Unser Leben mit EMMA

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Bei Isabel Holz liegen die EMMAs grundsätzlich auf dem Klo. Und das nicht, weil ihre Besitzerin dort am meisten Zeit und Muße zur Lektüre findet. Vielmehr ist das EMMA-Depot am stillen Örtchen das Ergebnis strategischer Überlegungen: „Weil ich weiß, dass viele Leute Vorurteile gegenüber dem Blatt und seiner Herausgeberin haben. Auf der Toilette riskieren die meisten dann aber doch mal ‘nen Blick, weil sie dort unbeobachtet sind.“ Das für die Gastgeberin erfreuliche Ergebnis: „Menschen, die nach dem Toilettengang bei ihrer Meinung bleiben, geben in der Regel nicht zu, dass sie drin geblättert haben und halten somit die Klappe. So muss ich mir keine dummen Sprüche anhören. Aber Personen, die auf den Geschmack gekommen sind, fragen nach einer Leihmöglichkeit.“ Gern gibt die 33-jährige Software-Entwicklerin aus Göppingen dann ein Exemplar aus ihrer ­inzwischen umfangreichen Sammlung mit.

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Elke Standfuß, 48, kann mit dummen Sprüchen gut leben. „Ich war ein dickes und auch freches Kind und habe in meinem Leben schon so viel blöden Mist gesagt ­bekommen, dass Sprüche in Bezug auf die EMMA darin untergehen.“ Deshalb geht die handfeste Berlinerin Emanzenfragen ­beherzt an – und produziert damit bisweilen ehrfürchtige Stille. Zum Beispiel auf der letzten Party, einer Wohnungseinweihung, bei der „ein bunter Blättchenwald mit Promis, die dumm wie Brot sind“ im Zeitungskorb Elkes Missfallen erregte. „Die EMMA müsste Pflichtlektüre sein!“ verkündete sie lauthals, worauf „die Runde erstarrte“.

Manchmal besteht auch Fluchtgefahr. Einmal ist Elke ein Rendezvous geplatzt. Als sie ihrem Dating-Partner gegenüber in einem Nebensatz erwähnte, dass sie EMMA seit Anfang der 80er abonniert hat, „verschloss sich sein Gesicht“. Das war’s. „Ich hab mich amüsiert“, kichert die Düpierte im Nach­hinein. „Schließlich hat er sich ja das ­Armuts­zeugnis ausgestellt.“

„Spaß“ hat auch Verena Bublies, 26. Und zwar dabei, „die EMMA in der vollen Berliner S-Bahn auszupacken, sie zu lesen und über die häufig prall mit Ironie gefüllten ­Artikel zu lachen. Ich ernte viele neugierige, aber auch sehr skeptische Blicke. Ich bin jedenfalls immer stolz auf meine EMMA und freue mich, meinen Mitmenschen zeigen zu können, dass ich kein gedankenloses hübsches kleines Blondchen, sondern eine emanzipierte, mit beiden Beinen im Leben stehende Frau bin.“ Die Kombination hübsch + blond + EMMA macht es denen, bei denen sich die 26-jährige Grundschullehrerin als EMMA-Leserin outet, schwer, ihr die üblichen Klischees überzustülpen. „Bei mir finden sie einfach keine dummen Sprüche!“

Wenn frau so liest und hört, was EMMA-Leserinnen über ihre Erfahrungen berichten, fällt eine Vokabel quasi zwingend: „dumme Sprüche“. Mit denen wird frau (und auch man) offenbar zwangsläufig konfrontiert, wenn sie (oder er) sich als LeserIn des legendären Emanzenblatts bekennt. Manchmal sind die Sprüche auch durchaus nett oder liebevoll ironisch gemeint: „Einer meiner besten Freunde blätterte in der EMMA, während wir uns darüber unterhielten, ob mein potenzieller Nachwuchs die gleiche Augenfarbe ­bekommen würde wie ich“, berichtet Kerstin Nagel, 25, Psychologie-Studentin aus Leipzig. „Ich sagte: ‚Nur, wenn meine Augenfarben-Gene dominant sind.‘ Darauf er: ‚Klar. Wer EMMA liest, hat auch dominante Gene!‘“

Eigentlich hatte uns „Sonnenschein“ auf die Idee gebracht: „Ich fühle mich in meinem Umfeld ziemlich allein als EMMA-Leserin oder ‚bewusste Frau‘“, schrieb sie ins EMMA-Internet-Forum. „Ein Beispiel: Ich erzähle, dass ich die EMMA lese, begeistert bin und mich für viele feministische Themen interessiere. Mein Gegenüber (Frau) daraufhin: Also, ich bin emanzipiert genug, ich brauche das nicht … Ein mitleidiger Blick, Thema erledigt!“ Sonnenschein wollte wissen: „Passiert euch das auch? Wie geht es euch damit?“ Das interessierte uns, die EMMA-Macherinnen, auch.

Noch am selben Tag wurden die ersten Antworten gepostet. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die EMMA für viele Menschen (Frauen wie Männer) das Urbild eines Klischees darstellt. Die lustfeindliche und humorlose Emanze eben“, schrieb „Diva“. „Aber Freunde, die dann bei mir die EMMA gelesen haben (als ich telefonierte oder auf dem Klo war), fanden sie erstaunlich interessant. Reaktionen wie ‚Hätte ich ja gar nicht gedacht!‘ sind die Norm.“

„Rabe“ beschrieb das gleiche Phänomen: „Ja, das kenn ich auch. Meine Mutter will ‚bloß keine Feministin‘ sein, findet aber immer was Interessantes in der EMMA, wenn sie die mal liest (und will es gleich herausreißen und mitnehmen ...)“. Und Vivianne stimmte zu: „Manchmal habe ich das Gefühl, wenn man anderen erzählt, die EMMA zu lesen, kommt das einem Outing gleich. Als ob ich gestehe, in meiner Freizeit gerne Großwildjagd auf vom Aussterben bedrohte Tierarten zu veranstalten oder mir Sklaven im Keller halte.“

„Hypatia“ bestätigte: „Es ist wahr, EMMA-Leserinnen tragen ein merkwürdiges Stigma. Bei einer Freundin habe ich die Holzhammer-Methode angewandt und ihr ein Abo geschenkt, wofür sie mir bis heute dankbar ist. Und mittlerweile lesen ihr/e Freund, Schwester, Mutter und ab und an auch der Vater mit.“ Außerdem weiß „Hypatia“ von einem weiteren freudigen Ereignis zu berichten: „Unser alter Postbote hat die EMMA immer so in den Briefkasten gestopft, dass die erste und letzte Seite meist zerrissen war. Jetzt haben wir zwei Post­botinnen, die mir meine Zeitschrift mit einem solidarischen Lächeln an die Tür bringen. Bald frag ich sie mal ...“

Das klang alles so vielversprechend, dass wir mehr wissen wollten. Wir starteten also einen Aufruf. Das Ergebnis: EMMA-Leserinnen haben’s nicht leicht. Sie ecken an, sie fallen auf. Sie diskutieren, sie strapazieren. Sie missionieren, sie polarisieren. Sie sind heißblütig und hartnäckig. Sie fühlen sich als Predigerinnen in der Wüste oder als Fels in der Brandung. Sie brauchen gute Nerven und ein dickes Fell. Und natürlich Humor.

Denn es ist zum Beispiel nicht immer ­lustig, postwendend den Stempel „männerfeindlich“ aufgedrückt zu bekommen, ­sobald das böse E-Wort gefallen ist. „Mit diesem Klischee, dass man als EMMA-­Leserin automatisch als verklemmte Emanze gilt, habe ich schon zu kämpfen“, gesteht Kerstin Nagel, 25. Sie erinnert sich noch gut, wie sie vor ein paar Jahren auf einer Wiese im Park lag und in einer „typischen Frauenzeitschrift“ blätterte. Plötzlich dämmerte ihr: „Es kann eigentlich nicht wahr sein, dass das die auf weibliche Bedürfnisse zugeschnittenen Presseerzeugnisse sein sollen.“ Aber sie wusste: „Irgendwie gibt’s da eine Zeitschrift, die anders ist.“ Die besorgte sie sich. Aber bis sie es wagte, sie außerhalb des stillen Kämmerleins zu lesen, hat es ­gedauert. „Ich hatte lange Zeit ein Problem damit, die EMMA öffentlich – zum Beispiel in der Straßenbahn – zu lesen. Auch in der Uni musste ich mich erst zwingen, die Zeitschrift ohne Hemmung in den Pausen aus der Tasche zu holen.“ Dass sie noch heute nicht immer über dem Emanzenklischee steht, das sich mancher von ihr machen mag, „ärgert mich an mir selbst“. Die Diagnose der angehenden Psychologin: „eine reine Selbstwertproblematik“. Kerstin arbeitet dran.

„Man muss ständig erklären, dass man keine Männerhasserin und nicht uncool ist. Das ist nicht so einfach“, weiß auch Pelin. Gegen das Label „uncool“ musste die 22-jährige Sozialpädagogik-Studentin schon in der Oberstufe anarbeiten, wenn sie, angeregt von der EMMA-Lektüre, Referate über Frauenrechte hielt. „Manche haben sich ­darüber lustig gemacht. Die fanden, das sei alles überholt.“ Das war umso schmerzlicher, als dass Pelin es aus eigener Erfahrung besser wusste. Was genau sich in ihrer türkischstämmigen Familie mit dem „sehr strengen Vater“ zugetragen hat, darüber macht sie nur vorsichtige Andeutungen. Jedenfalls war es so unerträglich, dass sie mit 17 aus der ­Familie floh. Heute regt es sie auf, „dass die meisten jungen Frauen nicht hören wollen, dass es im Verhältnis zwischen Männern und Frauen Ungerechtigkeiten gibt.“ Pelins ­Erklä­rung für die weibliche Ignoranz: „Die wollen nicht Opfer sein.“

Pelin entdeckte die EMMA, nachdem eine engagierte Lehrerin ihr das EMMA-Buch „Gotteskrieger“ über den islamischen Fundamentalismus mitgegeben hatte. „Das Buch hat mich umgehauen“, erzählt sie. Und die junge Frau, die damals keinen blassen Schimmer hatte, „wer eigentlich Alice Schwarzer ist und ob diese Zeitschrift, die sie herausgibt, überhaupt noch existiert“, machte sich auf die Suche. Als sie ihre erste EMMA in den Händen hielt, „hatte ich das Gefühl, was gefunden zu haben, was total meinen Nerv trifft. Gerade zum Thema Gewalt gegen Frauen gab es da beeindruckende Texte, die mir aus der Seele sprachen.“

Die angehende Sozialpädagogin, die ­gerade ein Praktikum im Frauenhaus ­gemacht hat, versucht „das Thema Feminismus in den Seminaren einzubringen, wo es geht“. Zwar lacht heute niemand mehr. „Aber wenn ich in einem Seminar über ‚Die ökonomische Situation der Frau in der Gesellschaft‘ sitze und alle ihre Powerpoint-Präsentationen so sachlich und neutral runterleiern, als ob das Thema keinen persönlich betrifft“, dann findet Pelin das einfach „grauenhaft“.

„Die Feindseligkeit von früher ist einer Gleichgültigkeit gewichen“, spürt auch Elke Standfuß. Damals, Ende der 70er, als Elke sich im frischgegründeten Berliner Frauenbuchladen herumtrieb und die EMMA-Klage gegen die sexistischen Stern-Titelblätter Tagesgespräch war, da hat sich die Abonnentin der ersten Stunde mehr als einmal den Satz anhören müssen: „Du bist ja sowieso frustriert.“ Das war zugegebenermaßen nicht schön, zumal es nicht stimmte, aber der Spruch verriet zumindest eine gewisse Emotionalisierung des pöbelnden Gegenübers. Heute ärgert sich Elke eher darüber, dass die Reaktionen ihrer Gesprächspartnerinnen so oft gegen null tendiert. „Da lese ich von Themen wie Frauenhandel oder Genitalverstümmelung, bei denen man kochend vor Wut erstmal eine Pause einlegen muss und sich fragt: Wo ist meine Pumpgun?“ Die Freundin aber sagt: „Hast Recht, das ist ja wirklich schlimm. Willste noch’n Sekt?“ Ende der Durchsage. Dann ist die gestan­dene Kauffrau manchmal sprachlos. Und das will bei Elke Standfuß was heißen.

Definitiv nicht durchgehen lässt Elke – deren Vater bereits im zarten Jugendalter erklärte, „dass er die üblichen Frauenblättchen für Frauenverarschung hält“ – es allerdings, wenn sich bei Arbeitskolleginnen oder einer neuen Bekannten eine feministische Bildungslücke offenbart. „Gelegentlich treffe ich auf junge Frauen, die EMMA gar nicht kennen und falle vom Glauben ab. Das wird dann natürlich schnellstens geändert. Mein ausgelesenes Heft gebe ich mit den Worten ab, dass das Leben, das Frauen in der westlichen Industriewelt führen (können), noch neu ist und hart erkämpft wurde. Dass wir aufpassen müssen, nicht in Rückschritte zu verfallen. Und dass wir hier weder nackte Sexpüppchen noch verschleierte Gespenster brauchen.“ Die Reaktionen reichen von Verständnislosigkeit bis Aha-Erlebnis.

Auch Rebekka Müller, 29, diskutiert mit ihren Freundinnen, zumindest mit den engen, regelmäßig über EMMA-Themen und gibt die Hefte weiter, sobald sie ausgelesen sind. „Allerdings merke ich: So wie mir diese Themen am Herzen liegen, ist es bei ihnen nicht. Da reicht Brigitte.“ Der Freundinnenkreis der Marketing-Beraterin besteht überwiegend aus studierten, finanziell unabhängigen und kinderlosen Frauen, „die in ihrem eigenen Leben sicher nicht so viele Defizite spüren“. Das leuchtet ein. Dennoch ärgert sich Rebekka manches Mal darüber, wenn sie die alltäglichen kleinen Diskriminierungen „als lapidar abtun und sagen: ‚Das ist doch nicht so schlimm!‘“ Verständnis hingegen hat die EMMA-Leserin, „dass man sich mit bestimmten harten Themen wie ‚Frauen in Afghanistan‘ nicht ständig beschäftigen möchte. Das ist schon starker Tobak.“ Manchmal geht es ihr ja selbst so. „Das PorNO-Dossier zum Beispiel ist mir so nahe gegangen, dass es mich selbst stark gehemmt hat. Das musste ich ganz weit von mir wegschieben.“

Rebekkas „missionarischer Eifer“, den sie in ihrer „sehr rebellischen Umbruchphase“ als 20-Jährige an den Tag legte, ist inzwischen einer gewissen Gelassenheit gewichen. „Ich steh zu meinen feministischen Positionen, aber ich muss sie niemandem aufdrängen“, lautet heute ihr Credo. „Früher hab ich mich in jede Diskussion verwickeln lassen. Inzwischen muss ich nicht mehr ackern, wenn ich auf totales Unverständnis stoße“.

An diesem Punkt sind sich alle einig: Das ewige feministische Gewissen für alle sein – Motto: „Jetzt kommt die XY wieder mit ihren Frauen ...“ – ist irgendwie unvermeidlich. Aber: Ist das Gegenüber so ungetrübt von jeglichem Geschlechterbewusstsein, dass man mit der Überzeugungsarbeit bei Adam und Eva anfangen muss, oder gar erkennbar feindlich gesinnt, wird zum ­geordneten Rückzug geblasen. „Es gibt ­Situ­ationen, da denke ich: Entweder ich prügle den jetzt windelweich oder ich ­beende die Diskussion“, erzählt Verena ­Bublies. Bisher hat sie sich immer für ­Lösung Nummer zwei entschieden. „Wenn ich so hart attackiert werde, dass ich merke, ich soll mich nur noch rechtfertigen, dann sage ich: ‚Du, wir können an dieser Stelle abbrechen.‘“. Wobei sie zugeben muss, dass sie „in Diskussionen mit Frauen mehr ­Geduld aufbringt als mit Männern“.

Apropos Männer. Die spielen im Leben der meisten EMMA-Leserinnen – auch wenn das Klischee anderes behauptet – eine gewisse Rolle. Daher ist die Frage nicht ganz unwichtig, wie die Männer an ihrer Seite die heftgewordenen Emanzipationsbestrebungen ihrer Frauen sehen. Fazit: Souverän und solidarisch. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Der Mann von Verena Bublies, der mit seiner Mutter und zwei Schwestern aufgewachsen ist, was einerseits für „Sensibilität“ und andererseits für ein gewisses „Paschatum“ gesorgt hat, forderte seine Gattin nach anfänglicher geschlechtsspezifischer Arbeits­teilung (sie: EMMA, er: Spiegel) auf: „Du musst sie mir jetzt immer hinlegen, wenn du fertig bist!“ Außerdem hat der Mann, dessen Frau so viel Spaß beim öffent­lichen EMMA-Lesen in der S-Bahn hat, inzwischen selbst Gefallen daran gefunden, seine Mitreisenden mit der für einen Mann eher ungewöhnlichen Lektüre zu verblüffen. Nicht, dass der Lokführer und die Lehrerin nicht immer wieder heiße Debat­ten führen. Zum Beispiel über die so aktuelle Frage, ob Jungs in der Schule benachteiligt werden. Aber diese spannenden Diskussionen findet Verena „herrlich“. Zumal sie „in der Regel damit enden, dass ich Recht habe“.

Auch der Mann von Elke Standfuß ist ­bisweilen missionarisch unterwegs. Und das, obwohl er die EMMA gar nicht liest. Nicht, weil er sie blöd fände, sondern weil er so viele Frauen blöd findet. „Er zielt dabei auf unsere Kolleginnen ab, die sich durch weibchenhaften Babytalk und Stöckelei in kurzen Röcken und bauchfreien Tops hervortun“, erklärt Gattin Elke, die mit ihrem Gatten in einer Firma arbeitet. „Ihr könnt die EMMA lesen, so viel ihr wollt“, pflegt Eric Standfuß dann genervt zu seiner Frau zu sagen, „so lange ihr euch so anzieht und am Verhungern seid, wird sich nichts ändern.“ Dennoch kann es passieren, dass spindeldürre und freudlose Besucherinnen des Fitness-Studios, das Elke und ihr Mann besuchen, auf ihrem Stepper plötzlich zwei Anweisungen entgegengeblafft bekommen: 1. „Strahl dich mal an!“ 2. „Lies mal die EMMA!“ Ob eine der Kundinnen Teil zwei des Befehls jemals befolgt hat, ist unbekannt.

„Einige Positionen findet er zu extrem oder zu einseitig“, weiß Rebekka Müller von ihrem Freund, der immerhin den einen oder anderen Artikel liest, worauf „viele Diskussionen“ folgen. Manchmal allerdings sind die Gegensätze nur schwer überbrückbar, und das wird dann schwierig, wenn es um Kernfragen geht. Wie zum Beispiel Pornografie.

Der Freund von Kerstin Nagel ist inzwischen ihr Ex-Freund. Kerstin will nicht ­behaupten, dass EMMA daran Schuld ist. Nur irgendwie eben vielleicht doch ein bisschen. „Natürlich war das Grundproblem zwischen uns schon da, aber irgendwie gab mir die EMMA die Möglichkeit, mich stärker von ihm abzugrenzen. Damit will ich natürlich nicht pauschal sagen, dass die EMMA schlecht für Beziehungen ist“, sagt sie und lacht. Und findet es bis heute schade, dass sie damals kein Foto davon geschossen hat, wie sie und ihr Freund nebeneinander im Bett lagen – beide lesend, die EMMA in der Hand.

Kristina Imhof-Stößinger, 33, hat keinen Mann, sondern eine Frau. Das macht in Sachen EMMA einiges leichter und ­anderes schwerer. Selbstredend ist Freundin Judith, 40, auch EMMA-Fan und gehören EMMA-Abos zu den regelmäßigen gemeinsamen Geburtstagsgeschenken, die das Paar im Freundinnenkreis offeriert. Das ging nur ein einziges Mal schief, als eine Freundin, „die Mitte 40 ist und schon länger Single, total beleidigt war, weil sie fand, wir hätten sie mit der EMMA zum altjüngferlichen Blaustrumpf degradiert“, erzählt Judith, ihres Zeichens Winzerin. Abgesehen von diesem Ausfall wird in und um Bensheim an der Bergstraße jetzt viel und gern EMMA gelesen.

Aber natürlich ist die Kombination lesbisch + EMMA + ländlich nicht immer einfach. Wobei ihre Beziehung mit einer Frau nicht das einzige ist, womit Kristina ihre Umgebung verwirrt. Die Mutter zweier Söhne von zwei Vätern lebt mit ihrem Mann, der inzwischen ebenfalls neu liiert ist, weiterhin zusammen, als WG sozusagen. Während alle Beteiligten der Patchwork-Familie finden, dass „wir das super hinkriegen“, runzeln manche Nachbarn oder neue Bekanntschaften irritiert die Stirn. Und dann ist auch noch die EMMA im Spiel …

Über die hat Kristina viel mit ihren Mitschülerinnen diskutiert. Aber während die jungen Frauen, mit denen die Krankenschwester ihr Abi nachmachte, um jetzt Pflegewissenschaften zu studieren, sich zuerst „definitiv nicht vorstellen konnten, was in der EMMA drin steht, weil sie eben nur die anderen Frauenzeitschriften mit Schminktipps und Popstars kennen“, ist Kristina an der Uni jetzt „in einem ­sehr feministischen Studiengang gelandet“. Sie findet’s wunderbar: „Das ist man ja gar nicht gewohnt.“

Zurück zu den Männern. EMMA hat nämlich nicht nur mitlesende Ehemänner und Freunde, sondern auch autonome Leser, ja sogar männliche Abonnenten. Einer davon ist Alexander Golzarandi. Er macht, wie frau sich denken kann, Erfahrungen der besonderen Art. An die ­kichernden Mädchen und die glotzenden Jungs in der U-Bahn hat er sich inzwischen gewöhnt. Auch dass ihn manche für „einen Spinner halten“, wenn er sich als Feminist outet und in Diskussionen seinen sensibilisierten Geschlechterblick einbringt, ist okay. „Wirklich traurig gemacht“ hat ihn ein Vorfall mit einem Freund, „mit dem ich eine Diskussion über aggressive Jungen hatte“, erzählt der 36-jährige Arzt aus Langenfeld, der demnächst in der Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeiten wird. „Wir waren ganz einer Meinung. Aber als ich ihm eine Woche später einen EMMA-Ar­ti­kel zu dem Thema mitbrachte, der die Sache super auf den Punkt brachte, ist er richtig laut geworden. Das würde er auf keinen Fall lesen, und das bräuchte ich auch nie wieder zu machen.“

Am frustrierendsten allerdings findet Alexander, Sohn eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter, wenn er in Debatten ausgerechnet von den anwesenden ­Frauen keine Unterstützung bekommt. „Manchmal denke ich dann: Wenn ihr Mainstream-Hühnchen es nicht anders wollt, dann habt ihr es auch nicht besser verdient!“ Aber deprimierend ist es schon.

Glücklicherweise sind die Frauen, mit denen Alexander näher zu tun hatte, anders drauf. Schon als er mit 16 seine erste Freundin hatte, entpuppte sich ihr Elternhaus als EMMA-Haushalt. „Die EMMA war immer präsent“, erzählt er. „Die lag zu Hause rum und die ganze Familie hat drin rumgeblättert. Da hab ich sie schon mal positiv im Hinterkopf abgelegt.“

In Alexanders eigener Familie wurde zwar nicht EMMA gelesen, aber sein Vater, ein Chemietechniker, der in den 50er Jahren nach Deutschland gekommen war, hielt nicht viel von traditioneller Arbeitsteilung. „Er hat zwar das Geld verdient, aber wenn er nach Hause kam, hat er gekocht und ­gebügelt oder er ist mit den Kindern der ganzen Siedlung losgezogen und hat mit uns gespielt“, erinnert sich der Sohn, der selbst im Alter von 14 Jahren Bügelwäsche und Badputzen zu seiner Angelegenheit ­erklärte. „Die Frage, dass Frauen und Männer groß unterschiedlich sein könnten, stellte sich mir eigentlich gar nicht.“

Seine Freundin, die er vor zwei Jahren kennenlernte, war wiederum EMMA-Abonnentin. „Die hat mir meinen Blick darauf, in was für einem System ich mich bewege, weiter geöffnet. Und nach der Trennung hab ich EMMA dann selber abonniert.“

Viele Dinge sind ihm seitdem aufgefallen, von „gleichberechtigter Sprache“ bis zu der Tatsache, „dass bei 90 Prozent der Anamnesen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Geschlechterfragen eine Rolle spielen und wie wenig das im Blick der Ärztinnen und Ärzte ist“. Wenn der Mediziner, der schon sein Praktisches Jahr auf der kinder- und ­jugendpsychiatrischen Station absolvierte, demnächst seine Stelle dort antritt, will er die EMMA auslegen. „Ich möchte, dass die Mädchen auf der Station sie auch lesen. Da stehen schließlich viele Themen drin, in denen sie sich wieder finden.“  

Nur ab und zu braucht auch Alex mal eine Pause. Manchmal, wenn er auf einer Party ist und sich wieder eine Debatte entspinnt, in die er sich eigentlich einmischen müsste, dann hat er schon mal einen schwachen Moment. „Dann denk ich: Nee, ich hab heute keinen Bock auf die Diskussion. Ich will jetzt mein Bier trinken und klink mich mal aus.“ Das geht auch den weib­lichen EMMA-Leserinnen nicht anders. „Manchmal ist es einfach nicht der Rahmen für so schwere Themen“, findet auch Verena Bublies. „Manchmal möchte ich auf einer Fete einfach Spaß haben.“ Aber wenn die Diskussion zu unsäglich wird, dann muss die EMMA-Leserin respektive der EMMA-Leser eben doch ran. Und im Zweifel hilft eben nur eins: Humor.

„Mittlerweile stimme ich einigen bei ihrer Einschätzung der EMMA zu und ­erzähle von den geheimen EMMA-Plänen, die bald von allen Emanzen weltweit umgesetzt werden sollen“, berichtet Vivianne im EMMA-Forum. „Als erstes startet eine ­Gesetzesinitiative, die den Geschlechtsakt mit Penetration unter Strafe stellt – wer sich widersetzt, wird entmannt. Lesben werden steuerlich bevorzugt und Frauen, die ihren Mann verlassen, bekommen Prämien vom Staat. Fußball wird verboten, außer unsere Frauen-Elf. Und wenn wir dann endlich die Weltherrschaft an uns gerissen haben, vernichten wir die Männer Stück für Stück. Bis Mutter Erde nur noch von fröhlichen Lesben und Männerhasserinnen bevölkert wird. So stellen wir uns das Paradies vor. Auf die verwirrte Frage: ‚Willst du mich verarschen?’ antworte ich mit einem knappen: Ja.“

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