Prozess wegen Genitalverstümmelung

Die 13-jährige Suhair Suhair al-Bataa starb an den Folgen der OP.
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Es ist eine Premiere in Ägypten und ihr Anlass ist grausam: Weil er seine Tochter genital verstümmeln ließ, steht der Vater vor Gericht. Ebenfalls angeklagt ist der Arzt, der die Operation in seiner Praxis vornahm. Die 13-jährige Suhair al-Bataa starb im Juni 2013 an den Folgen.

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Genitalverstümmelung ist international geächtet und auch in Ägypten seit 2008 per Gesetz verboten. Nur wenn eine „medizinische Notwendigkeit“ besteht, kann sie straffrei durchgeführt werden. „Die rechtliche Situation in Ägypten ist absurd. 75 Prozent aller Genitalverstümmelungen werden von medizinischem Personal durchgeführt - und damit mit staatlichem Einverständnis“, klagt Terre des Femmes, die im vergangenen Jahr 12.000 Unterschriften für ein ausnahmsloses Verbot an die ägyptische Regierung geschickt haben. Bisher ohne Reaktion.

In der Praxis ist Genitalverstümmelung weit verbreitet, vor allem in den ländlichen Regionen. In Ägypten sind laut UNICEF 91 Prozent der Frauen und Mädchen betroffen, damit ist die Zahl mit am höchsten auf der gesamten Welt. Weltweit schätzt das Kinderhilfswerk die Betroffenen auf 125 Millionen. Oft endet die Verstümmelung tödlich. Selbst wenn die Frauen überleben, kämpfen sie mit den Folgen bis an ihr Lebensende – körperlich wie seelisch.

Doch Suhairs Vater Mohammed war das egal, als er sie in dem Heimatdorf nordöstlich von Kairo zum Arzt brachte. Wie schon zuvor ihre Schwester.

Nach Suhairs Tod zeigten die Eltern den Arzt an. Dabei hatte der 20.000 Ägyptische Pfund (etwa 2.000 Euro) angeboten, damit sie schweigen. „Ich will Gerechtigkeit für meine Tochter", verkündete damals die Mutter – ohne eigenes Schuldbewusstsein. Die ägyptischen Staatsanwälte trafen eine andere Entscheidung: Sie klagten nicht nur den Arzt, sondern auch den Vater an, wegen Verstoß gegen das Gesetz gegen Genitalverstümmelung. Der Vater leugnet seither, dass er das Mädchen verstümmeln wollte. Er habe lediglich „eine Genitalwarze entfernen lassen“ wollen.

Dagegen stehen die Aussagen anderer Familienmitglieder in Suhairs Heimatdorf. „Es war Gottes Wille“, erklärte ihr Großvater einer BBC-Reporterin. „Ohne Beschneidung sind die Frauen übervoll mit Lust“, so der Onkel. Auch die Mutter und die Großmutter sind genital verstümmelt.

Nur eine in dem Dorf sprach sich öffentlich gegen die brutale Praxis aus. Suhairs Freundin Amira, ebenfallso 13 Jahre alt. „Das ist eine sehr schlimme Sache für Mädchen. Es gibt keinen Grund dafür. Und es ist falsch, weil es gefährlich ist.“ Über Suhair, die in der Nähe ihres Elternhauses begraben liegt, sagt sie: „Sie liebte es, Witze zu machen – und sie wollte Journalistin werden.“ 

Am 19. Juli beginnt der Prozess. „Das ist ein wichtiger Schritt", sagt die ägyptische Gynäkologin Randa Fakhr Eddin, Vorsitzende der "Koalition von Nichtregierungsorganisationen gegen weibliche Genitalverstümmelung". Dem Vater und dem Arzt drohen höchstens zwei Jahre Haft oder 500 Euro Strafe.

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Der erste Text über die Genitalverstümmelung (damals hieß das noch "Beschneidung") erschien im März 1977 in EMMA. Das Thema war bis dahin total tabu gewesen. Die Kampagne gegen Genitalverstümmelung läuft bis heute.

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Waris Dirie klagt an

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An der Hand seiner Mutter geht das kleine Mädchen mit zu dem ­gewaltigen Stein, der ein wenig außerhalb des Dorfes liegt. Dort wartet die Beschneiderin und wickelt ihre Rasierklinge aus einem schmutzigen Stück Stoff. Die Fünfjährige schreit herzzerreißend, während die Mutter ihr die Beine festhält und die alte Frau ihr grausames Handwerk verrichtet.

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Zwangsheirat mit 13 Jahren
Das kleine Mädchen wird noch viele traumatische Erfahrungen machen müssen. Als 13-Jährige flüchtet sie vor der Zwangsverheiratung und kommt bei ihrem Marsch durch die Wüste fast ums Leben. Ihre Großmutter in Mogadischu schickt sie wieder fort, weil sie "Schande über ihre Familie gebracht hat". Das Nomadenmädchen wird nach London verfrachtet, wo sie im Haus ihres Onkels, eines Diplomaten, ohne Bezahlung als Dienstmädchen schuften muss. Auch von dort flüchtet sie und lebt auf der Straße, bevor sie eines Tages von dem Fotografen Terence Donovan entdeckt und ein weltberühmtes Topmodel werden wird. Aber die Szene auf dem großen Stein ist die ­erschütterndste.

Ich durchlebte den Schmerz noch einmal
Als Waris Dirie sie sich ansah, "habe ich geschrieen. Ich durchlebte den ganzen Schmerz noch einmal. Es war fürchterlich". Dennoch hat sie zugestimmt, dass auch die dunkelsten Momente ihres 44-jährigen Lebens in der Verfilmung ihrer Autobiografie "Wüstenblume", die sie co-produzierte, gezeigt werden. Denn: "Wenn es dieser Film nicht schafft, die Welt von der Ignoranz gegenüber der Genitalverstümmelung zu befreien, weiß ich nicht, wie das sonst gelingen soll."

Jeden Tag werden weltweit 8.000 Mädchen verstümmelt und ihrer Sexualorgane beraubt – auch mitten unter uns. Waris Dirie, die heute in Wien lebt und für ihr Buch "Schmerzenskinder" undercover in europäischen Groß­städten ­recherchierte, klagt: "Ich bin sehr enttäuscht von den Politikern. Es ist lächerlich, dass einige europä­ische Länder sich noch immer so schwer damit tun, ein Gesetz gegen weibliche Genitalverstümmelung zu erlassen." Zu diesen Ländern gehört auch Deutschland.

Beschneidung beim "Heimaturlaub"
Rund 5.000 Mädchen, so schätzt die Frauen­rechtsorganisation Terre des Femmes, sind hierzulande von der Genitalverstümmelung bedroht. Ihre Eltern lassen sie beim nächsten "Heimaturlaub" beschneiden – oder haben gar einen Arzt gefunden, der die Verstümmelung in einer Praxis in Deutschland durchführt. "Es gibt auch Familien, die sich zusammentun, um eine Beschneiderin aus Afrika einfliegen zu lassen", weiß Dr. Abdoul Kangoum vom "Deutsch-Afrikanischen Ärzteverein", der Aufklärung in afrika­nischen Communities betreibt.

England stellte die Genitalverstümmelung mit dem "Prohibition of Female Circumcision Act" schon 1985 unter Strafe. In Frankreich erhob 1999 zum ersten Mal ein Opfer, die 18-jährige Malinesin Mariatou, Anklage gegen ihre Eltern und die ­Beschneiderin. Hawa Gréou wird zu acht Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ging um die Welt und sendete ein klares Signal an die französischen Migranten-Communities.

Forderung: Straftatbestand
Anfang Juli 2009 verabschiedete auch Deutschland ein Gesetz, das die Verfolgung von Eltern, die ihre Töchter beschneiden lassen, erleichtert. Aber: Es ist ein halbherziges Gesetz. Zwar beschloss der Bundestag mit den Stimmen von CDU und SPD, dass künftig die Verjährungsfrist des Verbrechens, zehn Jahre, erst mit dem 18. Lebensjahr des Opfers einsetzen soll – genau wie beim sexuellen Missbrauch. Das ist ein wichtiger Schritt. Denn da die Verstümmelung in der Regel in der Kindheit geschieht, ist die Tat meist verjährt, wenn das Mädchen alt genug ist, um ­Anzeige zu erstatten.

Doch Genitalverstümmelung wurde kein eigener Straftatbestand,  wie es die Organisationen Terre des Femmes und Forward in ihrem "Nationalen Aktionsplan gegen die Genitalverstümmelung" schon im November 2008 gefordert hatten (EMMA 1/2009) und wie es auch ein gemeinsamer Gesetzentwurf von Grünen und FDP vorsah. Dabei wäre die klare Bezeichnung der Tat "ein wichtiges Signal für die Mädchen und die Eltern gewesen – und die Behörden", erklärt Franziska Gruber von Terre des Femmes. Denn auch die MitarbeiterInnen der Jugendämter, die bei der Verfolgung der "Familien­angelegenheit" oft zu zögerlich sind, bräuchten Rechtssicherheit.

Genitalverstümmelung ist Körperverletzung
Außerdem können Eltern, die ihre Töchter im Ausland beschneiden lassen, nur dann in Deutschland angeklagt werden, wenn ihr Verbrechen als "Auslandsstraftat" eingestuft ist. Das ist bei dem Delikt "Körperverletzung" jedoch nicht der Fall.

So bleibt es dabei, dass das Verbrechen weiterhin als "leichte" oder "gefährliche Körperverletzung" geahndet wird. Aber nicht nur dem Bundestag werfen Frauenrechts-Aktivistinnen Tatenlosigkeit vor, sondern auch jenen humanitären Organisationen, die sich um die Vermittlung von Patenkindern in Ländern der Dritten Welt kümmern und dabei das Problem der Genitalver-stümmelung entweder ignorieren oder es nicht mit der gebotenen Dringlichkeit behandeln. Deshalb startete gerade das "Bündnis zum Schutz von Mädchen gegen Genitalverstümmelung" die Kampagne "Patenmädchen".

Patenmädchen schützen
Potenzielle PatInnen fragt das Bündnis auf der Kampagnen-Website: "Sie denken darüber nach, eine Patenschaft für ein Mädchen in einem Entwicklungsland zu übernehmen wie sie z.B. von Organisationen wie PLAN International, WorldVision oder der Kindernothilfe vermittelt werden? Haben Sie bei den Organisa­tionen schon einmal nachgefragt, ob und wie die Patenmädchen konkret vor Genitalverstümmelung geschützt werden? Nein? Wir haben das für Sie getan und mussten feststellen, dass keine der genannten Organisationen den Verzicht auf die Verstümmelung der Patenmädchen in ihren Förderkriterien verankert hat."

Wer also die Patenschaft für ein Mädchen übernimmt, kann nicht sicher sein, dass dieses Mädchen von dem grausamen ­Ritual verschont bleibt. Das zeigt auch das Kampagnenplakat: "Ich möchte Danke sagen für den Brunnen in unserem Dorf. Danke für die Schule. Danke für die Impfungen und Danke für das weiße Kleid, das ich zu meiner Beschneidung bekommen habe."

Die kritisierten Organisationen weisen die Vorwürfe des "Bündnisses gegen ­Genitalverstümmelung" in einer gemeinsamen Erklärung zurück. "Wir teilen die Ziele der Kampagne, setzen aber auf einen partnerschaftlichen Dialog und nicht auf Druck", heißt es da.

Genitalverstümmelung als "kulturelle Eigenheit"
Es hat in fortschrittlichen Kreisen Tradition, den "kulturellen Eigenheiten" der Bevölkerung von Dritte Welt-Ländern mit "Toleranz" zu begegnen. Die Vorschläge der "Patenmädchen"-Kampagne zeigen allerdings, dass ein Kampf gegen die Genitalverstümmelung möglich scheint, ohne dass PLAN, Kindernothilfe & Co. mit kolonialem Herrschaftsanspruch auftreten. Die Strategie: Die PatenvermittlungsOrganisationen sollten vor Ort mit Initiativen zusammenarbeiten, die sich gegen die Genitalverstümmelung engagieren. Patenmädchen könnten so gezielt in Dörfern vermittelt werden, in denen bereits Aufklärungsarbeit geleistet wurde. Dies könne dann ein positives Beispiel für andere Dörfer sein.

Diese Strategie wäre ganz im Sinne Waris Diries: "Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass Genitalverstümmelung etwas so Furchtbares ist, dass es mit nichts aufgewogen werden kann – auch nicht mit sauberem Trinkwasser, Impfungen, oder Schulbesuchen", erklärt sie. "Wer behauptet, die Lebens­situa­tion von Kindern verbessern zu wollen, aber gleichzeitig versäumt, sie vor Genitalverstümmelung zu schützen, muss sein Ziel verfehlen."

Der Film "Wüstenblume" endet mit der Rede, die Waris Dirie 1997 in New York vor der UNO hielt, nachdem sie ­einige Monate zuvor in der Zeitschrift Marie Claire ihre Verstümmelung öffentlich gemacht und damit weltweit schockiert hatte. Noch im selben Jahr machten die Vereinten Nationen das Topmodel zur Sonderbotschafterin gegen die Genitalverstümmelung. Seitdem ist im Kampf gegen das grausame Ritual viel passiert. Aber noch nicht genug. Und schon gar nicht in Deutschland.

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Genitalverstümmelung - mitten in Deutschland (1/09)
EMMA-Kampagne gegen Genitalverstümmelung

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