Isss ja guuut, Frau Merkel!

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Ein Moderator talkt mit der mächtigsten Frau in der Politik und dem mächtigsten Mann in der Politik. Und eine Medienwissenschaftlerin analysiert die beiden Gespräche nach allen Regeln ihrer Kunst. Heraus kommt ein Ergebnis, das nicht wirklich überraschend, aber doch krass ist.

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Schon als junge Sprachwissenschaftlerin interessierte mich die Frage, wie Macht kommuniziert wird. Ich stellte mir Fragen wie: Auf welche Weise gelingt es Frauen, die qua sozialer Rolle und Position über Macht verfügen, in Gesprächen Status zu etablieren? Welche Mechanismen lassen sich erkennen? Verwenden mächtige Frauen andere Mechanismen als Männer in vergleichbaren Rollen?
Vor vielen Jahren befasste ich mich in meiner Abschlussarbeit im Studienfach Linguistik mit der minutiösen Detailanalyse eines TV-Gesprächs zwischen zwei Größen des deutschen Journalismus: Alice Schwarzer und Rudolf Augstein. Titel: „Ich sag Ihnen auf den Kopf zu …“. Das Dilemma autonomer Sprecherinnen. Nun, Jahre später, erlebe ich wieder zwei Fernsehgespräche: „Die mächtigste Frau Deutschlands“ apostrophiert der Werbevorspann: Beckmann interviewt die CDU-Vorsitzende und potenzielle Kanzlerkandidatin Dr. Angela Merkel. Einige Wochen zuvor hatte derselbe Journalist den qua Amt mächtigsten Mann Deutschlands, den amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder zu Gast. Der Unterschied zwischen diesen beiden Ereignissen ist krass, auch wenn das Resultat nicht wirklich überraschend ist.
Wo Beckmann bei Schröder politisiert, psychologisiert er bei Merkel. Die „mächtigste Frau Deutschlands“ wird vorgeführt. Beckmann behandelt sie nicht nur mit der von ihm als Markenzeichen kultivierten Respektlosigkeit, sondern mit spöttischer, geradezu infamer Verächtlichkeit. Frage auf Frage werden explizite oder implizite Angriffe geritten; fragend transportiert der Interviewer Unterstellungen, Abwertungen, diffamierende Zitate Dritter; verpackt er Übergriffe ad personam in Frageform („Sind Sie wirklich hochbegabt oder bloß eine kleine Streberin?“) Es geht Schlag auf Schlag, der Interviewer legt Minen; die Interviewte bewegt sich in vermintem Terrain.
Wir erleben Angela Merkel als ein überaus faires, anständiges Gegenüber, aber auch als nervtötend brave Gesprächspartnerin; ständig in die Defensive gedrängt, sich permanent rechtfertigend, wacker bemüht zu beweisen: Nein, nein, die Macht hat mich nicht vermännlicht! Doch, doch, als Frau bin ich schon sympathisch! Nein, nein, ich bin nicht bloß deshalb zu dieser Macht gekommen, weil ich eigentlich schon vorher als Frau nicht richtig war!
Ganz anders Schröder. Ihm gegenüber spielt der Interviewer nicht die Rolle des süffisanten, herablassenden Provokateurs. Der Bundeskanzler interessiert auch nicht als Mann. „Der persönliche Effekt“, der ‚human touch‘, den Beckmann so gern verkauft, wird hier aus anderen Quellen geschöpft: Familie, Haustier, Sport, Männerfußball natürlich. Schröder gegenüber tritt Beckmann als vorwitziger Lausejunge auf, als einer, der keck und vorlaut mit einem Mann der Macht fraternisieren möchte.
Selbstverständlich aber gibt der Interviewer dem Interviewten Raum zur Selbstdarstellung, bereitet diensteifrig das Terrain, auf welchem Schröder dann gönnerhaft nachsichtig, gelegentlich milde rügend oder scherzhaft tadelnd, kumpelhaft lachend oder bedächtig schwadronierend den ‚Kanzler zum Anfassen‘ geben kann; den mächtigen, aber volksnahen Politiker, bei aller Autorität „uneitel, aber durchaus selbstbewusst“ (O-Ton Schröder).
Die Schröder-Inszenierung lässt keine plumpe Platitüde aus: Der Hund der Familie, namentlich benannt, mit Mützchen auf dem Kopf fotografiert, in die Kamera gehalten; die Verknüpfung mit dem Engagement der jungen Ehefrau; die falsch bescheidene Erwähnung Schröders, dass sie es aber eigentlich gar nicht möge, wenn ihr Mann öffentlich über ihre Arbeit rede; das kleine adoptierte Mädchen, mit Namen genannt; das häusliche Bücher-Vorlesen, die schöne Vorlesestimme des Kanzlers; das Grab des (unbekannten) Vaters, der Verlust des Freundes. Ja, selbst noch ein Rilke-Gedicht darf Schröder rezitieren, bedächtig, von unten in die Kamera blickend. „Ich rücke zur Seite, Herr Bundeskanzler!“, ruft Beckmann eilfertig und rückt mit seinem Stuhl vom Tisch weg, um der Kamera die großformatige Totale zu ermöglichen.
Beckmann gibt Schröder eine „große Steilvorlage“ nach der anderen: Schröder wird eingeladen, über seine Fußballbegeisterung, seine Freundschaft mit Putin, seinen entspannten Umgang mit „Dschortsch Dabbelju“ Bush, seine milde Verachtung für Stoiber, die Belanglosigkeit seiner schwachen Englischkenntnisse angesichts der „Kompliziertheit und Komplexität“ seiner intellektuellen Leistungen zu schwadronieren. Er belehrt und ‚informiert‘ über 1001 Plattheit, lacht und lächelt viel. Beckmann stimmt immer ein. Der Alte und der Junge, so suggeriert die Dramaturgie, die beiden haben’s locker und lustig miteinander.
Als Krönung und Gipfel des Zynismus arrangiert Beckmann zum Schluss der Sendung eine kleine Unterhaltung zwischen dem Kanzler und dem vor wenigen Monaten durch einen Unfall querschnittgelähmten, jungen, ostdeutschen Sportler Ronny Ziesmer. Schröder, der jegliche Kritik an der Hartz IV-Politik zuvor mit der Arroganz der Macht ungerührt abgeblockt hatte, findet joviale Worte der Anerkennung für die Kraft und den Willen des jungen Menschen, fertig zu werden mit einem „Schicksal, das man sich so nicht vorgestellt hat“. Und Ziesmer freut sich, dass es solche Politiker gibt, die wie normale Menschen sind, „mit denen man sich unterhalten kann“.
Demgegenüber nimmt sich die Demontage Merkels schon atemberaubend anders aus. Hier rückt Beckmann nicht zur Seite, um der Politikerin eine derartige Selbstdarstellung zu ermöglichen, er gibt ihr weder Raum noch Steilvorlagen zur Selbstinszenierung. Er rückt ihr auf die Haut, drängt sie in die Ecke, tritt ihr entschieden zu nahe. Tatsächlich nimmt er auch physisch über weite Teile des Gesprächs mit vorgestreckten Armen mehr als die Hälfte des Tisches zwischen sich und ihr ein.
Beckmann setzt Merkel als Person herab, macht sie lächerlich, treibt sie in die Defensive. Ihm gelingen nahezu alle Unterbrechungsversuche, und er unterbricht systematisch. Er lanciert, indem er fortwährend Diffamierungen zitiert, das Bild einer DDR-traumatisierten, kommunikativ unfähigen, freudlos-blutarmen, hyper-intellektuellen Frau, die nicht mit Männern kann: „Können Sie mit Frauen besser als mit Männern?“/„Warum gelingt es Ihnen nicht, Menschen mit Kompetenz um sich zu scharen?“/„Gibt’s ‘n Typ von Mann, wo Sie sagen, das ist was, was mir gefällt?“.
Der krönende Abschluss der Merkel-Sendung: Der Hof-Couturier der Queen, Karl Rehse, präsentiert zwei Farbentwürfe, jeweils züchtiger Rock mit farblich abgestimmtem ebensolchem Oberteil, die demonstrieren, wie er die Parteivorsitzende kleiden würde. Merkel darf sich höflich distanzieren und die Farbwahl loben. Die Dramaturgie der Sendung setzt auch hier wieder gekonnt auf die freien Assoziationen des Publikums.
Mitten im Gespräch lässt Beckmann Männerfotos an die Wand projizieren („Wir haben Männer für Sie ausgesucht!“): Als erstes Brad Pitt („Ist wieder frei seit ‘n paar Tagen. Wie finden Sie den?“), dann Albert Einstein („Ist der sexy?“), Jürgen Klinsmann, Michael Glos, Merkels ersten Stellvertreter („Das ist doch mal ‘n Kerl!“), und dazu ein Glos-Zitat: „Von einsamen Entscheidungen sollte Angela Merkel mal Abstand nehmen, sollte mehr Teamgeist zeigen, sollte den rivalisierenden Männern mehr trauen“. Zuguterletzt ihren Ehemann, Joachim Sauer („Noch ein interessanter Mann, wenn wir grade bei Männern sind … wie ist der? … schicker Mann!“).
Können wir uns Frauenfotos, für Schröder an die Wand projiziert, vorstellen? Mit Kommentaren wie: ‚Ist die sexy?‘ ‚Wie gefällt Ihnen die?‘; ‚Wieder frei seit ‘n paar Tagen!‘.
Anders als im Gespräch mit Schröder ist bei Merkel nun Beckmann der Herablassende. Gnädig spendet er ein Kompliment („Sie haben ein wunderhübsches Lächeln, Frau Merkel“), nur um, nachdem Merkel für einmal souverän Paroli bietet („Ja, das ist aber bekannt!“) sofort wieder zu deckeln: „Aber ein bisschen mehr könnte es schon sein.“
Wo dem Einen Raum gegeben und das Terrain bereitet wird („Ich rücke zur Seite, Herr Bundeskanzler!“), wird der Anderen massiv der Raum beschnitten: „Iss ja guut, Frau Merkel!“ ruft Beckmann, als sie mit erhobener Stimme einen seiner Unterbrechungsversuche abwehren will – und unterbricht sie.
Aber wahr ist auch: Die mächtige Politikerin ermächtigt sich nicht, angesichts der Strategien und Mechanismen, die ihren Status demontieren. Sie unterwirft sich den von Beckmann eingeführten Spielregeln, verteidigt sich mühsam als Frau. Merkel ratifiziert all diese Mechanismen verbaler Status-Demontage. Es gelingt ihr nicht, sich zu verwahren; nicht, zu rügen; nicht einmal, die zahllosen Unterbrechungen abzuwehren. Es gelingt ihr nicht, das vorwitzige Journalistchen an seinen Platz zu verweisen. Nur in wenigen kurzen Sequenzen erleben wir die versierte Spitzenpolitikerin, die Parteivorsitzende. Ansonsten wehrt sie sich als Frau. Sie wird ja auch angegriffen als Frau.
Merkels ‚konversationeller Stil‘ ist fair, offen, differenziert, beherrscht. Sie verhält sich in ihrem ‚verbalen Handeln’ ehrenwert. Und in anderen Kontexten wäre dieser Stil auch durchaus fruchtbar und angemessen. Im Kontext eines Medienereignisses wie diesem ist er unangebracht und selbstgefährdend. Merkel hätte hier ein anderes Register ziehen können bzw. müssen. Denn, wenn die Schönheit im Auge des Betrachters liegt, dann ist die Wahrnehmung der Mehrheit der FernsehzuschauerInnen eine patriarchal kontaminierte: In einem solchen Setting, wo ein Interview zur Kampfhandlung wird, reduziert sich die Wahrnehmung primär auf die Kategorien: Sieg und Niederlage, Gewinner und Verliererin.
Schon vor vielen Jahren haben Wissenschaftlerinnen damit begonnen, solche „konversationelle Politik“ aufzudecken, Kategorien zu entwickeln, Mechanismen zu identifizieren, zu klassifizieren, von den groben (Unterbrechungen, Länge und Anzahl von Redebeiträgen etc.) bis hin zu den subtileren (Sprechhandlungen, floor-holding, Gesichtsbedrohung etc.). Und doch scheinen den „Frauen an der Macht“ noch immer keine BeraterInnen oder hinreichende Instrumentarien zur Verfügung zu stehen, mit denen sie sich für bestimmte „konversationelle Ereignisse“ spezifisch und gezielt wappnen können.
Doch allein sind sie verloren. Denn diese „Frauen der Macht“ sind noch nicht zahlreich genug, um in den Höhen, in die sie vorgestoßen sind, in der dünnen Luft eine veränderte Gesprächskultur verankern zu können. Dringend vonnöten aber ist es, flugs andere Register ziehen zu können, wann immer, und immer noch, und immer wieder, irgendwer daher kommt und zu demonstrieren gedenkt, dass „mächtig“ und „weiblich“ sich nicht gut vertrage. Es gehört nicht zur Kür, sondern ins Pflicht-Repertoir einer jeden öffentlich (und nicht-öffentlich) agierenden Frau, sich hiergegen zu verwahren: Jeden auf seinen Rang verweisen zu können, der das auch nur versucht.

Birgit Kienzle, EMMA März/April 2005
Die Autorin schrieb ihre Magisterarbeit, betreut von der Linguistin Professorin Senta Trömel-Plötz, über das Gespräch zwischen Rudolf Augstein und Alice Schwarzer, das im Januar 1984 im 3. Programm des WDR ausgestrahlt wurde (siehe EMMA November/Dezember 1993). – Die Gespräche von Beckmann mit Merkel und Schröder liefen am 22.11.2004 (Gerhard Schröder) und am 10.1.2005 (Angela Merkel). – Alice Schwarzer über den Merkel-Effekt, anlässlich ihrer Wahl zur CDU-Parteivorsitzenden im April 2000.

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