Cigdem Toprak: Hallo, Schwestern!
Als Türkinnen in der Nacht des Putsches in der ersten Reihe protestierten, ertönten Sprüche wie: „Unsere Schwestern sollen zuhause bleiben und beten!“ Der Protest gegen den Putschversuch war begleitet von islamistischen Parolen der IS-Sympathisanten, sexistischen Sprüchen und sexuellen Belästigungen. Und der Manager eines Fußballclubs twitterte, man solle die Ehefrauen der Putschisten vergewaltigen – erst nach heftiger Kritik in den Sozialen Medien entschuldigte er sich und erklärte seinen Rücktritt.
Seit Jahrzehnten kämpft die türkische Frauenbewegung für die Verbesserung der Frauenrechte, für die strikte Einhaltung der verfassungsrechtlich garantierten Geschlechtergleichheit und gegen die alltägliche Gewalt gegen Frauen – ob häusliche Gewalt, sexuelle Gewalt oder Ehrenmorde. Doch die jüngsten politischen Krisen lassen das Thema Frauenrechte zweitrangig scheinen – aber die Frauen fühlen sich noch stärker bedroht als zuvor.
„Am meisten habe ich Angst davor, Angst zu haben – und davor, dass wir uns in Ghettos zurückziehen“, sagt Melek Özman, Filmemacherin und Mitbegründerin von Filmmor – einer Frauenorganisation, die jährlich das gleichnamige feministische Filmfestival organisiert. „Doch es ist schwierig zu erahnen, was auf uns zukommt“, sagt sie. „Vor dem Hintergrund der Gewalt im letzten Jahr und vor allem der Ereignisse nach dem Putschversuch sind Frauen kein Thema mehr. Wie sollen wir noch über Frauenrechte sprechen in einer Zeit, in der die Europäische Menschenrechtskonvention aufgehoben wurde?“
Nur wenige Tage nach der Aufhebung der Menschenrechtskonvention wurde das Gesetz zur chemischen Kastration von so genannten „Triebtätern“ verabschiedet. „Dieses Gesetz verletzt das Recht auf Fortpflanzung und das Recht auf Verweigerung von Medikamenten“, klagt Canan Güllü, Präsidentin der „Federation of Women Association of Turkey“. Und sie fährt fort: „Unsere Forderung lautet: Geschlechtergleichheit nach der Istanbul-Konvention muss an Schulen unterrichtet werden! Das wäre ein erster Schritt auch zur Prävention gegen sexuelle Gewalt.“
Die Türkei unterzeichnete 2011 als erster Staat das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ – und das unter der AKP-Führung. Auch wurden die Rechte der Frauen in den letzten 14 Jahren formal erheblich gestärkt: Die türkischen Frauenorganisationen hatten erfolgreich Druck auf die Regierung ausgeübt.
Gleichzeitig aber verfolgt die AKP mit ihrem konservativen Verständnis von der Rolle der Frauen eine Politik, die die Frau „Zuhause“ und als „Mutter“ verortet. So wurde 2011 das staatliche Frauen- und Familienministerium – trotz des Widerstandes von türkischen Frauenorganisationen – in ein „Ministerium für Soziales und Familie“ umbenannt. Der Staat hat ‚die Frau‘ durch ‚die Familie‘ ersetzt.
Melek Özman: „Die Frauenbewegung kämpft nun seit den 1980er Jahren. Und wenn sie in 30 Jahren einen Schritt nach vorne geschafft hat, wurde sie in den letzten zehn Jahren zwei Schritte zurückgedrängt.“ Eine Studie über die Frauenmorde belegt, dass der Grund für die erhöhte Gewalt gegen die Frauen allen voran darin liegt, dass die Frauen selbstbewusster werden – und sich den Männern widersetzen. Güllü: „Frauen möchten ihre eigenen Entscheidungen über ihr Leben fällen. Sie nehmen dafür den Tod in Kauf.“
Cigdem Toprak