§219a: Deutschlandweite Proteste

Auch auf dem Women's March Berlin gab's Protest für das Recht auf Abtreibung und gegen den §219a. - Christian Spicker/Imago
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In rund 30 Städten sind für den kommenden Samstag Protestaktionen angekündigt. Das Motto dieses Aktionstages: Keine Kompromisse! Weg mit §219a! „Wir rechnen mit einigen tausend Menschen auf der Straße“, sagt Silke Stöckle, Sprecherin des Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung.

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In Karlsruhe werden schon Kleiderbügel verteilt.

Das Bündnis ist aktiv, wenn es um den Kampf für das Recht auf Abtreibung in Deutschland geht. Seit 2012 organisiert der Zusammenschluss aus rund 40 Organisationen - von Terre des Femmes über die Grünen bis hin zum feministischen Arbeitskreis Frauengesundheit – jedes Jahr eine Gegendemo gegen den bundesweiten „Marsch für das Leben“, der von selbsternannten Lebensschützern initiiert ist. Bei den Solidaritäts-Aktionen für die wegen „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verurteilte Ärztin Kristina Hänel war das Bündnis ganz vorne dabei. Hänel will bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen.

Beim Aktionstag am 26. Januar sind viele dabei: von Beratungsstellen wie Pro Familia über feministische Frauengruppen bis hin zu empörten Individuen. Alle verfolgen das gleiche Ziel. Die Zahl der Initiativen, die sich für die Abschaffung von §219a einsetzen, steigt unaufhörlich. Vor allem seit Dezember.

Denn seit CDU und SPD nach monatelangen Verhandlungen statt der Abschaffung des Nazi-Paragrafen 219a, der abtreibende ÄrztInnen einschüchtert und bedroht, ein „Eckpunktepapier“ für ein halbherziges Reförmchen präsentiert hatten, ist es mit der Geduld vieler Frauen vorbei. „Dieser Kompromiss, der ja gar keiner war, hat für sehr viel Empörung gesorgt“, weiß Silke, die Sprecherin des Bündnisses.

Auch an der SPD-Basis regt sich Unmut. Zu den UnterstützerInnen der Kundgebung am 26. Januar um 12 Uhr auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin zählt zum Beispiel die Berliner SPD: „Wir fordern ersatzlose Streichung von §219a!“ twitterte die Partei.

In Göttingen wird sich Nora Szász, eine der beiden angeklagten Ärztinnen aus Kassel, zu Wort melden. Der Prozess gegen sie sollte eigentlich am 28. Januar beginnen. Nun wurde er vorerst ausgesetzt, um eine mögliche Gesetzesänderung abzuwarten. Die verurteilte Ärztin Kristina Hänel wird am Samstag auf der Abschlusskundgebung in Gießen sprechen.

In Frankfurt ruft die Initiative Frankfurt für Frauenrechte zum „Flashmob vor der Paulskirche“ auf. Mit zugeklebtem Mund. Das X aus Klebeband ist ein feministisches Symbol für das fehlende Recht auf Informationsfreiheit bei Schwangerschaftsabbrüchen. „Vor Ort gibt es auch Schilder, Klebeband und Stifte zum Ausleihen“, versprechen die Organisatorinnen.

Kurz danach findet um 15 Uhr auf dem Frankfurter Opernplatz noch eine zweite Demo statt, die nicht nur die Streichung von 219a, sondern auch die von §218 fordert – wie so manche der Unterstützerinnen des bundesweiten Aktionstages. „Die Forderungen nach einer Streichung aller Anti-Abtreibungsparagrafen ist höchst aktuell“, erklärt das „Bündnis für körperliche Selbstbestimmung Frankfurt“.

In der Tat haben in Deutschland auch fast 50 Jahre nach den ersten Protesten – die 1971 die Frauenbewegung ausgelöst haben – Frauen noch immer nicht das Recht auf Abtreibung. Man gewährt ihnen höchstens die Gnade. In den meisten unserer Nachbarländer hingegen gilt längst die Fristenlösung.

In Münster ist es der Auftakt gegen die Lebensschützer.

Auch in Karlsruhe werden schon fleißig Transparente gemalt. Und Kleiderbügel verteilt. Eine Warnung: Für viele ungewollt schwangere Frauen war der Kleiderbügel früher oft die einzige Lösung - wenn sie den selbst durchgeführten Eingriff überlebt haben und nicht verblutet sind. Das Feministische Kollektiv Karlsruhe ruft zusammen mit der Linken, dem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und dem Stadtteilladen Barrio137 am Samstag um 13 Uhr zu einer Protestkundgebung auf den Ludwigsplatz.

Im katholischen Münster gilt der Protest am Samstag um 12 Uhr auf dem Prinzipalmarkt als Mobilisierung für die Gegen-Demo gegen den „1000 Kreuze Marsch“ der Lebensschützer am 16. März.

Und das sind nur einige Beispiele. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung hat auf Facebook und auf seiner Webseite eine Liste erstellt, die laufend aktualisiert wird.

EMMA berichtet weiter.

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Alice Schwarzer schreibt

Abtreibung: Es ist eine Schande!

Horst Seehofer, Helge Braun, Katarina Barley und Franziska Giffey auf der Pressekonferenz: Es soll alles beim Alten bleiben..
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Die vier traten am späten Mittwochabend vor die Kameras. Rechts standen zwei blasse, stumme Frauen; links zwei aufgeräumte, gesprächige Männer. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) verkündete den „Kompromiss“ zum Informations-Verbot (genannt „Werbeverbot“) für Ärztinnen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) begrüßte den Vorschlag der Regierung. Und die beiden SPD-Frauen? Die Ministerinnen Katarina Barley und Franziska Giffey schwiegen, zunächst. Mit Grund.

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Denn das, was da nach monatelangen Verhandlungen von Regierungsmitgliedern der CDU/CSU und SPD vorgetragen wurde, ist schlicht eine Schande! Ursprünglich ging es darum, das 1933 von den Nationalsozialisten eingeführte Gesetz, das Frauen entmündigt und ÄrztInnen bedroht, endlich abzuschaffen. Schließlich war es auch seit Jahrzehnten nicht angewendet worden. Den Vorschlag zur Streichung des Gesetzes hatte SPD-Chefin Andrea Nahles vor Monaten eingebracht. Grüne, FDP und Linke pflichteten ihr bei. Aber als die SPD dann doch in die Regierung einstieg, zog Nahles die Forderung zur Streichung des §219a wieder zurück.

Angezeigte
Ärztinnen
sind "entsetzt".

Sodann wurde monatelang geschwiegen. Und zuletzt hinter verschlossenen Türen verhandelt. Heraus kam: Nichts. Oder fast nichts. Es soll alles beim Alten bleiben: Dass die ÄrztInnen selbst nicht öffentlich darüber informieren dürfen, ob sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Ungewollt Schwangere sollen sich in Zukunft an die Bundesärztekammer oder „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ wenden, um zu erfahren, ob es in ihrer Region Ärzte gibt, die bereit wären, ihnen zu helfen.

Man ahnt, wie einschüchternd das wäre – und was für ein Eingriff in die Intimsphäre einer Frau. Sie soll sich statt an einen Arzt, eine Ärztin ihres Vertrauens in Zukunft an eine Behörde/Institution wenden. Klar, dass viele Frauen sich gar nicht trauen würden – und in der Illegalität, bei Kurpfuschern bzw. „EngelmacherInnen“ landen. Sie würden wieder riskieren, bei illegalen Abtreibungen steril zu werden oder sogar ihr Leben zu verlieren.

Doch in genau diese Richtung wurden jetzt von der schwarzroten Regierung die Weichen gestellt. Im Laufe des Januars will die Große Koalition den genauen Text der „Reform“ vorstellen – und sodann entscheidet der Bundestag. Das heißt: Es gibt noch Hoffnung!

Nazi-Gesetz:
SPD-Spitze
knickt ein!

Der 1933 von den Nationalsozialisten verabschiedete §219a war jahrzehntelang gar nicht beachtet und überhaupt nicht mehr angewandt worden. Bis so genannte „Lebensschützer“ ihn entdeckten: Sie begannen, die ÄrztInnen anzuzeigen. In den vergangenen Monaten wurden daraufhin mehrere Ärztinnen vor Gericht gezerrt und verurteilt – nur weil sie auf ihrer Homepage die Information stehen hatten, dass sie Abbrüche vornehmen. Das sei „Werbung“ für Abtreibung, lautet das Argument. Als wäre Information gleich Werbung - und als könne eine Schwangere mit „Werbung“ dazu angestiftet werden, abzutreiben.

Jetzt protestieren drei dieser Ärztinnen gegen den faulen Kompromiss der Großen Koalition. „Wir sind entsetzt und empört“, schreiben sie. Darüber, dass sie weiterhin nicht informieren dürfen, sondern in Zukunft die Frauen an staatliche Stellen verweisen müssten.

Auch das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, in dem u.a. die SPD-Frauen (AsF) und die Jusos organisiert sind, kritisiert das "Eckpunktepapier aufs Schärfste“. Es weist darauf hin, dass das Papier „leider deutlich zeigt, dass sich christliche Fundamentalist*innen und selbsternannte Lebensschützer*innen in der Bundesregierung durchgesetzt haben“.

So ist es. Von der CDU/CSU war in dieser Beziehung darum nichts zu erwarten. Die C-Parteien sind in Deutschland seit Jahrzehnten streng auf Vatikanlinie. Und nicht nur fundamentalistische Christen (Evangelikale etc.) sondern auch Papst Franziskus hat abtreibende Frauen bekanntermaßen noch jüngst des „Auftragsmordes“ bezichtigt. Für diese Leute steht ihr Glaube, bzw. ihre Ideologie über den Menschenrechten und dem Gebot der Humanität.

Regierung
kuscht vor
Vatikan

Die Grünen, die FDP und Die Linke sind für die Streichung des §219a. Sie haben bereits gegen den faulen Kompromiss der großen Koalition protestiert. Alle drei fordern weiterhin die ersatzlose Streichung des §219a.

Und die Sozialdemokraten? Die sind – mal wieder! – eingeknickt. Und das bei einer Frage, die nicht zufällig vor einem knappen halben Jahrhundert in der gesamten westlichen Welt zum Auslöser für die Frauenbewegung wurde. Zumindest die SPD-Spitzen sind eingeknickt. An der Basis aber rumort es.

Florian Post (SPD): Paragraph 219a StGB verachtet betroffene Frauen!
SPD-Abgeordneter Florian Post: Der Paragraph 219a verachtet betroffene Frauen!

So kritisierte der Münchner SPD-Abgeordnete Florian Post die SPD-VerhandlungsführerInnen für ihre „mangelnde Durchsetzungsfähigkeit“ und die bekennend gläubige Katholikin und SPD-Chefin Nahles für deren „vorauseilenden Gehorsam“. Der 37-Jährige Post veröffentlichte jetzt aus Protest gegen seine eigene Partei auf seiner Internetseite eine Liste aller bayerischen Kliniken, die einen Schwangerschaftsabbruch anbieten (Viele sind es nicht, die meisten sind in katholischer Hand).

In quasi allen westlichen europäischen Nachbarländern ist das Recht von Frauen, eine nicht gewollte Schwangerschaft in den ersten drei Monaten abzubrechen, seit Jahrzehnten selbstverständlich. Auch in einem katholischen Land wie Italien. Sogar das ultrakatholische Irland führte jüngst die Fristenlösung ein. Nur in Deutschland scheint die Stimme des Vatikan und seiner Gefolgsamen schwerer zu wiegen als die der Bürgerinnen.

Frauen wissen
selber, was
sie fühlen!

Doch das Tollste ist, dass der scheinheilige „Vorschlag der Bundesregierung zur Verbesserung der Information und Versorgung in Schwangerschaftskonfliktlagen“ unter Punkt 5 eine „wissenschaftliche Studie“ ankündigt: zur Gewinnung von „Informationen zur Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen“. Als würde über diese Fragen nicht seit Jahrzehnten eine Flut von nationalen und internationalen Erkenntnissen vorliegen! Vor allem aber: Als wären ungewollt schwangere Frauen, die nicht Mutter werden wollen, Kinder! Kinder, die nicht wissen, was sie tun und denen man sagen muss, was sie selbst zu fühlen haben.

Alice Schwarzer

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