Lis Borner: Die Chefin

Foto: SRF/Marcus Gyger
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Sie hat volle 24 Semester lang studiert! Frauendiscos in der linksautonomen Berner Reitschule organisiert! Beim Soziologen Jean Ziegler Vorlesungen besucht! Eine ­feministische Sendung beim Lokalradio gemacht! Mit der ­umtriebigen Feministin und Politologin Regula Stämpfli in einer Wohngemeinschaft gelebt!

Eigentlich, so denkt man, wäre Lis Borner die ideale Zielscheibe für die politische Rechte in deren Kampf gegen den ­gebührenfinanzierten Rundfunk: Dank ihrer Vergangenheit in der alternativen Szene und ihr exzentrisches Äußeres mit Strubbelhaarfrisur und bunten Stöckelschuhen gibt die Chefin von knapp 300 RadiojournalistInnen das perfekte Bild einer Linken ab, die es beim öffentlichen Sender nach ganz oben ­geschafft hat.

Verschärfend hinzu kommt, dass sie ihre feministischen Ideen bei SRF konsequent umsetzt: 50 Prozent der Kaderstellen in ihrer Abteilung sind mittlerweile von Frauen besetzt, Teilzeitarbeit ist bei Radio SRF die Regel, nur noch eine Minderheit arbeitet zu 100 Prozent. Borner selbst ist Mutter eines Sohnes im Teenageralter und hat bis vor wenigen Jahren immer in Teilzeit gearbeitet und die Betreuung mit dem Vater des Kindes geteilt.

Erstaunlicherweise stand die Radio-Chefin bislang kaum im Fokus der Öffentlichkeit, was wohl auch daran liegt, dass die meisten ihrer MitarbeiterInnen hinter ihr stehen. Bei ihr wisse man immer, woran man sei, sie spreche stets Klartext, mit ihr könne man vor allem während ihrer vielen Rauchpausen auf der Terrasse über alles Mögliche diskutieren.

Auch bei unserem Treffen – sie nimmt sich während ihrer Ferien Zeit für das Gespräch – macht sie einen souveränen Eindruck. Eine lebenslustige Frau, debattierfreudig, entschieden in ihren Überzeugungen. „Über Frauenförderung soll man nicht reden – sondern einfach machen“, sagt sie.

Einfach machen, das scheint generell Borners Motto zu sein. Sie hat, abgesehen von einigen Studentenjobs, nie außerhalb von Radio SRF gearbeitet. Ihr Aufstieg in dem eher trägen, ­bürokratischen Betrieb hängt mit ihrem Tatendrang zusammen: Sie wurde immer dann vorgeschickt, wenn neue Projekte anstanden oder umstrukturiert werden musste. Oft war sie dabei dem Widerstand der altgedienten Belegschaft ausgesetzt, die um ihre Privilegien fürchtete.

Aufgewachsen ist die 56-Jährige in Etziken, einem kleinen Dorf im Kanton Solothurn, als jüngstes von sechs Kindern. Der Vater war Uhrmacher und ein „Altliberaler“, wie er die staatstragende FDP nannte, die Mutter Hausfrau. Als junge Frau fühlte sie sich von Feminismus und Umweltschutz angezogen, studierte in Genf ein Semester lang Soziologie, unter ­anderem bei Jean Ziegler. „Seine Vorlesungen waren immer voll, bei ihm war Showtime angesagt.“ Die Haltung des berühmten kritischen Soziologen faszinierte sie: „Er zeigte, dass, wenn man etwas macht, man es ganz und mit Leidenschaft machen muss.“

Sie sei jedoch nicht so radikal gewesen, wie man vielleicht denke, sagt Borner. Sie habe zwar viel feministische Literatur gelesen, Simone de Beauvoir und Luise Pusch zum Beispiel, habe bei einer Notrufnummer für vergewaltigte Frauen mitgearbeitet, ihre Haare kurz geschoren und gefärbt, damit man sie nicht als herziges Blondinchen verniedliche. „Wir hatten ein Anliegen, aber wir wollten auch Spaß haben, und es machte viel Spaß!“ In der Wohngemeinschaft mit Regula Stämpfli sei der Feminismus das große Thema gewesen. Ist Lippenstift ­erlaubt? Wie sexy soll sich eine Frau geben? Über solche Fragen konnte nächtelang debattiert werden. „Männer waren aber immer willkommen – natürlich auch, um mitzudiskutieren.“

Ihre Magisterarbeit schrieb sie über den „Todesarten“-­Zyklus von Ingeborg Bachmann – jene späten Roman­fragmente also, in denen die Autorin ihren Bruch mit der Männerwelt literarisch verarbeitete. „Mich hat vor allem Bachmanns zerrissene Persönlichkeit interessiert, vor allem in den ­Selbst­gesprächen in ‚Malina‘.“

1991, noch vor Ende des Studiums, stieg Borner bei Radio DRS ein, so hieß der Sender damals, als Redaktionsassistentin beim Nachrichtenflaggschiff „Echo der Zeit“. Sodann stieg sie die Karriereleiter Schritt für Schritt nach oben. Prägt Lis Borner die politische Haltung des Senders, dessen Chefredakteurin sie seit nunmehr sechs Jahren ist? Schon. Ein Politiker ist schnell einmal ein „Rechtsaußen“, sein Pendant auf der anderen Seite aber kaum je ein „Linksaußen“. Und Gegner der Masseneinwanderungsinitiative oder des Brexit können noch so den Untergang des Landes voraussagen, sie sind im Gegensatz zu ihren Kontrahenten nie „Angstmacher“. Oft ist der Sender einfach Sprachrohr für Mitteilungen von Behörden und Nichtregierungsorganisationen.

Borner hört aufmerksam zu bei solchen Ausführungen, sagt, das seien interessante Beobachtungen. Wenn sie so auch mit ­kritischen Mitarbeitern umgeht, erstaunt es nicht, dass sie intern beliebt ist. Vielleicht ist aber ihre Popularität auch einfach damit zu erklären, dass sie den JournalistInnen, die zu einem großen Teil aus einem ganz ähnlichen Milieu stammen wie sie, das Gefühl gibt: Sie ist eine von uns.

Rico Bandle

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