Sexist Man Alive 2021: Der Papst

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Es gibt viel Gutes zu sagen über diesen Papst. Als der italienischstämmige Argentinier im Jahr 2013 in den Vatikan einzog, machte er sich nicht etwa in den prächtigen Papstgemächern breit, sondern quartierte sich im Gästehaus ein. Er trägt keine roten Lederschuhe und keine barock-bestickte Stolen, sondern Sandalen und die schlichte weiße Papstsoutane. Demonstrativ erteilt er dem Prunk eine Absage und sucht die Nähe des Volkes. Und er nutzt seine Autorität zur Kapitalismuskritik, gegen den Rassismus und für die Rettung des Klimas („Wir sind die Hüter, nicht die Herren der Welt“).

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Wirklich schade, dass es da noch andere Seiten gibt. Ganz andere. Und das nicht nur in Detailfragen, sondern im Kern. Denn: Auch dieser Papst ist der Chef eines Apartheidsystems, in dem Frauen Menschen zweiter Klasse sind. Allein aufgrund ihres biologischen Geschlechts sind sie die Dienerinnen der frommen Herren und schrubben die Kirchenböden. Sie sind ausgeschlossen vom Spenden der Sakramente und der Priesterweihe, also vom eigenständigen Zugang zu Gott. Der führt exklusiv über die frommen Herren.

Der EMMA-Award "Sexist Man Alive 2021" geht an Papst Franziskus!
"Sexist Man Alive 2021": Papst Franziskus!

Auch im 21. Jahrhundert steht der Vatikan an der Spitze des ältesten, hermetischsten Männerbundes dieser Welt. In dem sich nicht zufällig Männer, die Männer lieben, besonders wohlfühlen. Und dieser Papst sorgt dafür, dass es immer so weitergeht. Mit der Frauenverachtung, kaschiert in Idealisierung. Und mit der sexuellen Gewalt, lange ignoriert.

Dieser Papst bekämpft nicht nur nicht den epidemischen, strukturellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (von den Frauen ganz zu schweigen), er schützt auch Täter und Mitwisser. Allein in Frankreich gab es seit den 1950er Jahren mehr als 300.000 Opfer und ca. 3.000 Täter. Doch nicht er hat wenigstens im 21. Jahrhundert eingegriffen, sondern die Basis hat Seine Heiligkeit dazu zwingen müssen.

Dieser Papst brüskiert die zahllosen engagierten Katholikinnen auf der Welt, die seit Jahrzehnten um das Recht kämpfen, Priesterinnen oder wenigstens Diakoninnen werden zu dürfen. Er erklärt ihnen gönnerhaft: „Ein solcher Reduktionismus (wie die Forderung nach dem Priestertum auch für Frauen, Anm. d. Red.) würde uns zu der Annahme veranlassen, dass den Frauen nur dann ein Status in der Kirche und eine größere Beteiligung eingeräumt würden, wenn sie zu den heiligen Weihen zugelassen würden.“ Und weiter: Das würde „auch auf subtile Weise zu einer Verarmung ihres unverzichtbaren Beitrages führen“. Alles klar, Heiliger Vater. Wir arbeiten gerne weiterhin für Mutter Kirche, fleißig und anonym – ohne Mitsprache, ohne Macht, ohne Lohn. Wir Frauen sind das so gewohnt.

Dieser Papst versucht ebenfalls nicht etwa, den systemischen Konflikt um die Abtreibung zu mildern, sondern spitzt ihn auch noch zu. Er schwingt sich zum obersten Scharfmacher gegen die verzweifelten, ungewollt Schwangeren auf und die ihnen Beistehenden.
So erklärte der Papst am 10. Oktober 2018 in seiner Generalaudienz auf dem Petersplatz, „das Böse in der Welt“ rühre von der „Missachtung des Lebens“ her.

Das Böse? Klar doch, die Abtreibung. Eine „in sich widersprüchliche Denkweise“ erlaube heutzutage sogar die Abtreibung „im Namen des Schutzes anderer Rechte“, klagte er. Welcher Rechte? Unserer natürlich. Denn „man darf kein menschliches Leben beenden, auch kein kleines, um ein Problem zu lösen. Das ist so, als ob man einen Killer bezahlen würde, um ein Problem zu lösen.“ Haben wir richtig verstanden? Abtreibende Frauen sind Auftragsmörderinnen!

Das, Heiliger Vater, ist einfach der letzte Tropfen! Es reicht!

Es reicht mit der Bevormundung der Hälfte der Menschheit. „Gott liebt das Leben“, sagen Sie im selben Atemzug. Was für ein Zynismus. Es dürfte Ihnen doch bekannt sein, dass, laut UN-Statistik, alljährlich 47.000 Frauen auf der Welt nach illegalen Abtreibungen sterben, und weitere Hunderttausende lebenslang körperlich geschädigt oder gar unfruchtbar sind. Für diese illegalen Abtreibungen sind Sie zentral verantwortlich. Das beginnt mit Ihrer Verteufelung der Verhütung.

Zwei von drei abtreibenden Frauen sind bereits Mütter; in weiten Teilen der Welt oft Mütter einer großen Kinderschar, die sie kaum ernähren können. Und Sie wagen es, diesen Frauen und uns Europäerinnen zu unterstellen, wir würden abtreiben, weil wir uns von „Geld, Macht und Erfolg verführen“ lassen!

Doch wenn wir uns Ihr Frauenbild genauer ansehen, verwundert das gar nicht. Denn Frauen sind für Sie keine vollwertigen Menschen, sie sind Untermenschen. Hinter Ihrer Idealisierung der Muttergottes steckt die nackte Frauenphobie. Ihre Predigt zum „Hochfest der Muttergottes“ am 1. Januar 2021 zum Beispiel ist ein Dokument der Apartheid. Würden Sie so gönnerhaft und herablassend über Schwarze oder Juden reden – ein Aufschrei der Empörung ginge durch die Welt.

Denn der Kern Ihres Denkens ist, wie das aller Dunkelmänner, die Frauenverachtung. Wir sind die „Anderen“, wir sind nicht etwa gleichberechtigt, sondern nur „gleichwertig“. Was das bedeutet, bestimmen Sie, die Männer. So fängt die Diskriminierung einer bestimmten Gruppe von Menschen immer an: Die Einen machen sie zu den „Anderen“.

In dieser Predigt bezeichnen Sie Frauen als „das edelste Fleisch der Welt“, das „uns empfangen und zur Welt gebracht hat“. Heute aber würde die Mutterschaft leider gedemütigt, „weil das einzige Wachstum, das interessiert, das Wirtschaftswachstum ist“. Kurzum: Sie spielen die Kapitalismuskritik gegen die Frauenemanzipation aus. Und Sie insistieren: „Es ist der Frau eigen, für das Leben Sorge zu tragen. Die Frau zeigt, dass der Sinn des Lebens nicht darin besteht, immer weiter etwas zu produzieren, sondern für das, was da ist, Sorge zu tragen.“

Für einen Mann scheinen Sie erstaunlich gut zu wissen, was die Aufgabe „der Frau“ ist. Doch wie wäre es, wenn sich auch die Männer, allen voran die Kirchenmänner, mal ans Retten der Welt und Schützen des Lebens machen würden? Nähren und Behüten, statt Missbrauchen und Alleinlassen; Waschen und Bügeln, statt im frisch gestärkten Ornat von der Kanzel Selbstgerechtigkeit und Frauenfeindlichkeit zu predigen.

 

Heiliger Vater, nicht nur Feministinnen wie EMMA und Maria 2.0 finden Ihr Frauenbild von vorgestern und schockierend. Frauen in der ganzen Welt begehren dagegen auf. So treibt niemand so häufig ab wie die katholischen Frauen. Ganz einfach, weil sie dank Ihrer Ignoranz der sexuellen Gewalt und der Verteufelung von Lust und Verhütung am häufigsten ungewollt schwanger werden. Eine Frau, die kein Kind bekommen will oder kann, treibt ab. Egal, was sie glaubt. 

Mit Ihnen war bei Ihrem Amtsantritt vor acht Jahren die Hoffnung auf Reformen und mehr Menschlichkeit verbunden. Sie haben uns getäuscht.

Stattdessen propagieren Sie zu allem Überfluss nun auch noch die Teufelsaustreibung. Bereits 2014 begrüßten Sie die Gründung der „Internationalen Vereinigung der Teufelsaustreiber“, denn: „Der Teufel existiert auch im 21. Jahrhundert. Und wir müssen von der Bibel lernen, wie wir ihn bekämpfen können.“

Bei diesen Exorzismen besprengen die Priester die „Besessenen“ mit Weihwasser und murmeln Gebete. Da kann es auch schon mal vorkommen, dass so ein Opfer stirbt. Wie 1976 die deutsche Pädagogik-Studentin Anneliese Michel. Sie wog nach 67 Exorzismen innerhalb von zwei Monaten nur noch 31 Kilo.

Heute sind nicht zuletzt dank Ihrer Propaganda allein in Italien mehr als 200 Exorzisten tätig, in Polen rund 300. Und das Erzbistum Köln hat einen offiziellen Exorzismus-Beauftragten, den Prälaten Helmut Moll. Köln? Da müsste es doch in Ihren päpstlichen Ohren klingeln. Vertuschte Missbrauchsfälle. Massenhaft Kirchenaustritte der Gläubigen. Rebellische Frauen.

Zu Unrecht geehrter Papst Franziskus, es kann Sie nun nicht mehr überraschen, wenn wir zu folgendem Schluss kommen: Aufgrund Ihrer Schuld, Ihrer Schuld, Ihrer großen Schuld sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass kaum jemand in der christlichen Welt für das Elend von Frauen und Kindern so viel Verantwortung trägt wie Sie. Sie haben darum den Titel „The Sexist Man Alive“ mehr als verdient.

Explanation of the jury - English version

 

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