Frauenprojekte: Frauenkabarett

Sonia Mikich (links außen) und Daggi Bach (2. von rechts oben) mit ihren wilden Schwestern vom Aachener Frauenkabarett.
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Sie hatten sich Jahre nicht gesehen und so war die Freude groß, als sich WDR-Chefredakteurin Sonia Mikich und die pensionierte Lehrerin Daggi Bach in der EMMA-Redaktion in die Arme fielen. Vor über 40 Jahren hatten die beiden, gemeinsam mit fünf Mitstreiterinnen, Aachen gerockt. Sie hatten etwas ins Leben gerufen, das es bis dato noch nicht gab: ein Frauenkabarett! Damals war Humor noch Männersache. Frauen, die die (Männer)Welt satirisch attackierten – Fehlanzeige. Das „Aachener Frauenkabarett“ nahm sich vor allem die Frauenwelt zur Brust. Humor ist, wenn man oder frau über sich selber lacht. Im Aachener Frauenzentrum ging es den Kabarett-Schwestern bisweilen zu „grimmig und schmallippig“ zu. Sie hielten gegen – mit tosendem Erfolg.

Sonia Mikich Wir schreiben das Jahr 1976. Es gab in Aachen ein Frauenzen­trum. Zu den wöchentlichen Plena, die man damals abhielt, kamen mindestens 40 Frauen. Und zu Demonstrationen kamen Hunderte. Bei einer Demo in der Walpurgisnacht mit dem Motto „Wir holen uns die Nacht zurück!“ standen über 1.000 Frauen vor dem Historischen Rathaus. Eines Tages sah ich im Frauenzen­trum einen Aushang: „Welche Frau hat Lust, Kabarett zu machen?“

Daggi Bach Ich kam über das Lesben-Plenum dazu. Ich war eigentlich hetero, ging aber da hin, weil ein Krieg zwischen Lesben und Hetero-Frauen tobte. Unter anderem ging es darum, dass die Heteras sich von den Lesben angebaggert fühlten. Und ich habe gesagt: „Wenn mich eine Lesbe anmacht, kommt es doch auch auf meine Reaktion an. Wenn ich das nicht will, dann passiert ja auch nichts!“ Das fand eine der Lesben, Ene, so sensationell, dass sie mich ansprach. Wir wurden dann ein Paar. Und so kam ich auch zum Aachener Frauenkabarett, denn Ene war diejenige gewesen, die den Aushang im Frauenzentrum gemacht hatte.

Sonia Und dann hat Ene ihre Netze noch etwas weiter ausgeworfen, es kamen noch ein paar Frauen dazu, die mehr oder minder musikalisch waren, die tanzen konnten und Lust hatten, die Geschehnisse im Frauenzentrum zu karikieren. Wir fanden es nämlich bedenklich, wie völlig humorfrei Feministinnen manchmal sein konnten. Sie konnten weder über sich selbst lachen, noch über die Bewegung, noch über die Welt mit ihrem Irrsinn. Das war uns aber wichtig, denn: Humor ist Souveränität. Aber es ging zu oft so grimmig und so schmal­lippig und manchmal auch so missgünstig zu. Und dem wollten wir was entgegensetzen. Wir wollten zeigen: Hey, das ist schön, was wir hier machen! Diese Bewegung macht auch Freude! Weg mit Jammern und ­Herummuffeln!

Daggi Es gab verschiedene Fraktionen innerhalb der Frauenbewegung. Und wir fanden es total blöd, dass Frauen rote Linien zwischen diesen einzelnen Fraktionen zogen: Die Lesben gegen die Mütter, die Sozialistinnen gegen die Mondfrauen und so weiter. Unser Kabarett war von der undogmatischen Fraktion.

Sonia Es gab diejenigen, die Spirituelles, den Mondlauf und ihr persönliches Befinden zum revolutionären Prinzip erklärten. Dann gab es die Sozialistinnen, für die Haupt- und Nebenwiderspruch entscheidend waren. Der Hauptwiderspruch war natürlich die Klassenfrage, der Nebenwiderspruch die Geschlechterfrage. Und dann gab es die Hedonistinnen: Ich fand es einfach total klasse, mit Frauen rund um die Uhr interessante, politische und vor allem kreative Sachen zu machen.

Daggi Ene und Sonia haben die Texte zusammen geschrieben. Das passte. Eine hatte eine Idee, die andere nahm den Text mit und feilte nochmal dran rum. Dann kamen die beiden mit den Texten zu uns und wir haben dann nochmal was beigesteuert, nach dem Motto: „Spielen und erspielen“. Und dann haben wir uns um die Rollen gezankt. Wir waren im Grunde eine Chaostruppe. Dass wir diese Programme auf die Bühne gekriegt haben, war für uns eigentlich ein Wunder.

Sonia Einfach größenwahnsinnig. Aber wir haben uns nie gefragt, ob das Projekt funktionieren könnte, wir haben einfach gemacht. Ene und ich spielten ganz gut Klampfe. Ene mochte das Kabarett der Swinging Twenties in Berlin sehr gern. Ich kam eher aus der Pop- und Punkwelt. Nicht nur wegen der Musik, sondern wegen der Attitude der Punk-Bewegung: Wir setzen die Regeln, Mainstream interessiert uns nicht! Wir sagen, was uns wichtig ist! Wir machen die Regeln, wir setzen die Botschaft!

Daggi Unser erstes Programm hieß: „Was Sie schon immer über die Frauengruppe wissen wollten und nicht zu fragen wagten“. Zum Beispiel (rezitiert aus Programmheft): „Abgehoben diskutieren, das können wir schon, sei’s zu Gewalt oder Hausfrauenlohn. Doch wenn’s um die praktische Arbeit geht: Tut mir leid, keine Zeit, es ist auch schon so spät! Für Frauenprobleme hat frau ein offenes Ohr. Doch man muss auch verstehen: Das ­Private geht vor!“

Sonia Und natürlich haben wir diesen Hexen-Kult der Innerlichkeits-Fraktion auf die Rolle genommen (rezitiert aus Programmheft): „Ich beschwöre dich, oh Suppe! Gib die großen Kräfte frei, zeig die Macht der Zauberei. Alles andere ist mir schnuppe! Für jede Krise gibt’s ein Kraut, die Konzerne werden beben! Wenn wir unsere Suppe heben, mit Mutter Erde’s Kraft gebraut.“ Oder hier, da ging es um die neue Weiblichkeit, hier Engelchen und da Teufelchen. Das Engelchen sagt: „Du kannst schon für den Frieden sein, doch trete weiblich dafür ein. Du lässt so manches Blatt beschriften und sammelst tausend Unterschriften, bist nicht geschaffen für Krawall, du pflanze Blumen überall. Tausend Blumen rot und grün sollen für den Frieden blühn!“ Und das Teufelchen entgegnet: „Du warst doch friedlich schon zu lang und immer still, gehorsam, bang. Zeig es endlich diesen Laffen, kämpf einmal mit andren Waffen als die, die man oft weiblich nennt. Sei endlich stark und vehement, verweigre dich, sei renitent!“ Ach, die Liebe zum schlichten Zweizeiler ­damals …

Daggi Wir haben so manches Mal bei den Proben befürchtet: Das hauen uns die Frauen um die Ohren! Aber erstaunlicherweise haben wir dafür von unserem Publikum nie Ärger gekriegt, nur stürmischen Beifall. Die Premiere war dann im Theatersaal der Aachener Uni. Das Frauenzentrum wäre zu klein gewesen. Es waren 500 Zuschauerinnen da. Und unsere Mütter. Und wir kriegten tosenden Applaus. Es war herrlich!

Sonia Wahnsinn!

Daggi Wunderbar!

Sonia Wir sind auf Wolke sieben rausgegangen. Und dann haben wir das nächste Programm gemacht. Nach den ersten Auftritten in Aachen, wo wir ja noch viele Freundinnen und wohlwol­lende Mitkämpferinnen im Publikum hatten, traten wir dann in anderen Städten auf. Nürnberg, Köln, Frankfurt, Berlin, Amsterdam. Die Frauenzentren luden uns ein. Und es war meist rappelvoll. Und dann hatten wir sogar ein paar Fernsehauftritte.

Daggi Wir waren ja zuerst die einzigen, die sowas machten. Wir waren Pionierinnen. Und deshalb hatten wir auch zunächst keine Konkurrenz. Allerdings auch keine Vorbilder. Aber, wie gesagt, die Frage, ob das, was wir da machen, funktionieren würde, stellte sich gar nicht. Nach einem rauschenden Auftritts-Abend haben wir sogar mal überlegt, Kabarett beruflich zu machen.

Sonia Stimmt. Das war nach dem Auftritt in Amsterdam. Wir dachten: Wenn wir sogar bei den Holländerinnen gut ankommen, könnte das eine gute Idee sein. Aber wir hatten vermutlich zu viel getrunken.

Daggi Einmal haben wir in Köln gespielt, um Geld für das Kölner Frauenhaus zu sammeln. Die Einnahmen aus dem Eintritt wurden gespendet und nach dem Auftritt sind wir nochmal mit dem Hut durchs Publikum gegangen.

Sonia Ein einziges Mal sind wir auch vor Männern aufgetreten. Das lief über die Aachener Schwulengruppe, die „Printenschwestern“, mit denen eine von uns befreundet war. Sie saßen im Publikum plus ein paar sympathisierende Heteromänner. Witzigerweise war bei diesem Auftritt auch mein heutiger Mann dabei. Er war wohl etwas erschrocken über diese wildgewordenen Amateurinnen auf der Bühne und lästert über meine goldenen Erinnerungen bis heute.
 
Daggi Dann entstanden immer mehr Frauen-Kabarett-Gruppen. Wir fuhren zu Festivals. Ich erinnere mich an eins im Kölner Stollwerck und eins in Berlin, da gab es dann Lesben-Theatergruppen und eine Frauen-Kabarett-Gruppe aus Frankfurt. Wir Aachenerinnen fanden uns aber immer einen Tacken besser. Gut, die Frankfurterinnen hatten eine Theaterausbildung. Dagegen waren wir kleine Mäuse.

Sonia Wir waren halt begnadete Amateurinnen. Aber wir fanden uns politisch besser. Wir hatten die innere Freiheit, uns keinem Dogma und keiner Linie zu unterwerfen. Genau das war für uns Feminismus: Dass wir endlich selber definieren, was wir wichtig und gut finden. Und uns weder von oberfeministischen Gurus, noch von irgendwelchen Fraktionen, noch von Profis uns reinreden ließen. Wir haben nie Kompromisse gemacht. Kein bisschen. Null. Später kamen andere Themen hinzu, die Konsumgesellschaft, aufgezwungene Schönheitsideale, die Friedensbewegung. Die Ökos verspotteten wir gerne, weil wir die auch wieder dogmatisch fanden.

Daggi Wir haben die Themen aber immer wieder auf die Frauen zurückgeführt. Das war uns ganz wichtig.

Sonia Irgendwann mussten wir aufhören, weil alle berufstätig wurden, einige zogen in andere Städte, wir kamen einfach nicht mehr zusammen. Aber irgendwie war die Frauenzentrenphase vorbei.

Daggi Aus dem Frauenzentrum entstanden Projekte, in denen sich die Frauen engagierten. Dadurch gab es das Plenum im Frauenzentrum nicht mehr und damit war auch viel Stoff für unsere Nummern weg. Im Nachhinein muss ich sagen: Mir hat diese Kabarett-Truppe auch in meinem späteren Berufsleben unheimlich genützt. Ohne die Kabarett-Truppe hätte ich meine Referendarzeit gar nicht überstanden. Aber mit der Erfahrung im Rücken bin ich in die Lehrproben und dachte: „Was wollen die eigentlich von mir? Ich bin vor 500 Leuten aufgetreten. Da werde ich ja wohl eine Schulklasse und einen Prüfer schaffen!

Sonia Frauen haben gewaltig aufgeholt beim Kabarett, in den Comedys, beim Film. Und einiges ist sehr vertraut: Lust am Tabubruch, böse Worte in den Mund nehmen, anti-autoritär und ohne Rücksicht auf Verluste zu sein – das war auch unser Ding.

Daggi Vor kurzem stürzte in einer Aachener Kneipe eine Frau auf mich zu. Die schwärmte mir vor, sie hätte damals alle Programme von uns gesehen und sie hätte auch die Fotos davon noch. Und ab und zu würde sie das Album durchgucken und denken: „Was war das für eine schöne Zeit!“

Sonia Wir hatten zu unserem Abschied ein Abschiedslied geschrieben. Den Text haben wir für das Publikum kopiert und an jedes Blatt ein Tempotuch geheftet. Damit das Publikum mitweinen kann.

Protokoll: Chantal Louis.

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