Nuhr: "Wir waren die Frauenversteher...

Kabarettist Dieter Nuhr nimmt religiöse Fundamentalismen aller Provenienz aufs Korn.
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Die EMMA-Redaktion hatte schon länger ein Auge auf ihn geworfen. Wir mochten seinen feinen Sprachwitz und die Abwesenheit von schlechten Scherzen über schlecht einparkende Frauen. Vor allem aber fiel uns auf, dass er als einer der wenigen KabarettistInnen im Lande auch in Sachen Islamisten kein Blatt vor den Mund nahm. Dieter Nuhr nimmt in Büchern mit Titeln wie „Wer’s glaubt, wird selig“ religiöse Fundamentalismen aller Provenienz aufs Korn: islamisch, christlich, ja sogar buddhistisch. Anfang 2011 übernahm er von Matthias Richling den „Satiregipfel“, das Kabarett-Flaggschiff der ARD. Die Interview-Anfrage von EMMA fand er „cool“. Schließlich sei er, Jahrgang 1960, mit EMMA als „einer Art Icon“ sozialisiert und sieht zwischen sich und uns eine „geistige Verwandtschaft in der Renitenz“. Verschärfend käme hinzu, dass er ein „klassischer Frauenversteher“ sei, der „als Macho nicht in Frage kommt“. Klingt doch gut, oder? EMMA-Redakteurin Chantal Louis traf Dieter Nuhr, der mit Frau und seiner 14-jährigen Tochter in Ratingen lebt, in einem Düsseldorfer Café. Ein paar Kontroversen gab’s trotzdem.

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Sie gehören zu den wenigen Kabarettis­ten, die wagen, das Thema Islamismus anzupacken.
Im Grunde begann das mit dem 11. September 2001. An dem Tag fiel mein Programm wegen des Anschlags aus. Aber es war klar, dass ich am nächsten Tag wieder auftreten würde. Man konnte ja jetzt nicht einfach die Theater schließen. Aber man konnte auch nicht auf die Bühne gehen und so tun, als wäre nichts passiert. Und dann habe ich mich bis nachts hingesetzt und am nächsten Tag zehn Minuten des Programms über Islamismus gemacht. Seitdem zieht sich das Thema durch meine Programme. 

Ihr Kollege Harald Schmidt zum Beispiel hat damals mit Hinweis auf seine Familie erklärt: „Davon lasse ich die Finger.“ In seinem Beruf brauche man eben „die nötige Portion Feigheit“. 
Ich kann die Angst von Harald Schmidt grundsätzlich verstehen. Ich neige auch nicht zum Heldentum. Aber das fand ich armselig. Als gäbe es keinen Weg, das Thema Islamismus zu thematisieren, ohne einen auf Held zu machen. Man kann ja auch über die Sprachlosigkeit reden. Er hätte ja zehn Minuten darüber machen können, warum er sich nicht traut, was über das Thema zu machen. Allein das hätte ja gereicht. Und ich finde es auch beschämend, dass die Linke, solange der Gegner leicht war, das Maul aufgerissen hat: „Wir lassen uns den Mund nicht verbieten! Wir brauchen Meinungsfreiheit! Das lassen wir mit uns nicht machen!“ Das war mit der CSU in Bayern ja noch relativ einfach. Und dann kommt mal ein Gegner und sagt: „Dann hauen wir euch auf die Fresse!“ Und plötzlich heißt es: „Na, dann war das so nicht gemeint mit der Meinungsfreiheit.“ Das finde ich jämmerlich. Ich fand es auch schlimm, dass während des Karikaturenstreits nur eine einzige deutsche Zeitung, nämlich die Welt, gewagt hat, die fragliche Mohammed-Karikatur abzudrucken. 

Und EMMA.
Ach, das ist mir entgangen. Ich hätte ­jedenfalls erwartet, dass sich in Europa alle Zeitungen zusammensetzen und sagen: „Wir drucken alle diese Karikatur ab.“ Es war auch armselig, dass das nicht passiert ist. 

Sie hatten also keine Angst, jemanden in seinen „religiösen Gefühlen“ zu beleidigen, wie es immer so schön heißt? 
Ich finde es nicht wünschenswert, jemanden zu beleidigen. Mich interessieren ­Inhalte. Und da stoße ich auf den Wahnsinn in der Argumentation von Menschen, die behaupten, sie hätten mit Gott gesprochen und könnten darauf basierend nun mir sagen, wie ich zu leben habe. Das finde ich absurd. Und noch absurder finde ich, dass ich mit meiner Kritik diese Menschen angeblich beleidige. Wenn ich sage „Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Nazis Menschen in der U-Bahn ­angreifen“, dann erklärt mir ja auch niemand, dass ich mal Rücksicht auf den Gemütszustand der Nazis nehmen und ein bisschen toleranter sein soll. Das tut glücklicherweise niemand, weil in diesem Fall das Feindbild politisch korrekt ist. Aber wenn man den Islamismus ernst nimmt, ist das eine faschistische Ideologie. Also habe ich auf der Bühne gefragt: „Waren wir nicht immer gegen Faschismus?“ Viele, gerade aus meiner Genera­tion, haben das als „Angriff auf Ausländer“ empfunden. Absurd. Es ist ja kein Ausländer-Merkmal, andere Menschen in die Luft zu sprengen. Aber meine Kritik am Islamismus traf eben auf diesen Gutmenschen-Reflex.

Ein Gutmenschen-Reflex aus dem eigenen Lager. 
Deshalb besteht der Reflex ja darin, mich aus dem eigenen Lager ausstoßen zu wollen. Das passiert ja allen, auch Alice Schwarzer. Sie hat da ja einen sehr hohen Grad an Autonomie entwickelt. Das hab ich zwar auch, ich wäre aber nicht so ­widerstandsfähig wie sie. Immer gegen Windmühlen anrennen, das würde ich auf Dauer, glaube ich, nicht schaffen. Aber ich bekomme andererseits ja auch viel Resonanz von Leuten, die sehr dankbar dafür sind, dass ich diese Dinge ausspreche. Ansonsten würde ich das auch nicht schaffen. Immer nur gegen eine Wand zu rennen, das würde ich nicht aushalten. Ich komme ja aus dieser Multi­kultiszene: Straßenfest mit viel Tsatsiki, alles super. War ne schöne Zeit. Aber ­irgendwann ist dann einfach aufgefallen, dass die Jungs ihre Frauen anders behandeln, als wir uns das im Westen wünschen. Und so zu tun, als gäbe es da keinen Konfliktstoff, ist natürlich völlig lächerlich. Es gibt Linke, die schaffen das noch heute. Die beneide ich ein bisschen um ihr ungebrochenes Weltbild. Dazu gehört aber auch die Fähigkeit, die Realität vollständig der Ideologie zu opfern. 

Sie setzen sich offensichtlich gern zwischen die Stühle. Bei ihrem ersten „Satiregipfel“ haben Sie gesagt, die meisten Menschen auf der Welt wären froh über unseren Sozialstaat. 
Dafür hab ich natürlich Ärger bekommen. Es war eine Rekordzahl an E-Mails, die beim Sender ankam. Das war eine provokante Äußerung, klar. Ich komme ja selbst aus dieser altlinken Zeit und hatte immer einen sozialkritischen Blick auf die Welt, und ich hab ihn auch heute noch. Nur: Was mir nicht mehr so über die Lippen geht, ist dieser ungebrochene Glaube an den eigenen richtigen Standpunkt. Dieser bornierte Blick, alles immer nur am eigenen Land zu messen, der passt mir gar nicht. Ich reise sehr viel und weiß, dass das, was wir unter Sozialstaat verstehen, etwas ist, worum uns die ganze Welt beneidet. Da kann ich doch nicht so tun, als ob wir immer noch im Elend leben würden. Dazu hab ich zu viel richtiges Elend gesehen, als dass man das so stehen lassen könnte. Dieser nationalistische Blick immer nur aufs eigene Land – das galt ­früher als rechts. 

Diesen Blick haben Sie auch in einer ­Fukushima-Nummer aufs Korn genommen: In Japan werden die Menschen verstrahlt und die Deutschen kaufen sich ­Geigerzähler. 
Ja, das ist eben auch diese Art, sich für den Nabel der Welt zu halten und sich nur für sich selbst zu interessieren. Ich mache es übrigens auch zum Thema, wenn ich etwas nicht verstehe. Ich glaube, dass wir in den meisten wichtigen Dingen dieser Welt nicht wirklich den Überblick haben. Und das zu thematisieren, hat was Komisches – und was Menschliches.

Es gibt Leute, die Ihnen deshalb Haltungslosigkeit unterstellen.
Als haltungslos wird man gern bezeichnet, wenn man nicht die Haltung desjenigen hat, der einem den Vorwurf macht. Ich bin alles, aber nicht haltungslos! Deshalb empfinde ich diesen Vorwurf als Beleidigung, die jemanden treffen soll, der eine differenzierte Haltung und nicht auf jede Frage die einfache Antwort „Ja“ oder „Nein“ hat. Das Problem ist auch, dass die Leute meist gar nicht argumentieren, sondern mich nur etikettieren. Dann ist man „FDP“ oder „rechts“, und damit ist automatisch falsch, was man sagt. 

Haben sie eine Grenze beim Humor? Gibt es Themen, die Sie nicht auf die Bühne bringen würden? 
Nein. Die Grenze liegt für mich da, wo ich zu viel erklären muss. Das ist dann einfach nicht mehr witzig und gehört nicht auf die Bühne, sondern ins ­Feuilleton.

Wie sind Sie eigentlich vom angehenden Lehrer zum Kabarettisten geworden?
Ich habe nach dem Studium erstmal Theater gespielt. Immer in dem festen Glauben: Das machst du jetzt ein, zwei, drei Jahre, sonst kommst du später nicht mehr dazu. Und dann hat sich das verselbstständigt. Wir haben mit mehreren Leuten einen Mix aus politischen Kabarettstücken und viel Unsinn gemacht. Und irgendwann gaben uns die Leute Geld dafür, was uns sehr irritiert hat, aber wir wollten es auch nicht ablehnen (lacht). Irgendwann waren wir nur noch zu zweit, ich habe die Texte geschrieben und der Kollege hat unsere Auftritte organisiert. Die wurden immer mehr, so dass ich mir damit die Endphase meines Studiums finanzieren konnte, was ich sen­sationell fand. Und dann stand an, das Referendariat anzufangen, aber die Lehrerschwemme war schon absehbar. Deshalb war es keine heroische Tat, sich dem Kreativen zu verschreiben, sondern eine ziemlich einfache Entscheidung. Und dabei ist es dann geblieben. Und nach drei Jahren stand nur noch für meine ­Eltern zur Debatte, dass ich doch noch mal Lehrer werde. 

Was haben Ihre Eltern beruflich gemacht?
Mein Vater war Regierungsdirektor und meine Mutter war Hausfrau, wie das ­damals so üblich war. Und die hatten sich natürlich gewünscht, dass ich Jurist werde. Lehrer war auch okay, auch wenn es nicht gerade das Fach Kunst hätte sein müssen. Kunst galt als brotlos. Aber das hat mich damals nicht interessiert. Heute fangen ja viele junge Leute an, Kunst zu studieren in dem sicheren Glauben, dass das eine gute ökonomische Entwicklung nimmt. Ich bekomme auch viele E-Mails von Leuten, die Comedian oder Kabarettist werden wollen, und die fragen mich: Wie kann ich genug Geld damit verdienen? Oder sie fragen: Womit habe ich ­Erfolg? Das ist doch schon der falsche Weg. Ich muss doch zuerst mal überlegen, was ich machen will. Natürlich will ich dann damit auch Erfolg haben, aber der Weg geht doch andersrum. Ich fühle mich dabei zwar etwas altväterlich, aber ich sage den Leuten immer: Geh erstmal zwei, drei Jahre auf Tour und guck, ob du dein Publikum begeistern kannst. Ob du dein Handwerk auch beherrschst. Aber das machen die heute kaum noch. Daher wundert es mich auch nicht, dass es auf den Kabarettbühnen so wenig Nachwuchs gibt.

Sie spielen vor mehreren tausend Leuten, Ihr „ultimativer Ratgeber für alles“ steht auf der Bestseller-Liste. Was gefällt den Leuten so an Dieter Nuhr? 
Ich glaube, dass die Leute zu mir kommen, weil sie spüren, dass ich was sagen möchte, was einen ernsten Kern hat. Dass ich Inhalte habe, und die auch ehrlich gemeint sind. Auch wenn es ein furchtbar abgelatschter Begriff ist: Es hat was mit Authentizität zu tun. 

Man muss Ihnen schon sehr gut zuhören. Sie haben keine Kunstfigur, Sie sind kein Imitator, Sie machen keine Kaspereien …
… kein Bühnenbild, keine Musik, keine tanzenden Frauen im Hintergrund. Es hat mich immer gewundert, dass das funktioniert. Dass mir die Leute zwei Stunden lang zuhören, obwohl ich ja gar nichts mache. Dazu hat mich ein Theaterleiter in Mönchengladbach überredet, ein Türke übrigens. Der meinte, ich müsste nur auf die Bühne gehen und erzählen. Und ich dachte, der spinnt. Aber er hat mir dann sein Theater zur Verfügung ­gestellt, um das auszuprobieren. So fing das mit meinen Soloauftritten an. Und da hab ich ­gelernt, dass die Bereitschaft der Leute, einfach zuzuhören, größer ist als man glaubt. Allerdings muss man was ­erzählen, was die Leute auch angeht. Was aus ihrem Leben. 

Sie nehmen ja auch das Kabarett selbst aufs Korn. In Ihrem ersten „Satiregipfel“ haben sie spöttisch erklärt, Kabarett sei eine Art „Kunstjammern“ und es herrsche da „immer Weltuntergang“. 
Ich habe ja Kunst studiert und was mich schon damals nie interessiert hat, war Kunst, die sich nur mit sich selbst ­beschäftigt. Das sehe ich beim Kabarett genauso. Das, was ich auf der Bühne mache, hat sich immer mit dem Leben beschäftigt. Es geht um das Nachdenken über das Leben. Und ob das in einen Kanon passt, interessiert mich nicht. ­Dieter Hildebrandt gibt ja gern den großen Wächter des Kabaretts. Und wenn der einer Sendung wie dem „Scheibenwischer“ nicht mehr seinen Namen geben will, weil Comedians darin auftreten, dann finde ich das kleinkariert. Wirklich schade, dass er sein eigenes Verständnis von Kabarett der nächsten Generation aufdrücken will. 

Sie haben schon oft erklärt, dass für Sie eine Grenze zwischen Kabarett und Comedy nicht existiert.
Es hieß ja immer: Kabarett ist für die ­Abiturienten, Comedy ist für die Ungebildeten. Das wurde so nicht ausgesprochen, aber so war es gemeint. Und diese Haltung, dass alles, was massentauglich ist, automatisch schlecht ist, hat was Dünkelhaftes, das mir eine Gänsehaut macht.

A propos massentauglich. Das führt uns zu Mario Barth, der mit seinem Humor Marke „Warum Frauen nicht einparken und Männer nicht zuhören können“ ganze Fußballstadien füllt. Können Sie über ihn lachen?
Natürlich zementieren diese Nummern die klassischen Geschlechterrollen. Ich sehe das aber relativ gelassen, weil ich nicht glaube, dass das Abendland davon untergeht. Letztlich spiegelt er nämlich den Leuten, die zu ihm gehen, ihr eigenes Paarleben. Und in dem Moment, wo sie anfangen, darüber zu lachen, fangen sie ja vielleicht auch an, darüber zu diskutieren. Ich selbst lebe in einer anderen Welt, aber ich habe in seinem Programm auch schon gelacht. Er ist auf der Bühne einfach eine Wucht, der reißt die Leute mit. Klar, wenn er erzählt, wie seine Freundin mit dem Auto gegen die Laterne fährt, dann sitze ich auch da und denke: „Das kann er jetzt echt nicht machen!“ Zumal meine Frau erheblich besser einparkt als ich. 

Findet ihre Frau Mario Barth lustig?
Sie sagt, dass sie manchmal auch über ihn lacht. Das aber auch deshalb, weil sie diese Nummern gar nicht ernst genug nimmt, um sich darüber zu ärgern. Ich verstehe aber, dass man sich über ihn ­ärgern kann. Ich mit meiner politischen Sozialisation würde mich wahrscheinlich über eine bestimmte Art ausländerfeind­liche Witze aufregen und sagen: Darüber lacht man nicht!

Dabei müsste Sie doch eigentlich auch die Frauenbewegung gestreift haben.
Oh ja! Wir waren ja die „Frauenver­steher“-Generation. Die Weicheier. Wir waren rollenmäßig die Alternativen, wir lehnten das traditionelle Männerbild ab. Wir waren die Männer, die abends stundenlang mit den Frauen über ihre Probleme gesprochen haben. Aber die haben dann doch lieber mit dem Typen vom Fitnessstudio gepennt. Dass die Frauen auf diesem Gebiet doch die „alten“ Männer bevorzugten, war dann für uns doch etwas überraschend. Und teilweise auch verletzend. 

Was hat der verletzte Frauenversteher dann gemacht?
Tja. Das ist schwer zu sagen. Man wollte ja auch nicht wieder in das alte Bild ­zurückfallen. Das war eine ziemlich schwierige Gratwanderung. Und wenn ­jemand heute auf der Bühne diesen alten ungebrochenen Männer-Frauen-Witz macht, dann hat das möglicherweise auch eine befreiende Wirkung für mich. Weil es einfach die Lust am ungebrochenen Klischee bedient. 

Und sind für Sie die so genannten Geschlech­terthemen kabaretttauglich?
Zum Beispiel, wenn es politisch unkorrekt wird. Wenn man auf Verhaltensweisen stößt, die man für kulturell bedingt hält, die aber trotzdem unveränderlich immer wieder aufzutreten scheinen. 

Wie der Mann, der angeblich nicht in der Lage ist, eine Spülmaschine zielführend einzuräumen …
Ich hatte immer Frauen-Männer-Themen in meinen Programmen, aber beim letzten Programm das Gefühl, das hat sich in dieser Form einfach überlebt. Also habe ich mich bei der Premiere auf die Bühne gestellt und gesagt: „Es gibt heute ja keine Unterschiede mehr zwischen Männern und Frauen. Der einzige ist: Bei Frauen ist der Rasierer rosa.“ Worauf eine Frau aus dem Publikum rief: „Meiner ist aber grün!“ Und ich entgegnete: „Mein Gott, man muss die Dinger auch mal sauber­machen!“ Das hat sich dann als Running Gag durch das Programm gezogen. Es gibt sicher nach wie vor viel lustiges Poten­zial in der Geschlechterfrage, aber es wird immer schwerer, darüber Witze zu machen, weil die schnell alt und schal werden. Mir fällt dazu manchmal einfach nichts Originelles mehr ein. 

Aber es gibt ja nicht nur das Problem „Männer und Spülmaschinen“, sondern auch die Vätermonate, die Hamburg Mannheimer-Party im Puff oder den ­Kachelmann-Prozess. Sie haben Kachelmann geraten, zum Islam überzutreten, dann sei das mit der Vielweiberei kein Problem mehr. 
Ja. Aber gerade beim Thema Geschlechter darf ich nicht so viel voraussetzen, denn wenn heute jemand mit 20 in mein Programm geht, dann hat der einen ganz ­anderen Hintergrund als jemand, der in den 70ern sozialisiert wurde. Da müsste ich unglaublich ausholen. Die Geschlechterfrage ist eine der komplexesten überhaupt, und sie geht uns alle existenziell an. Da habe ich es mit Aktualitäten wie Fukushima leichter. 

Ihre weiblichen Kollegen sehen das möglicherweise anders. Aber bis auf Tina Teubner, die Sie in Ihrem ersten Satire-Gipfel zu Gast hatten, hatten Sie bisher ausschließlich Männer in der Sendung. Das sind ja Zustände wie beim Morgen­gebet in der Moschee. 
Wir suchen händeringend nach Frauen. Und meine Redakteurin ist eine durchaus frauenbewegte Person. Aber es gibt eben nicht so viele. Meine Erklärung dafür ist: Der Vorgang, sich auf eine Bühne zu stellen und Witze zu reißen, ist in etwa mit einem Schimpansen vergleichbar, der sich auf die Brust haut. Und dazu haben Männer eben eher Tendenz. Es braucht einen enormen emotionalen Aufwand, sich da durchzusetzen. Wenn man schlechte Auftritte hatte, muss man sich einreden können, dass das Publikum oder der Veranstalter schuld sind. Sonst hält man das gar nicht aus. Ich vermute, dass es deshalb nicht so viele gute Kabarettistinnen gibt. Ich tue mich sehr schwer, das zu sagen, denn jetzt werden natürlich alle Kabarettistinnen dieser Republik sauer sein und der EMMA böse Briefe schreiben. 

Davon können Sie ausgehen! Wir schicken sie dann an Sie weiter. Viele Kabarettistinnen beklagen sich, dass sie mit ihren Themen vom so genannten politischen Kabarett nicht ernst genommen werden, weil sie auch so genannte private Themen auf die Bühne bringen. 
Aber das tun ich und andere Kabarettis­ten doch auch. Ich glaube übrigens, wenn ich ehrlich bin, dass das Argument, als Frau im Kabarett benachteiligt zu sein, von manchen Kabarettistinnen auch als Universalausrede benutzt wird, um die Schuld am fehlenden Erfolg nicht bei sich suchen zu müssen. Wie gesagt: Männer haben andere Ausreden. Das ist ja eine Neurose, die mit dem Beruf zusammenhängt. Dabei hätte auch eine Frau schon vor 20 Jahren, als ich anfing, eine Bombenkarriere machen können. 

Die Damen berichten, dass ihre Agenten von Veranstaltern oft mit den Worten abschlägig beschieden wurden: „Nein danke, in diesem Quartal haben wir schon eine Frau im Programm.“
Hm. Echt?

Tatsache.
Das ist natürlich völlig albern, und ich würde es als Beleidigung meiner Arbeit empfinden, wenn mir das jemand sagen würde. 

Ach was? 
Ja, klar. Aber um noch mal auf den „Satiregipfel“ zu kommen: Es ist einfach generell superschwierig, Gäste zu finden, die aktuell sind und außerdem diese Aktualität jenseits der üblichen Klischees verhandeln. 

Stellen wir doch mal die private Frauenfrage. Sie sind viel auf Tour und mehrmals im Jahr auf Reisen. Was macht das mit Ihrer Beziehung?  
Das ist doch super! Meine Frau ist gern für sich. Deshalb findet sie es sehr angenehm, dass ich ab und zu aus dem Haus bin. Ansonsten wäre das Modell ja gar nicht möglich. Würde sie immer fragen: „Wann kommst du endlich wieder?“ würde das uns beide in den Wahnsinn treiben. Das Problem hat sich bei uns aber nie gestellt. Wir sind seit meinem dritten Auftritt zusammen, also seit den 80er Jahren. Wir haben diesen ganzen Prozess gemeinsam erlebt, und das hat einfach zusammengepasst. Sonst wären wir nicht mehr zusammen. Und ich glaube, dass es für eine Beziehung sehr förderlich ist, wenn es auch Lebensbereiche gibt, die man trennt. Paare, die alles miteinander machen, lösen bei mir einen ­gewissen Schrecken aus. 

Bekommt Ihre Tochter Sie gelegentlich zu Gesicht?
Ich glaube, dass ich meine Tochter öfter sehe als jeder „normal“ berufstätige Vater, weil ich ja viel tagsüber zu Hause bin. Ich arbeite dann zwar auch oft am Programm, habe aber meine Auftritte abends. Und weil ich ja auch in der Nähe spiele, muss ich erst um sieben am Auftrittsort sein, so dass ich nachmittags Zeit für sie habe. Dieser Beruf hilft sehr beim Vatersein.

Was macht denn Ihre Frau beruflich?
Meine Frau hat Sprachen studiert und dann in einem Architekturbüro gearbeitet. Und heute sind wir sozusagen ein ­Familienbetrieb. Wir sind eine Menge Leute, die zuständig sind für das Booking und das Merchandising oder die mit auf Tournee gehen. Und es ist toll, dass das alles Freunde sind. Und dazu gehört auch, dass in unserer Familie zusammen am Projekt gearbeitet wird. Ich schreibe meine Texte allein, also ohne Fremdautoren und meine Frau ist in diesen Schreibprozess stark involviert. Sie hat praktisch die Rolle der Dramaturgin.

Jutta Nuhr kommt ins Café, um ihren Mann abzuholen. Sie setzt sich dazu.

Gerade sprachen wir von Ihnen. Die Texte Ihres Mannes müssen also vor Ihnen bestehen können?
Jutta Nuhr: Ja, er liest mir alles vor, was er schreibt. Und dann frustriere ich ihn manchmal, weil ich nicht lache.
Dieter Nuhr: Wenn sie lacht, weiß ich: Das ist ein echter Brüller! 
Jutta Nuhr: Manchmal sind mir seine ­Anzüglichkeiten zu viel. Dann frage ich: Muss das denn schon wieder sein!?
Dieter Nuhr: Männlicher Humor neigt ja offenbar eher dazu, die eine oder andere Zote zu bringen. Aber das darf nicht zu oft passieren, sonst kippt es. Eine Aneinanderreihung von Zoten ist langweilig. 
Jutta Nuhr: Von diesen zotigen Kabarettis­ten haben wir ja auch schon genug! 
Dieter Nuhr: So viele Zoten schreib ich ja auch gar nicht rein.
Jutta Nuhr: Dieter, wir müssen jetzt gehen. Unsere Tochter kommt gleich aus der Schule.

Das Gespräch führte EMMA-Redakteurin Chantal Louis.

 

 

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