Die Debatte um die Prostitution tobt

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„Menschen sind keine Ware!“ Während an der Spree die Prostitution legalisiert wird, schlagen an der Seine die Wellen hoch. PolitikerInnen aller Fronten, Prostituierte und Feministinnen sind für die Abschaffung der Prostitution – PolitikerInnen aller Fronten, Prostituierte und (Pseudo?) Feministinnen widersprechen ihnen.

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Das Klischee von Irma la Douce von der Nutten-Idylle hat ausgedient. Seit einem Jahr sorgt das Thema Prostitution in Frankreich für Zündstoff, Schlagzeilen und Talkshows. Der sozialistische Bürgermeister von Paris, Bertrand Delanoë, hat den Freiern den Kampf erklärt; die Frauenzeitschrift Marie Claire titelt, pünktlich zum internationalen Frauen­tag 2003: „Warum die Prostitution abgeschafft werden muss!“ – sehr zur Freude von Feministin Malka Marcovich, die seit Jahren anprangert, dass es sich bei der Prostitution um „Gewalt gegen Frauen“ handle.
Aktueller Anlass: Der neogaullistische Innenminister Nicolas Sarkozy hat den Straßenstrich als „Bedrohung für die innere Sicherheit“ entdeckt, die nun gesetzlich bekämpft werden soll. Bürger schieben nächtens Wachdienst in ihrem Viertel, um Prostituierte und Freier zu vertreiben. Nicht nur die Konservativen haben neuerdings etwas gegen Prostitution, auch die Linken bekämpfen sie. Und seit Sommer letzten Jahres arbeitet der Bürgermeister im Pariser Rathaus mit dem Tourismusbüros an einer Kampagne, die das Image der Stadt mit den verruchten „kleinen Pariserinnen“ à la Irma la Douce korrigieren soll.
Die Wirklichkeit sieht in der Tat ganz anders aus als in der Hollywood-Schnulze mit Shirley MacLaine und ihrem York­shire-Terrier. Laut Stadtverwaltung sind heute um die 7.000 Prostituierte (beiderlei Geschlechts) in Paris tätig. In ganz Frankreich sollen es, so schätzen Prostituierten-Vereine, mindestens 20.000 sein (was im Vergleich zu anderen Ländern wenig wäre). Weit über die Hälfte sind AusländerInnen, meist aus Schwarzafrika oder Osteuropa von mafiösen Zuhälterringen illegal ins Land geschmuggelt und mit falschen Versprechungen und roher Gewalt zum Anschaffen gezwungen.
Mehr und mehr rückt der Straßenstrich in die Wohnviertel und Stadtzentren vor. Die rot-grüne Truppe im Pariser Hôtel de Ville hält den Zeitpunkt für gekommen, eine „Stadtpolitik zum Thema Prostitution“ zu planen. Die Reglementierung der Prostitution wie in Deutschland wird dabei ausdrücklich abgelehnt. Denn Prostitution ist für Anne Hidalgo, die rechte Hand von OB Delanoë, „eine Form der Sklaverei, die man nicht durch ein Regelwerk auch noch rechtfertigen darf“.
Diese Haltung hat Tradition an der Seine. Bereits 1960 ratifiziert Frankreich (nach Dänemark und Norwegen) als Ers­tes das UN-Abkommen vom 2. Dezember 1949, betitelt: „Für die Abschaffung des Menschenhandels und der Ausnutzung der Prostitution durch Dritte.“ Denn: „Die Prostitution und der daraus resultierende Handel sind unvereinbar mit der Würde und dem Wert des Menschen.“
Damit schlossen die Franzosen sich der Argumentation der so genannten Abo­litionnisten an, die langfristig die Pros­titution abschaffen wollen. Folgerichtig unterlässt der Staat es, die Prostitution durch Gesetze und Verordnungen ge­wissermaßen zu legitimieren, und setzt vielmehr auf Vorbeugung und darauf, aussteigewillige Prostituierte zu unter­stützen.
In Frankreich kann eine Prostituierte ihrer Tätigkeit ungestraft nachgehen, ist gehalten, ihre Einkünfte zu versteuern und hat auch Anspruch auf alle sozialen Leistungen des Staates. Die Zuhälterei jedoch ist strikt verboten, und darum drohen jedem Strafen, der mit einer  Prostituierten zusammenlebt und kein eigenes Einkommen nachweisen kann.
Neu ist, dass die GegnerInnen der Pros­ti­tution jetzt auch, wie in Schweden, die Freier bestrafen wollen. Der sozialistische Pariser Stadtverordnete Christophe Ca­resche hat ein Gesetzesprojekt erarbeitet, nach dem in flagranti erwischten Freiern sechs Monate Haft plus 3.750 Euro Strafe drohen – außer, sie sind bereit, sich in einer Art Therapie „mit ihrem Verhalten und den Abgründen des prostitutionellen Systems“ auseinander zu setzen.
Die alten und neuen BefürworterInnen der Prostitution jedoch wollen ganz im Gegenteil die in Frankreich verbotenen Bordelle wieder einführen. Den so genannten Maisons Closes, den geschlossenen Häusern, hatte im April 1946 das letzte Stündlein geschlagen. Das damalige Gesetz stammt aus der Feder der Pariser Stadträtin Marthe Richard, einer Ex-Prostituierten. Die argumentierte, dass die Prostituierten in den Bordellen noch stärker der Kontrolle und Ausbeutung von Milieu und Zuhältern ausgeliefert seien.
Dem UN-Ziel, die Prostitu­tion zu bekämpfen, haben sich in den letzten 50 Jahren 73 Staaten angeschlossen, darunter damals auch die DDR – aber nicht die BRD. Bei der deutschen Wiedervereinigung siegte dann das westdeutsche Prinzip der zunehmenden Legitimierung der Prostitution.
In Frankreich hingegen führte die Ratifizierung des UN-Textes zum Aufbau einer weltweit einmaligen Behörde, die bis heute aktiv ist: das „Zentralamt für die Abschaffung des Menschenhandels“. Allerdings haben die schon vor Jahrzehnten in den Präfek­turen eingerichteten lokalen Anlaufstellen für aussteigewillige Prostituierte bisher praktisch kaum funktioniert, ihre Auf­gabe wird seit langen Jahren von kirch­lichen oder sozialen Vereinen übernommen.
Doch vor zwei Jahren setzte die Regierung in Paris international neue Akzente in der Abolitionisten-Politik: Als in Wien im Juni 2000 das UN-Abkommen zur grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität verhandelt wird, sorgte die – damals noch sozialistische – französische Delegation dafür, dass in Zukunft auch die Opfer des Menschenhandels, fast ausschließlich Frauen und Kinder, als solche gewürdigt werden. Zum selben Zeitpunkt, beim New Yorker UN-Gipfel „Peking & 5“, erklärte die damalige Staatssekretärin für Frauenrechte, Nicole P’ery, mit Nachdruck: „Prostitution und Menschenhandel mit dem Ziel der sexu­ellen Ausbeutung sind Gewalt gegen Frauen.“
Das war Wasser auf die Mühlen der Abolitionisten, der BefürworterInnen der Abschaffung der Prostitution wie Malka Marcovich. Im März 2002 präsentierte sie ihren Bericht vor der „Nationalen Kommission gegen die Gewalt an Frauen“. Die erfahrene Feministin Marcovich gilt als kompetente Expertin und betreibt seit Jahren Lobbyarbeit mit ihrem Verein, der „die Abschaffung des prostitutionellen Systems“ im Visier hat. Seit die Niederlande und Deutschland die Prostitution legalisierten und „zu einem Beruf wie jeder andere“ erklärten, verdoppelte die Kritikerin ihren Einsatz.
Marcovich: „Irgendwann wird sich Europa auf eine gemein­same Politik auch im Bereich Prostitution einigen. Und da muss unbedingt vermieden wer­den, dass diese beiden Länder als Vorbild gelten.“ Sie fordert, die Prostitution in das Zentrum der Anti-Gewalt-Politik für Frauen zu stellen, in allen Ministerien und auf allen Ebenen.
Letztes Jahr präsentierte der moderne – und übrigens offen homosexuelle - Pariser Bürgermeister Delanoë eine Riege von Maßnahmen, die französischen und ausländischen Prostituierten helfen und den Ausstieg erleichtern sollen, darunter: Anlaufstellen und Unterkünfte für alleinstehende Minderjährige sowie eine breit angelegte Aufklärungskampagne in den Schulen über die Gefahr, in das Drogen- und Prostitutionsmilieu zu rutschen, und die Unmenschlichkeit des Prostitutions-Systems. 

Wie allerdings diese Pläne konkret umgesetzt werden sollen, darüber schweigt man noch im Hôtel de Ville de Paris. Das Thema ist heikel. Denn es sind längst nicht nur humanitäre Gründe, die beispielsweise in Paris zur Ausarbeitung einer Anti-Prostitu­tions-Strategie führten.
In zahlreichen Vierteln machen neuerdings BürgerInnen mobil gegen die wachsenden allnächtlichen Beläs­tigungen durch den Straßenstrich: PassantInnen sind nicht mehr vor Übergriffen sicher, benutzte Spritzen und Präser­vative fliegen in der Gosse rum, die streunenden Freier werden als Zumutung empfunden. Diese Bürgerwehr zwingt die Städte zum Handeln.
In Bordeaux hat der Oberbürgermeister und Ex-Premierminister Alain Juppé im Februar 2002 einen Pilotplan gestartet: „Prostitution: der Freier im Visier“, titelte die lokale Tageszeitung. Erwischte Freier riskieren heute in der Atlantikmetropole bis zu einem Jahr Gefängnis und Geldstrafen bis zu 15.000 e. Im letzten September standen erstmals vier Ertappte vor Gericht.
Andere Städte zogen nach, eini­ge erließen Sperrbezirksverordnungen für den Straßenstrich, wie Orléans: Früher übte hier ein rundes Dutzend Prostituierte ihr Gewerbe aus, mittlerweile sind es über Hundert, darunter 80% illegale Ausländerinnen. Oder Straß­burg: Hier gingen im letzten Mai die AnwohnerInnen rund um den besonders prostitu­tionsintensiven Sitz des Europa­rates (!) auf die Barrikaden und schwenkten Transparente mit der Aufschrift:
„Nein zum Handel mit den Schönen aus Osteuropa“. Die empörten BürgerInnen fotografieren die Nummernschilder der Autos, in denen die Freier – nicht selten EU-Politiker und ­ -Beamte – ihre Runden drehen.
Und sie drohten: Tauchen sie im Viertel nochmal auf, werden die Fotos via Internet veröffentlicht! Der Schlachtruf vom „Freier im Visier“ schmückte inzwischen die Titelblätter bis hin zur überregio­nalen, tonangebenden Le Monde.
„Ohne Nachfrage kein Ange­bot – ohne Freier keine Huren“, mit dieser femi­nistischen Analyse begründet auch der Pariser Stadtverordnete Caresche seinen Gesetzentwurf, der die Kundschaft abschre­cken soll. Eine solche öffentliche Missbilligung der Freier ist ein drama­tischer Bruch mit der Herrenmoral eines Land, in dem das Bordellleben über Jahrhunderte auch von der Kultur gefördert und mystifiziert wurde und Jungmänner ihre ersten sexuellen Erfahrungen traditionell bei einem so genannten „Freudenmädchen“ sammelten.
Doch ausgerechnet während sich die Öffentlichkeit erstmals kritisch mit dem Freiertum beschäftigt, fordert eine konserva­tive Pariser Stadträtin, Françoise de Pana­fieu, mit Unschuldsmine: „Lasst uns die Bordelle wieder aufmachen.“ Sie schlägt sich damit auf die Seite der „Reglementa­ris­ten“, derjenigen also, die die Prostitution als „unausrottbar“ und „notwendiges Übel“ ansehen, dessen Ausübung vom Staat kontrolliert werden solle.
Eine Position, die sich auch unter ande­rem die Skandalautorin Catherine Millet in einem in Le Monde am vergangenen 9. Januar veröffentlichten Pam­ph­let zu Eigen machte, als „Feministin“, wie sie sagt. Unter dem Titel „Weder Schuldige noch Opfer: frei, sich zu pros­tituieren“, heißt es da: „Die Tatsache, dass eine Frau diesen Beruf freiwillig wählen kann, scheint in beiden Fällen unerträglich für die Gegner: Die einen halten dies für ein Vergehen; die anderen meinen, eine Frau könne sich nicht freiwillig einverstanden erklären mit einem sexuellen Akt, der für sie ohne Lust und Liebe ist. (...) Wir sind gegen diejenigen, die den Frauen vorschreiben wollen, was sie mit ihrem eigenen Körper und ihrer Sexualität anstellen sollen.“ Frauen wie Millet, die jüngst mit einem angeblich selbst erlebten Porno Auflage machte, träumen von Eroscentern, in denen Frauen als „freie Unternehmerinnen ihren Körper verkaufen“ könnten. Der Text schließt relativistisch: „Wenn man nun heute diese Freiheit in Frage stellt: Wer garantiert uns, dass man morgen nicht andere Freiheiten beschneiden will – unter dem Vorwand, dass diese die Idee brüskieren, die sich manche von der Eman­zipation der Frauen machen?“ Unter­zeich­net haben diesen Aufruf auch die Mode­macherin Agnès B., die Sän­gerin Ingrid Caven, die Schriftstellerin Viviane Fores­ter etc.
Selten hat ein Pamphlet so heftige Reaktionen aus­gelöst, der Sturm der Entrüstung übertrifft noch den nach der Ankündigung des neuen Sicherheitsgesetzes von Sarkozy. Le Monde wird seit Wochen geradezu bombardiert mit Gegenmeinungen. Unter dem ironischen Titel: „Prostitution: der wahre feministische Chic“ verwerfen fünf Schriftstellerinnen und Filmproduzentinnen das Argument, in Bordellen seien Prostituierte geschützter vor der Zuhältermafia. Für sie haben die Bordell-Freundinnen keinen blassen Schimmer von der Realität auf dem Strich.
Der Pariser Politiker Caresche und sei­ne Parteigenossinnen sehen das genau so: „Wir sind dagegen, den indivi-duellen Akt der Prostitution mit einer Forderung nach der ‚Frei­heit des Sexhandels‘ zu vermengen. Denn dies bedeutet de facto, die Aktivitäten der Zu­hälter zu legalisieren und sie zu ehr­baren Unternehmern zu erklären. Unser Ansatz ist, die quasi symbolische Sanktion der Freier als Instrument zur Erziehung der gesamten Gesellschaft einzusetzen.“

Das Millet-Pamphlet wurde gewisser­maßen zum Referenzpapier für das Pro & Contra der Prostitution, gegen das auch die Frauenzeitschrift Marie Claire anschreibt.
Vom BürgerInnenzorn über die zunehmenden Belästigungen durch den Straßen­strich ermutigt, kündigte der forschstramme neue Innenminister Sarkozy im vergangenen Juli an, den Tatbestand der „passiven Anmache“ wieder ins Strafgesetzbuch aufnehmen zu wollen, die für ihn bei „aufreizender Kleidung“ beginnt. Aber Sarko, wie der populäre Politiker im Volksmund heißt, sagt auch den mafiösen Zuhälternetzen, die vor allem illegale Ausländerinnen zur Prostitution zwingen, den Kampf an. Mit Mitteln, die denen der Brigaden gegen Drogenhandel oder auch Geldwäscherei entsprechen sollen.
Monatelang hagelte es Kritik an dem Gesetzesentwurf, mehrfach musste Sarko nachbessern und den repressiven Chara­kter der Vorlage abschwächen.
Mitte Februar konnte das Gesetz endlich verabschiedet werden. Danach wird nun jeder Freier bestraft, der sich mit Prostituierten in „wehr­loser Lage“ (Schwangere, Dro­gen­abhängige, Opfer des Menschenhandels) einlässt.
Doch auch den Prostituierten geht es nun an den Kragen: Wer auf Kundenfang ertappt wird, riskiert zwei Monate Haft und eine Geldstrafe in Höhe von 3.750 e. AusländerInnen kann die Aufent­haltsgenehmigung entzogen werden, illegal eingeschleusten Opfern von Menschenhandel aber winkt Hilfe, wenn sie aussteigen wollen – und eine befris­tete Aufenthaltserlaubnis, wenn sie bereit sind, gegen ihre Zuhälter auszusagen.
Dass Freier sich die Dienste von minderjährigen Prostituierten erkaufen, ist schon seit Februar 2002 verboten, unter Androhung hoher Strafen: bis zu sieben Jahre Haft und 100.000 Euro Bußgeld, wenn der/die Prostituierte jünger ist als 15 Jahre. Und der Minderjährigen-Zuhälter kann zu 15 Jahren Haft und drei Millionen e Strafgeld verdonnert werden.
Sarkozy bekämpft nicht nur das System der Prostitution, sondern auch die Prostituierten, lautet die gängigste Kritik an dem neuen Sicherheitsgesetz. Im Sommer 2002, kurz nachdem der Innenminister seinen ersten Entwurf präsentierte, veranstalteten in Lyon vermummte Prostituierte eine Protestkundgebung (zum zweiten Mal nach 1975, damals gegen polizeiliche Willkür und Übergriffe, die einst zum Alltag des Strichlebens gehörten).
Kurz darauf protestierten Huren beiderlei Geschlechts medienwirksam auch in Paris vor dem Parlament am Seine-Ufer, angeführt von „France Pros­titution“. Der im vergangenen November gegründete Verein hat nach eigenen Anga­ben über tausend Mitglieder, alle­samt „traditionelle“ einheimische Prostituierte, die behaupten, als „freie und unabhängige UnternehmerInnen im Sexbetrieb“ tätig zu sein.
Die Kritik des Prostituierten-Vereins lautet: Prostituierte seien mehr denn je gezwungen, eine Schattenexistenz zu führen, an abgelegenen Orten als Freiwild gewalttätigen Nachstellungen ausgesetzt zu sein. Die Mitglieder von „France Prostitution“ drohen: Wenn ihnen nicht das „Recht auf freie Berufsausübung“ garantiert wird, wollen sie „prominente Freier“ outen.
Auch die Feministinnen vom CADAC protestieren, dem landesweiten Dachverband von über hundert Vereinen und Organisationen, die für mehr Gleichberechtigung kämpfen. Aber sie finden „France Prostitution“ fragwürdig und halten den Verein für „unterwandert von Zuhältern“. Sie machen im Gegenteil mobil „gegen die Verharmlosung der Prostitution“.
Am 10. Dezember 2002 defilierte die neue Frauenbewegung durch die Straßen der Hauptstadt und skandierte: „Frauen gehören auf die Straße, aber nicht auf den Strich“. Und Transparente verkündeten: „Wenn Prostitution ein Beruf ist wie jeder andere – warum empfehlen Sie dies nicht Ihren Kindern als Broterwerb?“
An der Spitze der Demo die fe­ministische Aktivistin Florence Montreynaud. Sie triumphiert: „Dies ist das allererste Mal in Frankreich, dass Feministinnen für die Abschaffung der Prostitution auf die Straße gehen.“ Doch wer gegen das prostitutionelle System, die herkömmliche männliche Ordnung, vorgeht, wird auch in Frankreich noch immer als „Moralapostel“ diskreditiert.
Um so entschlossener machen französi­sche Feministinnen Front gegen das altbekannte Argument, die Frauen würden ihre Körper ja „freiwillig“ zu Markte tragen. Die Mehrheit der Frauen, die heute auf dem Straßenstrich sind, sind nachweisbar Opfer des organisierten Menschenhandels. Und auch unter den französischen Prostituierten ist kaum eine, die nicht aus Not, aus „Liebe“ oder unter Zwang ins Milieu geriet.
So wird der reale Alltag der Frauen auf dem Strich mehr und mehr zum öffent­lichen Thema. Im vergangenen Febru­ar hat der staatliche Wirtschafts- und Sozialrat in Paris einen Bericht veröffentlicht, nach dem die Prostitution in Frankreich jährlich zwei bis drei Milliarden E einbringt, aber nicht den Prostituierten. „Jede Prostituierte ist gehalten, ihrem Zuhälter täglich 450 bis 760 Euro einzubringen, davon lässt er ihr gerade 45 Euro, für Essen, Kleidung, Unterkunft“, heißt es in dem Bericht.
Kürzlich haben auch Aussteigerinnen, die sich nach amerikanischem Vorbild als „Überlebende der Prostitution“ bezeichnen, ihre Erfahrungen zu Papier gebracht. Da argumentiert beispielsweise Roselyne nach zehn Jahren auf dem Strich: „Das Elend mitten im Stadtzentrum zu sehen hat auch vorbeugende Wirkung: Das bringt die jungen Dinger zum Nachdenken, die meinen, auf dem Strich lässt sich leicht viel Geld verdienen. Wenn ich vorher gesehen hätte, unter welchen Bedingungen die Prostituierten arbeiten, hätte ich vielleicht eher begriffen, wie gewalttätig der Strich ist.“
Und Ulla, einst die Symbolfigur des Hurenstreiks von 1975, warnt: „Das größte Drama wäre die Wiedereinführung der Bordelle: Die Prostitution zu lega­lisie­ren, wäre ein Rückschritt, der auch die Zuhälterei legalisiert.“ (

http://membres.lycos.fr/survivantes/)
Die Mehrheit der FranzösInnen teilt die Ansicht von Ulla oder Malka, dass die Prostitution Gewalt sei gegenüber Frauen. Eine repräsentative Umfrage ergab 2002: 67% der Befragten halten die Armut für eine der Hauptursachen für die Prostitu­tion. Für 71% sind Prostituierte „Opfer, die durch die Umstände gezwungen würden, ihren Körper zu verkaufen“. Und mehr als neun von zehn FranzösInnen fordern statt verstärkter Repression: „Man muss den Prostituierten beim Ausstieg helfen!“
Auch die auflagenstarken Frauenzeitschriften Elle und Marie Claire engagieren sich für die Abschaffung der Prosti­tution. Marie Claire beispielsweise mit dem erschütternden Porträt einer „Sexsklavin“ aus Osteuropa, der der Ausstieg gelang. Und Elle deckt gewisse Widersprüche in der Regierungspolitik auf, die einerseits „Maßnahmen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen“ erlassen will, andererseits den Druck auf die Prostituierten verstärkt.
Elle: „Muss man immer noch betonen, dass es sich bei der Prostitution mehrheitlich um Gewalt an Frau­en handelt? Eine Prostituierte, die bei der aktiven oder passiven Anmache ertappt wird, zu bestrafen, ist einfach. Aber stellen wir uns vor, sie hat ein blaues Auge. Was soll die Justiz dann tun: Sie bestrafen oder sie beschützen?“ Irma la Douce ist gar nicht mehr süß.      

Die Autorin ist freie Korrespondentin in Paris und arbeitet u.a. für den Hörfunk.

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Dossier: Prostitution abschaffen (3/03)
EMMA Kampagne Prostitution

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