„Kein Bullshit-Feminismus!“

Rebekka Reinhard philosophiert über echten und zahnlosen Feminismus. - Foto: Sung-Hee Seewald
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Frau Reinhard, die Widmung in Ihrem Buch „Die Zentrale der Zuständigkeiten“ heißt schlicht und ergreifend „No Bullshit Feminismus“. Warum?
Weil Bullshit-Feminismus uns Frauen auf die Füße fällt. Für mich gibt es zwei konkrete Ausprägungen: den Marketing-Feminismus und den Tupperware-Feminismus, wobei ersterer zerstörerischer ist. Schauen Sie sich an, wie sich Kosmetik- und Modekonzerne den politischen Aktivismus angeeignet haben, sei es von der Black-Lives-Matter- oder der Body-Positivity-Bewegung. Das gleiche passiert mit dem ganzen Feminismus. Die Philosophin Nancy Fraser hat es gut auf den Punkt gebracht: Ein Feminismus, der vereinnahmt wird von Markt und Marke, der verliert nicht nur seine Authentizität, sondern auch seine Zähne. Frauen vergessen, warum sie eigentlich Feministin sein wollten. Der Kampf um Gleichberechtigung ist zum Schauplatz von Marketing-Interessen geworden.

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Und der Tupperware-Feminismus?
Damit meine ich diesen ganzen Wohlfühlfeminismus, den man zum Beispiel oft in Firmennetzwerken findet. Da gibt es dann launige Get-Togethers von Frauen, die glauben, damit zu networken, die aber nie auch nur eine einzige nachhaltige Konsequenz daraus ziehen. Es reicht nicht, sich Feministin zu nennen, über „Empowerment“ und „Rebel-Girls“ zu schwadronieren, doch letzten Endes nur ein modernes Kaffeekränzchen abzuhalten. Wer in Unternehmen etwas für Frauen erreichen will, der muss sich schon zu den Männern – denn die leiten sie meistens – an den Tisch setzen und seine Vorhaben hartnäckig durchkämpfen.

Was ist eine moderne Frau?
Es kommt immer darauf an, was eine Gesellschaft von einer Frau verlangt. Sie soll eine gute, eine „echte“ Frau sein. Nicht zu laut, nicht zu erfolgreich, nicht zu schön – aber bitte auch bloß nicht zu hässlich. Letzten Endes sollen Frauen noch immer den tradierten geschlechtsspezifischen Normen des 18. und 19. Jahrhunderts entsprechen. Wenn eine Frau da nicht mitmacht, wird ihr Status als Frau schon mal in Frage gestellt.

Sie kritisieren auch das moderne Mutterbild.
Sie ist der Archetyp Frau. Sie wird heute am meisten ausgebeutet. Sie muss eine Allround-Kompetenz haben. Toll ausgebildet, toller Beruf und tolle Mutter. Sie leistet den kompletten kostenlosen 24/7-Support, weil sie glaubt, sie muss es. Es ist eine perfide Allianz zwischen neoliberalem Leistungszwang und weiblicher Selbstaufgabe vergangener Jahrhunderte. Und die Pointe ist: Anders als in den 60ern dürfen die Frauen heute dabei nicht mal mehr rauchen und saufen.

Da wären wir beim Thema Selbstoptimierung.
Die Botschaft der Gesellschaft an Frauen heute ist: Du kannst alles, wenn du es nur willst. Diese Lüge haben viele Frauen verinnerlicht. Das schraubt die Erwartungen an das eigene Leben ins Unermessliche. Frauen sollen die harte und die weiche Sphäre optimal miteinander verbinden. Sich beruflich durchsetzen, aber gleichzeitig auch die Herdnummer durchziehen. Und zwar nicht irgendwie, sondern optimal. Ein Vehikel dieses Leitbildes ist Instagram. All diese Bilder der perfekten Frauen und der perfekten Mütter, mit dem perfekten Körper und dem perfekten Leben. Damit wären wir wieder in den 50er und 60er Jahren. Diesem vermeintlich guten Leben hinterher zu hasten, ist nichts als Stress. Die Emanzipation, die Frauen in den 1970er Jahren wollten, ist in eine Perversion sondergleichen umgeschlagen. Und eine Emanzipation, die dauergestresste konformistische Schafe hervorbringt, widerspricht sich selbst.

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Was bräuchten wir also stattdessen?
Logische Macht, Redemacht und Entscheidungsmacht. Diese drei Privilegien werden uns Frauen seit Homer abgesprochen. Der Mann ist Kopf, er ist Hirn. Dadurch gewinnt er seine Autonomie und Überlegenheit. Er denkt, er spricht, er entscheidet. Die Frau hingegen muss zwangsläufig den Gegenpol bilden. Ein schöner, schweigender, zuhörender Körper – der sich ehrfurchtsvoll verneigt, wenn der Mann was sagt. Das Prinzip greift bis heute. Selbst, wenn Frauen was zu sagen haben, wird zuerst gefragt: Was hat sie an? Ist sie zu dünn, ist sie zu dick? Ist sie schwanger, ist sie immer noch nicht schwanger? Und über allem liegt die große Taubheit.

Was heißt das?
Wann immer eine Frau im öffentlichen Leben spricht, ob im Büro, in der Politik oder Wirtschaft, ihr Auftritt wird noch immer als massiver Angriff auf das Privileg der Deutungsmacht des Mannes wahrgenommen. Frauen stoßen erst einmal auf taube Ohren. Männer hören ihnen einfach nicht zu. Das, was jedem Mann wie selbstverständlich zugestanden wird, muss von Frauen immer neu erkämpft werden. Sie sind noch immer in erster Linie Körper, nicht Kopf.

Apropos Körper. Da spielen Pornos eine große Rolle.
Ich finde es wichtig zu definieren, was Pornos sind. Sie fangen für mich bereits auf Instagram mit Kylie Jenner und Co. an. Jede Art von Bild, jede popkulturelle Form, die Frauen objektifiziert und nicht Mensch sein lässt, ist für mich Porno. Selbst wenn Frauen sie nicht schauen, so zwingen sie sie doch in eine Identifikation mit einer Ware hinein. Dass Influencerinnen, die sich ja liebend gern als Porno-Stars vermarkten, das nun wieder als neue Freiheit und Selbstermächtigung verkaufen, zeigt die Perversion, die die Emanzipation von heute in sich trägt.

Sie haben Ihr Buch als Ratgeber verfasst. Welchen Rat geben Sie Frauen, um aus dieser Lage, sich für alles zuständig zu fühlen, herauszukommen?
Zum einen sollten Frauen lernen, die Machtfrage zu stellen und um ihre Macht zu kämpfen. Wer Macht hat, kann Zuständigkeiten verteilen. Und natürlich geht es auch um Gewalt. Gewalt ist immer die einfachste Form, Frauen in ihre Rolle zu drängen. Es gibt natürlich auch körperlich starke Frauen, doch die Mehrheit der Männer ist Frauen nun mal körperlich überlegen. Das macht es für die Männer so einfach, Gewalt auszuüben. Im Kern geht es darum, ein gutes Leben auf den Weg zu bringen, das nicht nur andere glücklich macht, sondern auch einen selbst. Das sieht für jede Frau anders aus. Wichtig ist, dass Frauen hinterfragen, wie sie das gute Leben selbst definieren – und nicht, wie es gesellschaftlich angesagt ist. Wir alle sollten uns fragen: In welcher Welt wollen wir leben? Gut zu leben ist eine Frage der Haltung.

Das Gespräch führte Annika Ross.

 

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