Die Chronik der Frauenbewegung

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1949
(Deutsch 1952) erscheint Simone de Beauvoirs legendärer Essay „Das andere Geschlecht“ mit dem Schlüsselsatz: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht.“ Das Buch wird erst in den 1960er Jahren breit rezipiert und zur „Bibel der Frauenbewegung“.

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1963
„Der Weiblichkeitswahn“ von Betty Friedan (Deutsch 1966) erscheint. Das Buch entlarvt den Mythos von der „glücklichen Hausfrau“ und wird in den USA einer der Auslöser des Women’s Lib. Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis es auch in Europa losgeht.

Januar 1968
Auf einer Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) wird der „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ gegründet. Rund hundert Frauen, oft selber Mütter, initiieren die ersten antiautoritären „Kinderläden“. Die davon ausgehenden Impulse reformieren die Pädagogik.

3. Juni 1968
In New York schießt Valerie Solanas auf Andy Warhol. Er überlebt. Die Künstlerin aus Warhols Factory gründet die Society for Cutting Up Men, SCUM. In ihrem gleichnamigen Manifest erklärt sie: „Der Mann ist eine biologische Katastrophe“ – und macht damit weltweit Skandal.

13. September 1968
Auf der SDS-Versammlung in Frankfurt hält Helke Sander eine Frauenrede: „Wir können mit der Lösung der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frauen nicht auf die Zeiten nach der Revolution warten.“ Gegen das Gelächter und die Ignoranz der Genossen schleudert Sigrid Rüger die legendäre Tomate.

Januar 1969
Das Kursbuch 17 über „Frau, Familie, Gesellschaft“ erscheint. Der Text „Die kulturelle Revolution der Frau“ von Karin Schrader-Klebert (Foto) ist die erste deutsche feministische Analyse im Vorfrühling der Frauenbewegung.

7. Februar 1971
Die Schweizerinnen bekommen das Wahlrecht. Endlich! 123 Jahre nachdem die Bundesverfassung erklärt hatte: „Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich.“ Seit Jahrzehnten hatten die Schweizerinnen dafür gekämpft. Schließlich schlossen sich alle Frauenorganisationen, vom „Katholischen Frauenbund“ bis zur radikalen „Frauenbefreiungsbewegung“, zusammen. Nun stimmte auch die Mehrheit der Männer bei der Volksabstimmung für das Frauenwahlrecht. Auf kantonaler Ebene wird es noch 19 Jahre dauern, bis Appenzell-Innerhoden 1990 auch die Frauen zur Wahlurne gehen lässt.

6. Juni 1971
Der Stern erscheint mit dem Titel „Wir haben abgetrieben!“ 374 Frauen, darunter einige Schauspielerinnen, ordern namentlich: „Ich bin gegen den § 218 und für Wunschkinder!“ Zu der Zeit steht auf Abtreibung noch Gefängnis. Der § 218 wird zwar kaum noch angewandt, hängt aber wie ein Damoklesschwert über den Frauen. Die illegalen Abtreibungen sind ein bedrückendes Geheimnis für jede Einzelne und lebensgefährlich. Alice Schwarzer, die damals in Paris lebt, importiert die Idee von Frankreich nach Deutschland. Das Selbstbekenntnis wird zum nationalen Skandal und letztendlich zum Auslöser der Neuen Frauenbewegung. Die Frauen brechen ihr Schweigen – und sind nicht mehr zu stoppen.

28. Februar 1972
„Frauen gemeinsam sind stark“ lautet der Titel der ersten periodischen Veröffentlichung aus den Reihen deutscher Feministinnen, herausgegeben von der Frankfurter Gruppe „Revolutionärer Kampf und Aktion 218“. Das Themenspektrum geht von der Ausbeutung in Betrieb und Küche bis zum Protest gegen Misswahlen (Foto). Die Gruppe erregt immer wieder Aufsehen durch militante und kreative Protestaktionen. Bei Misswahlen werfen sie Schweinshaxen – aus Protest dagegen, dass Frauen „wie Vieh“ verschachert werden.

9. März 1972
Die Volkskammer der DDR verabschiedet die Fristenlösung. Innerhalb der ersten drei Monate ist ein Schwangerschaftsabbruch von nun an straffrei, eine Regelung, die auch die Frauen in der Bundesrepublik fordern. Die Parteiführung befürchtet offensichtlich ein Überschwappen der westlichen Frauenbewegung auf die DDR und versucht, dem durch Verordnung der „Emanzipation von oben“ zuvorzukommen. Der staatskritische Feminismus sickert dennoch durch die Mauer. Erste Frauengruppen bilden sich auch im Osten, meist unter dem Dach der Kirche.

11./12. März 1972
März 1972 Rund 400 Frauen aus 40 Städten treffen sich zum „1. Bundesfrauenkongress“ in Frankfurt. Per Resolution erklären sie: „Frauen müssen sich selbst organisieren, weil sie ihre ureigensten Probleme erkennen und lernen müssen, ihre Interessen zu vertreten. Die Gruppen, die zunächst größtenteils aus dem Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen entstanden sind, haben erkannt, dass die Unterdrückung der Frauen in einem umfassenden gesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen ist, der über die Abtreibungskampagne hinausgeht.“ – Das offizielle Signal für eine deutsche Frauenbewegung ist gegeben.

Dezember 1972
Der Protest der österreichischen Frauen gegen den Abtreibungsparagraphen 144 wird spektakulär. Auf der Wiener Mariahilfer Straße lässt sich eine Aktivistin, als Sträfling mit der Nr. 144 verkleidet, in einem Käfig durch die weihnachtliche Innenstadt ziehen. Ein Jahr später wird der Nationalrat mit den Stimmen der SPÖ die Fristenlösung verabschieden. Ein von den Konservativen angezetteltes Volksbegehren gegen das liberale Abtreibungsrecht bleibt erfolglos. Das Gesetz tritt am 1. Januar 1975 in Kraft und ist bis heute gültig.

3. Dezember 1972
Dezember 1972 Die SPD gewinnt die Bundestagswahl. Dank der Feministinnen. Ausschlaggebend sind laut Wahlanalysen die Stimmen der „fortschrittlichen Frauen“. Die politisierten Frauen drängen verstärkt in die Parteien, von SPD bis CDU. Der Frauenanteil unter den Bundestagsabgeordneten liegt bei allen Parteien unter zehn Prozent. Im neuen Bundestag wird zum ersten Mal eine Frau zur Bundestagspräsidentin gewählt, Annemarie Renger, die Gefährtin von SPD-Chef Schumacher. Das erste, was sie tun wird, ist: Sich von der Frauenbewegung distanzieren.

Januar 1973 
In der Hornstraße 2 in Berlin öffnet das erste deutsche Frauenzentrum seine Pforten, initiiert von mehreren Frauengruppen, von „Brot und Rosen“ bis zur „Homosexuellen Aktion Westberlin“ (HAW). Ab März ist das Zentrum täglich geöffnet. In Frankfurt starten Frauengruppen Aktionen gegen den alltäglichen Sexismus. Sie ziehen mit Transparenten durch die Straßen oder besprühen Boutiquen- Schaufenster mit Parolen wie: "Wir sind keine Puppen".

17. Februar 1973
Nicht nur homosexuelle Frauen protestieren öffentlich gegen eine Bild-Serie über „Die Verbrechen der lesbischen Frauen“. Anlass ist die Verhaftung von Marion Ihns und Judy Andersen. Die beiden Frauen, ein Liebespaar, hatten Ihns prügelnden und vergewaltigenden Ehemann von einem Auftragsmörder umbringen lassen. – In dieser Zeit macht das Schlagwort von der „neuen Zärtlichkeit“ unter Frauen Furore. Die Medien reagieren zunehmend gereizt auf weibliche Homosexualität. Der Prozess gegen die beiden Frauen wird zum Schauprozess. Sie werden zu lebenslänglich verurteilt.

Pfingsten 1973
Frauen initiieren beim Pfingsttreffen der Homosexuellen Aktion Westberlin erstmals eigene Frauenveranstaltungen. Titel: „Von der Notwendigkeit für Lesben, feministisch zu werden“. Die homosexuellen Frauen spalten sich in hie eine Fraktion, die sich als „schwul“ versteht und weiter mit den Männern agiert, und da eine feministische Fraktion.

Sommer 1973
Auf der dänischen Insel Femø treffen sich Frauen aus ganz Westeuropa zum ersten internationalen Frauenzeltlager. Sie genießen einen Sommer lang das „Frauenland“. Femø wird rasch zur Legende. Das Treffen wird bis heute von den Däninnen organisiert (www.femoe-intiweek.hellbunt.de).

16. Juli 1973
Bei den Lippstädter Hellawerken treten 4 000 Arbeiterinnen in einen wilden Streik. Auslöser ist eine Lohnerhöhung im Werkzeugbau, die nur Männern zugute kommt. Weitere Frauenstreiks folgen: in Neuss, Herne, Köln. Die „Frauen im Arbeitskampf“ sind auch Thema des „1. internationalen Frauenfilm-Seminars“ in Berlin, organisiert von Helke Sander und Claudia von Alemann. Weitere Themen: Sexualität, Rollenverhalten sowie die Darstellung der Frauen in den Medien.

November 1973
Im Berliner Frauenzentrum sind zwei Amerikanerinnen zu Besuch. Sie kommen aus Los Angeles und führen eine Selbstuntersuchung mit dem Spekulum vor. 300 Frauen kommen aus dem Staunen nicht heraus. Infolge der Abtreibungsdebatte kommt das Thema Körper auf die Agenda. Frauen entdecken ihren eigenen Körper. Und das Thema Gesundheit. Das US-Buch „Our Bodies ourselves“ beflügelt das erwachende Interesse an der Frauengesundheit: Verhütung, Schwangerschaft, Frauenkrankheiten. Ab 1976 erscheint die Frauengesundheits-Zeitschrift Clio, 1977 wird das Feministische Frauengesundheitszentrum (FFGZ) in Berlin eröffnet.

9. März 1974
14 ÄrztInnen kündigen in Berlin öffentlich eine Abtreibung nach der schonenden Absaugmethode an. Die Aktion ist eine Provokation. Im Spiegel bekennen nun 329 ÄrztInnen: „Wir haben Frauen ohne finanzielle Vorteile zur Abtreibung verholfen und werden dies auch weiterhin tun.“ Alice Schwarzer dreht für Panorama einen Bericht – die ARD-Intendanten verbieten den Beitrag wenige Stunden vor Ausstrahlung. Daraufhin sendet Panorama-Chef Merseburger 45 Minuten lang ein leeres Studio. Der Skandal ist komplett. Fünf Tage später gehen im ganzen Land Tausende Frauen auf die Straße. Hunderte treten aus der katholischen Kirche aus.

11. Mai 1974
Rockfete im Rock. Eine Handvoll Feministinnen initiiert am Muttertag das erste öffentliche Frauenfest – gegen den Widerstand der Frauenzentrums-Verwalterinnen, die befürchten, „die Basis“ würde das „nicht verstehen“. Das Fest wird ein überwältigender Erfolg. Über 2000 Frauen kommen und tanzen bis vier Uhr morgens. Der zensierte Panorama-Film wird gezeigt, Selbstuntersuchungen werden vorgeführt, Ina Deter singt und die erste Frauenband spielt auf. In den folgenden Jahren gehören Frauenfeste zum festen Repertoire der Frauenzentren.

5. Juni 1974
Der massive, über Jahre währende Protest der Frauen (und solidarischen Männer) hat Erfolg. Der Bundestag verabschiedet mit den Stimmen von SPD und FDP die Fristenlösung. Es ist knapp. Nur die FDP ist geschlossen dafür. Kanzler Willy Brandt (SPD) ist gegen die Reform und verlässt während der Abstimmung den Raum. Die CDU/CSU legt Verfassungsbeschwerde ein. Bis zur Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht wird das Gesetz per Einstweiliger Verfügung außer Kraft gesetzt.

21. - 23. Juni 1974
In der Evangelischen Akademie Loccum treffen bei einer Tagung zur „Emanzipation der Frau“ erstmals autonome Feministinnen mit Vertreterinnen der traditionellen Frauenverbände zusammen. Es wird ein historisches Treffen, das den Grundstein legt für zahlreiche überraschende Bündnisse in den folgenden Jahren. Inge Sollwedel schreibt in der FR: „Die Älteren – gestern noch fast feindlich – begreifen: Was sie gefordert, erkämpft und geleistet haben, diese jungen Frauen leben das nun. Das ist neu für Frauen – ihr Recht auf Träume zu proklamieren.“ – Links: Meibom und Schwarzer.

Herbst 1974
Gleichzeitig in der BRD und der DDR erscheint der Roman der Ostberlinerin Irmtraud Morgner „Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura“. Der fantastisch- realistische „Montage-Roman“ ist der erste offen feministische Text aus der DDR. Morgner gilt von nun an, neben Christa Wolf, als Vorzeigefeministin der DDR. In der Folge wird die bekennende Sozialistin und Feministin immer wieder mit der Stasi und der Zensur in Konflikt geraten. Die Arbeitertochter aus dem „bücherlosen Haushalt“ bleibt dem Sozialismus treu. 1990, kurz nach der Wende, stirbt Morgner mit nur 56 Jahren an Krebs. Ihr letztes Interview, ein politisches Vermächtnis, gibt sie in EMMA.

1975
Die UN erklären das „Jahr der Frau“, die Frauenbewegung das „Jahr der Frauenkämpfe“. Im Sommer findet in Mexiko die erste Weltfrauenkonferenz der UN statt. Diese Treffen tragen stark zur internationalen Vernetzung bei.

6. Februar 1975
Im Nachmittagsprogramm der ARD läuft das Streitgespräch zwischen Alice Schwarzer und Esther Vilar. Vilar hatte ein vor allem von Männern gern zitiertes antifeministisches Buch geschrieben: „Der dressierte Mann“. Schwarzer hatte bis dahin zwei Bücher veröffentlicht (über die Funktion von Abtreibung und über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie), war aber noch keine „öffentliche“ Feministin. Das wurde sie schlagartig mit dieser Sendung. „Die Männer waren für Esther – die Frauen für Alice“, schrieb HörZu. Und Bild titelte mit der „Hexe“ in der „Fernsehschlacht des Jahres“.

25. Februar 1975
Das Bundesverfassungsgericht kippt aufgrund einer Klage der CSU die Fristenlösung. Die einzige Richterin, Rupp-von-Brünneck, und ein Richter erklären in einem Minderheitenvotum die Fristenlösung für verfassungskonform. Im ganzen Land kommt es zu starken Protesten. Später werden alle Parteien sich mit der Indikationslösung arrangieren. Die Abtreibung ist in Deutschland bis heute kein Recht der Frauen, sondern muss „erlaubt“ werden.

Herbst 1975
In dem feministischen Verlag Frauenoffensive veröffentlicht Verena Stefan ihr Buch „Häutungen“. Damit kreiert die Krankenschwester aus der Schweiz, die in der Berliner Gruppe „Brot und Rosen“ aktiv ist, die Betroffenheitsliteratur. „Weibliches Schreiben“ wird diskutiert. Das Buch wird zum Kultbuch der Frauenbewegung. In München eröffnen 17 Frauen den ersten deutschen Frauenbuchladen, Lillemor. Zwei Jahre später existieren bereits zwölf Frauenbuchläden in der Bundesrepublik und Westberlin. 

Herbst 1975
Der „Kleine Unterschied und seine großen Folgen“ erscheint. Alice Schwarzer analysiert darin die Funktion der Liebe bei der (Selbst)Unterdrückung der Frauen und fordert eine freie Sexualität ohne Machtverhältnisse. Das Buch wird zum Bestseller und in neun Sprachen übersetzt. Und seine Autorin wird nun von den Medien zu der Symbolfigur des Feminismus und Projektionsfläche gemacht: An der „Schwanz-ab-Schwarzer“ diskutieren Frauen und Männer aus, wer denn nun recht hat: Er oder sie. Die Zeit nennt den Umgang der Medien mit Schwarzer die „bisher längste und perfideste journalistische Menschenhatz in der Geschichte der Bundesrepublik“.

November 1975
Gegen den Pornofilm „Geschichte der O“, der auch in fortschrittlichen Kreisen als angesagt gilt, protestieren Frauengruppen in Amerika wie Europa mit Farbbeuteln und Stinkbomben. Und sie erstatten – folgenlos – Anzeige wegen „Verharmlosung von Gewalt“. Es sind die ersten Anti-Porno-Proteste in Deutschland.

4. März 1976
In Brüssel treffen sich 1500 Frauen aus 33 Ländern zum „Internationalen Tribunal Gewalt gegen Frauen“. Am Pranger stehen häusliche Gewalt und Pornografie. Susan Brownmiller liefert mit „Gegen unseren Willen“ die theoretische Basis. Die Amerikanerin analysiert die Funktion der Vergewaltigung in Krieg wie Frieden als patriarchale Strategie zur Unterwerfung von Frauen. Und sie thematisiert erstmals die Vergewaltigungen deutscher Frauen im 2. Weltkrieg. Was noch ein Tabu ist.

30. April 1976
In der Walpurgisnacht (der Hexennacht auf dem Blocksberg) gehen Frauen erstmals gegen die sexuelle Gewalt auf die Straße. Slogan: „Frauen erobern sich die Nacht zurück.“

1. November 1976
In Berlin eröffnet das erste „Haus für geschlagene Frauen“, initiiert von Feministinnen und finanziert als „Modellprojekt“ von Stadt und Bund. Die 80 Plätze sind innerhalb weniger Tage belegt. Im Jahr 2012 wird es in Deutschland 356 Frauenhäuser geben. 

Anfang 1977
Die Berliner Frauenzeitung Courage geht auf einen überregionalen Vertrieb, gleichzeitig mit der ersten EMMA. Sie kommt aus der Frauenbewegung, wird überwiegend von nicht-professionellen Frauen gemacht und richtet sich in erster Linie an die Frauenszene. Noch vor Erscheinen der EMMA veröffentlicht Courage einen Boykottaufruf gegen das von Schwarzer geplante Blatt und fordert die Frauenbewegung auf, nicht mit EMMA zu arbeiten, denn: Ein „marktfreundlicher Journalismus und die Interessen der Frauenbewegung sind nicht vereinbar“. Der Angriff von Courage auf die geplante EMMA wird von den Medien breit berichtet. – Courage erschien bis zum Jahr 1984.

26. Januar 1977
Die erste EMMA erscheint. Auf dem Cover: Herausgeberin Alice Schwarzer sowie die Mitarbeiterinnen Sabine Schruff und Angelika Wittlich plus Redaktionssekretärin Christiane Ensslin. War die Aufregung über EMMA bereits im Vorfeld gewaltig, so geht es jetzt erst richtig los. EMMA sitzt zwischen allen Stühlen: Sie ist ein feministisches und ein professionelles Blatt zugleich und richtet sich nicht nur an Feministinnen, sondern an alle Frauen. Was ihr Teile der Frauenbewegung nicht minder übel nehmen als Teile der Männermedien. Doch EMMA hält durch. Und ist heute weltweit das letzte Magazin am Kiosk in der Hand von Feministinnen und hat von allen deutschen Frauenmagazinen die jüngsten Leserinnen. 

1. März 1977
In Berlin gehen in dieser Nacht hunderte Frauen auf die Straße. Sie protestieren gegen die Vergewaltigung und Ermordung von Susanne Schmidtke. Die 26-Jährige war von dem Täter vor einem Lesbenlokal abgefangen worden. Im Flugblatt zur Aktion heißt es: „In der BRD werden 35 000 Frauen im Jahr vergewaltigt. Davon werden 7 000 Vergewaltigungen angezeigt und nur 700 Vergewaltiger verurteilt (0,5 %).“ Inzwischen ist die Verurteilungsquote gestiegen: auf etwa ein Prozent.

6. April 1977
Die „militanten Panther-Tanten“ mauern die Türen zu den Redaktionsräumen von konkret zu. Grund: Deren aggressiver Sexismus: „Man möchte am liebsten seinen ganzen linken Chauvinismus zusammennehmen und die Emmas mal richtig rannehmen.“

23.7.1977
Erstmals spricht der Deutsche Presserat eine Rüge wegen Sexismus aus. Anlass: Ein Titelfoto des Spiegel zu den „verkauften Lolitas“. Feministinnen erstatten Anzeige. Übrigens: Das von seiner eigenen Mutter so fotografierte kleine Mädchen auf dem Titel hat 33 Jahre später einen Film über sein Schicksal gemacht: „I’m not a fucking princess“ von Eva Ionesco.

September 1977
Im ganzen Land werden „Aktionsgruppen gegen die Klitorisbeschneidung“ gegründet. Den Anstoß hatte EMMA mit einem Bericht in ihrer März-Ausgabe gegeben. Die UN verurteilt das „millionenfache Massaker“. Deutsche Linke finden den Protest „weißer, bürgerlicher“ Feministinnen „rassistisch“.

23. Juni 1978
Zehn Frauen, darunter Inge Meysel, verklagen auf Initiative von EMMA den Stern wegen sexistischer Titelbilder. Für Stern-Chef Henri Nannen sind sie „freudlose Grauröcke“. Der Prozess erregt über Monate die ganze Nation. Der Frauenrat schließt sich mit seinen sechs Millionen Mitgliedern der Klage an. Rein juristisch verlieren die Frauen die Stern-Klage, denn es gibt kein Gesetz gegen Sexismus (so wie gegen Rassismus). Moralisch gewinnen sie. Richter Engelschall spricht in der Urteilsbegründung von einem „berechtigten Anliegen“ und hofft: „In 20 oder 30 Jahren werden die Klägerinnen vielleicht gewinnen können.“ – Es gibt das Gesetz noch immer nicht.

27. - 29. Oktober 1978
Die „Sekretärinnen-Gruppe“ des Frankfurter Frauenzentrums lädt „Schreibkräfte, Sachbearbeiterinnen, Stenotypistinnen und Frauen, die in angrenzenden Bereichen tätig sind“, zu einem „Büroarbeiterinnen-Kongress“ ein. Genau 111 Frauen aus Deutschland, Österreich und Frankreich diskutieren zwei Tage lang über den „Widerstand im und Alternativen zum Büro“. – Dreißig Jahre später spricht niemand mehr von den Sekretärinnen. Sie sind weitgehend wegrationalisiert worden und sitzen nur noch neben Top-Chefzimmern. Und genau da wollen die Frauen jetzt selber rein!

1. November 1978
In Wien eröffnet die Frauensekretärin der SPÖ, Johanna Dohnal, das erste Frauenhaus. 1979 wird Dohnal Staatssekretärin. Die „Jeanne d’Arc“ von Bundeskanzler Kreisky wird die beste Verbündete der autonomen Feministinnen, sowohl in Österreich als auch auf internationaler Ebene. – Dohnal war als uneheliche Tochter einer Wäscherin geboren und von der Großmutter aufgezogen worden. Sie heiratete mit 18 und bekam zwei Kinder. Kurz vor ihrem Tod am 20.2.2010 verpartnerte sie sich mit ihrer Lebensgefährtin. – Links ein Cover der feministischen AUF, die von 1974 bis 2011 erschien.

5. Februar 1979
Senta Trömel-Plötz hält ihre Antrittsvorlesung an der Uni Konstanz zu „Linguistik und Frauensprache“ und erregt damit großes Aufsehen. Die Sprachwissenschaftlerin gibt den Startschuss zur feministischen Linguistik, die die herrschende Sprache als „Männersprache“ kritisiert, in der Frauen nicht vorkommen – und seither die Gemüter erregt. Trömel-Plötz und Luise Pusch veröffentlichen zahlreiche Bücher zur Problematik und tragen damit enorm zur Sensibilisierung für Sprache bei.

10. Mai 1979
29 Frauen bei Foto Heinze in Gelsenkirchen verklagen ihre Firma auf gleichen Lohn. Die Frauen gewinnen den exemplarischen Prozess in erster Instanz. Erstmalig stellt ein Gericht den Grundsatz der Gleichbehandlung über die „Vertragsfreiheit“, auf die sich der Arbeitgeber berufen hatte, als er den Männern einen zwei Mark höheren Stundenlohn gezahlt hatte. Zehntausende Frauen solidarisieren sich mit Briefen, Resolutionen und einer Demonstration am Tag des Urteils. Die Heinze-Frauen haben das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ rechtlich durchgesetzt.

28. Juni 1979
Zum 10. Jahrestag des CSD demonstrieren erstmals auch in Deutschland Frauen und Männer. Der Tag – heute, in Zeiten der Homo-Ehe, eine Art Karneval – ist damals noch ein Kampftag. Lesben und Schwule demonstrieren ihre Solidarität mit den „Tunten“, die es am 28. Juni 1969 in der New Yorker Christopher Street erstmals gewagt hatten, sich gegen die brutalen Schikanen der Polizei zu wehren. Auch in der BRD war der § 175, der männliche Homosexualität mit Gefängnis bedrohte, erst sechs Jahre zuvor abgeschafft worden. Und die gesellschaftliche Ächtung der weiblichen Homosexualität ist ungebrochen.

15. September 1979
Auf Initiative von Courage findet in Köln der „Anti-Militär und Anti-Atom-Kongress der Frauenbewegung“ statt. Rund 1000 Teilnehmerinnen protestieren gegen die geplante „Nachrüstung“ mit Mittelstreckenraketen. Die Friedensbewegung beginnt und wird die Frauenbewegung spalten: in hie Friedensbewegte, die davon ausgehen, dass Frauen „von Natur aus friedlich“ sind (ihr Forum wird Courage) – und da Pazifistinnen, die finden, dass der Frieden keine biologische Frage ist und nicht minder Männersache sein müsste.

November 1979
In Köln initiiert die Künstlerin Ulrike Rosenbach eine Anti-Porno-Gruppe, denn: „Die sexuelle Liberalisierung ist seit den 1950er Jahren auf Kosten der Frauen gegangen, denn sie hat mit der Freizügigkeit gegenüber pornografischen Darstellungen auch die sexuelle Manipulation der Weiblichkeit für kommerzielle Zwecke verstärkt.“ In einem Offenen Brief fordern die Feministinnen Familienministerin Antje Huber (SPD) auf, mit ihnen gemeinsam einen „Informationsgang“ durch die Sex-Shops der Stadt zu machen, um zu sehen, wie „die Menschenwürde der Frau verletzt wird“. Die Ministerin lehnt ab. Ein Gesetz gegen Pornografie als Verstoß gegen die Menschenwürde gibt es bis heute nicht.

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