Herr Wiechers: Antwort gesucht!

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Was ist nur mit den Frauen los? Fragte Herr Wiechers Ariadne von Schirach. Und die begab sich auf die Suche nach einer Antwort. Warum jagt bei den Frauen eine Entblößung die andere?

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J. hungert. Es ist nicht auffällig, sie isst mit, wenn etwas bestellt wird, sie sagt oft: "Ach, mir ist nicht nach Essen." Oder: "Ich bin schon satt." Im Winter friert sie immer, auch sonst ist ihr leicht kalt. Sie trägt gerne enge Sachen und sieht großartig aus in Röhrenjeans.
J. hat die Dinge in die Hand genommen, ihren Magen gezähmt und sich in ein besseres Abbild ihrer selbst verwandelt. Wenn sie nur nicht immer so Hunger hätte. Aber wenn man das Knurren lang genug ignoriert, geht es weg. Ganz bestimmt. J. ist eine kluge Frau. Aber vor allem ist sie eine schlanke, begehrenswerte, sexy Frau. Sie betritt einen Raum, stöckelt herum, und zeigt ihre schmalen Schultern. Die Männer mögen das. Die Frauen weniger.
Unser Körper steht mehr und mehr im Fokus der Aufmerksamkeit. Er ist zum Statussymbol geworden. Zur Orientierungshilfe in einer verwirrenden Welt. Wir sind darauf geeicht, Körper zu beurteilen. Und wohlversorgt mit idealen Körperbildern, die uns als Norm dienen und mit denen wir uns messen. Der ideale Körper soll sexy sein, darauf haben wir uns irgendwie geeinigt. Sexiness ist die Produktion pornografischer Körper. Denn ein solcher ist vor allem eines: sichtbar. Ausgeleuchtet, optimiert und begehrenswert.
Manchmal ist es wunderbar, sexy zu sein. Genauso wie es herrlich sein kann, Sexobjekt zu werden. Für einen Augenblick. Das Problem ist die Dauer. Wenn Sexiness zu einem Wert wird, dem der einzelne störrische Körper in jedem Moment zu genügen hat, haben wir ein Problem. Hunger ist da nur der Anfang.
Denn dieser Optimierungszwang stellt Anforderungen, denen niemand genügen kann. Außer Paris Hilton, globale Ikone und Inhaberin eines zu hundert Prozent entfremdeten Körpers. Hilton lebt davon, jederzeit sichtbar sein zu können. Sie hält es aus, und war bislang noch in keiner Entzugsklinik wie ihre Schwestern im Geiste, Lindsay Lohan, Nicole Ritchie und Britney Spears. Jeder Moment von Hiltons Existenz wird überwacht und ist darauf ausgerichtet, zum Bild zu werden. Ihr Körper gehört allen, die sich ein Bild von ihr machen.
Aber Hilton versteht es wie keine andere, aus ihrer Sichtbarkeit Kapital zu schlagen. Vielleicht macht sie das zu einer globalen Ikone; sicher ist, dass sie genau damit eine sehr reiche Frau wurde.
Sexiness hat mit der Arbeit am eigenen Bild zu tun. Wir verhalten uns zu einem Ideal, und definieren uns durch Abweichung. Wieder zu fett, wieder zu schwabbelig, wieder zu ungelenk. Die Bilder sind schon in unsere Köpfe gewandert, und erzeugen einen perfiden Druck. Bin ich gut genug? Sexy genug? Habe ich das Richtige an?
Aber warum machen wir uns so viele Gedanken? Weil wir im Zeitalter der Bilder leben. Der "Iconic Turn", ausgerufen in den Neunzigern, bestimmt unser Verhältnis zur Wirklichkeit. Wir denken in Bildern. Wir arbeiten uns an Bildern ab. Und seit Porno so glamourös geworden ist, seit Pornostars aussehen wie Popstars und umgekehrt, und sich gleichzeitig die kulturelle und die pornografische Sphäre mehr und mehr durchmischen, sind diese Bilder sexuell ausgerichtet.
Die Erzeugung von Sexiness ist ein hartes Geschäft. Der Leib wird zum Körper, an dem kräftig gewerkelt werden soll. Die einzelnen Körperteile werden ans Licht gezerrt, mit dem lokalen Optimum verglichen und möglichst umfassend getuned. Jeder Teil muss den Anforderungen des Bildes genügen, muss bereit sein, ikonografisch zu wirken. Sexy Haare. Sexy Make-up. Sexy Sommersachen. Verdammt, es gibt viel zu tun.
Aber warum wollen wir sexy sein? Weil es glamourös ist, weil es richtig ist, wichtig ist. Weil dahinter das Begehren steht, das wir mit unserer Erscheinung auszulösen vermögen, und wir wissen, Begehren ist Macht. Eine sexy Frau hat Macht über Männer, das verstehen schon die ganz jungen Mädchen, und zwängen sich in enge T-Shirts, auf denen ein Playboy-Bunny glitzert. Begehrt zu werden heißt Aufmerksamkeit zu bekommen, und eben diese ist Gold wert im Zeitalter der medialen Überinformation. Look! At! Me!
In dieser Form des weiblichen Selbstbewusstseins liegt eine große Freiheit. Und eine große Verknechtung. Wer sich dem Dauerdiktat der Sexiness unterwirft, hat manchmal gar keine Zeit mehr, sich an den Blicken der anderen zu erfreuen. Ein narzisstischer Rausch stellt sich ein, das Begehrt-Werden wird zum Selbstzweck, der Körper zum Instrument der Aufmerksamkeitserzeugung.
Das Weib wird erbärmlich. Eine schrille Entblößung jagt die nächste, und irgendwann stehen auch die Männer, um die es doch einmal gehen sollte, zweifelnd vor der allzu unverhüllten Nacktheit. Oder dem gar zu billigen Look.
In einschlägigen Sexportalen wie poppen.de präsentieren sich Hausfrauen, Studentinnen und Angestellte manchmal derart geschmacklos, dass die meisten Männer sich schaudernd abwenden. Das kann doch nicht wahr sein, was ist nur mit den Frauen los, fragte mich Herr Wiechers, der die Website singleboersen-vergleich.de betreibt.
Ich weiß es auch nicht, Herr Wiechers. Ich denke, das hat etwas damit zu tun, dass wir im Zeitalter der Sichtbarkeit leben, dass Entblößung zum guten Ton zu gehören scheint und dass der sexuelle Imperativ (Ficke! Zeig dich! Sei bereit!) immer mehr um sich greift. Die Frauen in den Portalen wollen es wenigstens. Die Mädchen in den engen Oberteilen und mit der frivolen Sprache faken es meistens. Sexiness hat ein schizophrenes Moment. Man verkauft sich als Sexobjekt, und will doch irgendwie als Mensch gesehen werden. Das ist nicht einfach. Und sorgt für Verwirrung. Botschaft und Inhalt passen nicht mehr zusammen.
Doch sich auf Dauer zum Objekt zu stilisieren geht auf Kosten der Seele. Der Weltzugang wird pornografisch, die Wahrnehmung verödet. Man scannt, was bedeutet, andere Menschen nach einer "Hot or Not"-Unterscheidung zu beurteilen. Menschen werden so zu Dingen. Der eigene Körper wird zum Objekt der Selbstverbesserung und nicht der Selbstsorge. Er wird ausgebeutet, um den Regeln des Bildes zu genügen. Das macht grausam. Denn der erbarmungslose Blick auf sich selbst richtet sich in ebensolcher Schärfe auf den anderen. Männertitten? Spaghettiarme? Bauchansatz, haarig? Iiih.
Lieber trifft man sich im Fitnessclub. Liest die richtigen Magazine, kauft die richtigen Kleider, und wachst und wachst und wachst. Und irgendwie - bleibt man dabei allein. Sich am Sexiness-Ideal abzuarbeiten kostet wesentlich weniger Mut, als die eigene Unvollkommenheit und die des anderen auszuhalten. Im narzisstischen Wahn kann man sich wenigstens der Illusion hingeben, das Perfektion als Dauerzustand funktioniert. Ich und mein Schweißband, was brauch' ich mehr.
Wenn Sexiness zu einer Forderung wird, die unsere gesamte Lebenswirklichkeit verseucht, schaffen wir uns Umstände, die uns entmenschlichen. Und entfremden. So stehen wir, Männer und Frauen gemeinsam, vor dieser selbst geschaffenen Ungeheuerlichkeit, dieser maßlosen Forderung nach Erfolg, Schönheit, Jugend, Sexappeal, Familie, Durchsetzungskraft und Sensibilität, und fragen uns, wie wir das bitteschön auf die Reihe kriegen sollen. Wir Frauen sind da nur schon ein Stückchen weiter. Wir haben uns schon Jahrhunderte lang mit absurdesten Vorgaben herumgeschlagen, und so schultern viele ihr Bündel, und sagen: "Ja. Ich will alles, ich will schön sein und sexy sein und erfolgreich und Mutter und Geliebte und ..."
Aber die Männer holen auf. Kümmern sich um ihre Muskeln, halten Diät und kaufen Kosmetik. Einige allerdings setzen sich lieber mit virtuellen Frauen auseinander, die perfekt sind, devot und jederzeit sichtbar. Das wiederum gefällt den echten Frauen nicht. Diese Ladies im Netz und in den Filmen und auf den Bühnen unserer Städte sind unsere Feindinnen, und unsere Vorbilder.
Christina Aguilera wäre das alles nicht passiert. Nein, Erfolg und Familie reicht nicht, niemals, das einzige, worum es wirklich geht, ist die Sexiness, die durch eben diese Bilder erzeugt wird. Das kommt dazu, ist Sinn und letzte Forderung, wenn man nicht begehrenswert ist, ist man nichts wert. Und ab ins Fitnessstudio, aufs Laufband, zum Schönheitschirurgen! Schneller! Besser! Jünger! Krasser!
Alles kreist um das Bild, das wir uns von uns selbst machen. Wenn wir uns des Bildes bedienen, bemächtigen wir uns. Manchmal ist es genau das Richtige, nicht mehr so viel in sich hineinzustopfen. Aber wenn sich die Bilder unserer bemächtigen, wenn wir unseren Körper und unsere Seele ausbeuten, um dem Diktat der Sichtbarkeit und der Forderung nach Sexiness zu genügen, entfremden wir uns. Der Körper wird zum Objekt, gestählt, geschmückt und seltsam ähnlich. Das popkulturelle Ideal produziert Klone. Fettfreie Frauen mit hippen Haaren und schickem Styling.
Sexiness ist ein popkulturelles Phantasma, dem wir nicht auf Dauer hinterher jagen können, ohne uns zu verlieren. Ohne unsere Würde, unsere Lust und unser Selbstgefühl zu verletzen. Wir sollten unsere Körper bewohnen, anstatt sie zu bewirtschaften. Unsere Freiheit beginnt dort, wo wir die Bilder beherrschen und nicht umgekehrt. Und wo wir das zur Erscheinung bringen, was uns voneinander unterscheidet: Unsere Einzigartigkeit.
Ariadne von Schirach, EMMA 5/2007

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