#MosqueMeToo: Der Donnerhall
Sabica Khan war die Allererste. Mit einem Facebook-Beitrag brach die Pakistanerin kürzlich ihr Schweigen. „Ich hatte immer Angst, es zu erzählen, weil ich keine religiösen Gefühle verletzen wollte“, beginnt sie. Und dann schildert Sabica, wie sie auf ihrer Pilgerfahrt nach Mekka mehrfach sexuell attackiert wurde. Während des sogenannten „Tawāf“: einer Zeremonie, bei der muslimische Männer und Frauen gemeinsam in dichtem Gedränge sieben Mal die Kaaba umrunden, den schwarzen Würfel im Herzen von Mekka. Das Massenereignis zählt zu einem der Höhepunkte der Haddsch, der islamischen Pilgerfahrt, die jedes Jahr rund zwei Millionen MuslimInnen begehen.
Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Hüfte...
Da, schreibt Sabica weiter, sei „etwas Seltsames passiert“. Bei der dritten Umrundung der Kaaba habe sie plötzlich eine Hand auf ihrer Hüfte gespürt. Erst dachte die Frau, das sei Zufall. Aber dann war die Hand schon wieder da. Sie versuchte, es zu ignorieren. Bei der sechsten Umrundung des schwarzen Kubus spürte sie erneut eine Hand, die diesmal aggressiv an ihren Hintern griff. „Ich bin erstarrt“, erinnert sich Sabica.
Ihr Facebook-Post ist inzwischen offline. Sabica hat ihr Profil gelöscht und ist abgetaucht. „Ich habe so viele familiäre Probleme, seit ich öffentlich über die sexuelle Belästigung gesprochen habe“, sagte sie der Deutschen Welle auf eine Interviewanfrage. Aber den Protest, den sie mit ihrem Post ausgelöst hat, kann sie nicht mehr zurückholen.
Sabicas Beitrag mag verschwunden sein - aber dafür haben andere muslimische Frauen das Wort ergriffen. Tausende Musliminnen, die ähnliche und schlimmere Erfahrung gemacht haben wie sie. Und die nun nicht länger schweigen wollen.
#MosqueMeToo heißt der Hashtag, unter dem immer mehr Musliminnen seit Tagen ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen schildern - in Mekka und anderen heiligen Stätten des Islams. „Mir wurde gesagt, ich solle einfach nicht darauf reagieren, sonst würde ich Ärger bekommen. Ich war verschleiert und es passierte trotzdem“, berichtet eine. „Die Tatsache, dass es dort passierte, an diesem heiligen und vermeintlich sicheren Ort, das hat mich so entmutigt, dass ich mich nie mehr davon erholt habe“, erklärt eine andere. Und eine dritte twittert: „Ich hielt still, weil ich dachte, dass mir niemand glauben wird - oder dass sie mir vorwerfen, dass ich überreagiere. #MosqueMeToo ist unsere Leiche im Keller.“
Schon im Alltag ist es für Musliminnen aus arabischen oder nordafrikanischen Ländern mitunter lebensgefährlich, sich gegen sexuelle Gewalt zu wehren. Denn häufig werden nicht die Täter bestraft, sondern die Opfer. Weil sie angeblich „die Ehre der Familie beschmutzt“ hätten. Dass die Frauen die Männergewalt nicht irgendwo, sondern in der für viele streng-gläubigen Muslime heiligsten Stätte überhaupt - in Mekka - erfahren, zeigt die Doppelmoral mancher Muslime.
#MosqueMeToo ist unsere Leiche im Keller
Unter den twitternden Frauen ist allerdings auch eine, die so gar nicht überrascht ist: die ägyptisch-amerikanische Frauenrechtlerin und Journalistin Mona Eltahawy. Sie klagt seit Jahren die Gewalt in den eigenen Communities an - unter anderem in ihrem viel beachteten Buch "Warum hasst ihr uns so? Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt". Und sie hat den Hashtag #MosqueMeToo erfunden.
Denn auch Mona Eltahawy ist als 15-jährige auf einer Pilgerfahrt nach Mekka belästigt worden, schreibt sie in einem Artikel für die Washington Post. „Es dauerte Jahre, bis ich mich getraut habe, jemandem davon zu erzählen“, sagt die erklärte Feministin rückblickend. Als sie Sabica Khans Beitrag auf Facebook las, war Eltahaway klar, dass auch sie jetzt handeln muss.
Auf Twitter schrieb sie: „Ich bin froh, dass Frauen endlich ihr Schwiegen darüber brechen, dass sie während der Haddsch sexuell attackiert worden sind. Ich habe schon vor einigen Jahren das erste Mal über meine Erfahrung mit sexueller Gewalt während der Pilgerfahrt gesprochen.“ Aus dem Hashtag #MeToo machte Elthahawy schließlich #MosqueMeToo.
Ihre Familie war im Jahr 1982 nach Saudi-Arabien gezogen. Es war Monas erste Pilgerfahrt nach Mekka. Wie Sabica wurde auch Mona während der Tawāf attackiert. "Es mag dort sehr voll sein. Aber jede kann den Unterschied ausmachen zwischen jemandem, der dich aus Versehen rempelt, und einer Hand, die sich auf dein Gesäß schiebt und sich nicht mehr rührt - obwohl du alles tust, um sie abzuschütteln", erinnert sich Eltahawy.
Als die damals 15-Jährige sich schließlich niederkniete, um den schwarzen Stein an einer Ecke der Kaaba zu küssen, packte ihr ein saudischer Polizist an die Brust. "Alles, was ich damals tun konnte, war in Tränen ausbrechen", berichtet Eltahawy. "Alles, was ich tun wollte, war, meinen Körper vor Männern zu verstecken. Also begann ich, den Hidschab zu tragen." Aber auch der schützte sie nicht vor Übergriffen. Es brauchte, sagt Eltahawy, "weitere neun Jahre und den Feminismus", bis sie begriff: Nicht ich bin das Problem, sondern diese Männer sind es. Also legte sie den Hidschab wieder ab. "Und dann begann ich zu sprechen."
Alles, was ich
tun konnte, war
in Tränen ausbrechen
Seither wird die Ägypterin viel angefeindet - wie alle Frauen, die jetzt mit #MosqueMeToo ihr Schweigen brechen. „Dreckige Lügnerin!“ twittert einer. „Die Frage ist doch: Wer will schon Mona Elthahawy belästigen“, ein anderer.
"Du lässt die Muslime schlecht dastehen", warf einmal eine Frau Eltahawy vor. "Nicht ich, sondern die Belästiger lassen die Muslime schlecht dastehen", konterte Mona Eltahawy. Irgendwann begann sie, sich auch körperlich zu wehren. Wenn jemand sie in Clubs oder auf der Straße anging, schlug Eltahawy zurück.
Von dieser Gegenwehr zeugt der zweite Hashtag, den die Ägypterin in diesen Tagen in Umlauf gebracht hat - und auch er kratzt an einem schweren Tabu. Er heißt: #IBeatMyAssaulter, also: Ich habe meinen Belästiger geschlagen.
Auch dieser Hashtag erfährt gerade sehr viel Zuspruch - und das nicht nur unter muslimischen Frauen.