Joana Adesuwa: Die Juju-Hexe

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Vielleicht war es der Moment, in dem ihr Mann sie anherrschte, ihm das Essen kniend zu servieren. So tut man das in ­Nigeria, in konservativen Familien. Aber hier, in Europa? In der schäbigen, dunklen, Eineinhalb-Zimmer-Wohnung in einem Wiener Arbeiterbezirk? "Knie nieder, wenn du mir das Essen bringst", befahl Tony noch einmal, seine Freunde saßen breitbeinig neben ihm auf dem abgewetzten Sofa.

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In diesem Moment ahnte sie, dass etwas an dieser Ehe nicht stimmte. Joana war eine quirlige junge Frau, als sie Tony in Nigeria ­geheiratet hatte. Er schien weltgewandt und verdiente gut; er hatte erzählt, er führe ein Reisebüro. Sie sollte zu ihm nach Wien ziehen, kochen, ihm bei der Arbeit helfen und Söhne gebären. Vom Knien war nicht die Rede gewesen.

Die Enttäuschung, dass das Leben in der grauen Wiener Vorstadt weniger glamourös war als gedacht, steckte Joana noch weg. Doch dann bemerkte sie all die Seltsamkeiten. Da waren die vielen jungen Nigerianerinnen, die ständig ihr Wohnzimmersofa besetzten, ängstlich, schweigend; nach ein paar Stunden waren sie stets grußlos wieder verschwunden. Da waren die älteren Freundinnen ihres Mannes, die den jungen Mädchen barsch Befehle erteilten, und Kleidung und Schminkzeug verteilten. Und da waren die ­vielen Dokumente, die Joana in den Schubladen fand. Visa und Reisepässe, ausgestellt auf Namen, die sie manchmal kannte, mit Fotos, die nicht dazu passten.

Irgendwann hielt Joana ihren eigenen Pass in der Hand. Sie sah ihre eigenhändige Unterschrift unter dem Bild einer Frau, die sie noch nie gesehen hatte. Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Tony war ein Menschenhändler. Er brachte Mädchen aus Nigeria nach Österreich, hier übergab er sie der Obhut von Zuhälterinnen, Madames ­genannt, und dann schickte er sie auf den Strich.

Joana packte ihre Reisetasche und lief in die Nacht hinaus. Stundenlang saß sie heulend auf einer Parkbank, bis ihr ein weißer Mann die Telefonnummer der Wiener Frauenhäuser auf einen Zettel schrieb. Wer die heute 28-jährige Joana Reiterer sieht, kann sich das Häufchen Elend auf der Parkbank kaum vorstellen. Es ist mir egal, was ihr von mir denkt, sagt ihr Gang. Schaut mich an. Ich verstecke mich nicht. Joana leitet heute eine NGO mit dem Namen "Exit". Hier finden afrikanische Zwangsprostituierte Rechtsberatung und Hilfe zum Ausstieg. Ihr kleines Büro liegt versteckt hinter einem ­Lagerhaus, direkt an einer der Prostituiertenmeilen von Wien. Mal stehen Polizisten vor der Tür und fragen um Rat; mal Freier, die sich um ein bestimmtes Mädchen Sorgen machen. Sie alle kennen Joana aus dem Fernsehen: Als einzigen Menschen weit und breit, der über Dinge spricht, die bisher totgeschwiegen wurden.

Als sie Tony 2003 davonlief, wusste sie noch nicht so genau, wie das Geschäft funktioniert. Heute, nach hunderten von Schicksalen, die sie recherchiert hat, weiß sie es genau: Die Frauen werden mit dem Versprechen gelockt, in Europa Asyl zu bekommen. Ihre "Schulden" für Reise und Vermittlung belaufen sich bei der ­Ankunft jedoch schon auf durchschnittlich 40.000 Euro und müssen auf dem Straßenstrich abgearbeitet werden: mit 30, 40 oder 50 Euro pro Geschlechtsverkehr, minus immer neuen Abzügen für Kost, Quartier und Kleidung. Dann bleibt quasi nichts. Dass die Asylanträge fast immer chancenlos sind, wissen nur die Vermittler. Doch bis zur Abschiebung der Frauen kann es Monate oder Jahre dauern – Zeit genug, um viel, viel Geld an die Zuhälter abzuliefern.

Den geschäftlichen Teil dieser Ausbeutungsmaschine durchschaute Joana rasch. Schwerer fiel es ihr, den zweiten, dunkleren Teil zu begreifen – und jene Kraft zu benennen, die die jungen Frauen so gefügig macht. Die Kraft heißt Voodoo, oder, wie man in Westafrika sagt: Juju. Jener dort allgegenwärtige Glaube an ­Hexerei, der auch Joanas Jugend beherrschte. Sie war ein zehnjähriges Mädchen, in karierten Kniestrümpfen und Schuluniform, als ihr Vater, ein wohlhabender Geschäftsmann, dem Juju verfiel. Joana sei eine Wasserhexe, sagte eine Juju-Priesterin, und solange sie das verleugne, werde sie Unglück über ihre ­Familie bringen. Die Geschäfte des Vaters gingen schlecht, seine neue Frau war unfruchtbar. Und war Joana schuld.

Sie riss aus, als sie 16 war. Übersprang die mit Glasscherben ­bewehrte Mauer ihres Hauses und floh nach Lagos, wo sie unter einer Brücke schlief. Immerhin: Sie war den grausamen "Läuterungsritualen" des Vaters entkommen.

"Juju ist die auch wirksamste Waffe der Menschenhändler", verrät Joana. Daheim in Nigeria lässt man die Mädchen einen Eid zum Gehorsam ablegen. Man nimmt ihnen Haare ab und bewahrt sie in einem Schrein auf. Über diese Körperteile, sagt der Juju-Zauber, habe man jederzeit Zugriff auf die Person, sogar über die Kontinente hinweg. Wer den Eid breche, bringe Unglück über die ­Familie. "Da kann ein Mädchen noch so entschlossen sein, ihre Zuhälter zu verraten, und zu mir oder zur Polizei zu gehen", seufzt Joana. "Dann denkt sie an den Eid, den Schrein, an ihre kleinen Schwestern daheim, und es packt sie die nackte Angst."

Joana Adesuwa Reiterer hat heute einen österreichischen Mann und einen dreijährigen Sohn, sie führt ein europäisches Leben. In der Wiener nigerianischen Community sagen manche, sie sei die stärkste Juju-Hexe in Europa: Weil sie dafür sorgen kann, dass mächtige Männer ins Gefängnis kommen. Es kam vor, dass sie Tony, ihrem Ex-Mann, in der Straßenbahn begegnete. Er drehte sich stets um und ging ans andere Ende des Waggons. Sein Zauber ist gebannt.

Weiterlesen
Mary Kreutzer/Corinna Milborn: Ware Frau (Ecowin)
Joana Adesuwa Reiterer: Die Wassergöttin. (Droemer/Knaur) - www.adesuwainitiatives.org

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