethoden ergaben zweifelsfrei: Es ist Hatschepsut. Den Untersuchungen zufolge soll die mit knapp vierzig Jahren Verstorbene an Krebs gelitten haben. Ob sie auch daran gestorben ist oder aber ob sie gar ermordet wurde, das ist bis heute nicht klar und wohl auch nicht mehr zu klären.

Hatschepsuts Nachfolger Thutmosis III übernahm ein hervorragend von seiner Stiefmutter organisiertes Heer, eine funktionierende Verwaltung, eine Riege hochmotivierter Skulpteure und Baukünstler (die ihre Aufgabe als königliche Bildhauer und Architekten nicht nur darin sahen, die Tradition zu pflegen, sondern auch, neue Ausdrucksformen zu erproben – das hatte die "Maat Kare" von ihnen gefordert). Thutmosis III also hatte die besten Startbedingungen für seine Herrschaft, und er nutzte sie.

Aber sein Grimm? Was wir wissen, ist, dass einige Jahre nach Hatschepsuts Tod in einer beispiellosen Zerstörungswut fast alle Zeugnisse von Existenz und Wirken der Pharaonin regelrecht eliminiert wurden: aus den unzähligen Reliefs in Palästen, Tempeln und Stelen wurden Hatschepsuts Bildnisse und die Verweise auf ihre Taten gelöscht. Sie wurden sozusagen chirurgisch herausgefräst und durch Abbildungen des Thutmosis III ersetzt. Statuen von Hatschepsut wurden zerstört oder zerstückelt. Ihre Bildnisse wurden aus Obelisken und Wandschmuck in Pyramiden und an Säulen herausgekratzt. Selbst auf den in Ägypten lückenlos geführten Königslisten verschwand ihr Name: auf Thutmosis II folgte sogleich Thutmosis III. Durch Zufall sind einige Statuen erhalten geblieben. Sie ergeben einen sinnlichen Eindruck der Pharaonin, die offenbar sehr schön war. Auch ihre Mumie wurde nicht angetastet.

Die Pharaonin sollte zur Unperson herabgewürdigt, ihr Dasein und ihre Leistung in den Orkus des Vergessens gerissen werden. Wie konnte das geschehen?

Erst im 19. Jahrhundert wurde Hatschepsuts Andenken durch die moderne Archäologie, in der England führend war, wieder hergestellt – die Bilderstürmer im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung hatten also ganze Arbeit geleistet. Doch für immer hatten sie die Pharaonin nicht aus der Geschichte katapultieren können. Wir wissen dreieinhalb Jahrtausende nach Hatschepsut von ihr und stellen ihr Andenken wieder her. Und wir fragen uns: Wer wollte warum einst die Erinnerung an sie auslöschen, die Geschichte so umschreiben, als habe Hatschepsut nie existiert?

Die Forschung stieß sogleich auf den Grimm des Thutmosis. Bloß hat es damit eine Schwierigkeit: Die geschilderte Zerstörungsorgie fand erst viele Jahre nach Hatschepsuts Tod statt, als der neue Pharao bereits fest und sicher auf dem Thron saß. Wäre es um eine Tat im Affekt gegangen, hätte sie keinen Aufschub vertragen.

Oder war Hatschepsuts Vernichtung von langer Hand geplant, musste jedoch mit Umsicht in die Tat umgesetzt werden, um ihre Anhänger und Gönner nicht zu verärgern? Man wird das Geheimnis nie ganz lüften. Man kommt aber einer Erklärung näher, wenn man an die Bedeutung des religiösen Lebens im alten Ägypten denkt. Die Götter waren keine Inbegriffe oder Prinzipien – sie wurden als wirkende, wirkliche Wesenheiten gedacht. Sie gekränkt zu haben, galt als größte Sünde – völliges Verderben, unter Umständen für das ganze Land, war die Strafe.

So ist es vorstellbar, dass Thutmosis eine Kommission aus hohen Priestern einsetzte, die im Verein mit den Verwaltern der Königslisten darüber nachsinnen sollte, wie man wieder Ordnung in die Erbfolge bringen und einen weiblichen Thronanspruch künftig ausschließen könnte. Zwar war Neferure schon vor ihrer Mutter gestorben – aber wer weiß, vielleicht gab es wirklich jene sagenhafte Tochter von Hatschepsut und Senenmut, die womöglich von einflussreichen Gruppen im Palast gefördert wurde. Bei ihrem Versuch, die Erbfolge rückwirkend rein männlich zu gestalten, musste eine solche Kommission sehr vorsichtig sein, um den Gott Amun sowie den Sonnengott und die übrige Verwandtschaft Hatschepsuts nicht zu brüskieren – man überstürzte also nichts.

Vielleicht gab es auch zwei Parteien bei Hofe, eine pro, eine contra Hatschepsut. Vielleicht musste die Contrapartei, geführt vom Pharao selbst, warten, bis das Haupt der Propartei, ein weiser Priester, der Hatschepsut einst persönlich in ihre religiösen Pflichten eingeführt hatte, vom Totengott Osiris abberufen worden war, bevor Hatschepsut ausradiert werden konnte.

Die Pharaonin Hatschepsut, die bedeutendste Herrscherin in der Antike, wurde jedenfalls nicht zufällig im 19. Jahrhundert, in der Epoche der Historischen Frauenbewegung, wiederentdeckt. So wie einst der patriarchale Furor ihre Person und Bedeutung ausgelöscht hat, so grub nun eine emanzipatorisch inspirierte Archäologie Hatschepsut wieder aus.

Zum Weiterlesen:
Marianne Schnittger: Hatschepsut (2008)
Christiane Desroches Noblecourt: Hatschepsut (2007)
Joyce Tyldesley: Hatschepsut (2001)
EMMA-Serie: Herrscherinnen

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