Rudolf Augstein: Zum 70sten! "Ach

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Am 5. November 1993 wird Rudolf Augstein 70. Wir gratulieren! Als Gründer und Herausgeber des Spiegel ist der Kollege seit 46 Jahren eine der zentralen Figuren in den deutschen Medien. 20 Jahre lang war er Vorbild einer kritischen JournalistInnen-Generation. Dann überholten ihn die 68er und die Frauenbewegung. Augstein und sein Blatt ließen wenige Gelegenheiten aus, in Sachen Feminismus tief zu schlagen, ganz tief. Klar, dass er der erste ‚Pascha’ in der Geschichte von EMMA war. Seither überwucherte die Spiegel-Bürokratie den zwischen Non-Konformismus und Establishment Schwankenden noch stärker. Immer rarer werden die Momente der Wahrheit in seinen Kolumnen. Aber immerhin, es gibt sie noch. – Am 14. Januar 1984 arrangierte der WDR eine TV-öffentliche Begegnung zwischen Augstein und Schwarzer. Ein Gespräch zwischen zwei Menschen sollte es werden. Ein Dokument der Männlichkeit und Weiblichkeit wurde es – meinen die Linguistinnen, die unter Anleitung von Prof. Senta Trömel-Plötz die Sendung ein Seminar lang analysierten. Ihre exemplarische und aufschlussreiche Analyse der öffentlichen Begegnung publizierte die Sprachwissenschaftlerin damals im Medium. Beide Kontrahenten kriegten darin ihr Fett ab. Aus gegebenem Anlass bringen wir jetzt eine stark gekürzte Fassung.

Ich stelle mir folgende Szene vor: Augstein hat sich bereitgefunden, mit einem schwarzen Südafrikaner, sagen wir Desmond Tutu, ein Gespräch zu führen. Dieser will um das Verständnis Augsteins für die Situation der Schwarzen in Südafrika werben. Seine Annahme ist anscheinend, dass, wenn Augstein die Lage der Schwarzen verstehen würde, etwas für sie gewonnen wäre. Aber Augstein lehnt sich gönnerhaft herablassend zurück, nimmt einen Schluck Wein zu sich und sagt ihm lächelnd ins Gesicht: „Warum sollt ihr für euch ohne Kampf etwas kriegen, das ist doch Unsinn.“

Der Schwarze: „Wir kämpfen schon genug.“

Darauf Augstein: „Gut, dann kämpft weiter so, und als gute Kämpfer seid ihr uns sympathisch, aber verlangt doch nicht von uns, dass wir auf unsere Kosten etwas erstreben, das tun wir nicht.“

„Nee, das ist mir schon klar“, wirft der Schwarze ein, „Privilegien gibt man nie freiwillig ab ...“

Und Augstein fährt fort: „Ihr tut, was ihr wollt und was ihr glaubt, tun zu müssen. Wir tun, was wir wollen und was wir glauben, tun zu müssen. Und so werden wir weiter miteinander leben – wir leben doch ganz gut miteinander.“

Ich stelle mir vor, wie sich der Schwarze fühlt: verhöhnt vom Mächtigen, der fett und voll oben sitzt, auf ihn herunterschaut und ihn zynisch auffordert: Kämpf nur und sieh, wie weit du damit kommst; freiwillig gebe ich nichts ab von meinem Besitz und meiner Macht. Doppelt erniedrigt, weil er mit positiven Erwartungen auf Augstein zugegangen war uns nun auch von ihm in diesem Gespräch unterdrückt und niedergehalten wurde. Enttäuscht über die Inhumanität in einem Mann, von dem er eine Identifikation erhofft hatte. Erschüttert über dessen Unsensibilität gegenüber einem anderen Menschen in einer anderen Haut. Ich stelle mir vor, welche Gedanken dem Schwarzen durch den Kopf gehen: Wenn so ein Mann redet, von dem ich Engagement´, Menschlichkeit, Verständnis erwartet hätte, wie wäre es erst, wenn ich mit anderen redete, mit Gegnern, mit Uneinsichtigen, mit Dummen? Ist Augstein nur eine Ausnahme, oder könnte ich die gleiche Menschenfeindlichkeit bei jedem weißen Mann sehen, mit dem ich auch nur eine Stunde über meine Situation als Schwarzer rede? Würde sich nach den anfänglichen Beteuerungen immer das abgrundtiefe Desinteresse an meiner Unterdrückung, die Gleichgültigkeit gegenüber meinem Leiden zeigen?

Dies ist nur eine Phantasie. Angeregt wurde ich zu dieser Phantasie durch ein Gespräch zwischen Alice Schwarzer und Rudolph Augstein, das der WDR Anfang 1984 ausstrahlte. In diesem Gespräch sagte Augstein wörtlich, was Augstein in meiner Phantasie sagt, und Schwarzer sagte wörtlich, was der Schwarze in meiner Phantasie sagt. Dieses Gespräch verdient weite Publizität.

Für mich ist das Gespräch aus vielen Gründen erschütternd. Ich sehe Schwarzer verantwortlich für den Fortgang des Gesprächs, sehe sie die Arbeit im Gespräch leisten, während Augstein sich zurücklehnt und sie arbeiten lässt, ohne sich einen Moment Gedanken über ihre Situation als Gesprächspartnerin zu machen. Er gibt ihr die Ehre, mit ihm zu sprechen, und ist unverfroren und selbstgefällig genug, ihr das explizit zu sagen. Ich sehe Schwarzer sich vergeblich abmühen, diesem Mann auch nur den kleinsten Funken Empathie für Frauen abzubringen, aber wie sie es auch versucht, ob über seine Lebensgefährtinnen, über seine Kinder, über Schwarze, die Identifikation mit Unterdrückten, seien sie ihm näher oder ferner, bleibt aus.

Aus der Machtposition des Stärkeren heraus ist kein Verständnis möglich – es ist nicht seine Haut, er ist nicht betroffen, Frauen interessieren ihn nicht. Eine Schicht nach der anderen wird aufgedeckt und legt die Frauenfeindlichkeit Augsteins bloß – das ist die Leistung Schwarzers in diesem Gespräch – bis zum innersten Kern, der nichts anderes ist als schlichte Frauenverachtung. Schwarzer, für die Augstein ein Idol, ein Vorbild war und die nicht so leicht aufgibt, ist am Ende des Gesprächs gezwungen, ihre positiven Erwartungen an Augstein, mit denen sie in das Gespräch gegangen sein muss, aufzugeben. Sie sagt: „Ich sehen sie unerschüttert, um so mehr sehen sie mich erschüttert.“ Augstein antwortet: „Das freut mich.“

Das Schwarzer/Augstein-Gespräch interessiert mich als politisches Ereignis, das heißt, die konversationelle Politik, die hier inszeniert wird. Ich greife bei meiner Analyse drei Fragestellungen aus vielen möglichen heraus: die Dominanz Augsteins über Schwarzer, die verbale Kompetenz Schwarzers gegenüber der Inkompetenz Augsteins und die Menschenfeindlichkeit Augsteins. Diese drei Komponenten sind mitverantwortlich dafür, dass Augstein den Feminismus als eine der wichtigsten sozialen Bewegungen unserer Zeit nicht versteht.

Dass einer im Gespräch den Ton angibt, dominiert, die andere beherrscht, ist nicht einfach von vornherein gegeben. Bestimmte Unterschiede in den Gesprächsteilnehmenden legen natürlich nahe, wer die Dauer des Gesprächs, den Inhalt, den Verlauf, das Ergebnis mehr bestimmen wird, wer mehr zu sagen hat, zum Beispiel, in einem Gespräch zwischen Schülerin und Rektorin, Patient und Chefarzt, Journalistin und Ministerin, Sohn und Vater. Unsere Erwartungen müssen sich aber nicht bestätigen: Wer dominiert und ob überhaupt jemand dominiert, wird in jedem Gespräch neu ausgehandelt und hergestellt. Die Dominanz oder die Nicht-Dominanz, also Gleichrangigkeit, werden für jedes Gespräch neu produziert. Ein Gespräch zwischen Gleichrangigen wird hergestellt, wenn das Gesprächsverhalten unter den Teilnehmenden ziemlich symmetrisch ist: Wenn beide Seiten das gleich Interesse an dem Gespräch zeigen und sich gleich verantwortlich für sein Gelingen fühlen, wenn beide Seiten sich gegenseitig respektieren und sich gleiche Rechte zugestehen. Das Recht zum Beispiel, ernstgenommen und gehört zu werden, ausreden zu dürfen, eine Antwort auf eine Frage zu bekommen oder nicht unnötig abgelenkt zu werden. Wenn beide Seiten versuchen, ungefähr gleich viel zu geben, wie sie empfangen.

Das Schwarzer-Augstein-Gespräch beginnt so:
Schwarzer: „Ja, vielleicht sollte man zunächst mal sagen, warum wir hier sitzen. Die Sache st nämlich so, dass der WDR eigentlich die Idee hatte ... und dass ich mir gewünscht hab’ – (Lachen) so Sie dann mitmachen, was Sie nun tun – mit Ihnen zu reden, und ich will auch gleich sagen, warum. Zum einen, weil ich Sie mag aus vielen Gründen, und weil ich sie sehr kritisch sehe. Vielleicht gerade, weil ich Sie auch mag. Über all das will ich mit Ihnen reden.“
Augstein: „Ich danke Ihnen, aber ich möchte eines sagen ...“

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Hier wird von Schwarzer eine unsymmetrische Beziehung zwischen ihr und Augstein konstruiert: Sie wünscht sich ein Gespräch mit ihm und er „macht mit“, das heißt, er erfüllt ihr den Wunsch. Da Augstein diese Definition nicht zurückweist, wird sie für das Gespräch gültig.

Schwarzer begründet, warum sie mit Augstein reden will, mit einer starken Sympathiebekundung, wenn nicht Liebeserklärung: „Weil ich Sie mag aus vielen Gründen“; mit ihrer sehr persönlich formulierten Kritik: „und weil ich Sie sehr kritisch sehe“; und mit einer Wiederholung der Sympathiebezeugung: „Vielleicht gerade, weil ich Sie auch mag.“

Ihre Begründung hätte beispielsweise auch so aussehen können: „Weil ich Sie sehr kritisch sehe und weil ich Sie auch mag, vielleicht gerade, weil ich Sie sehr kritisch sehe.“ – Ob sie damit Erfolg gehabt hätte? Ob sie Augstein damit günstig gestimmt hätte? Ihre tatsächlich gegebene Begründung, in der die Kritik doppelt in Liebeserklärungen eingepackt war, bracht ihr nur ein knappes „Ich danke Ihnen“ von Augstein ein. Anerkennung der Gesprächspartnerin, eine Reaktion auf ihre Offenheit, mit der sie sich verletzbar macht, und gar der Ausdruck eigener Gefühle, ähnliche Offenheit auf Seiten Augsteins bleiben aus.

Gleichrangigkeit und Symmetrie sind also nicht gefragt. Auch nicht von Schwarzer? Warum macht Schwarzer Augstein eine Liebeserklärung und packt ihre Kritik sorgfältig darin ein? Will sie damit Augstein günstig stimmen, für sich gewinnen? Oder will sie ihn verwirren, verunsichern, irritieren? Biedert sie sich an oder überfährt sie ihn? Ist sie strategisch oder authentisch, ist sie raffiniert oder naiv? Unterwirft sie sich oder dominiert sie ihn? Wir sehen, wie schwer es uns fällt, eine einfache Äußerung wie „Weil ich Sie mag“ zu verstehen. es wäre uns genauso schwer gefallen, ein nonverbales Analogon – z.B. Schwarzer legt Augstein den Arm um die Schulter – zu interpretieren.

Eine Liebeserklärung ist ein „verbale Berührung“, die konventionellerweise vom Mann an die Frau geht. Der Mann geht dabei das Risiko ein, abgelehnt zu werden, während die Frau nicht selbst wählt, sondern höchstens ablehnen kann. Der Mann hat also aufgrund der ihm zugestandenen Initiative auch die größeren Auswahlmöglichkeiten.

Schwarzer akzeptiert diese unsymmetrische Konvention nicht, wie es sich für eine autonome Frau gehört, und führt eine autonome Sprachhandlung aus, die nur Männern zusteht. Außerdem macht sie das nicht beim Tête-à-tête mit Augstein, sondern vor der Fernsehkamera. Sie bricht also neben der ersten Regel: Einer Frau steht es zu , auf Liebeserklärungen zu warten, gleich noch eine zweite: Eine Liebeserklärung wird nicht in der Öffentlichkeit gegeben.

Vielleicht wäre es Augstein im privaten Rahmen möglich gewesen, angemessener auf Schwarzer zu reagieren, aber von der großen Fernsehöffentlichkeit konnte er so viel unkonventionelles, autonomes Verhalten von einer Frau nicht akzeptieren. Er interpretiert es im günstigsten Fall als unangebrachtes Dominanzverhalten, das möglichst abgewehrt und übertroffen werden muss.

Aber warum macht Schwarzer am Anfang des Gesprächs Augstein überhaupt eine Liebeserklärung, auch wenn das ein autonomer Akt ist? Weil Liebeserklärungen in bestimmten Gesprächen zwischen Frauen und Männern verlangt sind. Frauen sagen damit, ob durch Worte oder Augenaufschlag, Lächeln, Körpersprache, dass sie das männliche Selbstbild nicht antasten, das männliche Image nicht bedrohen, den Mann als Mann, d.h. als Überlegenen, akzeptieren.

Eine Frau, die diese Liebeserklärung nicht liefert, die die männliche Überlegenheit nicht anerkennt, das männliche Image angreift, einen Mann dominiert, gilt als aggressiv, unfeminin, männlich, kastrierend. Wie sehr diese Liebeserklärung von Augstein für dieses Gespräch Schwarzer abgefordert wird, zeigt die nun folgende Sequenz:
Schwarzer: „Ja, das erste, was mir so eingefallen ist, wie ich mir in den letzten Tagen systematisch Gedanken gemacht habe über Rudolph Augstein ... Allgemein mache ich mir natürlich lange schon Gedanken. Ich war 19 und hab’ mit glühenden Backen den Spiegel gelesen, als se verhaftet worden sind. Ich hab’ als junge Frau davon geträumt, Journalistin zu werden, was ich dann auch geworden bin. Das heißt, sie sind für mich natürlich auch eine Figur (kurzes Lachen), ein Idol auch mal gewesen und auch mal wichtig ...“
Augstein: (Unterbrechung) „Der Ton liegt aber auf gewesen.“
Schwarzer: „Naja, werden wir gleich sehen, was noch da ist ...“

Hier hat Schwarzer versäumt, auf die Gegenwart auszudehnen, was sie über ihre frühere Verehrung von Augstein sagte. Sie tut es noch in „Sie sind für mich natürlich auch eine Figur“, unterlässt es aber in „ein Idol auch mal gewesen und auch wichtig“. Augstein konnte sich damit nicht zufrieden geben, sondern musste sie auffordern, die Vergangenheitsform zu korrigieren und zu sagen, dass er eventuell auch noch heute ihr Idol ist. Die Dominanz Augsteins setzt sich durch das ganze Gespräch fort:

Augstein nimmt sich zwei Drittel der Redezeit, Schwarzer bleibt ein Drittel. Da beide die gleiche Anzahl an Redebeiträgen haben, sind seine im Durchschnitt doppelt so lang wie ihre. Augstein unterbricht Schwarzer an die dreißig Mal, Schwarzer ihn etwa sieben Mal.

Augstein nimmt Lob und Komplimente und gibt kaum positive Spiegelung zurück. Dies zeigt sich auch darin, wie er Unterstützung verweigert. So produziert Schwarzer 33 unterstützende Minimalreaktionen wie mhm, ja, genau etc., während Augstein redet, wohingegen Augstein höchstens drei solcher Partikel produziert, deren Funktion zudem eher das Signalisieren von Ungeduld als die Bezeugung von Interesse ist.

Augstein lässt sich Anerkennung und Respekt von Schwarzer einzollen, ist aber mit Anerkennung für ihre Arbeit und Respekt für ihre Person sehr sparsam. Das zeigt sich auch am Muster der persönlichen Anrede. Schwarzer referiert 180mal mit den Personalpronomina Sie, Ihr, Ihres, Ihnen auf Augstein, er aber nur 59mal auf sie.

Die Dominanz des Mächtigen zeigt sich darin, dass er bestimmtes Gesprächsverhältnis fordern kann. Er zwingt sie, auf seine Ablenkungsmanöver einzugehen, immer neue Themen einzuführen, weil er die Themen nicht weiterdiskutiert, und die Verantwortung für den Fortgang des Gesprächs zu übernehmen.

Schwarzer arbeitet wie ein Wilde, um all diesen Anforderungen zu genügen. Sie geht auf das geringste Signal Augsteins ein und versucht, es ins Positive und Konstruktive zu wenden. Sie baut jeden Einwurf, jede Unterbrechung von Augstein in ihre eigenen Beiträge mit ein und beantwortet sie, anstatt sie zu übergehen und im eigenen Beitrag fortzufahren. Sie bringt immer neue Themenangebote, um Augsteins Aufmerksamkeit zu halten. Sie ist witzig und schlagfertig, um ihn bei Stimmung zu halten. Und vor allem unterlässt sie es völlig, ihn auf sein unsymmetrisches und dominantes Gesprächsverhalten hinzuweisen – kein einziges mal macht sie auf eine Unterbrechung oder auf eine erneute Ablenkung vom Thema aufmerksam. Hätte Schwarzer nicht immer wieder auf Augsteins Machtgesten hin (Forderung einer Entschuldigung, Forderung der Idolerklärung, Forderung neuer Themen) die nötigen Unterwerfungsgesten erbracht, wäre der Fortgang des Gesprächs gefährdet gewesen.

Dass Schwarzer diese Verantwortung an jeder Stelle durch das ganze Gespräch hindurch hatte, war wohl die größte Auflage, mit der sie in diese Diskussion einstieg. Aber dass diese Verantwortung so realisiert wurde, wie es in diesem Gespräch geschah, ist etwas, das erst im Gespräch selbst produziert wurde. Augstein hätte auch diese Verantwortung mittragen können. Er hätte Symmetrie herstellen können. Aber er zog es vor, in der dominanten Position zu verharren.

Das lässt sich an einer weiteren Machtgeste Augsteins, seinem Schweigen, belegen. „Ja, darum sitzen wir ja nicht hier, weil wir nette Menschen sind. Es geht ja auch um Politik“, sagt Schwarzer. Und Augstein antwortet: „Gut.“ Dann entsteht eine Vier-Sekunden-Pause.

Augstein könnte nun seinerseits auf die Gesprächseröffnung Schwarzers, ihre Themenvorschläge, ihre Motivation für das Gespräch mit seiner Motivation und seinen Vorschlägen reagieren. Diese symmetrische Reaktion bleibt aber aus. Augstein schweigt und verweigert damit, seiner konversationellen Verpflichtung nachzukommen. Er beginnt auch nicht die Diskussion und verweigert damit, gleiche Arbeit zu leisten. Er zwingt Schwarzer somit eine Arbeitsteilung auf, in der sie die Verantwortung für das Gespräch übernimmt, mit einem Thema beginnt und er „mit sich reden lässt“. Die übliche Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern in unserer Gesellschaft kann an diesem Gespräch illustriert werden.

Dass jemand in einem Gespräch dominiert, das Gespräch mit seinen Witzen, Histörchen oder mit seiner Selbstdarstellung beherrscht, muss nicht bedeuten, dass er konversationell intelligenter oder klüger als die anderen ist. macht ist unabhängig von Kompetenz und Intelligenz, wofür wir in der gegenwärtigen nationalen und internationalen Politik zahlreiche Beweise finden. Und so stehen auch die Dominanzverhältnisse in diesem Gespräch in keiner Beziehung zu der Kompetenz der beiden Sprechenden.

Eine meiner Studentinnen bezeichnete Augstein in diesem Gespräch als verbalen Waschlappen. Dieser Eindruck ist besonders interessant im Hinblick auf den Ruf verbaler Fähigkeit, den er sicher zu Recht hat. Strengt Augstein sich in einem Gespräch mit einer Frau gar nicht erst an? Oder sind es die Themen, die Augstein fremd sind, über die er aschlicht uninformiert, ja unwissend ist, über die er nie nachgedacht hat, über die er nie aufgefordert war zu sprechen?

Die Themen sind sein eigenes Leben als Journalist im Dialog mit seinen LeserInnen und mit den Politikern, sein leben als Ehepartner von vier Frauen, als Vater mehrerer Kinder, als Mann in der Auseinandersetzung mit dem Feminismus. Es sind persönliche Themen, über die er sehr wohl informiert sein müsste, aber es scheinen nicht die Themen zu sein, über die er gewohnt ist nachzudenken und zu sprechen.

Dieses Gespräch zeigt hier einen interessanten Mangel bei einem Mann von politischem Rang und Namen, Rang in der Politik erfordert bei uns anscheinend nicht, sich in irgendeiner Weise über die menschlichen Beziehungen innerhalb der eigenen Familie oder im engsten Kreis von Mitarbeitern und Freunden Gedanken zu machen.

So kann Augstein seine Kinderliebe, die erst im Alter von 40 Jahren aufkam („Bis 40 wollte ich keins, hatte zwar schon eins“), nur so begründen: „Wenn sie die Plattheit erlauben: Ich finde Kinder köstlich.“

Zur femininen Seite eines Mannes kann er ur sagen, dass ein männlicher Mann für ihn ein „eigentlich nichts erstrebenswertes hat, ein nur männlicher Mann. Dass ein Mann auch feminine Züge hat, halte ich für selbstverständlich, sie müssen nicht unbedingt überwiegen.“

Über die Berufstätigkeit von Frauen sagt er: „Wenn eine Frau ihren Beruf ernsthaft ausüben will und ernsthaft ausübt, dann kann ich ihnen dabei doch nicht im Wege stehen.“ Als Schwarzer meint: „Tjaja, ein weites Feld, ich glaube ...“, wird sie von Augstein unterbrochen, und er vervollständigt sein Bild einer berufstätigen Ehefrau: “Das ist kein weites Feld, eine, äh, meine frühere Frau Maria hat Updike übersetzt, und ich weiß nicht, ob Sie wissen, was das für eine Tätigkeit ist, wenn man da die Nächte durchsitzt und übersetzt, das ist ‚ne ganz schöne berufliche Tätigkeit.“

Auf die Frage: „Aber würden Sie sagen, Sie nehmen eine Frau so ernst wie einen Mann“, antwortet er lachend: „Aber natürlich, wenn sie so ernst zu nehmen ist, das kann man doch nicht verallgemeinern.“

Die interessantesten Fragen Schwarzers bleiben gänzlich ohne Antwort, so: „Wie weit gefällt es ihnen, auf dem Gipfel der möglichen Macht zu sein, und was ist dabei auf der Strecke geblieben?“ oder im Zusammenhang mit dem Spiegel: „Welche Kompromisse mussten Sie machen, oder was tut Ihnen daran am wehsten?“ Die Ablenkungsstrategien Augsteins sind durchgängig im ganzen Gespräch. Häufig tritt das seltsame Muster auf: „Was du über mich sagst, behaupte ich über dich.“ Und Schwarzer geht immer wieder darauf ein, versucht, die Unterschiede klar zu machen, um dann wieder zu ihrem Thema zurückkehren zu können. Alles ist Augstein dabei gut genug, sogar ein unsinniges Scheinkompliment. Auf Schwarzers „Sie sind eine öffentliche Person und eine Institution“ antwortet er: „Sie beschreiben jetzt dauernd sich selbst.“ Oder die seltsame Analogie, dass seine Kolumnen über Frauen, die er vorher als jovial und herablassend bezeichnet hatte, so waren „wie ihr Frauen miteinander umgeht“.

Schwarzer, die sich viel differenzierter unterhalten will, muss sich auf die ignorante Ebene Augsteins begeben, der defensiv ihre Angebote und Versuche zurückweist. Augstein verweigert ein offenes Gespräch, lässt sich aber den Energieaufwand erbringen, der nötig ist, um bei seiner Unfähigkeit zu einem ernsthaften Gespräch doch noch das Beste aus der Situation zu machen.

Darin ist Schwarzer erfolgreich: Mit immer neuen Themenangeboten, immerneuen direkten und persönlichen Fragen, mit unterstützenden Partikeln, Zugeständnissen, Konzessionen und zahlreichen Komplimenten hält sie Augstein bei der Stange und das Gespräch im Gang, bis die Zeit abgelaufen ist. Sie zeigt ungeheure konversationelle Aktivität und Beweglichkeit, sie ist sehr persönlich und sehr offen. Ihr ist es zu verdanken, dass das Gespräch lebendig ist. Denn hätte Augstein ein Gegenüber von ähnlicher affektiver Starrheit, wie er sie darbietet, gehabt, wären wir nach kürzester Zeit eingeschlafen.

Zusammenfassend ist zur kommunikativen Kompetenz Schwarzers zu sagen: Sie zeigt nicht nur Respekt vor ihrem Gesprächspartner und schützt sei Image, sondern erleichtert ihm durch ihre Formulierungen und Vorgaben, auf Kritik einzugehen und vielleicht sogar ein Stück Gemeinsamkeit herzustellen. Selbst bei den schwersten inhaltlichen Angriffen lässt sie ihn immer wieder wissen, dass sie ihn als Menschen schätzt, dass sie ihn nicht in seiner Würde angreift. Sie bleibt bis zum Ende fair. Dies ist umso erstaunlicher, als das Gespräch mehr und mehr zeigt, dass Augstein im Gegensatz zu dem, was sie ihm konzediert, keine „allgemeine Sensibilität“ hat, sondern zutiefst frauenfeindlich ist.

„Es ist nicht meine Haut“, sagt Augstein kühl, als es um Frauen geht, die versuchen, Kinder und Berufe zu verbinden. Aber es war vielleicht die Haut der einen oder anderen seiner Ehefrauen, vielleicht ist die eine oder andere an der Aufgabe gescheitert und hat entweder den Beruf und damit den Wunsch nach persönlicher Bestätigung und Bestätigung durch Befriedigung durch Leistung außerhalb des Hauses aufgegeben oder die Versorgung und Erziehung der Kinder anderen überlassen. „Eine Frau, die sich überwiegend um die Kinder kümmert, das ist nicht mein Fall, ob ich das will oder nicht, das ist nicht mein Fall.“

Glücklicherweise, sollte er hinzufügen, denn er konnte sich ja beide Befriedigungen leisten: Karriere zu machen und Kinder zu haben, auf Kosten seiner Frau und wahrscheinlich auch seiner Kinder. Aber das ist nicht sein haut, das ist nicht sein Fall, und es liegt ihm fern, sich mit den nächsten Menschen genügend zu identifizieren, um einmal zu erfühlen, wie es sich in ihrer Haut lebt.

Schwarzer, die sehr vorsichtig und taktvoll mit seinem Privatleben umgeht, aber auch einen Punkt sucht, über den sie Augsteins Verständnis für Frauen mobilisieren kann und deshalb an seinem eigenen Leben und Privilegien ansetzt, stellt nun eine kausale Verbindung her: Augstein will weder sehen noch verstehen, weil er von der Situation profitiert. Und Augstein sagt explizit,, dass er aus der Situation nicht ausbrechen will, dass er sie nicht ändern will:

Schwarzer: „Wissen Sie, ich glaube, Sie ignorieren einfach unendlich viel. Und ich glaube, dass Sie es aus einem ganz einfachen Grund ignorieren. Zum einen kämpft man um Änderungen in Verhältnissen, da, wo man selber von diesen Verhältnissen benachteiligt ist oder unterdrückt ist, nicht um ...“
Augstein: „“Das ist Ihr Fall ...“
Schwarzer: „...genau, das ist mein Kampf, und darum steh’ ich gut an dem Platz. Es ist immer gut, von sich auszugehen ...“
Augstein: „Und als solche Person haben wir Sie immer geachtet, wie Sie ja wissen.“
Schwarzer: „Ja, danke. Zum anderen kämpft man um Änderung der Verhältnisse, wenn man ein Gerechtigkeitsempfinden hat, sozial empfindsam ist. Und dann gibt es aber Dinge, von denen profiliert man. Und ich glaube, dass, also in aller Freundlichkeit gesagt, wirklich in aller Freundlichkeit, weil, wie sollten Sie daraus ausbrechen? Nur bedauern tu ich’s.“
Augstein: (Unterbrechung) „Ich will ...“
Schwarzer: „... doch ...“
Augstein: „... doch gar nicht ausbrechen.“
Schwarzer: „Eben, das ist es ja, Sie sind einer der Männer, der von den Verhältnissen zwischen den Geschlechtern, wie sie sind – und die sind nicht so, wie Sie sie sehen -, dermaßen profitiert, dass er keine Sekunde Lust hat, auch nur hinzugucken, und dass er also ...“
Augstein: „Ts, ts, hehe ...“
Schwarzer: „... jeder Kritik au eine unwürdige Art und Weise begegnet. Die wenigen Begegnungen, die wir hatten, fand ich immer recht sympathisch, aber Sie haben mich nie ernstgenommen. Warum sollten sie auch, ich bin ja auch die letzte, die Sie zwingen kann, mich ernstzunehmen in der Frauensache.“
Augstein: „Also, Alice, da leiden Sie an Verfolgungswahn.“

An dieser Sequenz sehen wir, wie Augstein auch in diesem Gespräch nicht bereit ist, wirklich zuzuhören: Er macht störende Einwürfe, unterbricht sie dreimal und tut die ganze Sache am Ende als „Verfolgungswahn“ von Schwarzer ab, ein harter Terminus, der natürlich die Funktion hat, sie lächerlich zu machen. Er bestätigt in dieser Passage (wie auch im übrigen Gespräch) genau den Vorwurf Schwarzers, dass er ihre Kritik auf unwürdige Weise begegnet und sie nicht ernst nimmt.

Aber es geht hier noch um mehr. Es geht hier noch um mehr. Es geht hier um konversationelle Politik zwischen den Herrschenden und den Beherrschten. Es geht hier um praktizierte Diskriminierung.

Augstein ist nicht betroffen und braucht keine Betroffenheit zu zeigen, ob es um Doppel- und Dreifachbelastung von Frauen, um ungleichen Lohn für Frauen oder um Gewalt gegen Frauen geht.

„Da müssen doch die Geprügelten etwas tun“, meint er zur Vergewaltigung von zur Gewalt in der Ehe. Als Schwarzer meinte, er hätte sich noch nicht mit der Thematik beschäftigt, ist seine Antwort: „Also entschuldigen Sie mal, warum sollte ich wohl?“ Er vertritt die Ansicht, dass alle ihre eigenen Interessen vertreten sollten.
Augstein: „... die Frauen müssen sich auch mal fragen, auf wessen Kosten sie sich selbst verwirklichen, die Frauen haben ja das Problem etwa der Kinder und der Väter oft aus den Augen verloren, nicht?“
Schwarzer: „Mhm.“
Augstein: „Gut, warum nicht, jeder macht seine eigene Sache, jeder vertritt seine Interessen, jeder versucht seine eigenen Bedürfnisse zu füllen, dagegen ist nichts zu sagen, nur verlangen Sie nicht von mir, dass ich Ihre Bedürfnisse ...“
Schwarzer: „Nein!“
Augstein: “Ihre Interessen ...“
Schwarzer: „Nein!“
Augstein: „... wahrnehme.“

Er „muss sich für nichts entschuldigen“, sondern nur “mit dem fertig werden, was mit im Leben geboten wird“, und vor allem wird er – und da spricht er nun im Plural anscheinend für alle Männer – nichts ändern: „Aber was ich euch vorhalte, ist doch, dass ihr von uns verlangt, wir sollen was tun, was nach eurem Willen auf unsere Kosten gehen soll. Das werden wir nicht tun.“

Das ist die wichtige Information: Wir können auf eure Kosten mehr Rechte haben, aber wir geben euch nicht auf unsere Kosten gleiche Rechte. Dieser Glaubenssatz wird wiederholt und sogar begründet: „Warum sollt ihr für euch ohne Kampf etwas kriegen, das ist doch Unsinn.“ („Na, wir kämpfen schon genug“, wirft Schwarzer ein.) „Gut, dann kämpft weiter so, als gute Kämpfer“ („-innen“, korrigiert Schwarzer) „innen seid ihr uns sympathisch, aber verlangt doch nicht von uns, dass wir auf unsere Kosten etwas erstreben, das tun wir nicht.“ („Das ist mir schon klar, Privilegien gibt man nie freiwillig ab“, konzediert Schwarzer.)

Die Äußerungen Augsteins einem Juden oder einem Schwarzen gegenüber wären undenkbar. Man würde von entwürdigender Überheblichkeit und Diskriminierung, von Rassismus bzw. Antisemitismus sprechen.
Senta Trömel-Plötz, EMMA November/Dezember 1993 

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