Armatrading on Tour: Flieg mit mir!

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Joan, die Legende sagt, dass du schon als kleines Mädchen Profi-Musikerin werden wolltest. Deine Eltern waren gerade von der Karibik-Insel St. Kitts nach Birmingham gekommen.
Ja, und meine Mutter hatte ein Klavier gekauft und es ins Wohnzimmer gestellt, weil es so ein schönes Möbelstück war. Ich hab mich einfach rangesetzt und angefangen, kleine Melodien zu spielen. Ich hatte keinen Unterricht, es ging einfach so und fühlte sich ganz natürlich an. Mit der Gitarre lief es so: Mein Vater hatte eine und versteckte sie vor mir. Aber gerade weil er sie versteckte, wollte ich erst recht darauf spielen. Ich habe dann eine Gitarre in einem Pfandhaus gesehen. Die kostete drei Pfund und ich fragte meine Mutter, ob ich sie haben könnte. Sie sagte: „Wir haben keine drei Pfund.“ Sie hat dann zwei alte Kinderwagen dafür geboten – und so habe ich meine erste Gitarre bekommen. Aber auch mein Vater war dann später stolz auf mich, als ich als Musikerin Erfolg hatte.

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Stimmt es, dass du mit 16 deinen ersten Job verloren hast, weil du deine Gitarre immer mit zur Arbeit genommen hast?
Nicht ganz. Ich habe meine Gitarre tatsächlich mit zur Arbeit genommen, und der Boss des Betriebs hat mich gefragt, ob ich seiner Tochter Gitarrenunterricht geben würde. Darüber hat sich meine Vorgesetzte geärgert, weil sie mich auch gefragt und ich Nein gesagt hatte. Deshalb hat sie mich rausgeschmissen.

Obwohl es inzwischen viele Gitarristinnen gibt, hast du trotzdem eine Sonderstellung: Als E-Gitarristin, die nicht nur den Rhythmus macht, sondern auch Riffs und Soli spielt. Das kennt man sonst nur von Männern – und von Patti Smith.
Naja, es gibt schon noch mehr Frauen, die das tun. Eine, an der man nicht vorbeikommt, ist zum Beispiel die amerikanische Rhythm-and-Blues-Sängerin Bonnie Raitt. Aber ich fände es wunderbar, mehr Gitarristinnen auf den Bühnen zu sehen. Ich habe ab meinem zweiten Album auch E-Gitarre gespielt. Aber die Leute glauben nie, dass ich die Gitarristin bin. Als mein Album „What’s inside“ 1995 herauskam, hat die Plattenfirma in Musikerkreisen herumgefragt: „Wer spielt wohl das tolle Solo in ‚Lost and Love’?“ Die Leute haben auf alle möglichen Gitarristen getippt: Brian May, Mark Knopfler … Aber niemand kam auf die Idee, dass ich es selbst gespielt habe (lacht). Sowas passiert bis heute.

Spielst du auf deinem neuen Album „This Charming Life“ wieder alle Instrumente selbst?
Bis auf das Schlagzeug – ja! Und auch die Aufnahmen mache ich allein. Ein Tontechniker kommt erst für die Mischung dazu.

Warum arbeitest du so gern solo?
Zunächst mal, weil ich es kann (lacht). Und dann, weil ich es liebe, zu komponieren und zu arrangieren. Ich höre den Song in meinem Kopf und muss niemandem erklären, warum ich mir den Sound so und nicht anders vorstelle. Diesen Prozess genieße ich sehr. Ich habe übrigens schon auf meinem allerersten Album, das 1972 erschien, Keyboards, verschiedene Gitarren, Harmonium und noch ein paar andere Instrumente gespielt.

Diese Art, ein Album allein zu produzieren, dürfte gerade für einen weiblichen Musiker untypisch sein …
Sehr untypisch!

… denn Frauen neigen bekanntlich dazu, an sich zu zweifeln.
Ich wusste schon immer, was ich wollte. Auch als ich noch mit Produzenten gearbeitet habe, konnte mir niemand erzählen, wie meine Songs zu klingen hätten. Typisch weiblich ist aber auch bei mir, dass ich vor der Arbeit an einer neuen CD erstmal das Studio putze (lacht). Ich brauche das: Dass alles sauber ist und glänzt. Das macht meinen Kopf klar. 

Es war und ist für junge Frauen ziemlich unüblich, sich in den Job der Produzenten einzumischen. Woher hast du damals in den 70ern den Mut dazu genommen?
Wenn du ein Lied schreibst, dann bist du der Mensch, der am besten weiß, wie es am Ende klingen soll. Und ich dachte: Wenn ich den Song nicht arrangiere, dann macht es der Produzent oder der Schlagzeuger oder der Bassist. Warum also nicht gleich ich? Und ich hatte nie ein Problem, das zu kommunizieren. Der erste Produzent, mit dem ich in den 70ern gearbeitet habe, war Gus Dudgeon, der auch viele Elton John-Alben produziert hat. Er hat schnell kapiert, dass ich wusste, was ich tue.

Du bist längst eine Klassikerin – und wirst im nächsten Jahr 60.
Ja, und ich sehe doch nicht schlecht aus, oder (lacht)? Gut, ich habe vielleicht etwas zugenommen, aber das ist ja eher gesund. Und ich fühle mich immer noch so leidenschaftlich und frisch und der Musik genau so verbunden wie bei meiner ersten Platte. Ich habe Ideen und meine Stimme klingt auch noch gut. Also gibt es für mich überhaupt keinen Grund, mich nicht mehr auf die Bühne zu stellen. Tom Jones tut das auch. Der ist schon über sechzig und klingt phänomenal!

Tom Jones ist ein Mann. Der darf älter werden.
Das Problem ist, dass unsere Gesellschaft Männern erlaubt, zu sein, was immer sie sein wollen. Jeder hässliche und schlecht angezogene Mann, der eine junge schöne Frau vorbeigehen sieht, denkt doch, dass er die haben kann. Und wir erlauben ihnen diese Art von Selbstüberschätzung, ganze Generationen sind so geprägt. Bei Frauen ist es umgekehrt. Die denken immer, sie wären nicht gut genug, sähen nicht gut genug aus oder wären zu alt. Aber das wird sich ändern.

Madonna hingegen wird ja auf eine etwas bizarre Weise älter. 
Ich sage jetzt nichts dazu, wie Madonna älter wird. Aber was ihre Rolle als Musikerin angeht, da ist sie immer noch top. Sie hat eine tolle Popstimme und großartige Songs mit einem sehr modernen Sound. Diesen Teil ihres Jobs macht sie wirklich gut.

Du bist Präsidentin der Stiftung „Women of the Year“. Nach welchen Kriterien vergebt ihr eure Auszeichnung?
Es geht uns nicht um Berühmtheit – auch wenn wir den Preis mal an Tina Turner vergeben haben – sondern um soziales Engagement für Frauen. Zum Beispiel haben wir Sara Payne und Shy Keenan ausgezeichnet, die als Mädchen missbraucht wurden und acht Jahre lang für „Sara’s Law“ kämpften: Eltern können jetzt die Sexualstraftäter-Register einsehen und sehen, ob ein Sexualstraftäter in ihrer Nähe wohnt. Oder Tabitha Khumalo, die in Zimbabwe dagegen protestiert hat, dass der Verkauf von Tampons und Handtücher nicht länger beschränkt werden darf, weil die unhygienischen Zustände und Infektionen dazu führen, dass sich die Frauen mit HIV infizieren. Tabitha wurde dafür inhaftiert und von 28 Männern vergewaltigt. Doch sie macht trotzdem weiter.

Was antwortest du jemandem, der behauptet: Wir brauchen im Jahr 2010 doch keine speziellen Preise für Frauen mehr?
Es gibt ja de facto viele Preise von Männern für Männer, mit denen sie sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und sagen: „Junge, du bist gut!“ Wir Frauen brauchen uns nicht dafür zu entschuldigen, wenn wir das auch tun. Wir leben ja durchaus immer noch in Zeiten, in denen wir die Menschen daran erinnern müssen, dass Frauen nicht nur Hausfrauen sind, sondern wichtige Dinge in der Welt tun.

www.joanarmatrading.com

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