Was bringt die Zukunft?

Li Edelkoort. © Thirza Schaap
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Li, Sie haben vor zwei Jahren die „emancipation of everything“ prophezeit. Und zwar für diesen Frühling. Haben Sie recht ­behalten?
Ich finde es selbst erstaunlich, wie recht ich damit hatte. Als ich die Millionen Frauen gesehen habe, die im Januar gegen Trump protestiert haben, war ich völlig überwältigt. Emanzipation bedeutet für mich: Stellt einfach alles in Frage! Bei jedem Schritt, den ihr macht. Ist das der Job, den ich haben will? Sind das die Freunde, die ich treffen möchte? Ist das der Mensch, mit dem ich leben möchte? Ist das meine Stadt? Das gilt auch für Mode: Ist das die Art, wie ich mich kleiden möchte?

Und wie ist der Stand der Dinge?
Was bedeutet es denn heute, eine Frau zu sein? Alleine das zu definieren, gleicht ja inzwischen einer Achterbahnfahrt. Das hat wiederum viel mit der Veränderung bei den Männern zu tun. Männer sind zärtlicher geworden, sie sind sensibler, sie kümmern sich mehr um ihre Kinder. Das macht es für Frauen schwerer zu verstehen, wo sie stehen. Der archetypische Vater, den sie als Mädchen vielleicht noch kennengelernt haben, existiert nicht mehr. Übernehmen sie also jetzt die ganze Verantwortung? Verdienen sie das Geld? Die Verteilung der Hausarbeit spielt auch eine große Rolle.

Zum sensiblen, neuen Mann gibt es weltweit Gegenwind: Trump in den USA, Erdoğan in der Türkei, die Rechtspopulisten in Europa. Erleben wir nicht eher die Rückkehr der Supermachos?
Sagen wir mal: Der weiße Mann schlägt zurück! Er fühlt sich bedroht. Deswegen schreit er auch so viel. Diese Entwicklung löst viele Konflikte aus. Möglicherweise sogar einen Krieg. Aber danach wartet eine jüngere Generation, die eine echte Veränderung will. Eine Generation, die nicht mehr so individualistisch ist wie ihre Eltern, die mehr in Teams denkt und weniger an Besitz. Wenn die Macho-Bewegung gescheitert ist, wird diese Generation übernehmen. Ich glaube übrigens nicht, dass das einfach wird, uns steht eine Zeit der Angst bevor.
 
Und was bedeutet das alles nun für die Mode?

Die Modeindustrie befindet sich ja auch schon länger in einer strukturellen ­Malaise, und zwar auf allen Ebenen! Die Gier nach Investitionen hat die Modeindustrie gekillt. Und weil die Mode immer einen Schritt voraus ist, können wir jetzt schon absehen, dass anderen Industriezweigen dasselbe passieren wird.

Das ist ja die Kernthese ihres 2015 veröffentlichten „Anti_Fashion Manifesto“: „Die Mode, wie wir sie kennen, ist tot“.
Das Manifest war eine regelrechte Kamikaze-Aktion. Ich hätte damit alle meine Kunden verlieren können. Aber das Gegenteil ist passiert: Alle waren erleichtert, dass es endlich mal jemand ausspricht. Die Mode-Industrie muss sich von innen heraus verändern! Von der Ausbildung an den Modeschulen bis hin zur Textil-Industrie. Auch, weil die Menschen sonst bald nichts mehr kaufen werden. Sie fühlen sich einfach verloren. Es gibt ja auch gar keinen Konsens mehr, was überhaupt modisch bedeutet. Was wir brauchen, sind Spielwiesen, um neue Systeme, neue Werte und neue Methoden der Zusammenarbeit auszuprobieren.

Hat sich denn seither auch etwas verbessert?
Ich finde nicht, dass wir es mit einer ­radikalen Veränderung zu tun haben. Die wird ohnehin vom äußeren Rand kommen, nicht von den großen Marken. Diese großen Schiffe sind einfach zu träge. In New York gibt es gerade aber sehr viel Aktivismus. Kleine Kollektive, die Stoffe wieder von Hand weben. Ein ­Revival des Maßgeschneiderten und der Haute Couture. Junge Leute, die Streetwear nur noch Stück für Stück auf den Markt bringen.

Und es gibt immer mehr Chefdesignerinnen, auch in den großen Häusern.
Und diese Mädchen sind pragmatisch, ­ästhetisch, erotisch und sie sind im Jetzt verankert! Sie designen Mode, die genauso hart arbeitet wie wir selbst. Reality-­Check-Kleider, die sehr viele Funktionen haben und eine große Bewegungsfreiheit liefern. Kleidung, in der wir reisen können. Es geht nicht länger um die Kreation eines Images oder darum, mit Mode eine ganze Geschichte zu erzählen. Alles ist abstrakter geworden. Auch die Art, Frauenkörper zu betonen.

Die neuen Modemacherinnen designen T-Shirts mit feministischen Sprüchen und inszenieren Fashion-Shows als Frauen­demo.
Ja, und das kommt tief aus ihren Herzen! Nehmen Sie das T-Shirt, das Maria Grazia Chiuri für Dior entworfen hat: We should all be feminists! Das ist ein Zitat der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie. Es handelt sich also um eine Hommage. Das T-Shirt kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Und noch etwas: Es gibt derzeit eine Strömung hin zum Revival von Arbeits- und Funktionskleidung. Das wird die Art und Weise, wie wir uns anziehen, vollständig verändern.

Wie denn?
Es werden ganz andere Artikel produziert werden. Und die mixen wir dann mit den bekannten Regeln der Konfek­tionskleidung. Mode wird interaktiver werden, bewusster und mit Sicherheit auch nüchterner. Freizeit spielt in dieser Entwicklung eine große Rolle. Aber auch das Recht auf Arbeit oder eher: die Notwendigkeit, arbeiten zu dürfen. Das macht die Arbeitskleidung zu einem Symbol. Dafür, dass du selbst deine Hände benutzen darfst, weil nicht ein Roboter deinen Job übernommen oder ein Datenanalyst ihn wegrationalisiert hat. Das Thema wird in Zukunft so wichtig werden, weil unser Recht auf ­Arbeit in Gefahr ist.

Susan Faludi hat in ihrem 1991 erschienenen Bestseller „Backlash“ beschrieben, wie die Modeindustrie als Konterreaktion auf die Frauenbewegung eine Art „neue Weiblichkeit“ ausgerufen hat. Die berufstätigen Frauen wollten praktische Anzüge, die Designer schickten Models in Baby Dolls auf den Laufsteg.
Ich habe ja diesen Backlash in der Mode immer als ein direktes Resultat der Aids-Epidemie interpretiert. Die hat viele homosexuelle Männer vom Erdboden ausgelöscht, die einen Sinn für Rollenbrüche und Ästhetik hatten: Friseure, Tänzer, Filmemacher oder Stylisten. Damit fiel die Macht über das Frauenbild wieder in die Hände von heterosexuellen Männern. Und die wollten die Frauen weiterhin unterwerfen. Deswegen haben sie wieder verstärkt Korsagen und High-Heels auf den Markt gebracht. Oder auch Kleider ohne Taschen. Oder Handtaschen, die man nicht umhängen konnte und die Frauen deswegen ständig in der Hand halten mussten. Heute haben wir es mit Designerinnen zu tun, die ein breiteres Verständnis von Mode und von Weiblichkeit haben. Die haben den Frauen gerade den Laufschuh zurück­gebracht.

Sie haben die Modewelt aufgefordert, jegliche Vorstellung von Geschlecht einfach abzuschaffen.
Ja, und schauen Sie mal nach Tokio! Dort hat kürzlich ein neuer Tomorrowland-Shop aufgemacht. Jedes Kleidungsstück ist sowohl für Frauen als auch für Männer gemacht und die Sachen hängen in einer Abteilung. Das ist sehr befreiend. Frauen müssen in Geschäften ja häufig auf die erste Etage steigen. Sie gelten als so modeverrückt, dass sie das in Kauf nehmen. Männer dagegen gelten als zu faul, deswegen wird Männermode im Erdgeschoss verkauft. Bald werden wir mehr Geschäfte wie das in Tokio sehen, wo es egal ist, ob man Mann oder Frau ist.

Was sollte sich noch ändern?
Wir müssen neue Ressourcen finden, um Textilien herzustellen. Zum Beispiel Garn aus Milch, Mais, Bananen oder Seegras. Papier wird wichtiger werden. Wenn die Leute schon nicht mehr lesen, kann man das ja auch für etwas anderes verwenden! Und auch im synthetischen Bereich muss sich etwas tun. So wie es schon die Versuche gibt, Leder herzustellen, das nicht von Tieren kommt. Oder computerisiertes Garn, das Klänge von sich gibt und unsere Bewegungsmuster tracken kann. Wearables, die wir bisher nur als hochtechnisierte Accessoires kennen, werden dann vollständig in die Textilien eingebettet sein. Es wird insgesamt ein riesiges Revival der Textil-Industrie geben. Ich biete deswegen jetzt an der Parsons School of Design in New York auch einen Masterstudiengang in Textillehre an. Ich möchte das ­Silicon Valley mit dem Hudson Valley ­zusammenführen: die superschnelle Hightech-Welt mit der superlangsamen Handarbeit.

Und Sie haben für den kommenden Sommer das Comeback der Farbe Weiß prophezeit, weil Schwarz die Farbe des Islamischen Staates ist.
Ja, denken sie nur an den weißen Anzug, den Hillary Clinton bei der Amtseinführung von Donald Trump getragen hat! Das geht ja noch weiter, das ist eine direkte Referenz auf die Suffragetten-Bewegung. Weiße Schuhe und weiße Mäntel haben sich schon in den Winterkollektionen durchgesetzt. Sie hellen das Stadtbild auf, wie ein Bedürfnis nach Licht und Optimismus. Ich denke, dass Schwarz wieder seine ursprüngliche Funktion haben wird: die Abendmode, wie das kleine Schwarze oder die schwarze Krawatte. Vergessen sie Schwarz für den Tag! Da wird Braun wieder wichtiger.

Danke für die Tipps, Li!

Unter dem Titel „Portraits of Fashion & Design“ findet am 16. Juni in Basel und am 21. Juni in Berlin Li Edelkoorts „Trendseminar 2018 – 2019“ statt. Alle Termine unter www.edelkoort.com

Das Gespräch führte Alexandra Eul.

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