Corona & Frauengesundheit

Artikel teilen

Wissenschaftliche Studien, die Geschlechter-Unterschiede bei Corona-Erkrankungen berücksichtigen, gibt es kaum. Von weltweit 4.500 ausgewerteten klinischen Studien hatten nur 178 gesondert Frauen im Blick, wie eine kürzlich veröffentlichte Meta-Analyse zeigt. „Das Ergebnis ist erstaunlich, weil schon zu Beginn der Pandemie absehbar war, dass das Geschlecht bei einer Sars-CoV-2-Erkrankung eine große Rolle spielt“, sagt Sabine Oertelt-Prigione, die Hauptautorin der Meta-Analyse und Professorin für Geschlechtersensible Medizin an der Universität Bielefeld. Bei dem Zeitdruck, der unter WissenschaftlerInnen in der Pandemie herrschte, waren Frauen hintenübergefallen. „Unter Druck kommt es immer zu einer Rückbesinnung auf alte Muster“, sagt sie, und da sei „der männliche Körper nun mal die Norm“.

Anzeige

Bis in die 90er wurden klinische Studien fast ausschließlich an Männern durchgeführt

Dabei wird seit Jahren gefordert, Frauen stärker in klinische Studien einzubeziehen. Bis in die 90er Jahre hinein wurden sie fast ausschließlich an Männern durchgeführt, wenn es nicht gerade um Frauenkrankheiten wie Brust- oder Eierstockkrebs ging.

Frauen rücken in der aktuellen Pandemie-Forschung erst allmählich in den Fokus, und wohl auch nur, weil sich weltweit Institute für Gendermedizin und gendersensible Forschungseinrichtungen dafür stark machen. Die internationale wissenschaftliche Tagung „Pandemie und Gendermedizin“, die Ende September in Greifswald stattfand, war die erste, die Frauengesundheit in der Pandemie in den Mittelpunkt rückte.

Ein erstes grobes Fazit: Männer sind zwar doppelt so häufig an Corona gestorben, landeten drei Mal so häufig auf Intensivstationen und mussten auch fast doppelt so häufig an eine Lungenmaschine angeschlossen werden. Frauen aber trifft Corona auf lange Sicht härter. Und zwar: Psychisch, physisch und gesellschaftlich.

Cathérine Gebhard, Oberärztin in der Klinik für Nuklearmedizin und Professorin für Gendermedizin an der Universität Zürich, hat in einer Studie untersucht, welchen Einfluss das Geschlecht auf die Entwicklung von Langzeitfolgen hat. 5.838 Probanden, davon (erstmals) 44,6 Prozent Frauen, haben teilgenommen. Das Ergebnis: Frauen sind signifikant häufiger von Langzeiterkrankungen betroffen. Besonders in Form von Autoimmunerkrankungen, an denen doppelt so viele Frauen wie Männer erkranken. Das aktivere Immunsystem von Frauen, das sie zwar statistisch vor dem Corona-Tod bewahrt hat, wird ihnen in der Folge zum Verhängnis.

Vier mal mehr Frauen als Männer sind von Long-Covid betroffen

Die weitreichendste Erkrankung von allen: Long Covid. Das bedeutet: Atemprobleme, Magen-Darm-Beschwerden, Müdigkeit, Schmerzen, Angst, Depressionen und das über Monate hinweg.

JedeR dritte an Corona Erkrankte ist betroffen, Frauen davon überdurchschnittlich. Der Pariser Krankenhausverbund Assistance Publique meldete bereits im Juli 2020, dass vier Mal so viele Frauen wie Männer von Long Covid betroffen sind und Frauen demnach stärker in der Forschung zu berücksichtigen seien. Noch geschieht das nicht.

Schon 2012 bei der Schweinegrippe-Pandemie wie auch beim Eppstein-Bar-Virus oder dem Pfeifferschen Drüsenfieber traten jene Beschwerden auf, die man jetzt bei Long Covid sehe. Außerdem gibt es signifikante Parallelen zu einer weiteren Auto-Immunerkrankung, die vor allem Frauen trifft: die Myalgische Enzephalomyelitis (ME), auch bekannt als Chronic Fatigue Syndrom (CFS) oder chronisches Erschöpfungssyndrom. Betroffene fühlen sich dauerhaft krank und erschöpft, haben Muskelschmerzen, können nicht arbeiten, viele werden ein Pflegefall.

Doch Frauen, die daran erkranken, werden schnell in die Psycho-Ecke gestellt. Lange Zeit hat sich darum niemand für diese Krankheit interessiert. Betroffene berichten, wie ÄrztInnen vor ihnen sitzen und erst einmal googeln müssen, was das überhaupt ist. „Es gibt keine Fachgesellschaften, die sich mit der Erkrankung beschäftigen, keine Leitlinien, es gibt keine zugelassenen Medikamente für eine gezielte Behandlung“, erklärt Professor Carmen Scheibenbogen, die Leiterin des Chronic Fatigue Centrums an der Charité Berlin. Sie musste lange für die Wahrnehmung ihres Forschungsgebietes kämpfen und erhält erst seit Long Covid Aufmerksamkeit. 250.000 Menschen waren vor Corona in Deutschland daran erkrankt, jetzt dürften die Zahlen bei etwa 400.000 liegen.

GendermedizinerInnen haben sich jetzt international in dem Netzwerk „Gender and Covid-19“ zusammengeschlossen, arbeiten an Positionspapieren, beziehen die UN, die WHO und die PAHO (Panamerikanische Gesundheitsorganisation) mit ein, um Frauen in der Pandemieforschung auf den Schirm zu holen. Auf EU-Ebene gibt es immerhin schon die Vorschrift, „Gender Equality Plans“ vorzulegen, wenn Forschungsgelder bewilligt werden sollen. Professorin Oertelt-Prigione: „An der Forschung zu Post-Covid wird sich herausstellen, inwiefern Geschlecht in der Medizin wirklich mitgedacht wird.“

Hilfe für Betroffene:
https://cfc.charite.de/fuer_patienten/
www.mecfs.de
www.fatigatio.de

Artikel teilen

Anzeige

 
Zur Startseite