Kampagne: Schafft das Bild-Girl ab!

"Bild: Zeigt allen Respekt – schafft das Bild-Girl ab!", fordert Kristina Lunz.
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Als Kristina Lunz noch ein kleines Mädchen war, hat sie sich schon gewundert. Über diese Tageszeitung am Kiosk, die doch so viele lasen, und auf deren erster Seite immer eine nackte Frau prangte. Das Seite-Eins-Mädchen der Bild-Zeitung.

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Bild zeigt keinen Respekt für die Würde der Frau!

Heute wundert sich die mittlerweile 25-Jährige nicht mehr, sie ist entschlossen: Sie will dem Frauen-Bild, das Bild täglich präsentiert, ein Ende zu setzen. „Indem die Bildzeitung in ihrer Berichterstattung keinen Respekt für die Würde der Frau zeigt, nährt sie ein Klima der sexuellen Gewalt in Deutschland“, sagt Kristina im Gespräch mit EMMA.

Die Studentin, die gerade ihren Master an der University of Oxford macht, entschied sich zu handeln. Als diese Entscheidung fiel, war sie gerade für einige Tage zurück in ihrer Heimat Bamberg und kaufte an der Tankstelle eine Ausgabe der Bild. Titelgeschichte: Bild zeigt die Dekolletés von sechs prominenten Frauen – und die Leser sollen sie bewerten. An diesem Tag im September setzte sich Kristina hin und schrieb die erste Fassung ihrer Petition.

Die stellte sie im Oktober auf change.org online: „Bild: Zeigt allen Respekt – schafft das Bild-Girl ab!“ Darin wendet sie sich direkt an Bild-Chef Kai Diekmann: „Reduzieren Sie Frauen nicht länger auf Äußerlichkeiten und sexuelle Attraktivität - Frauen sind nicht die Lustobjekte einer Gesellschaft!“ Und: „Berichten Sie über Frauen genauso, wie sie über Männer berichten: über ihre Arbeit in Bereichen wie Sport, Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.“ Mittlerweile haben über 28.000 Menschen diese Forderung unterzeichnet.

Reaktionen kamen prompt - und sie waren nicht nur positiv. „War mir gleich klar, dass du blond sein musst!“ stand in einer E-Mail an Kristina. Oder: „Du bist doch nur unzufrieden mit deinem Sex-Leben und magst deine Brüste nicht!“ Vor allem aber erhielt Kristina Zuspruch. 8.000 UnterzeichnerInnen innerhalb von vier Tagen. „Ich habe es satt, immer wieder als Busen- und Hinternbesitzerin gesehen zu werden anstatt als wertvoller Mensch“, kommentiert eine unter der Petition.

Die Bild schwieg anfänglich dazu. Erst nach einem Bericht auf Meedia.de, der die fehlende Resonanz auf die Kampagne im Social Web bemängelte, witterte Bild-Chef Kai Diekmann seine Chance, die Petition doch noch für ein bisschen Eigen-PR auf Twitter zu nutzen. „Dann wollen wir doch mal was für Kristina Lunz tun und ihr Anliegen bekannt machen“, twitterte der Bild-Chef. Und verlinkte auf die Kampagne. Und kurz danach schrieb er: „Liebe Kristina Lunz, ich habe PR für Ihr Anliegen gemacht – trommeln Sie jetzt bitte für uns: Bild braucht Bewerbungen an bildgirl@bild.de“. Kai Diekmann war es auch, der 2012 am Internationalen Frauentag mit viel Tamtam das Seite-Eins-Mädchen verbannte. Ins Zeitungsinnere.

Aber Kristina lässt sich nicht provozieren – und auch nicht davon abhalten, weiterzumachen. Dafür ist ihr die Sache zu wichtig. „60 Prozent aller Frauen erleben Sexismus im Alltag“, sagt sie. Das zeigen Studien, – das haben Kristina und ihre Freundinnen selbst erlebt. Bis hin zu Vergewaltigungen in ihrem Freundeskreis, berichtet Kristina.

Wie erfolgreich eine solche Kampagne verlaufen kann, beweist ihre Ideengeberin in Großbritannien, Lucy-Anne Holmes. Unter „No more Page 3“ fordert sie die größte Boulevardzeitung The Sun dazu auf, das – in diesem Fall – Seite-Drei-Mädchen abzuschaffen.

Die Busenfotos sind doch von gestern!

Die Kampagne läuft seit August 2012 und hat mittlerweile nicht nur über 200.000 UnterzeichnerInnen, sondern auch Unterstützung von britischen ParlamentarierInnen und Organisationen wie „The British Youth Council“ (Dachorganisation für 220 Jugendorganisationen) oder „Unison“ (größte britische Gewerkschaft). 22 Universitäten hatten 2013 angekündigt, die Sun so lange zu boykottieren, bis die Nacktfotos verschwinden.

Das Seite-Drei-Mädchen gibt es noch. Noch. Der Guardian geht davon aus, dass sich die Sunklammheimlich aus der Sache herauswindet“.

Selbst Rupert Murdoch, zu dessen Medienimperium die britische Boulevardzeitung gehört, twitterte kürzlich, die Busenfotos seien doch „von gestern“. Die irische Ausgabe der Sun hat das Seite-Drei-Mädchen im vergangenen Jahr gekippt.

Wie geht es wohl weiter in Deutschland? Hier geht es zur Petition: „Zeigt allen Respekt – schafft das Bild-Girl ab!“.

 

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Alice Schwarzer schreibt

Im Land des Herrenwitzes

Szene aus der US-amerikanischen Erfolgsserie "Mad Men".
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Natürlich ist ein Flirt etwas eindeutig Anderes als sexuelle Belästigung. Das weiß jede Frau. Und das könnte auch jeder Mann wissen, so er nur will. Ein Flirt ist gegenseitig und auf Augenhöhe. Die sexuelle Belästigung ist einseitig und von oben nach unten. Doch sollte es tatsächlich immer noch diesen oder jenen Mann geben, dem es schwer fällt zu unterscheiden, habe ich einen ganz einfachen Tipp: Stellen Sie sich die Situation mal umgekehrt vor. Dass zum Beispiel eine ältere Politikerin mit einem jungen Journalisten über Slipgrößen und Jeansmarken scherzt und darüber, was er wie alles so ausfüllen könnte (so wie Brüderle mit Himmelreich über Körbchengrößen). Schockierend? Aber klar doch.

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Sexuelle Belästigung
im Beruf ist ein Massenphänomen

Kurzum: Sexuelle Belästigung hat rein gar nichts mit einem wahren erotischen Interesse zu tun, sondern ist ausschließlich eine Machtdemonstration. Sie will dem Gegenüber zeigen, dass es eben keines ist, sondern ein Drunter. Gerade in diesen Zeiten des Umbruchs und der Verunsicherung der Männer ist die sexuelle Belästigung von Frauen darum allgegenwärtig und auch im Beruf keineswegs eine Ausnahme, sondern ein Massenphänomen. Das sehen wir nicht zuletzt an der überraschenden Heftigkeit der Debatte. Auch belegen nationale wie internationale Statistiken, dass zwei von drei Frauen solcherlei Erfahrungen schon am eigenen Leibe machen mussten. Das überrascht nicht wirklich.

Warum? Zum einen waren Sexualität & Gewalt über Jahrtausende untrennbar. Frauen waren Besitz und hatten zur Verfügung zu stehen, was sich erst in den 1970er Jahren zu ändern begann. Dank der Frauenbewegung. Das Gesetz, das endlich auch in Deutschland sexuelle Gewalt gegen die eigene Ehefrau unter Strafe gestellt hat, ist erst 16 Jahre alt. Zur Verabschiedung war, nach jahrzehntelangen vergeblichen Debatten, ein Schulterschluss der Politikerinnen aller Parteien nötig, von rechts bis links. Und die sexuelle Belästigung im Beruf wird in Deutschland erst seit 2006 effektiv geahndet. Theoretisch.

Die weder via direkter Gewalt noch via gönnerhafter Galanterie hierarchische  Sexualität, sondern die einvernehmliche Lust ist eine relativ neue Erfindung. Erotik auf Augenhöhe wird von SexualforscherInnen auf breiter Basis erst seit etwa einem Vierteljahrhundert registriert – also seit die Impulse der Gleichheit in den Herzen und Betten angekommen sind.

Sexualität & Gewalt waren Jahrtausendelang untrennbar

Das ist neu. Und gewöhnungsbedürftig. Und noch lange kein gesichertes Terrain. Genau so wenig wie die Präsenz von Frauen im Beruf. Doch jetzt sind sie angekommen, die Frauen. In den Schulen schreiben sie bessere Noten, an den Universitäten machen sie bessere Abschlüsse, und sie drängen in Aufsichtsräte und Kabinette, ja sind in Deutschland sogar Kanzlerin. Das ist nicht immer nur schön für die Männer. Die müssen liebgewordene Privilegien aufgeben und Posten räumen.

Eine zum Glück stetig wachsende Anzahl von Männern macht das Beste draus und erobert nun ihrerseits das Familienterrain. Auffallend ist auch in der aktuellen Sexismus-Debatte, wie viele Männer inzwischen auf Seiten der empörten Frauen sind. Gleichzeitig aber wächst der Widerstand. Denn wo Fortschritt ist, ist immer auch Rückschritt. Und dieser Widerstand scheint innerhalb der westlichen Welt ein Zentrum in Deutschland zu haben. Ich behaupte mal: Außer in Italien hätte man – oder auch frau – in keinem anderen aufgeklärten Land ungestraft öffentlich so joviale Herrenwitze reißen können, wie wir sie in den vergangenen Monaten hören durften.

Deutschland ist im Jahr 2013 nicht nur die europäische Drehscheibe für Prostitution und Frauenhandel, sondern auch das Land des Herrenwitzes. Vielleicht hängt das ja irgendwie zusammen?

Und die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz? 70 Prozent aller Frauen in Deutschland sind heute berufstätig, davon knapp jede zweite allerdings in Teilzeit. Diese Frauen arbeiten in drei Kategorien: 1. in den so genannten „Lächelberufen“ (von der Verkäuferin über die Zimmermädchen bis zur Stewardess). 2. in den Malocherberufen (von der Kantinenmitarbeiterin bis zur Putzfrau). 3. in den Männerberufen (von der Polizistin bis zur Journalistin).

Ziel: das Eindringen von Frauen in Männerdomänen verhindern

Die Frauen in den Malocherberufen riskieren vermutlich noch die relativ geringsten Belästigungen. Sie sind in der Regel nicht  „nett“ genug. Die Frauen in den Lächelberufen sind zur Anmache prädestiniert, ja werden in den Augen mancher Männer doch dafür bezahlt. Und die Frauen in den Männerberufen? Die sind das wohl härteste Kapitel.

Nicht nur aus Studien im amerikanischen Militär wissen wir, dass sexuelle Demütigung und Gewalt zum klassischen Repertoire gehören. Ziel: das Eindringen von Frauen in Männerdomänen, also die weibliche Konkurrenz, verhindern. Das kann weit gehen. Im Extremfall bis zur Vergewaltigung oder gar Mord.

Wie aber sieht es bei den Journalistinnen aus? Das Besondere an diesem Beruf ist, dass wir Journalistinnen einerseits in ein männerdominiertes Terrain eingedrungen sind, andererseits aber gleichzeitig gerade die sozial so gut trainierten so genannten „weiblichen Fähigkeiten“ bestens gebrauchen können, wie: Einfühlungsvermögen in Menschen, Diskretion bei der Recherche etc. Auch ist es keineswegs immer auszuschließen, dass eine Journalistin selber auf die Karte „weibliche Attraktivität“ setzt, wenn sie mehr rauskriegen will als der Kollege.

Und genau das ist heute auch die Krux der so gerne zitierten „jungen Frauen“. Man hat ihnen weisgemacht, es gäbe keine Probleme mehr. Hauptsache, sie seien so qualifiziert wie die Männer – aber, Achtung, blieben dabei dennoch ganz Frau. Was immer das heißen mag. Auf jeden Fall heißt es: Nicht so eine frustrierte, männerhassende Emanze sein wie Muttern, sondern trotz IQ und Diplom einen kurzen Rock tragen, Highheels und immer ein Lächeln auf den Lippen. Wir neuen Frauen sind so frei. Zu schön, wenn es wahr gewesen wäre. So aber wagten die neuen Frauen diese Gratwanderung – und fielen in den Augen gewisser Männer prompt ins alte Raster: weiblich gleich gefügig.

Müssen Journalistinnen Burka tragen, um mit Männern unterwegs zu sein?

Stern-Autorin Himmelreich, das belegen Fotos, hatte offensichtlich nicht auf diese Karte gesetzt. Selbst ihr kurzer Rock scheint eher sportlicher Natur. Dennoch steht sie jetzt auf der schwarzen Liste – und mit ihr alle emanzipationsverdächtigen Kolleginnen. Denn sie hat etwas Ungeheuerliches getan: Sie hat die Anmache nicht belächelt oder weggesteckt, sondern ernst genommen. Sie hat nicht schon vor Jahresfrist einen spitzen Schrei ausgestoßen und sich beklagt, dieser Herr Brüderle habe sie obszön angebaggert. Im Gegenteil: Sie hat einfach weiterrecherchiert und im passenden Moment – als Brüderle aktuell wurde – die Erfahrung, dass dieser Mann anscheinend ein notorischer Frauenanbaggerer auf Stammtischniveau ist, als einen Faktor von mehreren in ihrem Porträt verarbeitet.

Und genau das ist der Skandal! Dass ein Mann eine herablassende, sexistische Umgangsweise mit Frauen hat, das zählt nun plötzlich als Negativ-Kriterium in einem Politiker-Porträt. Seit Veröffentlichung des Stern-Textes ist klar: Dieser alte neue Spitzenkandidat der FDP ist ein Mann von gestern. Brüderles Partei-Kumpan Kubicki hat darauf eine wahrlich bedrohliche Antwort gegeben: Berufsverbot für Journalistinnen! Er wolle nun überhaupt keiner Journalistin mehr Rede und Antwort stehen, um gar nicht erst in Verdacht zu geraten, erklärte er. Müssen Journalistinnen also jetzt Burka tragen, um noch Männer interviewen zu können?

Der #aufschrei 2013 ist übrigens beileibe nicht der erste Aufschrei. Die sexuelle Belästigung im Beruf ist in Amerika seit den 1970er Jahren ein zentrales Thema und war in Deutschland in den 1980er Jahren im Gespräch (EMMA brachte die erste große Geschichte über sexuelle Belästigung im Dezember 1980). Doch die zu Recht empörten jungen Frauen fangen wieder einmal bei Null an. Was der systematisch betriebenen (angeblichen) Geschichtslosigkeit der Frauen zu verdanken ist, also der Spaltung der Generationen.

Immer mehr Frauen sind entschlossen, die Männer einzuklagen

Jetzt schlägt die Empörung also wieder hohe Wellen. Und interessanterweise teilen die Reaktionen sich auch unter Frauen in die zwei klassischen Lager: Hier die Biologistinnen, also die Frauen, die finden, „die Männer sind nun mal so“ und „die Frauen von einem anderen Stern“. Da die Universalistinnen, also die Frauen, die überzeugt sind, selbst Männer könnten sich ändern und selbst Frauen seien Menschen. Was auch, aber nicht nur, eine Frage der Generation ist.

Wenn manche Journalistinnen Männer mit Stieren und Frauen mit Kühen gleichsetzen oder den Erhalt des „kleinen Unterschieds“ beschwören, offenbart sich ein Männerbild, das man einfach nur noch krass sexistisch nennen kann. Freuen dürfen sich eigentlich noch nicht einmal die Brüderles und Kubickis über solche Sympathisantinnen.

Doch zum Glück gibt es immer mehr Frauen, vor allem unter den jungen, für die auch Männer Menschen sind. Und die entschlossen sind, diese Männer einzuklagen! Darunter viele Journalistinnen und die 31-jährige Kommunikations-Expertin Anne Wizorek, die den viel beachteten #aufschrei gegen sexuelle Belästigung bei Twitter initiiert hat. Auf den haben bereits in den ersten drei Tagen über 60.000 Menschen reagiert, überwiegend empörte Frauen. Das ist ernst zu nehmen. Sehr ernst.

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