Königin Kristine von Schweden

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Kristine wurde im Alter von acht Jahren Königin und später eine selbstbewusste, freiheitsliebende Herrscherin. Sie verbot die Hexenprozesse und schützte Ketzer wie Juden. Und sie verachtete die Frauenrolle, ritt wie der Teufel und war eine wissbegierige Intellektuelle. Sie war die umstrittenste Majestät des 17. Jahrhunderts.

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Geschmäht von bösen Zungen als „Hure beider Geschlechter“ war sie bei ihrem schwedischen Volk als „jungfräuliche Königin“ beliebt; beschimpft als Verschwenderin, die die Abgaben ihrer Untertanen in Gelagen verprasst, galt sie gleichzeitig als Asketin, der nichts an irdischen Genüssen lag. Beargwöhnt als Sünderin, die vom wahren Glauben abgefallen sei, priesen ihre Freunde sie als nimmermüde Gottsucherin. Die Königin sagte dazu schlicht: „Meine Religion ist die der Philosophen.“ Kristine Wasa wurde in eine kriegerische Zeit hineingeboren.

Der (später so genannte) Dreißigjährige Krieg tobte; Schweden war tief darin verstrickt, und Kristines Vater Gustav II. Adolf war mehr im Feld als bei Hofe in Stockholm. Als seine Gemahlin Maria Eleonora von Brandenburg, die bis dahin nur Fehlgeburten erlitten hatte, im Dezember 1626 von einem gesunden Säugling entbunden wurde, hielt die Amme das Kind zunächst für einen Knaben. Ein Orakel hatte es so vorhergesagt, und außerdem krähte das Kind, dessen Körperchen von dichtem dunklem Haar bedeckt war, mit ungewöhnlich tiefer Stimme.

Erst als die Hebamme, die das frohe Ereignis schon weiter - getragen und stürmisches Geläute über Stockholm ausgelöst hatte, das Kind badete, entdeckte sie ihren Irrtum. Angstvoll gestand sie der Mutter die Wahrheit, die daraufhin verzweifelte und das Kind nicht sehen wollte. Anders der Vater. Er nahm die Neugeborene in den Arm und sprach: „Danken wir Gott. Ich hoffe, dass diese Tochter den Wert eines Sohnes für mich haben wird. Ich bin zufrieden.“ Hinfort war es Gustav II. Adolf, der sich des Mädchens annahm, es herzte und unterwies und ihm die Welt erklärte. Er verfügte, dass sein kluges Kind wie ein Prinz zu erziehen sei.

Kristine liebte ihren Vater innig. Das Mädchen schluchzte tagelang, als Gustav II. Adolf in der Schlacht bei Lützen fiel. Kristines behütete, freudvolle Kindheit fand damit ein frühes Ende. Die Sechsjährige war nun die Thronfolgerin: Königin von Schweden, der Goten und Wenden, Großherzogin von Finnland, Herzogin von Pommern und der Kaschubei, Prinzessin von Rügen, Herrin von Ingrien und Wismar.

Der Thronfolgerin wurde als Regent Axel Oxenstierna zur Seite gestellt, ein fähiger Staatsmann, der Kristine auch unterrichtete und den sie sich, trotz mancher Differenzen, zum Vorbild nahm. Im Westfälischen Frieden sicherte dieser Kanzler Schweden Vorpommern, Rügen und Bremen. Er stand lange loyal zu Kristine – und sie zu ihm. Und er bestellte hochrangige Lehrer für die Prinzessin, ganz so, wie der königliche Vater es angeordnet hatte. Kristine lernte Reiten und Jagen, sie sprach später alle wichtigen Sprachen und erhielt eine gründliche Ausbildung in Geistesgeschichte und Philosophie mit Schwerpunkt auf der Antike. Ihrer Mutter Eleonore, die nach dem Tod des Königs in Depressionen versank, hatte man die Tochter weggenommen.

Ihre späte Kindheit verlebte Kristine bei einer freundlichen Tante und deren Sohn, ihrem Vetter Karl Gustav – mit beiden verstand sie sich gut. Als sie 18 Jahre alt war, übernahm sie formell die Regierungsgewalt und präsidierte dem Reichsrat. Schon damals war sie eine auffallende Erscheinung. Sie trug ein Wams und Männerstiefel, ließ ihre Haare fallen, wie sie wollten, und wies mäkelnde Hofdamen barsch aus ihren Gemächern.

Frauen, sofern sie sich in die gängigen Rollen schickten und ihr Leben „zwischen Kamm und Spiegel“ verbrachten, gingen der Königin auf die Nerven. Sie brauchte wenig Schlaf. In aller Herrgotts - frühe stand sie auf, ritt aus und erschien mit zerzaustem Schopf und bespritzten Beinkleidern zur Ratssitzung. Dem abfälligen Gemurmel der Minister gebot sie mit herrischer, tiefer Stimme Einhalt. Schon als sehr junge Frau duldete sie keinen Widerspruch. Wer ihr dumm kam, fing sich auch schon mal eine Maulschelle ein.

Trotz – oder wegen? – ihres abweichenden Verhaltens war die junge Königin beim Volk beliebt. Sie war eine Wasa und besaß das charakteristische Äußere der Königsfamilie: ein schmales Gesicht mit sehr großen Augen, einer langen Adlernase und einen Mund mit aufgeworfenen Lippen. Sie war nicht groß und in Folge eines schlecht verheilten Schulterbruchs ein wenig verwachsen.

Aber das focht sie nicht an. Die Königin war körperlich sehr gewandt; sie ritt wie der Teufel und tanzte gern. Gleichzeitig sammelte sie seltene Bücher, verbrachte Stunden mit Lektüre und verwickelte ihre Berater in lange Diskussionen über die Lage in Europa, die Politik Frankreichs und Spaniens, die religiöse Spaltung des Kontinents und die Verlautbarungen des Papstes.

Das höfische Zeremoniell war Kristine ebenso unangenehm wie die kirchlichen Rituale. Die schwedischen Pastoren nannte sie „grauenhafte Langweiler“. Während der Predigten blätterte sie gern in einem Buch. Ihre Erzieher hofften, es handele sich dabei um die Bibel. Wie entsetzt waren sie, als herauskam: Die Königin liest in der Kirche Vergil und Lukrez.

Kristine Wasa war das, was man heute eine Intellektuelle nennt, sie war es in höchstem Maße. Ihr Wissensdurst wurde nie gestillt, ihre Debattierlust nie befriedigt. Ein Leben lang studierte Kristine politische, philosophische und schöngeistige Literatur, sie sammelte Gemälde und Skulpturen, begeisterte sich für das Theater und verwickelte den geistlichen Beistand, der bei Hofe auch für die Königin obligatorisch war, in endlose Kontroversen über den wahren Glauben. Ihr gedankliches Zuhause war und blieb die Antike.

Sie verstand sich selbst, dem humanistischen Zeitgeist folgend, als „Neostoikerin“ – deren Ziel es sein musste, alle Leidenschaften zu beherrschen, wenn nicht zu besiegen. Unter dem Einfluss französischer Denker wie La Rochefoucauld korrigierte sie ihre Position: „Man triumphiert über seine Leidenschaften nur dann, wenn sie schwach sind.“ Kristines stärkste Leidenschaft war der Wille zum Wissen.

Ihre Lehrer hatten der Prinzessin von der großen Elisabeth von England erzählt und ihr diese Queen als Vorbild empfohlen. Zum Ärger der Pädagogen und zum Kummer Oxenstiernas eiferte die schwedische Königin der britischen Majestät ausgerechnet in dem einen Punkt nach, mit dem knapp hundert Jahre zuvor schon Elisabeth I. ihre Minister zur Verzweiflung getrieben hatte: Sie verweigerte die Ehe. „Mein Unabhängigkeitsgefühl sträubt sich gegen das Band einer Ehe. Ich habe keine Lust, der Acker eines Mannes zu sein. Und was den zu erzeugenden Erben betrifft, so könnte ich ja ebenso gut einen Nero wie einen Augustus zur Welt bringen.“

Ganz wie Elisabeth I. ließ sich auch Kristine von Schweden in diesem Standpunkt nie erschüttern. Auch sonst gab es Ähnlichkeiten: die Liebe zum Theater, zur Jagd und zum Tanz; die Neigung, Kopfnüsse zu verteilen und die Bevorzugung männlichen Umgangs bei Hofe, sowie der Versuch, religiöse Fehden mit Toleranz zu entschärfen und schließlich die ausgezeichnete Bildung. Doch die Unterschiede waren ebenfalls bedeutend: eine Vollblutpolitikerin wie die Engländerin ist Kristine nie gewesen. Sie war und blieb die Denkerin, die „Minerva“ (Göttin der Weisheit) auf dem Thron. Und dieser Thron wurde ihr schließlich lästig. Als regierende Königin wirkte Kristine nur zehn Jahre. Bald nach ihrer Thronbesteigung dachte sie auch schon an ihre Abdankung.

Sie suchte eine andere Macht als die der Königin – sie wollte als Wissende, als Weise, als Philosophin überzeugen. Kunstkenner, Theologen und Wissenschaftler aller Fakultäten zog sie an ihren Hof. Manche sagten Nein, denn das Stockholmer Pflaster besaß trotz aller Mühen Kristines – verglichen mit Paris, Rom, oder Venedig – kein besonderes Prestige. Wer aber ihrem Ruf folgte, war der berühmte französische Philosoph Descartes, dessen Losung lautete: „Ich denke, also bin ich.“ Er starb 1651 in Stockholm, nur 15 Monate nach seiner Ankunft am Königshof. Die nordische Witterung sowie die Angewohnheit der Königin, bereits früh um fünf Uhr zur ersten philosophischen Erörterung zu laden, untergruben seine Gesundheit. Auch mit Kristines Gesundheit stand es nicht zum Besten. Sie litt immer wieder an Fieberschüben, Auszehrung und Schwächeanfällen – heute würde man von Stress und Überarbeitung sprechen.

Nach vielen Versagern war es der französische Arzt Pierre Bourdelot, der die Königin schließlich heilte. Er verordnete regelmäßige reichhaltige und wohlschmeckende Mahlzeiten (nach französischen Rezepten), ausreichenden Schlaf und tägliche Bäder. Die Kur schlug an. Kristine entdeckte das Essen und die Freuden der Körperkultur. Sie blieb dem Franzosen zeitlebens dankbar.

Klatschmäuler bei Hofe berichteten jetzt von Ausschweifungen in den Gemächern der Königin. Zumal ihr Günstling und Berater Magnus de la Gardie viel Zeit mit ihr verbrachte. Kristine besaß die Fähigkeit, sich über üble Nachrede niemals aufzuregen, doch der Keim zu ihrer Chronique scandaleuse war gelegt.

Wie stand es denn um das Liebesleben der damals 25-jährigen Frau auf dem Thron Schwedens? Heiraten wollte sie auf keinen Fall, Höflinge konnte sie nicht ausstehen, Pfaffen nochweniger, nur Berater, die ihr nicht nach dem Munde redeten, ließ sie in ihre Nähe. Auch Hofdamen und Kammerfrauen hatten es schwer mit dieser Majestät, die feminines Getue und „Weiberkram“ ablehnte. Aber die Königin machte Ausnahmen. Das Hoffräulein Ebba Sparre hatte Kristines Aufmerksamkeit geweckt und ihr Herz gewonnen – und dann ihre Sinne erregt. Es sind leidenschaftliche Liebesbriefe von Kristine an Ebba erhalten – dem Stil der Zeit folgend in barocken Superlativen schwelgend.

Es spricht viel dafür, dass Kristine Frauen liebte und Ebba ihre große Liebe war. Sie nennt sie in ihren Briefen ihre „Bettgefährtin“, was Biografen allerdings gerne so erklären: Es war üblich, dass eine Hofdame das Bett der Königin mit ihrem Körper vorwärmte, manchmal schlief sie dort auch ein, und die Königin legte sich einfach dazu. Doch die große Zuneigung und Anhänglichkeit, die Kristine ihrer Ebba bis zu deren frühen Tod erwies, spricht ihre eigene Sprache. Als Kristine Schweden verlassen hatte, schrieb sie an die Freundin: „Wie wäre ich glücklich, wenn es mir vergönnt wäre, Sie zu treffen, Belle, ich bin aber dazu verurteilt, Sie ewig zu lieben und anzubeten, ohne Ihnen begegnen zu können ...“

Politisch wirkte Königin Kristine während ihrer zehnjährigen Regierungszeit fortschrittlich. Sie bemühte sich, das Bürgertum gegen den Adel mit seinen enormen Privilegien zu stärken, musste aber wegen harscher Kritik aus den eigenen Reihen zurückrudern. Sie vermied Kriegshandlungen, wo immer möglich.

Und sie verbot in ganz Schweden jede Art von Hexenprozess – womit sie zu den ersten gehörte, die als weltliche Machthaberin ein Veto gegen religiös verbrämten Frauenhass einlegte. Auch als Förderin der Künste und Wissenschaften erwarb Kristine einen legendären Ruf. Unter ihren gewaltigen Sammlungen befand sich auch illegal erworbene Beutekunst aus dem Dreißigjährigen Krieg. Dasselbe gilt für ihre reichen Bibliotheken.

Schon kurz nach ihrer offiziellen Krönung im Jahre 1650 hatte Kristine mit dem Gedanken gespielt, dem Thron zu entsagen, die protestantische Religion zugunsten des katholischen Glaubens aufzugeben und Schweden zu verlassen. Es war Oxenstierna, der sie dazu bewog, noch ein paar Jahre durchzuhalten. In dieser Zeit sorgte Kristine auf ihre Weise für einen Nachfolger. Sie rang lange mit dem Reichsrat, um ihren Vetter Karl Gustav als neuen König durchzusetzen.

Als ihr das gelungen war, dankte sie gegen den Willen von Kanzler und Rat im Jahre 1654 ab. Und so beurteilte sie sich selbst: „Das Wohl des Staates habe ich über alles gestellt. Ihm habe ich freudig alles geopfert; ich brauche keine meiner Regierungsmaßnahmen zu bereuen. Ohne überheblich und hoffärtig zu sein habe ich die Macht ausgeübt, und ich trenne mich leicht und ohne Schmerz von ihr.“ Mit Kristine ging die letzte Wasa. Von ihren Konvensionsabsichten ließ sie vorsichtshalber zunächst nichts verlauten, weil sie befürchten musste, durch diesen Schritt ihre Apanage zu verlieren.

Die große Frage ist: Warum tat sie das? Warum gab sie die Königswürde auf? Warum konvertierte sie zu einem Bekenntnis, das mit der Inquisition die ihr verhassten Hexenprozesse betrieb? Und warum verließ sie Schweden? Die Historiker, und gerade in ihrem Fall auch zahlreiche Historikerinnen, haben sich redlich bemüht, Antworten zu finden.

Es war wohl so, dass Kristine sich von der Last der Regierungsverantwortung mit den Jahren immer tiefer niedergedrückt fühlte und sich um die Erfüllung ihrer eigentlichen, persönlichen Bedürfnisse betrogen sah. Die Abdankung bedeutete für sie ja nicht den völligen Rückzug aus dem politischen Leben. Sie hoffte, auch als Königin ohne Land in Europa eine quasi-diplomatische Rolle spielen zu können, insbesondere was die Aufhebung der religiösen Spaltung betraf, die Auslöser des verheerenden Dreißigjährigen Krieges gewesen war. Ihr Übertritt zum katholischen Glauben wird von Biografen mit dem tristen Zustand begründet, in dem sich die protestantische Kirche in Schweden befand: Die Pastoren waren trockene, bornierte Schulmeister ohne Charisma, die Gotteshäuser schmucklos, kalt und öde – Kristine träumte von einer von Kunst und Sinnenfreude umrankten Religion. Es steckte aber noch mehr dahinter. Im Grunde war Kristine, was religiöse Fragen betrifft, ein Freigeist, oder wie man damals sagte: eine Libertine. Sie wollte selbst mit ihrem Gott sprechen, so wie es ihr richtig erschien, Vorschriften und Regeln lehnte sie ab.

Regeln gab es zwar in der katholischen Kirche erst recht. Aber Kristine hoffte, in Rom – wohin sie zu emigrieren gedachte – im Schatten des Petersdoms mit den Theologen des Vatikan auf Augenhöhe und höchstem geistigen Niveau über Fragen des Glaubens diskutieren zu können. Mit einem Wort: die anderthalb Jahrtausende alte, ehrwürdige römische Kirche schien der Selbstbewussten besser geeignet, ihren theologischen Erkenntnisdrang zu unterstützen. Und nach wie vor fühlte sich Kristine geistig in der Antike zu Hause und wollte dort einherwandeln, wo ihre großen Vorbilder, von Epiktet bis Lukrez, gelebt hatten.

1654 verließ Kristine Schweden – mit großem Hofstaat, dessen Finanzierung ihr lebenslang Sorgen bereiten sollte. Stets überschritten die Kosten ihrer Lebenshaltung die Mittel, die Stockholm gewährte; die Ex-Königin führte ein Leben mit Schulden. Das war einer der Gründe, warum der französische Königshof und auch der Kirchenstaat nicht nur begeistert waren, wenn Kristine mit Gefolge – unter dem sich zeitweise ganze Schauspieltruppen und Orchester befanden – auftauchte und um Quartier ersuchte (es musste stets ein ganzer Palast sein).

Aber der Vatikan machte auch gern Politik mit der großen Schwedin, die in Innsbruck öffentlich konvertierte. War sie doch die Tochter des berühmten Protestanten und Feldherrn Gustav II. Adolf, die jetzt heimgefunden hatte in den Schoß der wahren Kirche. Der Papst betonte dies bei jeder Gelegenheit.

Kristine hatte in Schweden als typische eigensinnige Wasa-Tochter trotz ihres „unweiblichen“ Auftretens und ihrer schroffen Art große Sympathien; in den katholischen Ländern Frankreich, Österreich und Italien, die sie zu ihrer neuen Heimat erkor, war das anders. Die forsche Dame in Männerstiefeln, die es ablehnte, eine Sänfte zu besteigen und stattdessen hoch zu Ross in die Städte ihrer Wahl einritt; die empfing, wen sie wollte und ganze Nächte mit Künstlern oder Gelehrten durchpalaverte, war ihnen nicht geheuer. Sehr bald hatte Kristine den Ruf einer hemmungslosen Verschwenderin, Trinkerin, Ketzerin und Hure weg – es erschienen Schmähschriften, die sie gar zur „Teufelin“ erklärten.

Doch Kristine führte unverdrossen ihr Leben und ihre Dispute fort. Mit dem einflussreichen, hochintelligenten Kardinal Decio Azzolino verband sie eine lange innige Freundschaft, die von ihrer Seite, wie gesagt wird, durchaus erotisch getönt war. Der Kardinal hielt auf Abstand, blieb aber ein guter Freund. Als Kristine in Rom, wo sie sich endgültig niederließ, vom Tod Ebba Sparres erfuhr, die in Schweden geblieben war, schloss sie sich für Tage in ihr Privatgemach ein.

Die Politik, zu der die Königin jetzt entschlossen und fähig war, trug Züge klandestiner Verschwörungen. So plante sie mit Kardinal Mazarin von Frankreich die Befreiung des unter spanischer Herrschaft schmachtenden Königreiches Neapel – sie selbst wollte nach dem Coup die neapolitanische Krone tragen. Die Sache flog auf, den Verräter ließ Kristine ermorden, was sie ihre Sympathien in Frankreich kostete. Auch ihr Versuch, die polnische Königswürde zu erwerben, scheiterte.

Innenpolitisch machte Kristine ihren humanen Einfluss geltend, wenn es darum ging, so genannte Häretiker, Ketzer oder Irrlehrer zu verfolgen. Sie setzte sich für den spanischen „Quietisten“ Molinos, eine Art Guru, ein, schützte persönlich verfolgte Juden und bezog Stellung gegen die Hugenottenhatz im Frankreich des Sonnenkönigs. Kristines eigener religiöser Weg führte sie in die Mystik, die Innenschau.

Nie hörte die kunstsinnige Königin auf, das Theater, die Malerei, die Skulptur und die Musik zu fördern. Doch das Italien ihrer Träume von antiker Größe suchte sie vergebens. In Rom vereinsamte sie schließlich – zu zahlreich waren ihre Gegner, zu unfähig auch die Päpste, mit dieser widerborstigen Frau zurecht zu kommen. Aber sie gewann Freunde unter Musikern und Künstlern, zu ihnen gehörten Scarlatti und Bernini.
Kristine starb 1689 in Rom. Sie wurde nicht, wie es ihr Wunsch gewesen war, im Pantheon beigesetzt, sondern im Petersdom. Und ihre Verfügung „Wir verbieten jeden Begräbnisprunk und ähnliche Eitelkeiten“ wurde nicht respektiert. Die Zeremonie war hoch feierlich und zog viel Volk an.

Kardinal Sforza Pallavicino, der mit Kristine bekannt war, hat so über sie geurteilt: „Es geht das Gerücht, sie besitze überhaupt keine Religion. Dazu beigetragen hat ihre freie Redeweise, die keineswegs fromm oder vorsichtig war. Es trieben sie dazu ebenso ihre männlichen Anlagen, die sich nie mit den Grenzen abfanden, die dem weiblichen Geschlecht gezogen sind. Wie auch ihr königliches Geblüt, das sie daran gewöhnt hatte, sich selbst ihr Gesetz zu geben und es sich von niemand vorschreiben zu lassen.“

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Veronica Buckley: "Christina Königin von Schweden" (2005); "Verena von der Heyden-Rynsch" (2000).

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Pharaonin Hatschepsut

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Die Pharaonin Hatschepsut kam um das Jahr 1495 vor Christus in der Hauptstadt Theben zur Welt. Die Epoche, in der sie über Ober- und Unterägypten regierte (zirka 1479-1458 vor Christus) wird "Neues Reich" genannt. Sie begann ihre Herrschaft als Witwe und Regentin für ihren vierjährigen Neffen und Stiefsohn Thutmosis III. Anfangs ließ sie sich noch hinter ihm stehend abbilden, womit sie anzeigte, dass ihm, dem Kind Thutmosis, der Vortritt gebühre. Doch irgendwann genügte ihr die Regentschaft nicht mehr und sie griff nach der ganzen Macht.

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Hatschepsut nannte sich "Maat Kare" (König von Ober- und Unterägypten) und bestieg den Horusthron. Statuen und Reliefs zeigen sie mit allen Insignien der Macht, in männlichem Königsmantel und mit dem Pharaonenbart. Objektiv gesehen war Hatschepsut eine der bedeutendsten Pharaonen des ägyptischen Reiches. Sie bescherte ihrem Land zwei Jahrzehnte großer Prosperität, Frieden und Reichtum. Dennoch war sie über 3.000 Jahre vergessen, ausradiert. Ihr Nachfolger hatte dafür gesorgt, dass uns beinahe kein einziges Abbild von ihr erhalten geblieben wäre, geschweige denn die Geschichte ihres langen Wirkens. Und bis ins 21. Jahrhundert hinein ist Hatschepsut für viele ägyptische Männer ein rotes Tuch. Schon nur die Erwähnung dieser vor genau 3.467 Jahren gestorbenen Frau provoziert im Nilstromland bis heute gereizte Debatten über Frauen und Macht. Wer also war sie wirklich, diese Hatschepsut, genannt Maat Kare?

Auch im alten Ägypten galt eigentlich einzig die männliche Erbfolge. Hatschepsut aber wurde von ihrem Vater Thutmosis I seinen männlichen Nachkommen vorgezogen, vielleicht weil sie das erste Kind war, das ihm seine Hauptfrau Ahmose geboren hatte. Es folgte aus dieser Verbindung noch eine Tochter, aber kein Sohn.

Hatschepsuts Mutter Ahmose entstammte als einzige jenem göttergleichen Pharaonengeschlecht, das nach langer Fremdherrschaft der so genannten Hyksos die Macht über Ober- und Unterägypten zurückerobert hatte. Jetzt musste dieses Geschlecht seine Herrschaft festigen. Und zwar über Ahmose, die das genealogisch mächtigere Geschlecht repräsentierte als ihr Gatte Thutmosis I, Hatschepsuts Vater, der einer weniger wichtigen Nebenlinie entsprossen war. Hier deutet sich also schon eine über Frauen vermittelte Erbfolge bzw. Machtweitergabe an.

Hatschepsut, Tochter der Ahmose und des Thutmosis, genoss die allerbeste Erziehung, begleitete ihren Vater auf dessen Expeditionen und lernte früh, was es heißt, über ein Land zu gebieten. Die Forschung glaubt Anzeichen dafür gefunden zu haben, dass der Pharao sie – entgegen der Tradition – von Anbeginn an als Nachfolgerin aufbauen wollte.

Sie heiratete, den Gepflogenheiten folgend, in früher Jugend ihren Halbbruder Thutmosis II, der als kränklich oder gar geistig behindert dargestellt wird. Nach dem Hinscheiden von beider Vater Thutmosis I wurde Hatschepsut, die "große königliche Gemahlin", wahrscheinlich sogleich mit den Regierungsgeschäften betraut. Nach nur dreieinhalb Jahren auf dem Horusthron verstarb Hatschepsuts Bruder-Ehemann; das Paar hatte lediglich eine Tochter, Neferure (auch: Nofrure).

Als legitimer Thronerbe wurde nun Thutmosis III, Sohn von Thutmosis II mit seiner Nebenfrau Isis, eingesetzt. Für diesen vierjährigen Knaben trat seine Tante und Stiefmutter Hatschepsut im Jahre 1479 vor Christus die Regentschaft an. Doch sie sollte sich zur Pharaonin aufschwingen und den Thron bis zu ihrem Ende nicht mehr aufgeben.

Ein Pharao hatte zunächst sein Reich zu verwalten; hierin hatte es das alte Ägypten weit gebracht. Ein großer und differenzierter Beamtenapparat stand zur Verfügung und musste von Hatschepsut geleitet werden. Anzunehmen, dass sie die dafür nötigen Kenntnisse als Liebling und rechte Hand des Vaters, sowie als Mitherrscherin an der Seite ihres beschränkten Bruder-Gatten längst erworben hatte. Jetzt aber kam die Autorität der Pharaonin hinzu. Hatschepsut stieß auf wenig Schwierigkeiten, wenn es galt, sich durchzusetzen.

Selbstverständlich stand der Pharao auch an der Spitze des Militärs; auch hier kannte Hatschepsut sich aus. Der Vater hatte seine Tochter in die Geheimnisse der Kriegskunst eingeweiht, wenn er sie nicht sogar mitnahm auf einige seiner "Strafexpeditionen" oder Feldzüge gegen Aufrührer oder Abtrünnige, etwa aus dem Lande Kusch. Hatschepsut aber war dennoch keine kriegerische Pharaonin; sie zog es vor, das Land durch Förderung des Bergbaus, des Handwerks und des Güteraustauschs sowie durch mancherlei Reformen groß zu machen.

Ihre weiten Reisen zum Zwecke des Warenaustausches sind legendär. So schickte sie eine Handelsmission in das sagenhafte afrikanische Land Punt (dessen genaue Lage auf dem afrikanischen Kontinent bis heute unbekannt ist), um Weihrauch, Elfenbein, Gold und Tierfelle zu erwerben.

Eine weitere wichtige Aufgabe des Pharaos war die Pflege der Baukunst, die religiöse Pflicht, Denkmäler, Grabstätten, Tempel und Stelen zu errichten – zu Ehren der Götter und des Herrscherhauses. Wir kennen bis heute diese großartigen Zeugnisse des Wirkens der Pharaonen als Pyramiden, Tempel, Skulpturen und Obelisken. Hatschepsuts Totentempel, ein in den Fels getriebenes Terrassenbauwerk im westlichen Theben nahe dem hochberühmten "Tal der Könige", ist – in Resten, die immer noch den Atem rauben – bis heute zu besichtigen.

Und wer die Stadt Paris besucht, kommt kaum um den Hatschepsut-Obelisken herum, der den Place de la Concorde beherrscht. Die Franzosen haben ihn im 19. Jahrhundert in Ägypten geklaut. Im Amun-Tempel zu Karnak am Ufer des Nil ließ die Pharaonin die damals höchsten Obelisken errichten (dreißig Meter); etliche weitere große Anlagen, so der Mut-(=Name der Göttin Thebens)Tempel zu Karnak, gehen auf ihre Regierungszeit zurück.

Die wichtigste aller Pflichten der Pharaonin jedoch war der Dienst an den Göttern. Als Herrscherin war sie zugleich die Gebieterin aller Priester, die höchste Vertreterin der Götter auf Erden – ja, mehr noch: sie war selbst von göttlicher Natur. Hatschepsut streute die Legende, dass niemand anderes als Gott Amun selbst sie gezeugt habe – nachdem er die Gestalt von Thutmosis I angenommen hatte.

Möglicherweise war es üblich, dass ein Pharao sich auf diese Weise eine göttliche Abkunft zuschrieb. Vielleicht aber hat Hatschepsut auf dieser hohen Geburt auch deshalb bestanden, weil sie als Frau auf dem Thron eine zusätzliche Legitimation liefern musste. Sie hatte ja schon Ahmose vorzuweisen, eine hochkönigliche Mutter. Der Vater sollte dann gleich Thebens Schutzgott selbst sein. Auch war da noch das Orakel des Amun, in dem ihr die Herrscherwürde prophezeit worden war ...

Im Leben der alten Ägypter war die Religion kein Bereich für sich – sie durchwirkte den Alltag mit all seinen Verrichtungen, sie war stets gegenwärtig. Die Pharaonin lebte ihr Leben quasi in Tuchfühlung mit den Göttern. An den Feiertagen zu Ehren der Götter und der Pharaonenfamilie legte Hatschepsut die männliche Tracht und den Bart an, und zollte so dem ursprünglich rein männlichen Thronanspruch Tribut.

Offenbar verstand diese Pharaonin und Gottestochter es sehr gut, sowohl das Volk als auch die Eliten, das heißt die Beamtenschaft, die Heerführer, Priester und Gelehrten derart für sich einzunehmen, dass niemand ihr die höchste Majestät streitig machte. Ihre auf Frieden, Handel und Baukunst gerichteten Regierungsziele überzeugten und machten sie zu einer beliebten Herrscherin ihrer Zeit, deren Ruhm über die Grenzen des Landes hinaus für Ägypten und sein Herrscherhaus warb.

Wichtige Unterstützung bei den Regierungstätigkeiten sowie den Bauvorhaben leistete ihr der Hauslehrer ihrer Tochter, der als Architekt weithin bekannte Senenmut. Die Forschung nimmt an, dass die langjährige Nähe zwischen Hatschepsut und ihrem engsten Berater ein Liebesverhältnis wurde. Die Deuter der Quellen glauben sogar ein Kind von Hatschepsut und Senenmut nachweisen zu können. Manche vermuten gar, Neferure sei Senenmuts Tochter gewesen. In späteren Jahren fiel der große Berater und Freund bei seiner Pharaonin in Ungnade, es kam zu keiner Versöhnung mehr. Senenmut verschwand von der Bildfläche. Die Gründe sind unbekannt.

Nun gab es aber doch einen, der mit Neid und Missgunst auf die Frau auf dem Horusthron blicken musste, und das war Thutmosis III. Der junge Mann wuchs im Königspalast auf, während seine Tante/Stiefmutter regierte. Die Priester, Lehrer und Berater, die ihn unterrichteten, erwiesen ihm die Ehrerbietung eines künftigen Pharao, und auch Hatschepsut ließ sich häufig mit ihm sehen. Nach außen hin und auch gemäß dem Protokoll und dem Erbfolgegesetz war und blieb Hatschepsut eine Regentin in Vertretung ihres Neffen/Stiefsohns. Die Tatsachen aber sahen anders aus.

Auch als Thutmosis III herangewachsen war und sich auf der Jagd und in den allfälligen Grenzscharmützeln als wahrer Heißsporn erwies, war es weiterhin seine Tante/Stiefmutter Hatschepsut, die die politischen Entscheidungen fällte: Schiffe für Handelsmissionen ausrüstete, den Bau der Grabanlagen für die Pharaonenfamilie leitete, Heerführer und Spitzenbeamte ernannte und die Scharen von Bediensteten im Palast auf das Zeremoniell um ihre Person konzentrierte. Thutmosis, obwohl längst erwachsen, blieb ohne Einfluss, eine Nebenfigur. Wir wissen nicht, was er dabei empfand, dürfen aber annehmen, dass ein tiefer Grimm in ihm kochte.

War nicht er der wahre Pharao und sie nur seine Stellvertreterin? Aber was konnte er ihrer göttlichen Abkunft entgegensetzen, er, der Sohn des zweiten Thutmosis, der ja nur einer Nebenlinie entstammte, der Sohn der im Vergleich mit Ahmose unbedeutender Nebenfrau Isis? Der Familienzwist im Pharaonenpalast ist uns nicht überliefert, aber er muss heftig gewesen sein und entschied sich für Hatschepsut – sie verließ den Thron erst nach zwanzig Jahren und neun Monaten, als sie um 1458 starb.

Es wird von einem zeremoniellen Begräbnis berichtet, in dem kein Ritus fehlte, der einer Herrscherin gebührte. Lange Zeit galt ihre Mumie als verschollen. Erst im Jahre 2007 wurde sie quasi zufällig in einem Hinterraum des ägyptischen Nationalmuseums in Kairo entdeckt. Neueste Prüfmethoden ergaben zweifelsfrei: Es ist Hatschepsut. Den Untersuchungen zufolge soll die mit knapp vierzig Jahren Verstorbene an Krebs gelitten haben. Ob sie auch daran gestorben ist oder aber ob sie gar ermordet wurde, das ist bis heute nicht klar und wohl auch nicht mehr zu klären.

Hatschepsuts Nachfolger Thutmosis III übernahm ein hervorragend von seiner Stiefmutter organisiertes Heer, eine funktionierende Verwaltung, eine Riege hochmotivierter Skulpteure und Baukünstler (die ihre Aufgabe als königliche Bildhauer und Architekten nicht nur darin sahen, die Tradition zu pflegen, sondern auch, neue Ausdrucksformen zu erproben – das hatte die "Maat Kare" von ihnen gefordert). Thutmosis III also hatte die besten Startbedingungen für seine Herrschaft, und er nutzte sie.

Aber sein Grimm? Was wir wissen, ist, dass einige Jahre nach Hatschepsuts Tod in einer beispiellosen Zerstörungswut fast alle Zeugnisse von Existenz und Wirken der Pharaonin regelrecht eliminiert wurden: aus den unzähligen Reliefs in Palästen, Tempeln und Stelen wurden Hatschepsuts Bildnisse und die Verweise auf ihre Taten gelöscht. Sie wurden sozusagen chirurgisch herausgefräst und durch Abbildungen des Thutmosis III ersetzt. Statuen von Hatschepsut wurden zerstört oder zerstückelt. Ihre Bildnisse wurden aus Obelisken und Wandschmuck in Pyramiden und an Säulen herausgekratzt. Selbst auf den in Ägypten lückenlos geführten Königslisten verschwand ihr Name: auf Thutmosis II folgte sogleich Thutmosis III. Durch Zufall sind einige Statuen erhalten geblieben. Sie ergeben einen sinnlichen Eindruck der Pharaonin, die offenbar sehr schön war. Auch ihre Mumie wurde nicht angetastet.

Die Pharaonin sollte zur Unperson herabgewürdigt, ihr Dasein und ihre Leistung in den Orkus des Vergessens gerissen werden. Wie konnte das geschehen?

Erst im 19. Jahrhundert wurde Hatschepsuts Andenken durch die moderne Archäologie, in der England führend war, wieder hergestellt – die Bilderstürmer im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung hatten also ganze Arbeit geleistet. Doch für immer hatten sie die Pharaonin nicht aus der Geschichte katapultieren können. Wir wissen dreieinhalb Jahrtausende nach Hatschepsut von ihr und stellen ihr Andenken wieder her. Und wir fragen uns: Wer wollte warum einst die Erinnerung an sie auslöschen, die Geschichte so umschreiben, als habe Hatschepsut nie existiert?

Die Forschung stieß sogleich auf den Grimm des Thutmosis. Bloß hat es damit eine Schwierigkeit: Die geschilderte Zerstörungsorgie fand erst viele Jahre nach Hatschepsuts Tod statt, als der neue Pharao bereits fest und sicher auf dem Thron saß. Wäre es um eine Tat im Affekt gegangen, hätte sie keinen Aufschub vertragen.

Oder war Hatschepsuts Vernichtung von langer Hand geplant, musste jedoch mit Umsicht in die Tat umgesetzt werden, um ihre Anhänger und Gönner nicht zu verärgern? Man wird das Geheimnis nie ganz lüften. Man kommt aber einer Erklärung näher, wenn man an die Bedeutung des religiösen Lebens im alten Ägypten denkt. Die Götter waren keine Inbegriffe oder Prinzipien – sie wurden als wirkende, wirkliche Wesenheiten gedacht. Sie gekränkt zu haben, galt als größte Sünde – völliges Verderben, unter Umständen für das ganze Land, war die Strafe.

So ist es vorstellbar, dass Thutmosis eine Kommission aus hohen Priestern einsetzte, die im Verein mit den Verwaltern der Königslisten darüber nachsinnen sollte, wie man wieder Ordnung in die Erbfolge bringen und einen weiblichen Thronanspruch künftig ausschließen könnte. Zwar war Neferure schon vor ihrer Mutter gestorben – aber wer weiß, vielleicht gab es wirklich jene sagenhafte Tochter von Hatschepsut und Senenmut, die womöglich von einflussreichen Gruppen im Palast gefördert wurde. Bei ihrem Versuch, die Erbfolge rückwirkend rein männlich zu gestalten, musste eine solche Kommission sehr vorsichtig sein, um den Gott Amun sowie den Sonnengott und die übrige Verwandtschaft Hatschepsuts nicht zu brüskieren – man überstürzte also nichts.

Vielleicht gab es auch zwei Parteien bei Hofe, eine pro, eine contra Hatschepsut. Vielleicht musste die Contrapartei, geführt vom Pharao selbst, warten, bis das Haupt der Propartei, ein weiser Priester, der Hatschepsut einst persönlich in ihre religiösen Pflichten eingeführt hatte, vom Totengott Osiris abberufen worden war, bevor Hatschepsut ausradiert werden konnte.

Die Pharaonin Hatschepsut, die bedeutendste Herrscherin in der Antike, wurde jedenfalls nicht zufällig im 19. Jahrhundert, in der Epoche der Historischen Frauenbewegung, wiederentdeckt. So wie einst der patriarchale Furor ihre Person und Bedeutung ausgelöscht hat, so grub nun eine emanzipatorisch inspirierte Archäologie Hatschepsut wieder aus.

Zum Weiterlesen:
Marianne Schnittger: Hatschepsut (2008)
Christiane Desroches Noblecourt: Hatschepsut (2007)
Joyce Tyldesley: Hatschepsut (2001)
EMMA-Serie: Herrscherinnen

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