Fußball-EM: Ihr seid Heldinnen!
Nein, wir fangen jetzt nicht wieder mit dem Kaffeeservice von 1989 an, das die Fußballerinnen als Prämie bekommen haben. Auch nicht damit, dass der DFB Fußball lange mit der „Natur der Frau“ für „nicht vereinbar“ hielt. Die selten dämlichen Sprüche von Kaiser Franz oder Sepp Herberger über Trikots und die Körper der Athletinnen – geschenkt!
Fußball gilt seit Anfang des Jahres als der erfolgreichste und am schnellsten wachsende Frauensport in Deutschland. Er ist da angekommen, wo er schon lange hingehört. In der Prime-Time im Fernsehen, im Big Business, in ausverkauften Stadien und in den Herzen der Fans. Den Beweis dafür lieferte Hamburg. Dort wurde Ende März im Volksparkstadion erstmals die Rekordmarke von 57.000 zahlenden Gästen für ein Bundesligaspiel geknackt. Obwohl die Spielerinnen des HSV gegen die Nordrivalinnen von Werder Bremen 1 : 3 verloren hatten, hatten sie vor Freude Tränen in den Augen. Grund: die Zuschauerkulisse. Volle Ränge, ein HSV- (und Werder-)Fahnenmeer, Einheizer auf den Zäunen, trommelnde Fans, sogar Ultras waren dabei. Allein von den Rängen her hätte niemand ablesen können, ob da auf dem Platz nun Männer oder Frauen stehen. „Dass wir das erleben durften! Davon träumt jedes Mädchen!“ schwärmte HSV-Kapitänin Sarah Stöckmann ins Mikro der TV-Sender.
Und es war schon auch ein schönes Bild, als Mitte Mai sowohl die Männer als auch die Frauen des FC Bayern München da gemeinsam mit ihren Meisterschalen vom Münchner Rathausbalkon winkten. „Mia san mia Männer“ hätte es noch vor wenigen Jahren geheißen.
Die EM in der Schweiz soll nun den entscheidenden Kick für Europa geben. Eine halbe Million Tickets wurden bereits verkauft. Rekord für eine EM. Alle Partien werden live von ARD und ZDF übertragen. Ausgelobtes Preisgeld: 41 Millionen Euro, plus erstmalige garantierte Beteiligung der Spielerinnen am Preisgeld ihrer Nationalverbände. 120.000 Euro Siegprämie pro Person kassieren die deutschen Frauen, wenn sie gewinnen.
Geld ist das eine, die Liebe das andere. Und auch da punkten die Frauen. Vielleicht, weil ihr Fußball neben aller Professionalisierung eines geschafft hat: Er ist sympathisch geblieben. Keine Gockelei, keine verrückten Ausraster auf und neben dem Platz, kein Geprotze von verzogenen Superreichen. Elf Freundinnen sollt ihr sein – und den Mädels glaubt man das tatsächlich. Die Spielerinnen der Nationalelf sind allesamt auf dem Boden geblieben. Die meisten von ihnen gehen offen mit ihrer Homosexualität um – etwas, das sich die Jungs ja immer noch nicht trauen.
Der Frauenfußball muss nicht mehr um seine Berechtigung kämpfen. Wer Erinnerungslücken hat, kann sich die EMMA-Kampagne „Die Hälfte vom Ball“ von 1998 anschauen. Und dieser Weg war verdammt noch mal kein leichter. Keine andere Sportart der Welt hat Frauen dermaßen mit Sexismus, Häme und Diffamierung überzogen wie König Fußball.
Den Befreiungskampf der Frauen hat auch der Autor und Dokumentarfilmer Torsten Körner („Die Unbeugsamen“, „Guten Morgen, ihr Schönen!“) eingefangen. Sein neues Buch „Wir waren Heldinnen“ sowie sein Film „Mädchen können kein Fußball spielen“ (4. Juli, ARD) erzählen von den Pionierinnen des Frauenfußballs, mit Beginn in den frühen 1950ern bis zum ersten offiziellen Länderspiel am 10. November 1982.
Schaut auf diese Frauen! In den viel zu großen Schuhen ihrer Väter oder Brüder marschierten sie auf den Platz, ließen sich nicht von Beschimpfungen, ja nicht mal von Steinwürfen vertreiben. Die ersten Frauenmannschaften liefen in Hexenkessel voller grölender, verächtlicher Männer, die bei jedem Schuss glaubten, vor Lachen hintenüber fallen zu müssen. Wim Thoelke, Everybody’s Darling im Fernsehen der 1960er und 70er, führte Fußballerinnen in seiner Sendung regelrecht vor. Auch kommentierte Thoelke extra ausgesuchte schwache Spielszenen für das Sportstudio zum allgemeinen Amüsement: „Oh, da hat Mutter aber eine wunderbare Flanke gegeben!“ Oder: „Laufen, Erna, laufen! Aber Erna ist nicht flink genug!“
„Fußballerinnen zu diffamieren wurde der Unterhaltungsteil im Sportfernsehen, dann musste man ja auch nicht über das Spiel selbst reden“, erzählt Bärbel Wohlleben, 1974 erste Torschützin des „Tor des Monats“.
Die DDR war da schon weiter. Auch das zeigt Körners Doku. Gleichberechtigung war Staatsräson – zumindest vordergründig. Sabine Seidel und Heidi Vater waren Pionierinnen und die großen Vorbilder des DDR-Frauenfußballs. „Der Staat konnte uns Fußball nicht verbieten, aber natürlich musste das in kleinem Rahmen passieren“, erzählen sie und Doreen Meier (spätere Trainerin von Leverkusen). Und: Die DDR-Männer waren cooler. Lauernd fragt ein Fernseh-Journalist einen Mann im Stadion, ob er sich vorstellen könne, dass seine Ehefrau spiele. „Da vorne ist sie, Nummer 9“, sagt der lächelnd.
Stück für Stück erkämpften sie sich Anerkennung, die Männer freihaus bekamen
Spielerinnen wie Anne Trabant-Haarbach, Christa Kleinhans, Bärbel Wohlleben, Petra Landers, Birgit Dahlke und Hannelore Ratzeburg frästen die Schneisen, in denen der Frauenfußball wachsen konnte. Ihr Kampf um Gleichberechtigung erzählt alles über Männer und Frauen in diesem Land.
Anarchistisch bis zum Haupthaar suchten sie Trainingsplätze, organisierten inoffizielle Länderspiele, tricksten den DFB aus. Stück für Stück erkämpften sie sich die Anerkennung, die den Männern auf dem grünen Teppich ausgerollt wurde.
Der erste Höhepunkt: die EM im eigenen Land 1989, erstmals live übertragen. Die erste Legende, die daraus hervorgeht: Torhüterin Marion Isbert. Die hält beim Elfmeter-Krimi gegen Italien nicht nur drei Torschüsse, sie schießt auch selbst das Tor zum Sieg. Es war das erste Länderspiel, für das die Tagesschau verschoben werden musste, vier Millionen sahen zu. Und der Frauenfußball, der kam nun richtig ins Rollen. „Plötzlich war’n wir wer“, sagt Hannelore Ratzeburg, die auch die erste Frau im DFB-Vorstand wurde.
Ihre tiefe Verbundenheit ist den Frauen bis heute anzumerken. Genau wie die Wut auf den DFB, die noch nicht verpufft ist. Zur Premiere des Films in Berlin waren alle zehn Protagonistinnen da. Torsten Körner: „Es war überwältigend. Der Saal hat Standing Ovations gegeben. Wir mussten tatsächlich alle heulen.“
Passend zur EM kommt noch eine weitere Doku in die Kinos, mit Blick auf die Entwicklung des internationalen Frauenfußballs. „Copa 71“ (Start 26.6.) erzählt von einer fast vergessenen WM 1971 in Mexiko. Es war die erste WM, die die Frauen selbst organisierten. 100.000 ZuschauerInnen kamen damals in die Stadien. Was ein Startschuss in den weltweiten Frauenfußball hätte sein können, wurde von den Medien rigoros niedergemacht. Es sollte weitere zehn Jahre dauern. In Taipeh, Taiwan, wurde der SSG 09 Bergisch Gladbach 1981 Weltmeisterin. Dies war dann auch der Türöffner für die Gründung einer offiziellen Frauen-Nationalmannschaft 1982 in Deutschland. Das erste offizielle Länderspiel war am 10. November in der Schweiz.
Den schweizer Fußballerinnen erging es übrigens wie den deutschen. Auch sie wurden bis Ende der 1990er nicht ernst genommen. Aber bei der EM in der Schweiz schließt sich nun der Kreis. Das deutsche Team um Kapitänin Giulia Gwinn startet am 4. Juli in St. Gallen gegen Polen in die EM-Vorrunde. Das Endspiel wird am 27. Juli in Basel ausgetragen – hoffentlich mit deutscher Beteiligung.
Doch egal, wer gewinnt, ihr – und die Fußballerinnen aller Zeiten – ihr seid Heldinnen.
Weiterlesen: Torsten Körner: Wir waren Heldinnen – wie Frauen den Fußball eroberten (KiWi, 24 €). Körners TV-Doku „Mädchen können kein Fußball spielen“ läuft am 4.7. in der ARD (danach in der Mediathek).
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