Manifest für einen aufgeklärten Islam!

Drei Algerierinnen in Algier im Jahr 2017. Sie würden sich über das deutsche Manifest freuen. - Foto: Bettina Flitner
Artikel teilen

Wir, eine Gruppe von PublizistInnen, WissenschaftlerInnen und AktivistInnen der Zivilgesellschaft, nehmen die Eröffnung der vierten Deutschen Islamkonferenz (DIK) zum Anlass, eine "Initiative säkularer Islam" zu gründen, die einem Spektrum innerhalb des Islams Sichtbarkeit verleihen soll, das bislang wenig repräsentiert war.

Anzeige

Unsere Position zur DIK: Das neue Format der Deutschen Islamkonferenz begrüßen wir sehr. Die Zusammensetzung der Teilnehmenden ist weit gefächert und spiegelt die Heterogenität des Islams jetzt weitaus besser wider als in den vergangenen Jahren. Wir hoffen, dass die ins Stocken geratene Diskussion um einen Islam in Deutschland dadurch wieder aufgenommen werden kann.

Unser Selbstverständnis: Säkularität bedeutet für uns die Betonung der positiven Neutralität des Staates und die weitgehende Trennung von Religion und Politik. Wir verstehen MuslimInnen als BürgerInnen einer demokratischen Gesellschaft, die die Rechte und Pflichten aller anderen BürgerInnen teilen. Wir sprechen uns für eine Verbesserung der bürgerlichen Teilhabe von MuslimInnen (etwa durch Bildungsangebote), aber gegen Sonderrechte für MuslimInnen aus. Das im Grundgesetz garantierte Recht auf die Freiheit des Bekenntnisses und auf ungestörte Religionsausübung beinhaltet unserer Ansicht nach nicht das Recht, religiöse Normen im öffentlichen Raum durchzusetzen.

Unser Ziel: Wir lehnen ein totalitäres Religionsverständnis ab. Religiöse Texte müssen unserer Meinung nach mit modernen hermeneutischen Verfahren interpretiert werden, um ein zeitgemäßes Islamverständnis zu begründen.

Wir sind besorgt über eine zunehmende Muslimfeindlichkeit, gleichzeitig aber auch über einen zunehmenden Islamismus. Wir wollen uns nicht abfinden mit der wachsenden Macht eines demokratiefernen, politisierten Islams, der die Deutungshoheit über den gesamten Islam beansprucht.

Die Muslime sind selbst in der Pflicht, den Bedenken der nichtmuslimischen Bevölkerung positiv entgegenzuwirken, nämlich durch die Entwicklung eines Islams, der mit den Menschenrechten vollumfänglich vereinbar ist. Dieser Islam muss der uneingeschränkten Gleichberechtigung von Frauen und Männern, den Rechten von Kindern und der sexuellen Selbstbestimmung des Individuums Rechnung tragen. Das ist unserer Ansicht nach der beste Schutz vor Islamfeindlichkeit.

Unser Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft: Eine Unterscheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen lehnen wir selbstverständlich ab.

Ein zeitgemäßer "deutscher" Islam muss außerdem in jeder Hinsicht unabhängig von ausländischen Regierungen und Organisationen sein. Aus diesem Grund, aber auch aufgrund demokratischer Vorbehalte lehnen wir die Anerkennung der Islamverbände als Körperschaften des öffentlichen Rechts ab.

Die in dieser Initiative zusammengeschlossenen Personen stehen für einen aufgeklärten, demokratiefähigen Islam, der selbstkritisch und offen für Kritik von außen ist. Uns geht es weder um die Ausbildung islamischer Identitäten noch um die Einführung islamischer Regeln in Schule, am Arbeitsplatz oder an Universitäten.

Wir wollen einen Islam, der auf der Freiheit und dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums basiert und ein entspanntes Verhältnis zur deutschen Gesellschaft fördert.

Erstveröffentlichung des Appells in der ZEIT. Hier geht es zur online-Petition: „Manifest für einen aufgeklärten Islam“

Die UnterzeichnerInnen:

Hamed Abdel-Samad, Politologe

Lale Akgün (SPD), Psychologin

Seyran Ateş, Anwältin und Frauenrechtlerin

Ralph Ghadban, Politologe und Islamwissenschaftler

Necla Kelek, Soziologin und Frauenrechtlerin

Ahmad Mansour, 42, Psychologe und Islamismus-Experte

Cem Özdemir, Bundestagsabgeordneter (Grüne)

Susanne Schröter, Ethnologin und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI)

Prof. Bassam Tibi, Politologe

Ali Ertan Toprak (CDU), Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände (BAGIV)

 

Artikel teilen

Ali Toprak: Bevormundet uns nicht!

Artikel teilen

Außer EMMA gehen die meisten feministisch-links argumentierenden Meinungsmacherinnen reichlich undifferenziert und verallgemeinernd mit den Geschehnissen an Silvester um. Kritischen Stimmen wird gerne Populismus und Rassismus vorgeworfen. Also überlegt so mancher lieber zweimal überlegen, ob sie etwas sagen. Das führt zu Selbstzensur und zum Denkverbot. Es hat sich eine Kultur des Wahrnehmens und des Sprechens hinter vorgehaltener Hand herausgebildet. Unliebsame Tatsachen werden verdreht oder als Rassismus stigmatisiert, noch bevor sie erkannt und benannt sind. Doch wenn die Menschen Grund zu der Annahme haben, dass ihre Wahrnehmung und Sorgen nur noch von rechten Populisten benannt werden, dann ist der Zulauf zu diesen Populisten garantiert.

Anzeige

Missstände nicht ansprechen, weil euer Weltbild ins Wanken geraten könnte?

Die unerträgliche Relativierung der frauenverachtenden Einstellungen bestimmter Männergruppen vor allem durch die weißen, linken Feministinnen und ihre Unterstützer ist ein Schlag ins Gesicht aller unterdrückten Frauen und die Frauenbewegungen in den islamischen Ländern! Welch ein anmaßendes und kolonialistisches, übergriffiges Denken ist es, dass ihr Denk- und Sprechverbote zu den teilweise zutiefst faschistischen Verhältnissen in diesen Ländern aussprecht?!

Ihr dürft gern und ungehindert euren eigenen Faschismus und Sexismus bekämpfen - wir aber sollen die Missstände in unseren Herkunftsländern nicht ansprechen dürfen, weil sonst euer Weltbild ins Wanken gerät, wonach nur und immer der weiße Mann an allem schuld ist? Habt ihr euch eigentlich schon einmal mit der Sklaverei und dem Imperialismus der muslimischen Welt beschäftigt?

Ganze Kulturen und Zivilisationen sind vernichtet worden, nicht ausschließlich vom „weißen Mann“. In der Region, in der eine der großen Weltreligionen - das Christentum - entstanden ist, ist das christliche Leben heute fast ausgelöscht. Die andere monotheistische Religion, das Juden- und das Jezidentum wird täglich mit Auslöschung bedroht. Warum spricht niemand darüber?

Indem ihr linken, weißen Feministinnen die gesellschaftlichen Verhältnisse in islamischen Gesellschaften nicht infrage stellen lassen wollt, leugnet ihr, was an Menschen- und Frauenrechten in diesen Ländern im Entstehen ist. Seid Ihr Euch eigentlich im Klaren darüber, mit wem Ihr Euch verbündet? Mit den dort und auch hier unterdrückten Frauen jedenfalls nicht!

Wir können unterscheiden, was Rassismus ist und was nicht

Und hört endlich auf uns ständig zu beleidigen, indem ihr uns unterstellt, wir könnten nicht unterscheiden zwischen Rassisten, die diese Probleme für sich instrumentalisieren, und denjenigen, die eine konstruktive Kritik ausüben und damit für Aufklärung sorgen!

Unsere und eure Verbündeten sollten die vielen Millionen aufgeklärter Musliminnen und Muslime sein, die tagtäglich für freie, demokratische muslimische Gesellschaft kämpfen und die dafür vielfach mit ihrem Leben bezahlen. Indem ihr mit euren ewigen und unerträglichen Relativierungen ständig dem faschistischen, politischen Islamismus den Rücken stärkt, fallt ihr all denen und vor allen anderen den Frauen in den Rücken!

Ist euch das in eurer postkolonialen Überheblichkeit überhaupt bewusst? Offenbar nicht. Denn eure moralische Eitelkeit und überhebliche Arroganz ist stärker als eure Empathie mit den Opfern des Islamismus!

Ja, niemand wird als Vergewaltiger oder Rassist geboren. Aber die Menschen werden in bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse hineingeboren, die sie dazu sozialisieren. Wenn in den islamischen Ländern Männer mit der Überzeugung groß werden, dass Frauen weniger oder gar nichts wert sind, dann behandeln sie die Frau auch entsprechend. Wenn eine Religion die Frau zum Sexobjekt degradiert, über die der Mann jederzeit frei verfügen kann; wenn sogar im "fortschrittlichsten", muslimisch geprägten Land, der Türkei, die staatliche Religionsbehörde fast täglich widerliche Fatwas herausgibt, die der Frau ausschließlich die Rolle eines beliebig zu benutzenden Sexobjektes zuweisen - muss man sich dann nicht fragen, was diese höchst legitimierte Religionsauslegung in den Köpfen der Männer bewirkt?

Was ist daran falsch, wenn aufgeklärte Menschen diese absurden Sichtweisen benennen und kritisieren? Die Muslime, die ihre Religion lieben und zu recht Respekt dafür erwarten, müssen heute in erster Linie dafür kämpfen wieder die Deutungshoheit über ihre Religion zu gewinnen gegenüber den Vertretern des politischen Islam.

Voraussetzung für eine freie Gesellschaft ist Freiheit des Denkens

Selbstverständlich gebührt jedem Menschen als Mensch zunächst Respekt. Seinen Gedanken aber gebührt Kritik. Das eine zu tun - den Islam zu kritisieren wie auch das Christentum, den Kapitalismus, den Kommunismus, den Hinduismus, das AfD-Programm - heißt doch nicht, das andere – die Gläubigen als Menschen zu respektieren – zu lassen!

Fragt euch doch mal: Wie viele islamisch geprägte Länder gibt es, deren politische und gesellschaftlichen Verhältnisse sich an Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Aufklärung, Religionsfreiheit orientieren? Kennt ihr nur ein einziges Beispiel? Ich nicht.

Warum wohl haben die Flüchtlingsbewegungen auf dieser Erde alle diese eine Richtung, die sie haben - nach Westen? Ist es wirklich nur der Reichtum? Oder vielleicht auch unsere liberale Lebensweise, die Möglichkeit sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu leben? Denn wenn es nur ums Geld ginge – da gibt es doch genug sehr reiche islamische Länder, die Arbeitsmigranten brauchen. Was also zieht die Menschen zu uns?

Europa, das war und ist immer noch der in der Ferne strahlende Leuchtturm einer freien, selbstbestimmten Welt. Ich, liebe Relativierer und uns bevormundende, weiße Feministinnen, möchte, dass unsere freie, pluralistische Gesellschaft erhalten bleibt. Die erste Voraussetzung dafür ist aber die Freiheit des Denkens! Die zweite ist die Freiheit des Wortes! Egal ob Mann oder Frau.

Also hört endlich auf uns Sprech- und Denkverbote zu erteilen! Wir sind erwachsen genug, um selber Sprechen und Denken zu können. Wir brauchen niemanden, der uns wie eine Gouvernante an die Hand nimmt um uns den rechten, linken Weg zu zeigen.

Ali Ertan Toprak ist der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschland und Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland (BAGIV e.V.)

Weiterlesen
 
Zur Startseite