Auf der Suche nach der Unterhose

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Annette Anton wundert sich: Dass es keine normalen Slips mehr gibt, keine Schuhe, in denen sie gehen kann – und keinen Freiraum, in dem sie nicht der Pornografisierung ausgesetzt ist.

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Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass man mittlerweile Mühe hat, eine ganz normale Unterhose zu kaufen? Also, ich meine jetzt nicht ein überdimensioniertes Baumwollmodell, für das wir uns schon als Kinder schämten, sondern einen ganz normalen, schönen Slip, der aber vorne und hinten alles ausreichend bedecken sollte. Selbst Verkäuferinnen in rührend altmodischen Wäschegeschäften breiten auf meine verzweifelte Nachfrage hin drei aneinandergenähte Gummibändel auf der Verkaufstheke aus und sagen: "Nehmen Sie doch einen String!" Gerne ergänzt durch den Satz: "Sie können so was doch tragen."
Mag ja sein, dass ich das kann, aber ich will nicht. Dabei ist der Umstand, dass String-Tangas unbequem und eine hygienische Zumutung sind, nur ein Aspekt. Wichtiger ist mir, dass ich auch in Unterwäsche mir selbst einen halbwegs würdevollen Anblick bieten und nicht wie eine Stripperin aussehen will.
Nicht viel anders ergeht es mir derzeit mit Schuhen. Während die Bequemtreter hässlich sind wie eh und je und für einen modebewussten Menschen ausscheiden, entwickeln sich schicke Schuhe hin zu etwas absolut nicht mehr Tragbarem, das es früher nur in einschlägigen Fetischläden zu kaufen gab. Absurde Absatzhöhen von 15 Zentimetern und mehr gehören mittlerweile zum "Fashionable Look" dazu.
Ich kann in hohen Schuhen sehr gut gehen und schrecke vor beträchtlichen Absatzhöhen deshalb nicht so leicht zurück, aber was momentan angeboten wird, soll gar nicht mehr dazu dienen, damit auch nur drei Schritte zu machen. Egal ob Prada, Gucci, Dolce & Gabbana, Lanvin, Balenciaga, Fendi oder Valentino - die Reihe lässt sich endlos fortsetzen -, mit den neuen Modellen aus diesen Häusern kommen Sie noch nicht einmal mehr vom Taxi bis zur Haustür. Konsequenterweise lassen die Designer ihre Schuhmode nahezu ausschließlich an Models fotografieren, die am Boden liegen. Für eine Frau wie mich, die ihr Geld nicht im Liegen verdient, ist das wenig ansprechend.
String-Tangas, extreme High Heels, lange weißlackierte Fingernägel, feucht glänzender Lipgloss, langes blondiertes, zerzaustes Haar, um mehrere BH-Größen nach oben korrigierte Brüste, Gold und Glitzer und viele weitere Versatzstücke eines grotesken Barbielooks sind zur Normalität geworden. Die Herkunft dieser Ästhetik lässt sich schnurgerade bis zum Pornofilm und ins Rotlichtmilieu zurückverfolgen.
Viele Bereiche unseres Lebens von der Werbung, über die Mode bis zu den Videoclips der Musikindustrie sind von der Ästhetik der Pornografie durchzogen, meist so konsequent - oder auch so subtil -, dass man es schon gar nicht mehr bewusst wahrnimmt. Oversexed and underfucked stehen wir unter dem Dauerbeschuss der pornografischen Zeichen. Wir haben uns an diese Pornografisierung des Alltags längst gewöhnt, die Wirkung ist deswegen aber nicht minder gewaltig.
Zudem scheint mir jüngst eine neue Schwelle überschritten, da die Porno-Ästhetik jetzt von den Dingen auch auf die Menschen übergreift; auch sie sind nun sexuell aufgeladene Symbole. Ganz normale junge Frauen wollen aussehen wie ihre Vorbilder, und diese sind die It-Girls, die Mädchen in den Musikvideos, die Pornoqueens.
Offenbar ist in den letzten Jahren etwas passiert, das der Pornografie nicht nur zu breiter Akzeptanz verholfen hat, sondern ihr auch noch Glamour verleiht. Es ist kein Zufall, dass der Porno-Schick schon vor Jahren Einzug in Hollywood hielt und inzwischen sogar die Haute Couture inspiriert. Waren die Pornodarstellerinnen früher noch auf ein seriöses Äußeres außerhalb ihrer Filme bedacht und litten unter dem Schmuddelimage ihrer Arbeit, so bemühen sich heute seriöse Schauspielerinnen um ein möglichst nuttiges Outfit und sprechen ohne Hemmungen in Interviews darüber, welche Dildos sie besitzen und wie oft sie sie benutzen, warum sie vibrierende Unterwäsche tragen und wer dafür die Fernbedienung hat.
Pornostar, die Autobiografie von Jenna Jameson, hat mühelos die Sachbuch-Bestsellerlisten erklommen, und der Erfolg von Michel Houellebecqs Romanen ist in Teilen sicher seinen eindeutigen pornografischen Szenen geschuldet. Expliziter Sex ist seit Jahren in der Kunst von Jeff Koons bis Jason Rhoades ein Stilmittel und wird auch im seriösen Film von Baise-moi bis Intimacy zum Einsatz gebracht. Egal, wie sehr dies alles kontextualisiert sein mag und egal, ob man mir erklären will, es handle sich dabei um Zitate, vielleicht sogar um ironische, es bleiben pornografische Elemente. Porno ist schick und stylish und überaus gesellschaftsfähig.
Noch nie war es so normal, sich freimütig zum Konsum von Pornografie zu bekennen, wie heute. "Was machst du am Wochenende?" - "Weiß noch nicht, vielleicht leih ich mir mit Maike ein paar Pornofilme aus". Das wäre noch vor wenigen Jahren ein undenkbarer Dialog zwischen Teenagern gewesen, wird so aber heute in Zimmerlautstärke und mit größter Beiläufigkeit im Bus auf dem Nachhauseweg von der Schule geführt.
"Mit der Brille sehe ich aus wie ein Pornostar!" sagte neulich ein vielleicht Zwanzigjähriger im Brillengeschäft am Tisch neben meinem und gab dem Optiker das Modell zurück, das er gerade probiert hatte. Der Optiker und ich schauten ihn ratlos an. Offensichtlich hatten wir beide keine Ahnung, worauf der gut aussehende junge Mann anspielte, der belustigt vom einen zum anderen sah, mit den Schultern zuckte und charmant "Stimmt doch, oder?" sagte.
Für diejenigen unter uns, die nicht wissen, wie ein Pornostar aussieht, gibt es jetzt Orientierungshilfe in Form von engen T-Shirts, auf denen in Glitzerschrift "Schlampe" oder eben tatsächlich "Pornostar" steht. Wenn also der komplette Look von blondierten Haaren mit dunklen Wurzeln über zu grellen Lippenstift bis zu den Fuck-me-shoes und den operierten Brüsten noch nicht genügend Signale aussendet, dann gibt es noch diese ultimative Form, sich sein Vorbild auf den Leib zu schreiben.
Längst hat sich in die Berufswünsche, die junge Mädchen äußern, neben "Model oder Popstar" auch "Pornostar" eingereiht, und es ist vermutlich nur noch eine Frage der Zeit, bis uns das Fernsehen neben Germany's Next Topmodel und Deutschland sucht den Superstar auch noch Germany sucht den nächsten Pornostar zumutet und wir hoffnungsvollen 16-Jährigen beim Aufbau einer Profikarriere in der Pornofilmbranche zusehen dürfen.
Der Dokumentarfilm Prinzessinnenbad gibt jedenfalls einen eindrucksvollen Einblick in das, was eine ganz normale 15-Jährige umtreibt, wenn sie den Berufswunsch "Pornostar" äußert. Es sind außer der Annahme, dass man dafür scheinbar nichts lernen oder können muss, was man nicht ohnehin schon kann, der Glamour, das leicht verdiente Geld, der schnelle Ruhm und die gesellschaftliche Anerkennung, die diese Profession erstrebenswerter erscheinen lassen als den vergleichsweise steinigen Weg von Schulabschluss und Lehre, der in einem stinknormalen Brotberuf endet.
Hätte sich Paris Hilton durch ihren ins Internet gestellten, selbstgedrehten Pornofilm 1 Night in Paris wenige Jahre vorher noch ins gesellschaftliche Aus katapultiert, so gehört dieser Auftritt heute zum massentauglichen Gesamtkunstwerk Paris Hilton zwingend dazu. Ja, mehr noch, erst durch diesen Porno ist ihr sorgfältig inszeniertes Schlampenimage perfekt geworden, denn der Film führte vor Augen, dass zum mangelnden Benehmen und der mangelnden Bildung sich auch noch ein eklatanter Mangel an Moral gesellen muss, um aus einem normalen It-Girl das Über-Luder und damit offenbar ein Role Model für viele junge Frauen zu machen.
Eine öffentliche Empörung über die pornografische Durchwirkung unseres Alltags bleibt entweder größtenteils aus oder ist komplett verlogen. Niemand will wie ein biederer Moralapostel rüberkommen, also regt sich niemand groß auf. Auch habe ich viele Frauen im Verdacht, dass sie befürchten, als uncool oder - das Schlimmste! - als prüde zu gelten, wenn sie die allgegenwärtige Pornifizierung des privaten und des öffentlichen Lebens offen thematisieren, womöglich noch anprangern oder sich vielleicht sogar dagegen wehren. Lieber begegnen sie dem Phänomen mit Ironie, "dekonstruieren" es in einem gelehrten Diskurs, oder erzählen mir, dass es heutzutage ganz passable Pornofilme für ein weibliches Publikum gibt und man die Pornografie nur verbessern müsse. Meistens gucken sie jedoch weg.
Dabei muss nahezu jede der Wegguckerinnen einen Pornokonsumenten in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld haben, wenn man sich die riesigen Gewinne betrachtet, die die Pornobranche jährlich macht. Es ist doch so einfach auszurechnen: Diese gigantische Industrie verdient mit Millionen von Männern ihr Geld. Und Sie wollen keinen davon kennen? Das ist in etwa so naiv wie anzunehmen, dass man niemanden kennt, der ab und an oder sogar regelmäßig eine Pizza isst.
Niemand muss heute mehr einen Schritt vor die Haustür tun, um Pornografie zu konsumieren. Das Internet versorgt den Nutzer mit allen nur erdenklichen Varianten, und das meiste davon ist umsonst zu haben. Vorbei sind die Zeiten, wo man als Pornokonsument wenigstens für eine kurze Zeit der Öffentlichkeit ausgesetzt war - nämlich beim Betreten und Verlassen von Pornokino, Peep-Show, Sex-Shop oder Videothek. Heute lässt sich alles problemlos auf der Arbeit, zu Hause oder unterwegs organisieren, ohne dass man groß riskieren muss, erwischt zu werden. Man braucht dazu noch nicht einmal mehr einen Computer: ein ganz normales Handy genügt. Durch die permanente Verfügbarkeit und die gesicherte Diskretion sinkt bei den meisten Männern die Hemmschwelle. Die Zahl derer, die selbst keine Kontrolle mehr über ihren Pornokonsum haben, steigt.
Pornografie verfolgt beim Benutzer keinen anderen Zweck als die Erzeugung von Erregung, meist frei von störenden Zutaten wie Handlung, Kontext, Dialog, charakterisierten Individuen. Die Botschaft, die Pornokonsumenten - also in der Mehrzahl Männer - durch Pornografie bekommen, ist die, dass Frauen keine Individuen, sondern vollkommen austauschbar sind, dass sie immer wollen, permanent zur Verfügung stehen und keinen anderen Daseinszweck haben als Sex in allen seinen Spielarten und dass sie selbst - die Männer - immer können.
Frauen sind das, was um die Körperöffnungen, die es zu penetrieren gilt, herumgewachsen ist. Dieses Drumherum - eine Ansammlung von willigem Fleisch mit blondierten Haaren, High Heels, String-Tangas, Riesenbrüsten - hat keinen anderen Sinn, als auf die Körperöffnungen überdeutlich hinzuweisen und den Weg dorthin drastisch zu verkürzen.
Der Pornofilm und die Internetpornografie vermögen die Lusterzeugungsmaschine beliebig oft und an jedem beliebigen Ort anzuwerfen, und der Konsument reagiert darauf mit Selbstbefriedigung. Die Masturbation ist dabei die einsamste und einfachste Art, wie man Sex haben kann: mit sich selbst, auf nichts als sich und die eigene Lust bezogen. Es ist aber vielleicht auch die traurigste Art.
Nichts ist schnörkelloser und expliziter als ein normaler Pornofilm, dessen Charakteristikum es unter anderem ist, dass nichts der Fantasie überlassen bleibt. Alles, jede Körperöffnung, jede Ejakulation, jedes Rein-Raus wird mit der größten Unverstelltheit und hoch- und hineingezoomter Deutlichkeit gezeigt. Das bewirkt, dass weder mit dem Verstand, noch mit Emotionen darauf reagiert werden kann, sondern ausschließlich mit Erregung.
"Das pornografische Phantasma, das sich im Video verwirklicht findet, täuscht sich - und den Zuschauer - über die fantasmatische Struktur des Szenarios hinweg. Pornografie ist die Fiktion, dass es Sex ‚einfach gibt'", schreibt Barbara Vinken in Die nackte Wahrheit und benennt damit sehr genau die Situation des Konsumenten. Der getäuschte Zuschauer ist sich der Fiktion nämlich keineswegs bewusst, sondern er wird die Lustmaschine der Pornografie in der Wirklichkeit schmerzlich vermissen. Vor allem aber wird er im richtigen Leben Frauen vorfinden, die mehr sind und mehr von ihm verlangen als seine Wichsvorlagen. Seine Umgebung ist zwar ein einziges aufgeladenes und knisterndes Zeichenfeld, aber niemand agiert wie in seinen Filmen. Oder wenn, dann will sie Geld dafür und nicht zu wenig.
Pamela Paul hat in ihrem Buch Pornified in persönlichen Interviews, aber auch in Chat-Foren jede Menge O-Töne von (vorwiegend männlichen) Pornokonsumenten gesammelt, für die Masturbation vor dem Computer die einzig wünschenswerte Form von Sex geworden ist. So sagt beispielsweise ein gewisser Frank: "Ich weiß nicht, wie irgendein Mann, der Pornografie mag, auf die Idee kommen kann, tatsächlicher Sex sei besser, vor allem, wenn er mit dem ganzen Scheiß einhergeht, wenn man eine echte Frau in seinem Leben hat."
Die "echte Frau" und ihr "ganzer Scheiß" sind natürlich ein Problem, wenn man an die eigene Sexualität keine anderen Ansprüche mehr stellt als die reine Triebabfuhr. Pornografie, so eine weitere Erkenntnis, die Pamela Paul aus ihren Befragungen gezogen hat, bietet Sex ohne Forderungen, Leistungsdruck und Zurückweisung. Im Pornofilm beschwert sich keine Frau, keine sagt je Nein und keine will danach reden.
Pauls Interviews förderten bei vielen langjährigen oder exzessiven Pornokonsumenten das Bekenntnis zutage, dass sie in der Zwischenzeit nicht mehr in der Lage waren, mit ihren Frauen oder Freundinnen zu schlafen. Deren Körper erregten sie nicht mehr; es missfiel ihnen, dass sie nicht alles mit sich machen lassen wollten; es dauerte viel zu lange, bis sie selbst oder ihre Partnerinnen zum Orgasmus kamen. Das Resultat waren meist Erektionsstörungen, aber auch Trennungen und Scheidungen. Um sich wieder wie "ganze Männer" zu fühlen, wandten sie sich erneut verstärkt der Pornografie zu, dem "iPorno", wie einer der befragten Männer es resigniert nannte.
Und was machen die Frauen? Viele reagieren darauf, indem sie sich ins Warenangebot der Pornografie einfach einreihen. Das fängt mit Styling und Kleidung an und hört bei Brustvergrößerungen und Fettabsaugungen noch lange nicht auf. Sogar in deutschen Kleinstädten können Frauen Pole-Dancing-Kurse besuchen, die aus jedem Muttchen binnen zehn Abenden eine passable Stripperin an der Stange machen, und nahezu jede Frauenzeitschrift gibt Ihnen heutzutage Sextipps, die Sie bei sorgsamer Befolgung recht rasch zu einer Professionellen im eigenen Ehebett werden lassen.
Wem das nicht reicht, kann es halten wie Kate Moss oder Christina Aguilera. Die begleiten ihre Kerle in Strip Clubs, wo sie ihnen generös einen Lap Dance spendieren. Die Botschaft an Hunderttausende junge Frauen, die sich Lindsay Lohan, Paris Hilton, Kate Moss, Christina Aguilera, Kate Hudson und andere Stars zu Rollenvorbildern auserkoren haben, lautet: Seid nicht spröde, Mädels, sondern macht einfach mit, wenn eure Freunde sich Pornografie reinziehen wollen. Ihr seid doch nicht womöglich verklemmt oder frigide Zicken? Geht mit in die Table Dance Bars und überrascht die Jungs, indem ihr den Stripperinnen ebenfalls Geldscheine in den Slip steckt. Seid einfach noch geiler und noch mehr Macho als die Typen, dann seid ihr richtig cool.
Aber das Gegenteil ist der Fall: Wer mitmacht, um sich keine Blöße zu geben oder um nicht plötzlich als biederer Sexmuffel dazustehen, ist nicht richtig cool, sondern richtig blöd. Vielleicht lässt sich gegen die Pornografisierung des Alltags wenig ausrichten, gegen die Pornifizierung der eigenen Person aber eine Menge.
Wenn Sie sich in zwickenden Stringtangas unwiderstehlich finden und um der Sexiness willen gerne auf 15 Zentimeter hohen Absätzen einen Knöchelbruch riskieren, dann tun Sie das. Denn alles andere wäre ja auch ein Krampf. Allerdings sollten Sie nicht vergessen, welche Signale Sie damit geben.
Annette Anton, EMMA 5/2007

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