Abtreibung: Das zweite Urteil!

Fotos: Inetti/Image/ZUMA Press; Rolf K. Wegst/Imago/epd; Mathias Roth
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Es ist nur auf den ersten Blick eine schlechte Nachricht: Auch das Gießener Landgericht hat Kristina Hänel für schuldig befunden, gegen den §219a verstoßen zu haben. Positiv formuliert heißt das: Die Gießener Ärztin ist ihrer Absicht, den §219a in Karlsruhe für verfassungswidrig erklären zu lassen, einen Schritt näher gekommen.

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Nur auf den ersten Blick eine schlechte Nachricht

Auf einen Freispruch hatte sie diesmal gar nicht gehofft, wie noch im November 2017 bei ihrem ersten Prozess vor dem Gießener Amtsgericht. Damals hielt sich die Gießener Allgemeinärztin noch für einen Einzelfall. Inzwischen ist viel passiert. Das Urteil vom November hat nicht nur eine Debatte über den §219a ausgelöst, von dem viele bis dato nicht einmal wussten, dass er überhaupt existiert. Es hat auch vielen die Augen darüber geöffnet, in welchem Ausmaß so genannte „Lebensschützer“ ÄrztInnen bedrohen – und wie gefährdet das Recht auf Abtreibung de facto auch in Deutschland ist.

Zwei Tage vor dem Gießener Urteil hatte Papst Franziskus Abtreibung mit „Auftragsmord“ verglichen. Ungewollt schwangere Frauen und ÄrztInnen wie Kristina Hänel, die ihnen zur Seite stehen: MörderInnen!

Richter Johannes Nink hatte bei der Berufungs-Verhandlung am 12. Oktober nur zwei Möglichkeiten: 1. Ihre Berufung abzuweisen. 2. Den Fall gleich ans Bundesverfassungsgericht zu verweisen.

Der Paragraf 219a bedroht alle ÄrztInnen mit Geld- oder Haftstrafe, so sie darüber informieren, dass sie Abtreibungen durchführen. Aber das, so legte Anwalt Karlheinz Merkel in der Verhandlung dar, verstoße gegen gleich mehrere Verfassungsartikel: 1. gegen die Informationsfreiheit und die Berufsfreiheit; 2. gegen das Persönlichkeitsrecht der ÄrztInnen – und 3. gegen das Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen. Hinzu kommt: Das Bundesverfassungsgericht selbst hatte in einer Entscheidung von 2006 erklärt: „Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.“

Der Papst vergleicht Abtreibung mit 'Auftragsmord'

Auch Richter Nink war offensichtlich der Ansicht, dass der § 219a abgeschafft gehört. „Als Bürger sage ich, das Gesetz möge geändert werden“, erklärte er. Da dies aber sein „eigenes politisches Ermessen“ sei, verwies er den Fall nicht direkt nach Karlsruhe, sondern bestätigte das Urteil des Amtsgerichts. Der Ärztin gab er mit auf den Weg: „Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel im Kampf für ein besseres Gesetz.“

Nun muss Hänel in die nächste Instanz, zum Oberlandesgericht. Erst dann ist der Weg frei nach Karlsruhe. Bis es so weit ist, ist der Fall §219a vielleicht auf der politischen Ebene gelöst. Die SPD hatte ihrem Koalitionspartner gedroht, zur Not gegen die Union zu stimmen, falls die das Ärzte-Knebel-Gesetz nicht gemeinsam mit den Sozialdemokraten reformiert.

Einer der beiden fanatischen Abtreibungsgegner, der in Deutschland hunderte von ÄrztInnen wegen Verstoßes gegen den §219a angezeigt hatte, wurde gerade vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in die Schranken gewiesen: Günter Annen (Foto rechts), 67, betreibt die Seite Babycaust.de. Dort vergleicht er Abtreibungen mit dem Holocaust, beschimpft ÄrztInnen als Mörder und veröffentlicht ihre vollen Namen und Adressen. Der EuGH in Straßburg entschied: Annen verursacht „Hass und Aggression“ gegen die Ärzte. Das sei in einer „demokratischen Gesellschaft“ nicht hinzunehmen.

Günter Annen vergleicht Abtreibung mit dem Holocaust

Auch in Frankfurt gibt es einen Erfolg gegen die „Lebensschützer“ zu verzeichnen. Dort hatten christliche Fundamentalisten vor der Pro Familia-Beratungsstelle die dort hilfesuchenden Frauen mit Gebeten und Gesängen terrorisiert. Dagegen mobilisierte das „Frankfurter Frauenbündnis“ und verlangte eine Schutzzone von 150 Metern – mit Erfolg. Die Stadtverordnetenversammlung stimmte – mit Ausnahme der CDU – für die Bannmeile für Abtreibungsgegner.

Nur einer ist noch nicht in die Schranken gewiesen worden: Papst Franziskus. Wie wäre es mit einer Klage wegen der Verbreitung „von Hass“? Würde passen.

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Abtreibung: Die Hatz auf ÄrztInnen

Nora Szász ist eine der ÄrztInnen, die Frauen das Recht auf Abtreibung sichert. - Foto: Bert Bostelmann
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ÄrztInnen wie Nora Szász (Foto) werden ein­geschüchtert und angezeigt. Schwangere sollen sich ­wieder schämen und zum Austragen gezwungen werden. Seit fast einem halben Jahrhundert tobt nun der Kampf in Deutschland. Hat es denn nie ein Ende? Wann endlich werden Frauen die Herrinnen ihres eigenen Körpers und Lebens sein? In Kassel hat der Prozess gegen die beiden Gynäkologinnen Nora Szász und Natascha Nicklaus begonnen - wegen Verstoß gegen den § 219a. Begleitet von Solidaritätsbekundungen von über 100 DemonstrantInnen. Das Urteil wurde wegen eines Befangenheitsantrags der Verteidigung gegen den vorsitzenden Richter vorerst verschoben. Ein neuer Termin steht noch nicht fest. Nachfolgend ein Auszug aus der September/Oktober EMMA, jetzt im Handel.

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Nora Szász ist wütend. Sie ist wütend über diejenigen, die sie und ihre Praxis-Kollegin Natascha Nicklaus im Internet als „Duo mortale“ beschimpfen. Grund: Die beiden Allgemeinmedizinerinnen führen Schwangerschaftsabbrüche durch. Das macht in Deutschland heute nur noch jedeR 15. GynäkologIn. Szász ist wütend, weil sie kürzlich erfahren hat, dass in Münster gerade der letzte Arzt, der noch Abtreibungen machte, aus Altersgründen seine Praxis geschlossen hat und es keinen Nachfolger gibt. Sie ist wütend, weil unter ÄrztInnen ein Schweige­gebot darüber herrscht, wer Abbrüche macht und das Thema Schwangerschaftsabbruch auch bei Ärztekongressen schlicht ignoriert wird.

Besonders wütend ist Nora Szász allerdings darüber, dass die Gesetzeslage es erlaubt, dass der Prozess gegen sie und ihre Kollegin überhaupt stattfinden kann. Deshalb hat sich die Frauenärztin geweigert, das zu tun, was der Staatsanwalt von den beiden verlangte: die Information, dass sie in der benachbarten Kasseler Tagesklinik einmal die Woche ambulante OPs durchführen, darunter auch Schwangerschaftsabbrüche, von ihrer Website zu nehmen. Denn Frauenärztin Szász weiß nur zu gut, dass es bei diesem Prozess nicht nur um sie selbst geht. Sondern dass es einer Entwicklung Einhalt zu gebieten gilt, die sie „sehr beklemmend“ findet: „Ich habe den Eindruck, ein Schwangerschaftsabbruch ist nicht mehr gesellschaftsfähig. Das muss heute alles wieder unter dem Siegel der Verschwiegenheit stattfinden.“ Dazu gehört auch, dass „es nicht mehr üblich ist, dass ein Arzt ausweist, dass er oder sie Abbrüche macht und dazu steht“.

Dabei spielen Ärztinnen und Ärzte bei der Frage, ob Frauen unter medizinisch korrekten Bedingungen und ohne Lebensgefahr abtreiben können, eine Schlüsselrolle. Deshalb stehen sie unter besonderem Beschuss.

Zwar ist das in Deutschland (noch) nicht wörtlich gemeint. Doch das Beispiel USA zeigt, dass die Hatz auf so genannte „Abtreibungsärzte“ tatsächlich tödlich enden kann. Seit den 1980er-Jahren haben selbsternannte „Lebensschützer“ vier Ärzte und sieben MitarbeiterInnen von Abtreibungskliniken ermordet. Darunter den Gynäkologen Barnett Slepian, den sie 1998 vor den Augen seiner Frau und seiner vier Kinder durch das Küchenfenster erschossen, weil er im Krankenhaus „Buffalo Gyn Womenservices“ auch Schwangerschaftsabbrüche vornahm. Oder George Tiller, der an einer Klinik in Kansas Spätabbrüche machte, und dem ein „Lebensschützer“ 2009 mit einem Gewehrschuss das Leben nahm, als der Arzt gerade das Kirchenblatt seiner Gemeinde verteilte. Schon 1993 hatte „Tiller, dem Babykiller“ eine Aktivistin der „Army of God“ in beide Arme geschossen. Der jüngste Vorfall: Am 27. November 2015 nahm ein fanatisierter „Abtreibungsgegner“ in einer Planned Parenthood-Klinik in Colorado Springs 24 Geiseln und erschoss einen Polizisten und zwei Zivilisten. Auf das Konto der Pro-Life-­Bewegung gehen bisher elf Morde und über ein Dutzend weitere Mordversuche. Plus: hunderte Säureattacken, Körperverletzungen sowie Bomben- und Brandattentate auf Abtreibungs-Kliniken. In Amerika spricht man in diesem Zusammenhang schon lange von einem „Anti-­Abtreibungs-Terrorismus“.

Soweit ist es in Deutschland noch nicht. Aber auch hier gibt es massive Einschüchterungsversuche gegen ÄrztInnen.

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