Monster

Charlize Theron spielt in dem Film "Monster" die Serienmörderin Aileen Wouornos.
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Dieser bittere Zug um den Mund, rechts vom Mundwinkel; nur in den wenigen Momenten der Hoffnung glättet er sich und wird aus der misstrauischen verbrauchten Frau eine sanft und hoffnungsvoll Strahlende. Dieser müde, abgenutzte Körper; nur in dem einen Moment des Begehrens für eine Frau, vielleicht die erste Lust ihres Lebens, strafft er sich und wird aus dem dumpfen Grollen swingender Jazz. Diese Rage; nur noch einmal hält sie inne, lässt den einen gehen – um dann mit noch blinderer Wut zu rasen gegen alle Männer.

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Es ist der erste Film der Regisseurin, die schöne Hauptdarstellerin hat sich fett gefressen und die Story könnte schlimmer nicht sein: Eine obdachlose Prostituierte nietet sechs Männer um. Den ersten, einen Frauenmörder, noch in Notwehr. Den zweiten, einen Kinderficker, aus Ekel. Die folgenden aus Hass und Gier, Gier auf ein anderes Leben. Dieses andere Leben erhofft sie sich mit der naiven Ausreißerin Selby, die es schafft, den Panzer der verhärteten Aileen zu knacken und sie in die erste Love-story ihres Lebens zu locken.

Der Fall ist wirklich so passiert. Aileen Wuornos wurde 1990 verhaftet, nachdem sie (mindestens) sechs Freier erschossen hatte. Sie ist die erste Serienmörderin in der Geschichte Amerikas. 2002 wurde sie nach zwölf Jahren in der Todeszelle per Giftspritze hingerichtet.

Der Fall erregte große Aufmerksamkeit in den USA. Eine Flut von Artikeln, zwei Bücher, ja sogar eine Oper erzählen Aileens Leben. Auch die Drehbuchautorin Patty Jenkins besucht Aileen in der Todeszelle. Sie gewinnt ihr Vertrauen, freundet sich mit ihr an – und erhält nach dem Tod von Wuornos auf deren Willen hin Einblick in die jahrelange Korrespondenz aus der Todeszelle der Mörderin mit ihrer wiedergefundenen Jugendfreundin.

Diese Briefe werden den Film prägen. Die Busszene, der dramatische Abschied von der Geliebten, all das entspricht exakt den Schilderungen von Aileen. Auch der Slang, den Charlize Theron als Aileen Wuornos spricht, ist geprägt vom O-Ton der Briefe. Beide, Regisseurin und Hauptdarstellerin, haben Wuornos erlebt und sich auf beklemmende Weise in sie eingefühlt.

Regisseurin Patty Jenkins weiß genau, was sie erzählen will in ihrem im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Film. Das ist kein Film, in dem die Frauen Fun haben, zurück zu schlagen. Das ist kein Film, in dem die Voyeure es geil finden, zuzugucken. Das ist ein wuchtiges Epos voller Schmerz, Trauer, Wut und Verzweiflung. Ein Film über Erniedrigung, Gewalt und Sehnsucht. Aber nicht ohne Hoffnung.
Da ist trotz aller Demütigungen noch die Kraft, zurück zu schlagen – und das nicht zufällig in dem Moment, in dem die Frau in den männlichen Part des Beschützers schlüpft. Da ist der eine Freier, der es nicht verdient. Und der eine Kumpel, der sie nicht verrät – auch, weil er selbst getötet hat, aber legitim im (Vietnam)Krieg. Und es ist eben auch und trotz allem ein Liebesfilm.

Das Exmodell Charlize Theron hat seine Gage zurückgestellt und ist Coproduzentin geworden. Und Patty Jenkins hat zum ersten Mal Regie geführt: rau und zart zugleich. "Ich wollte eine wahre Geschichte erzählen." Sie hat es getan.

Natürlich kommt die Wucht des Films nicht aus dem Nichts. Die, die ihn gegen alle Widerstände durchgeboxt haben, wissen warum.

Die in Südafrika aufgewachsene Hauptdarstellerin Charlize Theron hat lange gewartet, bis sie das Geheimnis ihrer ganz persönlichen Motivation verriet: Ihre Mutter hat ihren Vater erschossen. Eines Nachts, als sie 15 Jahre alt war und gerade Internats-Ferien hatte. Der Vater, ein Alkoholiker, der die Tochter immer wieder "mit Worten missbraucht hatte", drohte in dieser Nacht, Frau und Tochter zu erschießen. Als er durch die Tür des Zimmers seiner Tochter ballerte, griff die Mutter zum Gewehr.

Heute sagt Charlize: "Ich trage die Narbe dieser Nacht wie eine Tätowierung auf meinem Herzen." Aber auch: "Mein Selbstvertrauen verdanke ich meiner Mutter Gerda." Therons Mutter kam zur Premiere – und nicht nur sie hat ganz genau verstanden, worum es hier geht.

Alice Schwarzer, EMMA März/April 2004

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