Prostitution: Das geht uns an!
Am 3. April 2019 habe ich in Mainz den „3. Internationalen Kongress gegen Prostitution“ eröffnet. Mein Thema: „Prostitution und Feminismus“. Beides ist ja eng miteinander verknüpft. Ich hatte schon oft über Prostitution geschrieben und noch öfter mit Prostituierten gesprochen. Doch dieses Treffen, zu dem 350 Frauen, darunter viele Männer, aus 20 Ländern kamen, scheint mir eine Wende.
Zeit also für eine Zwischenbilanz. Wie fing mein Engagement für Prostituierte eigentlich an? Es war im Jahr 1967 in Mönchengladbach. Ich war Volontärin der Westdeutschen Zeitung und erfuhr, dass Prostituierte nun Steuern zahlen sollten. Das empörte mich. Denn zu der Zeit hatten Prostituierte noch nicht einmal die vollen Bürgerrechte. Man konnte ihnen die Kinder wegnehmen oder zum Beispiel das Vermieten einer Wohnung verweigern. Sich prostituieren galt als Schande, zu Prostituierten gehen als Kavaliersdelikt.
In Deutschland kursiert weiterhin der zynische Begriff von der „Sexarbeit“.
Ich rief also den örtlichen Bordellbesitzer an und ging in das örtliche Bordell. 25 Jahre alt und blond, durchschritt ich mit abweisendem Blick stramm den Kontakthof, Richtung Bordellküche. Da wartete schon ein halbes Dutzend Frauen auf mich. Wir unterhielten uns ein, zwei Stunden lang, sehr offen und sehr selbstverständlich (und ich sah aus dem Augenwinkel, wie die Frauen nach einer „Nummer“ schon 15, 20 Minuten später zurückkamen und staunte: So schlicht gestrickt sind manche Männer?). Nachdem der Artikel erschienen war, rief mich eine der Frauen an und sagte: „Fräulein Schwarzer, wollen wir nicht zusammen eine Zeitung für Prostituierte machen?“
Daraus wurde nichts. Aber zehn Jahre später habe ich eine Zeitschrift für Frauen gemacht, und da gehörten diese Frauen selbstverständlich dazu.
Als ich dann ein Jahr später in Hamburg kurzzeitig für ein Hochglanzmagazin, Frau und Film, arbeitete (bevor ich als Reporterin zu Pardon ging), hat mich die hanseatische Correctness so gelangweilt, dass ich ab und an in eine Kaschemme namens „Fick“ im Hafen ging. Da habe ich mir viele Abende lang das Leben und die Sorgen von Prostituierten angehört. Erkannt habe ich sie an ihrem Blick, an den ausgelöschten Augen.
Anfang der 1970er-Jahre gehörte ich dann in Paris zu den Feministinnen, die den Protest von Prostituierten gegen Doppelmoral und Polizeischikanen aktiv unterstützten. Wir schrieben und verteilten zusammen Flugblätter und besetzten Kirchen. Für mich war das Gespräch mit Frauen, die in die Prostitution geraten waren, längst eine Selbstverständlichkeit. Ich habe nie einen Unterschied gesehen zwischen ihnen und mir – höchstens den, dass ich Glück gehabt habe.
Da verstand es sich für mich 1975 von selbst, dass unter den 18 prototypischen Frauen im „Kleinen Unterschied“ – in dem es um die Funktion von Liebe und Sexualität bei der (Selbst)Unterdrückung von Frauen geht – auch eine Prostituierte war: Cornelia, die seit 25 Jahren auf der Potsdamer Straße in Berlin auf den Strich ging, „immer an derselben Ecke“. Sie hatte zwei Ehemänner und vier Beziehungen hinter sich – und alle haben sie immer alles zahlen lassen, alle waren ihre Zuhälter.
Cornelia hatte noch nie in ihrem Leben einen Orgasmus, „nur, wenn ich es mir selber mache“, gestand sie. Am meisten fielen mir ihre Hände auf: ganz rau und gerötet. Sie musste nebenher noch putzen gehen, weil sie mit 53 Jahren in der Prostitution nicht mehr genug verdiente.
EMMA hat sich der Perversion des Anti-Prostitutions-Kampfes entgegen gestellt
Erst 1981 erschien in Deutschland Kate Milletts Buch „Das verkaufte Geschlecht“ (1974 das Original in Amerika). Ich schrieb zur deutschen Auflage das Vorwort und zitierte Milletts Kernsatz: „Was die Prostituierte in Wahrheit verkauft, ist nicht Sex, sondern ihre Entwürdigung. Und der Käufer, der Kunde kauft Macht.“ Und ich fügte hinzu: „Männer gehen zu Prostituierten, weil sie bei ihnen etwas bekommen, was sie bei ihren eigenen Frauen nicht bekommen: die totale Verfügbarkeit und das totale Gefühl der Macht.“ Mir schien auch die Kausalität zwischen dem „käuflichen Geschlecht“ und seiner Unterbezahlung bzw. Gratisarbeit eindeutig: „Genau darum haben zum Beispiel die Titelbilder vom Stern (& Co) sehr viel mit Leichtlohngruppen und Gratisarbeit von Frauen zu tun: Wen man verachtet, den kann man auch getrost ausbeuten.“
Es waren die frühen 1980er-Jahre, die hohe Zeit der Frauenbewegung. Der Protest hatte längst auch auf die Prostituierten in Deutschland übergegriffen. In Bochum zeigten sie besonders brutale Zuhälter an. In München protestierten sie aktiv gegen ihre Vertreibung vom Straßenstrich. Und in Berlin gründeten sie einen ersten Prostituiertentreff, das „Café Hydra“.
Doch kaum hatten die ersten Prostituierten rebelliert, folgte der Backlash, der Rückschlag. Und zwar von innen, von Frauen. Hatten Prostituierte und mit ihnen solidarische Feministinnen bisher für die Menschenwürde und gegen Ausbeutung gekämpft, wurden plötzlich „die schnelle Mark“ und „das Recht auf Prostitution“ aufs Schild gehoben. „Prostitution ist geil!“ hieß es nun. „Wir prostituieren uns freiwillig.“ Und mehr noch: „Prostitution ist feministisch!“ Die Propagandistinnen dieser Pro-Prostitutions-Ideologie waren in der Regel studentische Gelegenheitsprostituierte oder Ex-Prostituierte und Bordellbetreiberinnen, die andere Frauen für sich die Beine breit machen ließen.
Dieser Perversion des Anti-Prostitutions-Kampfes hat EMMA sich ab 1981 entschieden entgegengestellt und seither zehn Mal mit dem Thema getitelt sowie unzählige Artikel veröffentlicht, in denen den Frauen in der Prostitution selber eine Stimme gegeben und über die Realität der Prostitution aufgeklärt wurde.
In Deutschland ist die Lage seither nicht besser, sondern schlimmer geworden. Weltweit ist Prostitution nicht mehr Teil der lokalen Kleinkriminalität (ein Zuhälter und maximal zwei, drei „Pferdchen“), sondern Teil der international Organisierten Kriminalität. Heute werden mit Prostitution und dem mit ihr unlösbar verknüpften Frauenhandel weltweit jährlich schätzungsweise 30 Milliarden Dollar verdient. Es ist ein Geschäft mit Profitraten bis zu tausend Prozent. Der Handel mit der Ware Frau ist mindestens so einträglich wie der mit Drogen oder Waffen.
Deutschland ist heute die Drehscheibe des europäischen Frauenhandels
Deutschland ist zur europäischen Drehscheibe des Frauenhandels und zum Paradies für Freier (die auch aus Nachbarländern einreisen) verkommen. Unsere Gesetze tragen die Handschrift der in Berlin bestens vernetzten Prostitutionslobby und schaffen für Freier, Zuhälter und Bordellbetreiber freie Bahn.
In immer mehr Ländern wird Prostitution geächtet, Frauen in der Prostitution werden beim Ausstieg unterstützt und Freier werden bestraft (Zuhälter und Bordellbetreiber sowieso!). Mit der Bestrafung der Kunden wird der Markt des Prostitutions-Systems ausgetrocknet. Vor allem aber: Es gilt als Schande, eine Frau zu kaufen – und nicht als „normal“. In Deutschland aber kursiert weiterhin der zynische Begriff von der „Sexarbeit“.
Prostitution hat es immer gegeben? Das hieß es einst auch von der Sklaverei. Dennoch gelang es – trotz erheblicher Widerstände bis hin zu Bürgerkriegen – den Sklavenhandel abzuschaffen. Selbst wenn er weiterhin in dunklen Ecken der Welt existiert, wird er doch international geächtet und verfolgt.
In der Berliner Republik jedoch zucken PolitikerInnen bis heute die Schultern. Wie lange noch?
Gerade scheint die Pro-Prostitutions-Front zu bröckeln. Es heißt, die beiden Vorsitzenden von CDU und SPD seien für eine Freierbestrafung, aber trauten sich nicht, es laut zu sagen. Sie sollten sich trauen! Die Zustimmung einer Mehrheit der WählerInnen wäre ihnen gewiss.
Denn eine Gesellschaft, die die Prostitution duldet, ist eine inhumane Gesellschaft. Und das nicht nur mit Blick auf die direkten Opfer, sondern auch mit Blick auf das gesamte Verhältnis der Geschlechter. Solange das eine Geschlecht den Körper und die Seele des anderen Geschlechts kaufen kann, solange sind wir Frauen alle das „käufliche Geschlecht“.
Alice Schwarzer
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In der Mai/Juni-EMMA 2019: Die "Mainzer Erklärung" im Wortlaut, ein Report über den „3. Weltkongress gegen Prostitution“ und die beeindruckende Rede von Sandra Norak über das, was sie in den sechs Jahren in der Prostitution erlebt hat.