Die Klima-Seniorinnen
Diese Rentnerinnen machen mobil! In der größten Schweizer Boulevardzeitung bekannte sich Judith Giovannelli-Blocher, die Schwester des Alt-Bundesrates und rechtskonservativen Chefstrategen Christoph Blocher, eine „Klima-Seniorin“ zu sein – Spott und Häme waren die Reaktion.
Die 84-Jährige ist Mitglied eines Vereins kämpferischer Frauen im Rentenalter, die mit einer Klimaklage von der Bundesregierung verlangen, das CO2-Gesetz konsequenter umzusetzen. Sie nennen sich „Klima Seniorinnen“ und sie klagen die Verletzung eines Artikels der Schweizer Bundesverfassung an und einen Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention ein.
Rentnerinnen kämpfen dafür, das Grundrecht auf Gesundheit für sich und künftige Generationen zu schützen. „Hat die hysterisch herbeigeschriebene Klimadebatte jetzt auch das Altersheim erreicht? Das soll ja wohl ein Witz sein!“, höhnt ein Leser in der Neuen Zürcher Zeitung. „Nichts Besseres zu tun im hohen Alter, als die Gerichte mit euren Flausen zu belasten?“
Die „Klima-Seniorinnen“ schert der Spott wenig. Sie lachten nur einmal laut auf – und gingen wieder an ihre Arbeit. Diese Reaktionen waren zu erwarten. Aber Frauen wie Giovannelli-Blocher oder die Jazzmusikerin Irène Schweizer haben Erfahrung. Auch die Fast-Bundesrätin und ehemalige Präsidentin der SP-Schweiz Christine Brunner gehört zum Zirkel. Im Zentrum des im Herbst gegründeten Vereins wirkt geballte Frauenpower. Kein Medium schweigt heute noch die Erfolge der „Klima-Seniorinnen“ tot. Auch wenn einige Journalisten und andere Schreibtischtäter daran festhalten, dass Ironie das angebrachte Mittel sei, um den „Club der alten Damen“ lächerlich zu machen.
Ältere Frauen sind vom Klimawandel
stärker betroffen als Männer
Was für ein Irrtum! Der Verein „Klima-Seniorinnen“ ist eine lebenserfahrene Hydra. Ihre Mitglieder sind als Politfrauen mit allen Wassern gewaschen. Sie kämpfen schon über ein halbes Jahrhundert für feministische Belange oder sind Pionierinnen im Umweltschutz. Auch ehemalige Nationalrätinnen unterstützen den Verein bzw. sind Mit-Gründerinnen. Ebenso zwei Historikerinnen, die Bedeutendes für die Aufarbeitung der Schweizer Frauengeschichte geleistet haben, Elisabeth Joris und Heidi Witzig.
Joris schwärmt von der Initiative und dem Geist der Gleichgesinnten: „Wir sind eine fidele Gesellschaft!“ Es macht Spaß und soll Spaß machen, auch ü60 Krallen zu zeigen und Krallen zu wetzen. Joris weiß, wovon sie spricht. Sie ist im Bergkanton Wallis aufgewachsen, und noch in den 1950er Jahren war es dort für Mädchen unmöglich, Abitur zu machen. Wie die Klimaerwärmung die Natur zerstört, beobachtet sie in ihrer Heimat sehr genau. Dass ältere Frauen vom Klimawandel stärker betroffen sind als Männer, bestätigt eine aktuelle Studie des Bundes. „Wir schwitzen aus biologischen Gründen weniger als Männer, unser Körper kühlt also schlechter ab.“
„Klima-Seniorin“ Joris ist auch Mitglied des Matronats der GrossmütterRevolution, ein Think Tank für die neue Großmüttergeneration. Die Grauen Großmütter-Pantherinnen waren bei der Vereinsgründung der Klimakämpferinnen mit Rat und Tat dabei.
„Klima-Seniorinnen“ versus den Staat Schweiz! Das ist eine Premiere. Eine Klage als neues Instrument der direkten Demokratie! Es gibt ein Vorbild, und die beiden Juristinnen aus einer renommierten Zürcher Anwaltskanzlei, die die Klageschrift ausgearbeitet haben, sind mit ihm vertraut: Holland. In den Niederlanden entschied ein Gericht auf Grund einer Klage von 886 Bürgerinnen im Juni 2015, dass die Regierung den Klimaschutz ernster nehmen muss.
Wenn die Sache in der Schweiz nicht so flott wie in Holland über die Bühne geht, steht die Coolness der Klägerinnen vor einer nächsten Bewährungsprobe. Scheitern sie vor dem Bundesgericht, wird ihre nächste Beschwerdeinstanz der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sein.
Aktualisierte Fassung vom 8.8.2016