Ganz wie Birgit, Silvia, Nadine

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An manchen Tagen kommt es vor, dass eine ganz besondere Gruppe Menschen an die schwere Holzpforte des Klosters Calvarienberg klopft und den Beistand von Schwester Roswitha Maria begehrt. Zum ersten Mal geschah das anno 2006. Da sah sich die Nonne, die seit 1982 dem Ursulinen-Orden angehört, einem Trupp Mädchen in Trainingsanzügen gegenüber, die sprachen: „Wir wollen heute abend noch Fußballspielen, aber es ist keiner da, der uns die Turnhalle aufmacht und Aufsicht führt!“

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Schwester Roswitha Maria war eigentlich mit dem Korrigieren von Aufsätzen beschäftigt, nahm aber den Stapel Hefte und den Schlüsselbund und öffnete die Halle. „Und dann hab ich mich dahin ­gesetzt und mich gewundert, was die für ’ne Schusskraft haben!“ Als die Mädchen begannen, Fallrückzieher zu trainieren, fürchtete die Schwester nur kurz um die Sicherheit ihrer Schützlinge. Denn spätestens jetzt war Schwester Roswitha Maria, bekennender Fan von Borussia Mönchengladbach, von den Qualitäten ihrer Schütz­linge zutiefst überzeugt.

Das Internat des Ursulinenklosters in Bad Neuenahr-Ahrweiler sowie das dazugehörige Gymnasium und die Realschule sind seit 2006 eine Eliteschule des Deutschen Fußball-Bundes. Mädchen, die den Willen und das Zeug zur Bundesliga oder gar zur Nationalspielerin haben, haben hier ideale Bedingungen, beides zu tun: Einen guten Schulabschluss machen und Spitzenfußball spielen. Acht von insgesamt 41 Internats-Schülerinnen gehören zu den Auserwählten. Wenn die Kickerinnen zu einem Lehrgang oder einem Länderspiel müssen, können sie den verpassten Stoff problemlos nachholen. Liegen Trainingseinheiten am Vormittag, steht ein Lehrer am Nachmittag bereit.

Im Innenhof des 380 Jahre alten Klosters steht ein Fußballtor, hinter der Tür eines roten Linoleum-Flurs verbirgt sich ein Fitness-Raum, im sieben Meter hohen Speisesaal werden unter einem Abendmahl-Gemälde ernährungsphysiologisch wertvolle Sportler-Mahlzeiten gereicht. Und auch die Ronaldo-Poster, mit denen der eine oder andere Schlafraum tapeziert ist, werden hier keinesfalls als unpassend betrachtet. Im Gegenteil: Internatsleitung und die 31 Ursulinen sind stolz auf ihre Spitzenfußballerinnen.

Allen voran Schwester Roswitha Maria, die 2007 von der Generaloberin zur „Fußball-Beauftragten“ erkoren wurde. „Das bot sich an, weil ich seit den 70er Jahren Fußballfan bin“, erklärt die 56-Jährige. Seither vertritt sie ihren Orden bei den monatlichen Treffen, an denen außer ­Inter­nats­leiterin Veronika Merkert auch die beiden Schulleiter und zwei Lehrer teilnehmen, ebenso Trainer Thomas Obliers und ein Vertreter des DFB. Zweimal im Jahr gibt es eine Regionalkonferenz mit VertreterInnen von Landessportbund und Bildungsministerium sowie der ehemaligen Nationaltrainerin Tina Theune, heute beim DFB für die weibliche Nachwuchsförderung ­zuständig. „Und außerdem bin ich natürlich Ansprechpartnerin für die Mädchen“, erklärt Schwester Roswitha Maria.

Donnerstag, 14 Uhr, das Training muss heute wegen Schlamm und Dauerregen in die Soccer-Halle verlegt werden. Trainer Thomas Obliers erklärt eine Übung zum Passspiel. „Eine kurze Auftaktbewegung, den Ball am Fuß klatschen lassen und dann der Mitspielerin in den Lauf spielen!“ Die Halle ist unbeheizt, aber die Gesichter der Mädchen sind bald schweißüberströmt. Zum Beispiel das von Ramona Petzelberger. Die 18-Jährige mit dem braunen Zopf wäre eigentlich Weltmeisterin, wäre sie nicht am Abend vor dem Lehrgang mit der U 20-Nationalmannschaft umgeknickt. Ohne dieses wirklich blöde Malheur hätte die Jugend-Nationalspielerin im Sommer 2010 gemeinsam mit ihren Mädels den Titel geholt. „Das war wirklich eine riesige Enttäuschung“, sagt sie. „Aber ich versuche, mich auf die nächste WM in Aserbaidschan oder Vietnam zu freuen.“

Wenn nicht gerade WM ist, kickt die Gymnasiastin in beim SC Bad Neuenahr 07. Die Tatsache, dass hier inmitten der idyllischen Weinberge des Ahrtals ein erfolgreicher Verein der Frauen-Bundesliga existiert, war ein Grund für den DFB, den Ursulinen den Vorschlag mit der Fußball-Elite-Schule zu unterbreiten. Denn nur so ist die Kombination aus intensivem Training und Schule möglich. Vorreiter dieses Modells war Potsdam, wo die legendären Turbinen seit Jahren chronisch an der ­Tabellenspitze kicken und die Idee der DDR-Sportförderung noch nachwirkt. Dort eröffnete 2006 DFB-Präsident Theo Zwanziger höchstper­sönlich Deutschlands erste Elite-Schule für den weiblichen Fußball-Nachwuchs.

Auch für die Jungen gab es zu diesem Zeitpunkt erst eine solche Fußball-Förderschule, und unter der Ägide des Frauen­fußball-Fans Zwanziger zogen die Mädchen rasch nach. „Die Strategie, diese Art der Nachwuchsförderung von vornherein für Jungen und Mädchen anzubieten, hat super funktioniert!“ freut sich Tina Theune. Heute sind von inzwischen 29 DFB-Eliteschmieden fünf reine Mädchenschulen: Neben Potsdam und Bad Neuenahr-Ahrweiler werden die Nationalspielerinnen von morgen in Magdeburg, Saarbrücken und Kaiserau ausgebildet. Fünf weitere Schulen in Leverkusen, München, Hamburg, Jena und Freiburg sind geschlechtergemischt. Weitere fünf stehen in den Startlöchern. 30000 Euro zahlt der DFB jedem Elite-Standort für Trainer oder Nachhilfe. Das Internat selbst bekommt von diesem Geld allerdings nichts.

Dennoch: „Es ist enorm, was sich in den letzten Jahren beim Frauenfußball getan hat“, sagt Thomas Obliers. 30 Jahre lang hat der Trainer aus dem Ruhrgebiet selbst aktiv gespielt, seit acht Jahren ist er Fußballlehrer, sechs davon trainiert er Frauen. „Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, dass wir heute acht Mal die Woche trainieren.“ Richtig, die Woche hat nur sieben Tage und am Wochenende ist Spiel, woraus folgt, dass die Kickerinnen inzwischen teilweise zweimal pro Tag trainieren. Ramona und ihre Kollegin Leonie Maier zum Beispiel stehen heute abend um halb sieben nach den Hausaufgaben wieder beim SC Bad Neuenahr 07 auf dem Platz. „Was die Mädchen leisten, ist sensationell“, schwärmt Trainer Obliers. „Das würden nicht viele Jungs machen.“

„Es ist schon manchmal hart. Aber ich liebe Fußball über alles!“ keucht die verschwitzte Leonie, die schon als kleiner Dotz in ihrem schwäbischen Dorf von ihren drei älteren Brüdern auf den Fußballplatz geschleppt wurde, mit 14 Jugendnationalspielerin war und im nächsten Jahr Abitur macht. Auch Ramona aus Essen ist „in einer Turnhalle aufgewachsen“, und zwar in der, wo ihre 73-jährige Großmutter heute immer noch Sportkurse gibt. Ramonas Mutter spielte bereits Fußball im Verein, und ihre Tochter pöhlte mit den Jungs auf dem benachbarten Bolzplatz, bevor sie vom FCR 2001 Duisburg angeworben wurde. Mit dessen dama­ligem Trainer Thomas Obliers wechselte sie schließlich zum SC Bad Neuenahr 07.

Die Professionalisierung ist auch hier fortgeschritten. Ramona hat zwar keinen persönlichen Sponsor, aber der Bundesligist hat mit Förderern wie der Deutschen Bahn, RWE, Sparkasse oder Lotto Rheinland-Pfalz immerhin so viel Geld zur Verfügung, dass er seiner Spielerin einen zweijährigen Arbeitsvertrag anbieten konnte. Wieviel sie verdient, darf sie nicht sagen, „aber für mein Alter und verglichen mit denen, die Aushilfsjobs machen, bin ich sehr zufrieden“, sagt Ramona. Nur ist es eben so, dass sie nach dem Abitur auf jeden Fall eine ­Berufsausbildung machen wird, weil ein Vollprofitum dann doch nicht in Frage kommt. „Dafür müsste ich mehr verdienen. Vom Fußball leben könnte ich nicht.“

Die Jungs können das. Schon die Spieler der zweiten Bundesliga sind allesamt Profis und müssen keinen Spagat zwischen Ausbildung und Fußball-Karriere stemmen. Die stehen dann allerdings mit 30 und kaputten Knochen ohne zweites Standbein da. „Deshalb geben sich die Vereine inzwischen sehr viel Mühe, dass auch die Jungs eine Ausbildung machen“, erklärt Tina Theune.

800 Menschen schauen am Wochenende zu, wenn Ramona mit dem SC Bad Neuenahr 07 auf Torjagd geht. „Bei den Zuschauerzahlen ist noch Potenzial“, drückt es Thomas Obliers diplomatisch aus. Er hofft, dass sich das schleunigst ändert. Denn: „Ich finde, dat die Mädels dat einfach verdient haben!“ Das findet auch Schwester Roswitha Maria. Genau wie ­Internats-Leiterin Veronika Merkert steht sie oft sonntags auf dem Platz und feuert ihre Mädels an. Normalerweise tut sie das in Nonnen-Tracht. Nur wenn sie zum 1. FC Köln geht, trägt sie zivil, denn „da ist die Stimmung immer so gut, dass man schon mal ein Kölsch in den Rücken kriegt.“

Eine „sehr tragische Woche“ hat Schwester Roswitha Maria gerade hinter sich. Borussia Mönchengladbach hat schon wieder verloren und steht bleiern auf dem letzten Tabellenplatz. Der Abstieg droht. Aber auch, falls ihr Lieblingsverein wider Erwarten in der ersten Liga überleben sollte, droht Ungemach: Für diesen Fall muss sie, so hat sie mit einem ihrer Schüler gewettet, einen Tag lang im Unterricht ihren Fußballschal tragen. Sicher, es gibt schlimmere Wetteinsätze, zumal für einen echten Fußballfan.

„Als ich im Alter unserer Fußball-Mädchen war, wurde in Bad Neuenahr gerade eine Mädchenmannschaft gegründet. Da hab ich mir schon überlegt, selbst zu spielen“, erzählt die Nonne, die im Sommer 2010 ihr 25-jähriges Ordensjubiläum feierte. Das Problem: „Die suchten Torwarte, und ich war damals schon nicht größer als einsdreiundfünfzig.“

Das war in den 70ern, kurz nachdem der DFB das Fußballverbot für Frauen aufgehoben hatte, und der Pioniergeist des SC Bad Neuenahr 07 in Sachen Frauenfußball war durchaus auch hinter den Klostermauern auf dem Calvarienberg zu finden. „Wir hatten in unseren Schulen schon Mädchenmannschaften, da hat noch kein Mensch dran gedacht, dass hier mal der DFB reinkommt“, erinnert sich die Fußball-Beauftragte der Ursulinen.

Auch deren Gründerin, die Heilige ­Angela Merici, die den Orden 1535 ins Leben rief, war eine emanzipierte Frau: Sie gab ihrer Gemeinschaft eigene Regeln, die Leitung übernahmen die Frauen selbst. Seither haben sich die Ursulinen der Frauen- und Mädchenbildung verschrieben. Und so galten die anfänglichen Zweifel der Schwestern am Vorschlag des DFB auch ausschließlich den organisatorischen Fragen und nicht den frauenfußballerischen. „Es hat mir immer Freude gemacht, mit anderen Frauen an einem Werk zu arbeiten“, sagt die Fußball-Beauftragte. Und für dieses Werk schließt sie auch gern ab und zu eine Turnhalle auf.    

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