„There is no fair trade in sex trade!“
Am Samstag ging es hinaus zum Frauenkampftag 2014. Aufgerufen hatten die Veranstalter zu einer „neuen feministischen Offensive“, der Weltfrauentag sollte wieder kämpferischer werden und sich auf seine rebellischen Traditionen besinnen. Organisiert wurde der Frauenkampftag in Berlin von zahlreichen Gruppen und Parteien, und alle Strömungen des Feminismus waren ausdrücklich willkommen. Und so kamen dann auch rund 3000 Menschen an den Gesundbrunnen, um bei strahlendem Sonnenschein gegen Sexismus, Patriarchat, Unterdrückung, sexuelle Gewalt, Machismus in Deutschland und weltweit zu demonstrieren.
Von Vielfalt war außer ein paar vereinzelten Plakaten jedoch leider nicht viel zu sehen – es dominierten die Parteifahnen, und auf der Demo auch die Parteiblöcke. Irritierenderweise waren es die Männer, die Parolen in die Lautsprecher brüllten, häufig eben jene, die man auch von antikapitalistischen Demos kennt. Wer glaubte, auf entschlossene, laute Kritik an herrschenden Macht- und Unterdrückungsverhältnissen und Missständen zu stoßen, für den war dieser Frauenkampftag eine Enttäuschung. Er war nicht mehr als die übliche Feigenblattshow von Parteien wie SPD, Grünen und Linken, um sich eben irgendwie zu Frauenrechten zu bekennen und zu zeigen, dass man dieses Feld abdeckt und es nun wieder den Rest des Jahres in der Versenkung verschwinden zu lassen. Das ist wohl auch der Grund, warum sich so wenige Frauenorganisationen der Demo angeschlossen haben.
Auf den Demo-Plakaten Originalzitate von Freiern.
Die einzigen, die tatsächlich kreativen und konsequenten Protest veranstalteten, wie man ihn auf einer Demo erwartet, waren die Gegnerinnen der Prostitution. Mit einem leuchtenden Transparent und bunten Perücken sorgten sie bereits zum Anfang der Demonstration für viel Aufmerksamkeit. „There is no fair trade in sex trade“ stand darauf, auf Rücken und Brust trugen sie Bilder mit Originalzitaten von Freiern. „Tina, im 6. Monaten schwanger – eine geile 3-Loch-Stute“ stand auf einem, „Rumänennutte, sie wollte dass ich aufhöre – leises Wimmern, Pech gehabt, mir war danach“ auf einem anderen. Das irritierte und viele DemonstrationsteilnehmerInnen kamen mit den Abolitionistinnen ins Gespräch. „Ist das nicht sexistisch?“, fragten sie. „Wie könnt ihr damit auf einer feministischen Demo mitlaufen?“ – „Das sind Originalzitate aus Freierforen. Wir zeigen damit, wie zutiefst sexistisch, wie frauenverachtend Prostitution ist“, war die Antwort, die viele offensichtlich zum Nachdenken brachte.
Tatsächlich kam es später in diesem Zusammenhang noch zu wirklich bizzaren Szenen. Noch während oben auf dem Wagen Reden geschwungen wurden, auf denen erzählt wurde, dass Werbung Frauen zu Objekten degradiere, marschierte eine andere Gruppe von Frauen auf, die sich für die Rechte von „Sexworkerinnen“ einsetzt, also für „freiwillige, selbstbestimmte“ Prostitution. Sie trugen rote Regenschirme mit entsprechenden Slogans und wurden begleitet von einem Mann im Rollstuhl, der ein Schild hochhielt: „Freier solidarisch mit Huren“.
Die Frauen in Echtpelzmänteln waren zuerst reichlich irritiert ob des Auftauchens der Abolitionistinnengruppe. Als sich der Demozug jedoch in Bewegung setzte, warteten sie am Rand und versuchten die friedliche Gruppe aggressiv einzukesseln. Diese blieben, offenbar demoerfahren, einfach stehen und brachten so die ganze Demo zum Stoppen. Mehrfach forderten sie die “Sexworkerinnen” friedlich auf, doch einfach weiterzugehen und die Demo nicht zu stören, doch diese wollten eine Konfrontation. Die Abolitionistinnen ließen sich jedoch nicht provozieren. Damit rechneten die “Sexworkerinnen” nicht, waren erneut aus dem Konzept gebracht und sprühten daraufhin die Schilder mit den Originalzitaten mit gelber Farbe voll. Dann ließen sie sich rasch von einer herbeigerufenen Meute Fotografen mit entblößten Brüsten vor dem Transparent der Abolitionistinnen fotografieren und als dann endlich ein Ordner kam, durften dann schließlich auch alle wieder weitergehen.
Lobbyistinnen pro Prostitution führen eine Scheindebatte.
Wie die Bilder auf Twitter zeigen, war der Vorfall geplant. Innerhalb einer feministischen, friedlichen Demo wird ein solches Aggressionspotenzial gezeigt – und vom Rest der Demo toleriert. Die ganze schöne Solidarität, die Gewaltlosigkeit – auf einmal dahin. Und das muss man zu Ende denken.
Die Sexworkerinnen, die man da mit nackten Brüsten auf die Straße, vor die Fotos geschickt hat, vertreten die Interessen des Kapitals. Prostitution ist mit einem Jahresumsatz von derzeit 14 Milliarden in Deutschland ein äußerst lukratives Geschäft – wohlgemerkt: für BordellbetreiberInnen, Zuhälter und Frauenhändler. Die Lobbyistinnen behaupten, dass die Abolitionistinnen den Frauen verbieten wollten, ihre Körper zu verkaufen und ihnen das Selbstbestimmungsrecht über ihre Körper nähmen. Doch das ist eine Scheindebatte.
Was Abolitionistinnen wollen, ist das Schwedische Modell der Freierbestrafung. Sie wollen verbieten, dass es möglich ist, dass ein Mann den Körper einer Frau oder eines Mannes kauft und dass es vor allem für Frauen echte Ausstiegsmöglichkeiten aus der Prostitution gibt – anstatt der Pro-Prostitutionsberatung wie sie derzeit von vielen Beratungsstellen in Deutschland betrieben wird.
Die Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft bedenken.
Es ist uns im Übrigen durch den Staat auch verboten, unsere Organe zu verkaufen oder unsere Gebärmutter für Leihmutterschaft herzugeben. Hinter diesen Verboten stehen ethische Entscheidungen. Auch hier wird das Verfügungsrecht über den Körper eingeschränkt, weil alles andere katastrophale Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft im Ganzen hätte.
Wie ist es also möglich, dass auf einer Demo über Sexismus, über die Unterdrückung durch das Patriarchat geredet wird, während gleichzeitig eine zutiefst patriarchale Institution, die Frauen nicht nur zu Objekten degradiert, sondern sie tatsächlich zu Objekten mit Körperöffnungen macht, die Freier für sich benutzen können, als „Freiheit“ neoliberaler Manier gefeiert wird? Wieso wird zugelassen, dass die Kritikerinnen eben dieser Institution beinahe von der Demo verdrängt werden?
Man stelle sich mal vor, auf einer Demo gegen Sozialabbau wird die Gruppe, die den höchsten Mindestlohn fordert, von einer Arbeitgebergruppe aus der Demo gekesselt und der Rest der Demo schaut zu?
Prostitution ist rassistisch und sexistisch, sie nutzt nicht den Prostituierten. Die werden davon nicht reich, sehr wohl aber die Bordellbesitzer, die heute inzwischen Großunternehmer mit besten Kontakten zur Kommunal- und Stadtpolitik sind. Von schätzungsweise 400.000 Prostituierten in Deutschland gehören mindestens die Hälfte „extrem unterprivilegierten Minderheiten an“, also Roma aus Bulgarien und Rumänien, Frauen aus Afrika und Bosnien, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker in ihrer aktuellen Ausgabe von Pogrom schreibt. Prostitution symbolisiert also all das, wogegen Linke traditionell sind – und dennoch entwickeln so ziemlich allen Linke im Zusammenhang mit der Prostitution eine schiefe Wahrnehmung.
Das Patriarchat in Reinform - und alle sehen weg.
Hier tritt uns das Patriarchat in Reinform, in unmaskierter, frauenverachtender, frauenhassender Form entgegen – und alle sehen weg und reden trotzdem weiter davon, dass jetzt ja wirklich was gegen den Sexismus getan werden muss. Wir können nicht gegen Sexismus sein – und Werbung für Gangbang-Parties tolerieren. Wir können nicht gegen das Patriarchat demonstrieren – und dann zulassen, dass Teenie-Tina, im 6. Monat schwanger, legal zum Spermabad mit Dutzenden von Freiern – „Kondome verboten“- antritt. Wir können uns nicht gegen sexuelle Gewalt und Diskriminierung wenden – und dann unsere Städte „Verrichtungsboxen“ aufbauen lassen.
Ich wünsche mir für den nächsten Frauenkampftag eine Demo, die diesen Namen auch verdient hat. Ich wünsche mir Kampf, Demo, Tanz, ich wünsche mir kämpferische Frauen, die gemeinsam gegen das Patriarchat, gegen Unterdrückung, gegen Sexismus aufstehen. Vor allem aber wünsche ich mir echte Solidarität. Wenn es den Zuhältern, Bordellbesitzern und dem Kapital schon gelingt, ihre Interessen in einer linken Demo unterzubringen und diese die gegen andere, friedliche Demoteilnehmer aggressiv ausüben, dann ist es nicht weit her mit dem gesellschaftlichen Tranformationspotenzial der linken Community und dann ist von der neuen feministischen Offensive außer ein paar Lippenbekenntnisse nichts spürbar!