Der Mann & sein Bart

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Dieser Text beginnt mit einer Feststellung, die meine Kolleginnen überaus peinlich finden, man könnte sogar sagen: mit einer Art Coming-Out. Es ist nämlich so: Ich mag Bärte.

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Ich führe diese Präferenz auf eine frühkindliche Prägung zurück, denn meine Mutter hatte über ihrem Bett(!) ein Poster von Che Guevara hängen. Es handelte sich um das berühmte Bild des Guerillakämpfers, der im Original ja gar nicht sooo gut aussah, in der schwarz-weißen scherenschnittartigen Variante aber überzeugend den jungen schönen Wilden gab.

Noch vor einem Jahr hätte man sie als Taliban verdächtigt.

Offensichtlich hat sich mir das Poster als eine Art Prototyp des gutaussehenden Mannes eingebrannt. Verstärkt wurde dies durch die Tatsache, dass ich ohnehin kaum bartlose Männer kannte, denn wir befinden uns im linken studentischen ­Milieu der 1970er Jahre, in dem mann Marx und Engels, beide Träger ausufernder Bärte, auch optisch nacheiferte und so den spießigen, glattrasierten Vätern sein revolutionäres Potenzial plastisch vor Augen führte. Als Vorbild war aber auch der Typus Partisan angesagt, der zum Beispiel in Spielfilmen über den spanischen Bürgerkrieg auftauchte und mit hohlen, unrasierten Wangen erheblich mehr Sexy­ness aufwies als die wohlgenährten Schreibtischtäter Karl und Friedrich.  

Ja, jedenfalls mag ich also Bärte. Theoretisch. In der Praxis ist es so, dass mir Bärte, die nicht auf Postern oder in Filmen über den spanischen Bürgerkrieg auftauchen, sondern im wahren Leben, nicht so nahe kommen, dass sie mich kratzen und pieksen könnten. Was ich mit alledem sagen will, ist: Ich bin, vermutlich als einziges Mitglied der EMMA-Redaktion, in der Lage, unvoreingenommen und sogar mit einem gewissen Wohlwollen über das Thema Bärte zu schreiben.

Dass Bärte zurzeit ein bedeutendes Thema sind, erschließt sich jedem und jeder, der oder die gelegentlich seine oder ihre Nase entweder in hippe Kneipen deutscher Großstädte oder in Zeitschriften steckt, die prominente Männer wie Jake Gyllenhaal oder Ingo Zamperoni abbilden. Hinzu kommen Modeanzeigen mit Herren, die man noch vor einem Jahr der Mitgliedschaft bei den Taliban verdächtigt hätte. Sogar der einst schmierig gegelte Bild-Chefredakteur Kai Diekmann gehört nach seinem Ausflug ins Silicon Valley nun in die Rübezahl-Riege.

Von vier Männern auf dem Titel der Gala Men tragen drei Bart

Kleiner empirischer Test: Von vier Männern auf dem Titel der Gala Men haben drei bewucherte Wangen, nämlich Pep Guardiola (mittel), James Franco (lang) und Ashton Kutcher (Ziege, neudeutsch: Goatee). Im Inneren des Magazins präsentieren sich Schauspieler Erol Sander oder Fußballer David Beckham mit kompletter Gesichtsbehaarung. Sogar zwei von vier Protagonisten eines Artikels, der beweisen soll, dass Männer „im Bad auf Expansionskurs“ sind, sprich: Kosmetika benutzen, tragen Vollbart. Kein Wunder, dass sich auch Chefredakteur Christian Krug fürs Editorial-Foto nicht rasiert hat, und das augenscheinlich seit Wochen.
Ein weiteres und definitiv todsicheres Zeichen für die Hipness des Bartes: Auch Schwule, bekanntlich Early Adopters jedweden Trends, tragen welche. Sogar Boy George hat einen. Und das will nun wirklich was heißen.

Kein Zweifel: Bärte sind angesagt. Und zwar lange Bärte. Der Drei-Tage-Bart scheint der Bezeichnung „Bart“ nicht mehr würdig. Männer lassen ihre Wangen bewachsen, was das Rasierzeug hält. Bekanntlich wohnt jeder Mode eine Botschaft inne. Die Frage ist also: Was wollen uns die Männer mit ihren Bärten sagen?

Bei einigen wenigen Exemplaren springt die Message spontan ins Auge. Denn geht man dem Phänomen an die Haarwurzel, stößt man auf eine sehr einfache Erkenntnis: Der Bart ist in diesen emanzipierten Zeiten quasi das einzige, was den (angezogenen) Mann noch von der Frau unterscheidet. Manchen Männern ist dieser Unterschied eklatant wichtig. Zum Beispiel eben den Taliban. Oder Bushido, der inzwischen eine gewisse Sympathie für diese Herren zu hegen scheint, und das nicht nur die gemein­same Art der Barttracht betreffend. Bushi­dos Neuköllner Lieblingsmoschee wird wegen salafistischer Umtriebe vom Verfassungsschutz beobachtet, und so ist es ja auch durchaus stimmig, dass der Rapper jene Menschen, denen Allah den Bartwuchs versagt hat, als „Fotzen“ und „Nutten“ tituliert.

Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Auch unter www.bibellexikon.de findet sich unter dem Stichwort „Bart“ eine klare Ansage: „Ihr sollt nicht den Rand eures Haupthaares rundscheren, und den Rand deines Bartes sollst du nicht zerstören“, wird Moses zitiert. Der biblische Urvater brachte auch andernorts seine Abneigung gegen den Unisex-Style zum Ausdruck: „Es soll nicht Mannszeug auf einem Weibe sein und ein Mann soll nicht das Gewand eines Weibes anziehen, denn wer solches tut, ist ein Gräuel für Jahwe, deinen Gott.“

Es gibt zunehmend Menschen, die solche biblischen Befehle auch 2000 Jahre später noch wörtlich befolgen. So fordert zum Beispiel im Internet der passionierte Christ Hans-Jürgen Böhm in seiner 34-seitigen Abhandlung „Der Bart des Mannes“ die Herren der Schöpfung unmissverständlich auf: „Handle nach dem Wort GOTTES: Lass deinen Bart ohne jegliche Eingriffe wachsen.“

Schließlich war auch Gottes Sohn Bartträger. Das wissen wir nicht nur aus zahllosen Jesus-Filmen, sondern auch aus Jesajas ­Hohelied: „Seine Wangen sind wie Beete von Würzkraut.“

Eigentlich nette Männer mit Strickmützen und Nerdbrillen

Worum es dem frommen Verfasser der Abhandlung eigentlich geht, ist klar: „Die Frage, die sich jeder Gläubige stellen sollte, ist, inwieweit er bereit ist, willentlich die Rolle einzunehmen, welche ER für ihn als Mann oder Frau vorgesehen hat.“

Wir wissen nicht, ob Henning Baum christlicher Fundamentalist ist. Aber der „Letzte Bulle“, der schon Vollbart trug, als sein blondes Gesichts-Gewöll in den Talkshows noch für Irritation sorgte, ist jedenfalls großer Anhänger der Geschlechterdifferenz. Der breitschultrige Schauspieler sagt in Interviews Sätze wie: „Der Mann muss raus aus der Höhle und auf die Jagd gehen!“ Oder: „Wäschewaschen ist Frauensache.“

Aber die Sache ist augenscheinlich komplizierter. Denn das Gros der neuen Bartmänner gehört gar nicht zum Typus Bin Laden, Vader Abraham (der mit den Schlümpfen) oder Kanadischer Holzfäller. Nein, es sind die netten jungen Männer mit den Strickmützen und den schwarzen Nerdbrillen, die ihre Gesichtsbehaarung wuchern lassen.

Und jetzt wird es richtig spannend. Betrachtet frau nämlich die weiteren Körpersignale, die die Bartträger so aussenden, kommt sie zu dem Schluss, dass es sich um eine klassische Doublebind-Botschaft handelt. So ist zum Beispiel der ­gemeine Hipster keineswegs ein Mann wie ein (Henning) Baum, also nicht mit Holzfällerschultern ausgestattet, sondern mit bisweilen beängstigendem Untergewicht. Dieses betont er auch noch, indem er seine Spinnenbeinchen in superenge, ebenfalls hochmodische Jeans quetscht. Von Muskeln keine Spur. Eine veritable Axt kann der bärtige Nerd keinesfalls schwingen.   

Hinzu kommt: Die Jungs lassen ihrem Bart erklärtermaßen intensive Pflege angedeihen. Sie ölen, wachsen, striegeln das Gewucher, auf dass es nicht gar zu wild werde. Google spuckt bei den Suchbegriffen „Bart“ und „Pflege“ eine halbe Mil­lion Ergebnisse aus und fördert Produkte zutage wie das „Beard Conditioning Oil“, den „Moisture Kick Spray Conditioner“ oder den „Men Expert Hydra Energy Feuchtigkeits-Fluid“. Sorry, aber echte Blockhütten-Bauer haben so was nicht im Badezimmerschränkchen.

Wir haben es also mit einer Art Persönlichkeitsspaltung zu tun. Und die kennen wir Frauen nur zu gut. Wir senden nämlich auch zur Genüge Doublebind-Botschaften aus. Wir werden Geschäftsführerin – und lächeln unsere Untergebenen permanent an. Wir werden Autokonzern-Managerin – und stöckeln auf Pfennig­absätzen durch die Chefetage. Wir werden Ministerin – und nehmen den Namen unse­res Mannes an. Alles halb so wild mit der Emanzipation, soll das heißen.

Nun ist ja bekanntlich auch der Mann ob seiner Rolle in der Gesellschaft verwirrt. (Das war er übrigens auch damals in den 1970ern, als der Freundeskreis meiner Mutter nicht nur mit glatt­rasierten Nazivätern, sondern auch mit frauenbewegten Lebensgefährtinnen konfrontiert war.) Und da fungiert der Bart als Symbol der Selbstvergewisserung. Denn eins ist klar: Der Bart bedeutet Macht. Das wussten schon die alten Pharaonen, die bei wichtigen repräsentativen Events einen Zeremonialbart trugen, also eine Attrappe, die sie anlegten wie später Könige ihre Krone.

Wie reagieren nun die Frauen auf die Zuwendung der Herrn zum kleinen – oder je nach Bartlänge auch großen – Unterschied? Sie bürsten gegen. Dafür jedenfalls scheint es Anzeichen zu geben: Die Frau entdeckt den Bart. „Angeschnauzt“ heißt eine Aktion, zu der jüngst die Schweizer Frauenzeitschrift annabelle aufrief. In einer Zürcher Boutique wurde ein Fotoautomat postiert und diverse Kunstbärte bereitgestellt. Auf der annabelle-Website konnten UserInnen dann für das beste Bartträgerinnen-Foto voten. Frauen der DGB-Jugend protestierten zum Equal Pay Day – mit Bärten! Bravo-Girl, die ihre jungen Leserinnen stets mit trendigen Gimmicks ausstattet, entschied sich in einer ihrer letzten Ausgaben für ein Paar Ohrringe – mit Bart! Ein schwarzer Schnäuzer war, natürlich in doppelter Ausführung, auf den Metallträger aufgeklebt. Slogan: „Be moustached!“       

Dazu muss man wissen, dass im alten Ägypten auch die Pharaoninnen den ­Zeremonialbart anlegten. Gewisse Parallelen drängen sich hier auf. Warten wir also gelassen auf den ersten Auftritt von Angela Merkel mit Bart. Auch den würde ich ganz bestimmt mögen.

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Nie wieder: Der rasierte Mann

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Dass es so schnell gehen würde, hätte ich nicht gedacht. Es ist erst vier Tage her, dass ich mir das erste Mal süßlich duftendes Rasiergel auf die Beine geschmiert und mit einem rosa Damenrasierer die Haare entfernt habe, und schon hat sich so etwas wie Routine eingestellt. Keine zehn Minuten brauche ich mehr dafür – aber der morgendliche Blick in den Spiegel erschreckt mich noch immer. Es ist jetzt Halbzeit meines Experiments. Eine Woche lang werde ich mir nicht nur die Beine rasieren, sondern vom Kehlkopf abwärts auch alle anderen Körperhaare entfernen. Und auch wenn mir die Handgriffe mittlerweile geübt von der Hand gehen – daran gewöhnt habe ich mich noch lange nicht.

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Tag 1
In der Komödie „Was Frauen wollen“ probiert Mel Gibson Produkte wie Lidschatten oder Strumpfhosen aus, um Frauen besser zu verstehen. Auf dem Höhe­punkt dieser Szene reißt er sich mit einem Kaltwachsstreifen die Haare vom Schienbein. Was nicht gezeigt wurde: Nicht Gibsons Bein wurde in dieser Szene enthaart. Den Star schockte die Vorstellung einer kahlen Stelle auf dem Bein anscheinend so sehr, dass er auf ein Beindouble bestand. Entsprechend mulmig ist mir, als ich mich das erste Mal auf den Badewannenrand setze, um mir meine Beine zu rasieren. Meine eigenen.

Ein paar Stunden zuvor stand ich noch in der Drogerie und versuchte, den richtigen Rasierer für mich zu finden. Ich entschied mich für eine Standardausführung. Drei Klingen, kleine, weiße Kissen, rosa Griff. Dazu ein Rasier-Gel mit Summertime-Aroma, eine Packung Kaltwachsstreifen und eine Crème, um die Haut zu beruhigen. Ich bin vorbereitet...

Gleich beim ersten Ansetzen passiert es. Der Schnitt ist winzig und nicht tief, aber er ist mir eine Warnung: Das Ding in meiner Hand mag harmlos aussehen, aber es ist verdammt scharf.

Das größte Problem meiner ersten Rasur ist aber nicht die Klinge, sondern mein Körper. Wie komme ich an die untere Außenseite meiner Wade? Wie in die Kniekehle? Ich verrenke mich hin und her, zweimal rutsche ich fast aus. Den Rasierer muss ich per­manent auswaschen, denn nach fast drei Jahrzehnten ungebremstem Haarwuchs verstopft die Klinge nach jedem Zug. Es dauert 20 Minuten, dann bin ich mit dem linken Unterschenkel fertig. Mein Rücken schmerzt von den Verrenkungen, aber wenigstens liegt meine Wade jetzt in ihrer ganzen Weißheit frei.

Die Oberschenkel sind leichter. Allerdings fällt mir die Rückseite schwer. Ich rasiere stellenweise fast blind. Als ich mich dabei erwische, wie ich gleichzeitig versuche, eine Stelle am hinteren oberen Oberschenkel zu erreichen und meine Brille vor dem Herunterrutschen zu retten, während mein Kopf etwa auf Schritthöhe neben meinem Bein hängt, denke ich: Das muss leichter gehen! Mit einem Handspiegel und einem letzten Rest Würde beende ich nach über einer Stunde die erste Beinrasur meines Lebens.

Als ich kurze Zeit später meine Jeans anziehe, fühlt es sich so an, als wäre der Stoff feucht. Schon bald darauf beginnt es überall zu jucken. Vom versprochenen göttlichen Gefühl keine Spur.

Abends kommt meine Mitbewohnerin grinsend in mein Zimmer. Ihr Blick verfinstert sich, als sie meine Beine inspiziert: „Das ist aber schlecht rasiert“, sagt sie. Und dann: „Sieht komisch aus.“

Tag 2
Ich gehe joggen. Cristiano Ronaldo entfernt sich angeblich alle Körperhaare, um noch ein paar hundertstel Sekunden schneller das Fußballfeld entlang zu sprinten. Am Ende meines Laufs halte ich diese Theorie für Unsinn. Schneller bin ich nicht – aber vielleicht bremsen mich auch einfach noch die ­anderen behaarten Körper­regionen? Es gibt nur einen Weg, das ­herauszufinden.

Brusthaare, das war in meiner Jugend das unbestrittene Symbol von Männlichkeit. Das Fernsehen versorgte uns mit ­behaarten Vorbildern – und niemand trug die Matte stolzer als Tom Selleck. Als Privatdetektiv Thomas Magnum hatte er genug Wolle auf der Brust, um einen Norwegerpullover zu stricken. Davon kann bei mir keine Rede sein, trotzdem muss ich kurz schlucken, als ich die Hand zum ersten Kaltwachsstreifen führe, der auf meiner Brust klebt.

Mein Schrei ist fast lautlos, aber jeder Muskel meines Körpers ist angespannt. Ich springe auf und ab, mein Kopf ist ­puterrot, mir ist schwindelig. Nach dem nächsten Streifen beginnt es in meinem Ohr zu klingeln. Dann, als ich den dritten Streifen abreißen will, passiert es: Er bleibt auf halber Strecke hängen. Diesmal ist mein Schrei nicht mehr lautlos. Mit letzter Kraft reiße ich mir auch diesen Streifen noch runter. Egal was passiert: Mit Kaltwachs bin ich fertig! Der Rest des Oberkörpers wird rasiert!

Inzwischen zittere ich am ganzen Körper – nicht die beste Voraussetzung. Und so kommt es, wie es kommen muss: Ich schneide mir in die rechte Brustwarze, aber spüre es kaum noch. Meine ganze feuerrote, brennende Brust schmerzt.

Als ich fertig bin, betrachte ich mein Werk im Spiegel. Die entwachsten Stellen auf der Brust sind glatter als die rasierten, dafür leuchten sie auch Stunden später noch knallrot. Jede Berührung lässt mich zusammenzucken.

Tag 3
Am nächsten Morgen hat die Rötung nachgelassen. Seidenglatt ist meine Brust trotzdem nicht. Wo bis gestern Haare waren, sind jetzt rote Punkte. Optisch eine Verschlechterung, aber darum geht es nicht. Es geht um den ganzen Ronaldo. Ich habe jetzt enthaarte Beine und einen enthaarten Oberkörper. Es fehlt noch das dazwischen.

Im Spätmittelalter war das Entfernen aller Körperhaare noch Teil der Folter, die der Hexerei Verdächtige über sich ­ergehen lassen mussten. Doch im Februar 2012 veröffentlichte die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) eine Studie, der nach sich heute jeder vierte Mann zwischen 14 und 29 Jahren regelmäßig im Intimbereich enthaart. Dass dieser Trend auch die älteren Semester treffen kann, ­erlebte im vergangenen Jahr Schauspieler Sky du Mont, 65. Via Bild-Zeitung verkündete seine knapp 30 Jahre jüngere Frau Mirja: „Mein Sky muss sich untenrum rasieren.“ Sky nahms sportlich und erklärte: „Je niedriger die Hecke ist, desto größer erscheint das Haus.“

So gelassen bin ich auf dem Weg zum Studio nicht. Gleich wird mir jemand heißes Wachs in den Schritt schmieren, um mir die Haare auszureißen. Ich bin nervös.

Johanna ist eine freundliche Frau Ende 20. Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. So lässig es einem nackten Mann im T-Shirt möglich ist, lege ich mich auf den Behandlungstisch.

„Die Beine bitte so anwinkeln, wie ein kleines Fröschchen“, sagt Johanna. Dann beginnt sie, meinen Schritt mit Wasser einzusprühen und zu bepudern und zerstört so den letzten Rest meiner Selbstachtung.

„Männer kommen seltener als Frauen“, sagt Johanna, „viele haben eben noch Hemmungen.“ Insgesamt aber seien sie pflegeleichter. „Sie halten sich eher zurück. Die Frauen schreien mehr.“ Männer brächten andere Probleme mit. „Am schlimmsten ist es, wenn sie einen Steifen kriegen“, sagt Johanna. Wenn das passiert, verlassen Johanna und ihre Kolleginnen den Raum, bis der Kunde sich „beruhigt“ hat. Beim dritten Mal ist allerdings Schluss. Dann ­bekommt der Mann Hausverbot.

Bei mir muss sich Johanna keine Sorgen machen. Die ganze Situation erinnert mich eher an die Musterung oder den Zahnarzt – beides keine erotischen Höhepunkte in meinem Leben. Die Bonus­karte, die ich nach Ende der Behandlung überreicht bekomme, wandert in den ­Papierkorb.

Tag 5
„Und was gibt’s bei dir so Neues?“ Die Frage hängt einige Sekunden über unserem Biergartentisch. Schließlich antworte ich: „Ich habe vom Hals abwärts keine Haare mehr am Körper.“ Eine kurze Pause später geht das Gelächter los.

Ich hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Immer wenn das Thema zur Sprache kommt, ernte ich zumindest ein breites Grinsen. Vor allem bei Frauen. Mehr als eine bot an, mir beim Abreißen von ­Kaltwachsstreifen zu helfen – nicht aus Nächstenliebe.

„Also, an Männerbeine gehören Haare“, sagt Jenny. Ihren Freund Manuel schockiert mehr das Heißwachs. Auch er trimme ja, aber alles ab? Wir sind doch schließlich erwachsene Männer! Als ich mich kurz darauf zur Toilette verabschiede, ruft er mir nach: „Rutsch nicht ab.“

Tag 6
Ein letztes Mal schmiere ich meine Beine mit Summertime-Gel ein. Die etwas abgenutzte Klinge führe ich sicher auch über die schwierigen Beinregionen. Kein Blut. Die roten Flecken auf der Brust haben nachgelassen, dafür habe ich schon wieder erste Stoppeln. Auch das Rasieren des ­Gesichts ist seit Beginn des Experiments auf der Strecke geblieben. Ich sehe jetzt aus wie ein Action-Man mit Siebentagebart. Aussteiger-Ken.

Zeit, Bilanz zu ziehen. Gewöhnt habe ich mich in dieser einen Woche an meine Haarlosigkeit nicht. Einzig das Rasieren der Beine hat seinen Schrecken völlig verloren. Doch mein gewachster Schritt und meine nackte Brust wirken auf mich wie die Körperteile eines Fremden. Hygie­nischer? Ästhetischer? Erotischer? Naja.

Wie ich meinen nahezu haarlosen ­Körper so im Spiegel betrachte, habe ich nur einen Gedanken: Nie wieder!

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