Alice Schwarzer schreibt

Das Urteil und seine Folgen

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"Hochachtung vor dem Mut und dem Engagement der Klägerinnen" habe er, und darum tue es "dem Gericht fast leid, dass die Klägerinnen gewonnen haben...", nein, schnell verbessert er sich: "... dass die Klägerinnen nicht gewonnen haben."

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Dieser bezeichnende Versprecher, diese Fehlleistung signalisiert die ganze Widersprüchlichkeit der Affäre: Auch die, die wissen, dass wir eigentlich recht haben, geben uns Unrecht.

Unterschied zwischen den Sensibilisierten und den Bornierten: die ersteren beginnen, zu zögern, einzuräumen, zuzugestehen ... In der Justiz wie in der Presse. "Die Richterworte", kommentiert die Frankfurter Rundschau, "sind eine Ohrfeige für all diejenigen - vor allem Männer -, die die Frauen in eine dubiose Ecke geschoben und diffamiert hatten." In der Tat. So stand es dem des Blendax-Lächelns nicht müde werdenden Henri Nannen durchaus gut zu Gesicht, an diesem Tag den Gerichtssaal nicht ganz so strahlend zu verlassen, wie er ihn betreten hatte.

Tatsache ist, dass diese 33 Sommertage - vom Tag der Einreichung der Klage bis zur Urteilssprechung in erster Instanz - in den Köpfen zahlloser Frauen (und überraschend zahlreicher Männer) viel verändert haben. Die Und-ewig-lockt-das-Weib-Maskeraden, die bisher bestenfalls ein diffuses Unbehagen auslösten, werden nun mit anderen Augen gesehen. Endlich wagen Frauen, laut zu sagen, wie sehr sie sich von solchen Darstellungen verletzt fühlen. Und endlich können Männer nicht mehr so ganz ungebrochen so tun, als sei nichts dabei...

Das väterliche Urteil des Hamburger Gerichts hat die Vorteile, die väterliche Güte nun mal hat, aber auch ihre Nachteile. Es war belehrend statt gerecht. Es erlaubte sich den Luxus, den Klagenden zwar moralisch über den Kopf zu streichen, ihnen aber juristisch den Beistand zu verwehren und dabei seine Hände auch noch in Unschuld zu waschen. "In 20, 30 Jahren" würde den Klägerinnen vielleicht recht gegeben werden, philosophierte Vorsitzender Engelschall, aber heute sei der Fall eher etwas für den Gesetzgeber.

Nun, wir leben heute und nicht in 30 Jahren, und was absehbar morgen Unrecht ist, kann heute nicht unantastbares Recht sein. Was also will das Gericht? Es will seine patriarchalische Ruhe wiederhaben. Es will sich mit allen guthaben und die Schuld letztlich in die Schuhe der Frauen schieben, die selber daran schuld seien, dass das öffentliche Bewusstsein noch nicht so weit ist (Engelschall: Es könne "bei den Frauen insgesamt ein einigermaßen übereinstimmender Bewusstseinsstand im Sinne der politischen Prämisse der Klägerinnen nicht vorausgesetzt werden"). Womit er sagen will: Würden sich mehr Frauen bewusst betroffen fühlen von der Diskriminierung und sich wehren, dann müsste auch ein entsprechendes Gesetz geschaffen werden.

Hört sich gut an, ist aber falsch. Denn in dieser Argumentation stecken zwei Fehler: Erstens: Schon die Behauptung, die vorhandenen Gesetze reichten in diesem Falle nicht aus zu einer Verurteilung, ist falsch. Auch nach dem "geltenden Rechtsschutzsystem" hätte dieser Klage stattgegeben werden können - dazu bedarf es keiner Gesetzesänderung, sondern lediglich einer Bewusstseinsänderung! Aber genau da tut sich eben eine Männer - und Klassenjustiz schwer. Sehr schwer.

Zweitens ist schon heute die Zahl der sich diskriminiert fühlenden Frauen sehr viel größer, als so ein Hamburger Richter es eingestehen mag (man betrachte nur die Breite und Heftigkeit der Debatte und die Tausende von Briefen, die allein an EMMA, Stern und Spiegel gingen.) Doch selbst wenn das nicht so wäre, hätte eine sich als demokratisch verstehende Gesetzgebung in einer so jungen und so gefährdeten Demokratie wie der unseren die Pflicht, mit leuchtendem Beispiel voranzugehen: Sie müsste emanzipatorische und progressive Gesetze selbst dann verabschieden, wenn die Mehrheit des Volkes noch uneinsichtig ist (ein positives Beispiel dafür ist die Abschaffung der Todesstrafe in der BRD zu einem Zeitpunkt, an dem die Mehrheit der Bevölkerung noch dafür war).

Richter Engelschall widerspricht sich selbst, wenn er einerseits eingesteht, dass es "ein berechtigtes Anliegen sein kann, auf eine der wahren Stellung der Frau in der Gesellschaft angemessenen Darstellung des Bildes der Frau in der Öffentlichkeit und insbesondere in den Medien hinzuwirken", andererseits aber behauptet, diese Darstellung sei eine Frage des "jeweiligen Geschmacks und der persönlichen Einstellung", ergo seien die Kriterien für ein Verbot schwer fassbar. Nein, Herr Vorsitzender. Sowenig wie zum Beispiel die Diskriminierung von Schwarzen eine Frage des subjektiven Geschmacks ist, sondern der objektiven Tatbestände, sowenig ist es die Diskriminierung von Frauen.

Doch sind so manche Tatbestände aufgrund der herrschenden Machtverhältnisse tatsächlich so stark verschleiert, dass sie nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Wir Frauen sind es so sehr gewohnt, verfügbare Objekte zu sein, und Männern ist es so selbstverständlich, uns dafür zu halten, dass es eines grellen Lichtes bedarf, um das Ungeheuerliche daran zu erkennen. Insofern hat Richter Engelschall recht, wenn er die erfolgreiche Abwehr von Frauenerniedrigung - egal ob beim Stern oder einer anderen Männergazette, egal ob durch infame Fotos oder durch zu niedrige Gehälter - für eine Zeit- und Bewusstseinsfrage hält. Nur, damit sich Bewusstsein ändert, muss etwas geschehen, müssen Menschen sich wehren und - muss die Justiz ihnen dabei helfen.

Gleichzeitig sollten Gesetze in einer aufgeklärten und gerechten Gesellschaft keine künstlichen, von oben diktierten Gebilde sein, sondern das natürlich gewachsene Rechtsempfinden des Volkes verkörpern (darum war auch der § 218 so absurd: er entsprach nicht dem Rechtsempfinden der Betroffenen, und ein millionenfacher Verstoß gegen dieses Gesetz wurde unwidersprochen von der Justiz hingenommen).
Der Verstoß gegen das Recht auf Würde von Frauen wird nicht nur hingenommen, er wurde bisher von den meisten noch nicht einmal bemerkt. In deutschen Gerichtssälen war Sexismus bisher ein Fremdwort und nur in Frauenzentren ein Thema. Das ist jetzt anders. Die Frauenklage gegen den Stern ist der erste Sexismus-Prozess in der Bundesrepublik. Er hat eine Bresche geschlagen. Nachfolgende werden es leichter haben.

Wie und warum bei dieser Klage weibliche SPD-Bundestagsabgeordnete nicht mitmachten und ihre Fraueninteressen der Parteidisziplin unterordneten, berichteten wir in der letzten EMMA. Ob der vereinzelte, aber unüberhörbare Beifall der sonst in Frauenfragen speziell und in Menschenfragen generell eher rückschrittlichen CDU-Abgeordneten nicht aus einer ganz anderen und unsere gesamten Interessen gefährdenden Ecke kommt, ist noch fraglich. Und wes Geistes Kind die FDP-Frauen zu sein scheinen, dafür gab die Bundestagsabgeordnete Ingrid Matthäus-Meier im Fernsehen eine trübe Kostprobe.

Ausgerechnet die gelernte Richterin, die zu den Kräften gehört, die sich nach englischem Vorbild für die sogenannten "Anti-Diskriminierungs-Gesetze" einsetzen (Gesetze, die es leichter machen sollen, die im Grundgesetz versprochene Gleichberechtigung notfalls auch vor Gericht zu erstreiten), ausgerechnet sie fand am Abend des Urteils den Gang zum Gericht schlicht albern. Sie sieht die "Pressefreiheit", die sogenannte, in Gefahr und schlägt statt dessen eine Kommission in Bonn vor, bei der frau sich beschweren könne, und die dann ihrerseits mal ein ernstes Wörtchen mit Herrn Nannen (zum Beispiel) redet.
Dann müsse dieser, meint Frau Matthäus, wohl alles einsehen, und das Problem wäre vom Tisch. Und überhaupt sei das Problem gar kein Problem, sondern nur ein Scheinproblem, denn die Kassiererin im Supermarkt, die sei viel ärger dran ... Tja.

Als wäre die Supermarkt-Kassiererin nicht von der Erniedrigung solcher Titelbilder betroffen! (Oder ist die in den Augen von Frau Matthäus zu blöd, das zu merken?) Als gäbe es keinen Zusammenhang zwischen geringschätziger Entlohnung nebst menschenverachtenden Arbeitsbedingungen einerseits und frauenverachtendenden Bildern auf Illustrierten-Titeln und in Männerköpfen andererseits! Als habe die Art, mit der Frauen von den Medien behandelt werden, nicht ursächlich mit der Art zu tun, wie sie im Bett, auf der Straße, im Büro und im Supermarkt abgefertigt werden!

Aber um das zu erkennen, braucht's wohl politisches Bewusstsein, und das scheint in Bonn Männlein wie Weiblein zunehmend abhanden zu kommen. Dafür war die coole Schein-Objektivität der Ingrid Matthäus ein Paradebeispiel.

Doch wetten, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis solche Politikerinnen auch diesen Frauenprotest auf ihre Fahnen schreiben?! Bis sie so tun, als hätten sie ihn erfunden?! So, wie sie es mit den Leichtlohngruppen, dem Paragraphen 218 und der ganzen Emanzipationsbewegung versucht haben - genauso werden sie es halten mit dieser Sache. Nur eben später. Dann, wenn der Zug schon in Fahrt ist und sie nur noch aufzuspringen brauchen. Dann, wenn es ganz ganz sicher nur noch was zu holen gibt (nämlich Wählerstimmen und Sympathien). Es ist schmerzlich für uns Frauen, das zu begreifen, aber auch wichtig.

Die FDP-Politikerin war auch noch öffentlich stolz darauf, die solidarisch gemeinte Einladung zur Mitklage ausgeschlagen zu haben und das Unterfangen nun live und besserwisserisch verurteilen zu können. Damit dekuvrierte sie sich allerdings als menschlich unsensibler und taktisch unklüger als ihr Richterkollege Engelschall, ja sogar als offener frauenverachtend als Henri Nannen. Denn der klopft zwar intern die alten Sprüche weiter (über die "knackigen Popos" der Titelmädchen und die Graurockigkeit der "Klageweiber"), extern aber hat Wolf Henri inzwischen Kreide gefressen.

"Die Klage hat uns nachdenklich gemacht." So Nannen zur Agence Press. Und: "In redaktionsinternen Diskussionen werden auch die Gedanken der Klägerinnen als Argumente ernst genommen." Er vergaß dabei allerdings zu erwähnen, dass er selbst vor Zensur nicht zurückschreckte, um diese redaktionsinternen Gedanken nicht laut werden zu lassen.

Ganz genauso handelte sein Kollege und Gesinnungsbruder Augstein. Der ließ Stunden nach dem Urteil und wenige Stunden vor Druck in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den bereits gesetzten (!) Prozess-Bericht seines Kultur-Ressortleiters Hellmuth Karasek stoppen und so sein Nachrichtenmagazin am darauffolgenden Montag lieber ganz ohne ein Wort über den "Prozess des Jahres" (Stern) erscheinen.

Karaseks Fehler: Er war nachdenklich geworden und konnte so ganz ungebrochen in die Hohn- und Spott-Tiraden seines Verlegers nicht mehr einstimmen. Ein Mann, der sachlich und womöglich auch noch positiv über diese Klageweiber berichtet? Nein! Lieber ließ Augstein mit einer Woche Verspätung Spiegel-Autorin Marieluise Scherer wortreich und ach so "weiblich" wirr ums Ereignis herum parlieren...

Allerdings waren nicht alle so kurz- und uneinsichtig. Ein großer Teil der Presse war durch die Argumente der Klägerinnen, durch das Niveau der Angeklagten, durch den Verlauf des Prozesses und das Ausmaß des Protestes aufgeschreckt worden. So sinnierte zum Beispiel die bisher eher für ihre besonders emanzipationsfeindliche Berichterstattung berüchtigte Süddeutsche Zeitung: "Die leisen Ansätze von Verständnis für Frauen lassen hoffen, dass die Verkrüppelung einer auf rigoroser Trennung und Ausbeutung der Geschlechter basierenden Gesellschaft nicht weiter hingenommen werden müssen."

Nach dem ersten Gelächter werden nun einige Journalisten in Zeitun- gen, Funkhäusern und Fernsehanstalten nachdenklicher. Argumente setzen sich durch. Das ist kein Zufall, das ist hart genug erkämpft worden, aber - es ist mehr, als wir selbst es zunächst erhofft hatten.

Überhaupt finden wir jetzt, in diesen Tagen nach dem Urteil, dass wir sehr viel mehr erreicht haben, als wir es bei der gewohnten Frauenfeindlichkeit zunächst erwarten konnten. Ab jetzt kann kein Zeitungsmacher noch solche Titel bringen, ohne zu wissen, was er tut: was er Frauen damit antut. Und keine Frau muss mehr fürchten, allein dazustehen, wenn sie sagt, wie solche Bilder sie stören, ja beleidigen. Jetzt muss es weitergehen, müssen wir den Sexismus in seinen verschiedensten Formen aufspüren und bekämpfen. Mit allen Mitteln. Das Beispiel der Stern-Klage ist ein Anfang.

Darum haben wir Klägerinnen uns nach langer Diskussion nun doch mehrheitlich dazu entschlossen, diesen Prozess entgegen unserer ursprünglichen Absicht nicht weiterzuführen. Juristisch ist jetzt mehr nicht zu erreichen, und bewusstseinsmäßig haben wir in diesen ersten vier Wochen schon mehr in Gang gesetzt, als wir es selbst bei drei Instanzen zu hoffen wagten. Auch geht es nicht nur um den Stern.

Wie wachsam wir bleiben müssen, zeigt allerdings gerade sein Beispiel: Während Nannen in Heft Nr. 32 beteuerte, er wolle jetzt "nicht zur Tagesordnung übergehen", wolle es sich "so einfach nicht machen", verschickte er gleichzeitig noch Wochen nach dem Urteil Rundbriefe an Leserbriefschreiber(innen) und unaufgefordert eine Hochglanzpostkarte. 1200mal! Auf dieser Karte sind zwei der Klägerinnen zu sehen: Erika Pluhar auf einem mehrere Jahre alten Foto in knappen Höschen und Stiefeln posierend, Margarete von Trotta halbnackt in einer Filmszene aus dem Jahre 1968...

Wie meinte noch die Frankfurter Rundschau? Das Urteil sei eine Ohrfeige für all diejenigen, die die Klägerinnen in eine "dubiose Ecke geschoben und diffamiert hatten". Nun, bei Nannen müssen offensichtlich noch energischere Methoden her. Sonst würde er es wohl kaum so ungerührt wagen, vom Ignoranten nun auch noch zum Denunzianten zu werden.

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