Manuela Schwesig: Authentisch

Foto: Jens Büttner/dpa
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Schwesig ist 47 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, Julia und Julian, geboren in Seelow. Zuhause arbeiterliche Verhältnisse, Abitur, Finanzwirtin, Karriere in der Steuerverwaltung; erst im Land Brandenburg, dann in Mecklenburg-Vorpommern. Mit 29 Jahren tritt sie in die SPD ein. Alles solide, Bodenhaftung pur, eine Frau, mit der man am Strand mal eben ein Rostocker trinken könnte. Schwesig ist weder hip noch schillernd. Höchstens, dass sie kurz nach dem Mauerfall in einer Nebenrolle – die Rivalin – in dem bekannten DEFA-Jugendfilm „Verbotene Liebe“ gespielt hat. Der Film war Kult.

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Jetzt sieht man: Im Windschatten von Angela Merkel ist Schwesig über die Jahre zu der anderen starken Frau aus dem Osten geworden. Was sie unterscheidet, neben dem Alter – 20 Jahre Unterschied – ist, dass sie offensiv mit ihrer Vergangenheit umgegangen ist. Als Merkel sie im Dezember 2013 zur „Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ machte, staunte die Hauptstadtblase nicht schlecht: ein roter Blazer als Farbtupfer unter den dunklen Anzügen; eine junge Ehefrau und Mutter, die selbstverständlich vorlebte, dass Job und Familie kein Widerspruch sein müssen. Eine, die ständig herausstellte, dass man mehr für den Osten tun müsse.

Sie lebt selbstverständlich vor, dass Job und Familie kein Widerspruch sein müssen

Eine, die keinen Hehl daraus machte, dass Männer und Frauen gleich bezahlt werden müssten. Manuela Schwesig fällt auf, weil sie an Werten festhält, selbst wenn es nicht die gängigen des Berliner Politikbetriebs sind. Sie beharrt darauf, die DDR nicht generell als Unrechtsstaat zu bezeichnen, weil sie überzeugt ist, dass dieser Begriff das Leben vieler Menschen herabsetzt. Schwesig nimmt sich die Zeit zu erklären: Natürlich sei die DDR eine Diktatur gewesen, es habe an allem gefehlt, was die Demokratie ausmache: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, freie Wahlen, das Recht auf Opposition. Sie fordert aber Respekt vor der Lebensleistung der Ostdeutschen und deren Mut, 1989 auf die Straßen zu gehen.

Die harte Schule in Berlin hat sie abgehärtet. Schwesig war damals eine Quoten-Frau, Deko in einer patriarchisch geführten Partei. Von den Alpha-Tieren wurde sie die „blonde Barbie aus dem Osten“ genannt.

Daran muss man erinnern, um ermessen zu können, welchen Weg sie zurückgelegt hat. Schwesig arbeitete sich mit fast penetranter Beharrlichkeit durch ihr Portfolio: Frauenquote, erweiterter Unterhaltsvorschuss, Prostituierten-Schutzgesetz, Transparenz bei Gehältern, Elterngeld plus, Nein heißt Nein im Sexualstrafrecht. Alles in vier Jahren.

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Politisch klug, baute sie den Männern auch Brücken. „Gleichberechtigung geht nur mit den Männern. Und ich bin froh, dass es viele moderne Männer gibt“. Solche diplomatischen Sätze sagte sie. Gestandenen Ministerpräsidenten der CDU wie Volker Bouffier hielt sie entgegen: „Geben Sie es doch zu, die CDU ist bei der Sozialpolitik doch blank.“ In den Ministerpräsidentenkonferenzen während der Pandemie herrschte sie CSU-Chef Markus Söder an, er möge sich im Ton mäßigen. Und freute sich still darüber, dass Bayern die Test- und Quarantäneregeln aus Mecklenburg-Vorpommern übernimmt.

Sie hat die Luca-App schon flächendeckend installiert, als bundesweit noch darüber gestritten wird. Sie lässt Termine platzen in der Staatskanzlei, wenn sie sieht, dass Gastwirte vor dem Parlament sich Anfang 2021 vor Massenpleiten fürchten und protestieren. Sie rennt in Pumps über den Schotter-Parkplatz, schnappt sich ein Mikrofon, spricht gegen die schlechte Stimmung und den stürmischen Wind an. Als sie zurückkommt, liegt ein Joghurtriegel an ihrem Platz. Sie müsse ja bei Kraft bleiben, sagt eine Mitarbeiterin fürsorglich, sie habe ja gerade den schlimmsten Kampf, den gegen den Krebs, gewonnen.

Und ganz klar ist auch: Manuela Schwesig hat sich mit dem Wahl-Ergebnis für weitere Ämter in der Bundespartei wie in der Bundespolitik empfohlen.

CERSTIN GAMMELIN

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