Frauen haben die Burschen gestoppt!

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Die Erleichterung an diesem Montag scheint groß zu sein. In Österreich und allerorten. Denn mit 53,3 Prozent der Stimmen haben die ÖsterreicherInnen im dritten Wahlgang den unabhängigen, von den Grünen unterstützten Politiker Alexander Van der Bellen zu ihrem neuen Präsidenten gewählt. Der Rechtspopulist Norbert Hofer (FPÖ) hat 46,7 Prozent der Stimmen erhalten.

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Wäre es nach den Angry White Men, den wütenden mittelalten Männern gegangen, hätte der oberste aller feschen Burschen, hätte Hofer von der FPÖ das Rennen gemacht. Dass er es nicht geschafft hat, ist den Frauen zu verdanken. 62 Prozent der Frauen stimmten für den Grünen Van der Bellen (und nur 44 Prozent der Männer). Hätten nur Männer gewählt, wäre Norbert Hofer jetzt also Bundespräsident von Österreich. 56 Prozent der Männer machten ihr Kreuz bei dem Rechtspopulisten (und nur 38 Prozent der Frauen) . Sein bestes Ergebnis erzielte Hofer mit 58 Prozent bei den Männern zwischen 30 und 59 Jahren. Und bei den Arbeitern: 85 Prozent wählten blau.
 
Hat Van der Bellen also wenigstens bei den jungen Männern eine Mehrheit? Nein, hat er nicht. Am größten ist der Gender Gap ausgerechnet bei den jungen WählerInnen bis 29 Jahre. Hier wählten 69 Prozent der Frauen den erklärten Feministen. Aber nur 47 Prozent der Männer. Damit liegt der Gender Gap bei den Jungen bei 22 Prozent (gesamt: 18 Prozent).
 
„Ich bin Feminist, weil Frauenrechte Menschenrechte sind“, erklärte der künftige Bundespräsident Österreichs (Foto) im laufenden Wahlkampf wirkungsvoll. Die Frage ist nur: Wie viele der Männer in seinem Land würden das auch so sagen?

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Größter Gender Gap aller Zeiten

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Stellen wir uns vor, es ist Bundestagswahl 2013. Der Spiegel titelt: „Merkel gegen Steinbrück – der größte Gender Gap aller Zeiten“. Und in der achtseitigen Coverstory baggert das Nachrichtenmagazin mit zahlreichen Infografiken die Geschichte des weiblichen Wahlverhaltens von 1919 bis heute auf. Auch Bild titelt, boulevardgemäß, mit dem Gender Gap: „Macht’s Merkel mit den Frauen?“ Und die FAZ widmet gleich eine ganze Seite einer ­Allensbach-Umfrage zum Thema: „Welche Themen sind bei Frauen ausschlaggebend für ihre Wahlentscheidung?“

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In Amerika ist das Wahl-
verhalten der Frauen ein zentrales Thema

Haben wir noch nie so oder so ähnlich gelesen, solche Schlagzeilen? Stimmt. Weil es in Deutschland auch fast ein halbes Jahrhundert nach Aufbruch der Frauenbewegung kein Bewusstsein dafür gibt, dass Frauen eine Wählergruppe mit spezifischen Interessen sind – und dass sie wahlentscheidend sein können.

Zwar lesen wir nach jeder Wahl, wie ­Arbeiter im Unterschied zu Beamten und Angestellten gewählt haben. Wir erfahren, wo Ostdeutsche im Vergleich zu Westdeutschen ihr Kreuz machen oder in welchem Stadtviertel die meisten Menschen AfD oder die Grünen wählen. Sodann wird analysiert, warum die jeweilige Gruppe wie gewählt hat. Nur die größte Wählergruppe von allen fehlt: die Frauen. 

Und diese Gruppe hat, so scheint es, selbst (noch) nicht so recht begriffen, welche Macht sie haben könnte, wenn sie sich als Lobby in eigener Sache verstehen und dementsprechende Forderungen stellen würden. Kein Wunder, sie tauchen ja in den Säulen- und Tortendiagrammen von Jörg Schönenborn & Co nicht auf.

Dabei ist der so genannte Gender Gap – also die Lücke zwischen dem Wahlverhalten von Männern und Frauen – relevant bis beachtlich. Und das nicht erst, seit die AfD auf der Bildfläche erschienen ist und bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern den größten Gender Gap der deutschen Wahlgeschichte produzierte: Neun Prozent weniger Frauen (16%) als Männer (25%) machten ihr Kreuz bei den Rechtspopulisten. Und hätten nur Männer zwischen 30 und 60 Jahren gewählt, wäre AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm jetzt Ministerpräsident von Meck-Pomm. Denn in dieser Altersgruppe wählte jeder dritte Mann die AfD.

Oder die Bundestagswahl 2013: Hätten nur Männer gewählt, wäre die FDP nicht aus dem Bundestag geflogen und es hätte keine Große Koalition gegeben, sondern eine Neuauflage von Schwarz-Gelb. Die Frauen aber hatten nach Brüderle-Affäre und der von der FDP verantworteten Schleckerfrauen-Pleite offenbar keinen Bock mehr auf die Partei der Altherren-Witze und Boygroups.

Angela Merkel hingegen verdankte ihr fulminantes Wahlergebnis 2013 von fast 42 Prozent den Frauen: Die erste Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik legte bei den Wählerinnen aller Altersgruppen um acht bis neun Prozent zu. Die Kanzlerin hatte den jahrzehntelangen Frauen-Malus der CDU bei den jungen Wählerinnen umgedreht: Mit der ersten Kanzlerin der ­Geschichte und ihrer Elternzeit- und Vätermonate-Ministerin Ursula von der Leyen wurde die CDU plötzlich zur stärksten ­Partei bei Frauen aller Altersgruppen.  

Nur: Außer EMMA analysierte und ­berichtete das niemand.

In den USA sieht das ganz anders aus. Dort erscheinen genau die Schlagzeilen, die in Deutschland fehlen: „Der Trump-Clinton Gender Gap könnte der größte in über 60 Jahren werden!“ heißt es da. Oder: „Ein genauerer Blick auf den Gender Gap in den Präsidentschaftswahlen“. Oder „Melania Trump schafft es nicht, den Gender Gap zu schließen“.

Wer die Begriffe „Trump“, „Clinton“ und „Gender Gap“ googelt, bekommt stolze 295.000 Ergebnisse. Und erfährt, dass knapp 60 Prozent der Wählerinnen Hillary Clinton wählen wollen, aber nur 43 Prozent der Männer – und dass es sich hier um einen rekordverdächtigen Gender Gap handelt.

In einer Flut von Tabellen und Diagrammen zeichnen amerikanische Meinungsforschungsinstitute und Medien die Geschlechtergräben der letzten Jahrzehnte nach. Schon Obama war ein klarer Frauen-Favorit: 55 Prozent der weiblichen Wähler stimmten für den selbsterklärten Feministen mit der starken Michelle an seiner Seite – aber nur 45 Prozent für den republikanischen Kan­didaten Mitt Romney. Die Mehrheit der Männer hingegen, nämlich 52 Prozent, wollte Romney. Hätten 2012 nur Männer gewählt, hätte Obamas zweite Amtszeit nie stattgefunden.

Kein Wunder: Ihre Stimmen sind ja auch
entscheidend für die Wahl

Zum ersten Mal machte der Gender Gap in Amerika Schlagzeilen im Jahr 1980. In dem Rennen zwischen Ronald Reagan und Jimmy Carter stellten Demoskopen verblüfft fest, dass 45 Prozent der Frauen für den soften Demokraten gestimmt hatten – aber nur 36 Prozent für den republikanischen Ex-Hollywood-Cowboy. Die Männer hingegen waren mehrheitlich Reagan-Fans.

Das brachte damals die vermeintliche ­Gewissheit ins Wanken, die da lautete: Frauen wählen das gleiche wie ihre (Ehe)Männer. Dass die Frauen eine eigenständige Wahl­entscheidung treffen könnten, wollten ihre Männer zunächst nicht wahrhaben.

So berichtet heute rückblickend der Journalist Adam Clyner, der 1982 eine der ersten „Gender Gap Storys“ für die Seite 1 der New York Times geschrieben hatte, wie ihm der zuständige Redakteur die Geschichte abschoss: „Der Artikel war eigentlich abgesegnet, aber der Sonntags-Redakteur hat es einfach nicht geglaubt. Er kam mit immer neuen Einwänden. Und schließlich sagte er: ‚Das kann einfach nicht wahr sein. Meine Frau hat immer genauso gewählt wie ich!‘“

Diese symbiotischen Zeiten waren nun – nach einer Dekade Women’s Liberation – vorbei. Viele vom Feminismus infizierte Frauen hatten erkannt, dass ihre Wünsche an die Politik bei den Demokraten oft besser aufgehoben waren als bei den Republikanern. Zum Beispiel beim Recht auf Abtreibung. Hinzu kam: Seit die Suffragetten in den USA im Jahr 1920 das Wahlrecht erkämpft hatten, war die Zahl der Frauen, die sich als Wählerinnen registriert hatten, kontinuierlich gestiegen. So hatten bei der Präsidentschaftswahl 1980 schon 5,5 Millionen mehr Frauen ­gewählt als Männer. Tendenz steigend.

Das war die Geburtsstunde der „Feminist Majority Foundation“. Feministinnen hatten begriffen, dass sie die Mehrheit der Wahlbevölkerung stellten und damit Druck auf die Kandidaten und ihre Parteien ausüben konnten. „Acht Prozent mehr Frauen hatten für Carter gestimmt, und wenn es ein Kopf-an-Kopf-Rennen gewesen wäre, hätte diese Differenz ausschlaggebend sein können“, wusste Eleanor Smeal schon damals. Die Gründerin der „Feminist Majority Foun­dation“ und ehemalige Präsidentin der ­„National Organisation of Women“ (NOW) schrieb bereits 1984 das Buch zum Thema: „Why and How Women Will Elect the Next President“ (Warum und wie Frauen den nächsten Präsidenten wählen werden).

Smeal schrieb vor über 30 Jahren: „Sie haben darüber in zahllosen Schlagzeilen gelesen, Sie haben im Radio und im Fernsehen davon gehört. Republikaner bestreiten entweder seine Existenz oder sie verkünden beunruhigt einen Plan nach dem anderen, um ihn zu ‚schließen‘. Demokraten haben ihn schnell als politische Realität erkannt zählen auf ihn, um Stimmen für ihre Partei mitzunehmen. Es ist der Gender Gap – der messbare Unterschied zwischen dem Wahlverhalten von Frauen und Männern und der Art, wie sie politische Themen sehen. Die ‚Stimme der Frauen‘, eine mächtige neue Wählergruppe, wird bei Wahlen künftig den Unterschied machen.“

Schon bei den folgenden Wahlen 1984 sprang der Unterschied deutlich ins Auge: Die Demokraten hatten verstanden. Sie nominierten zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen weiblichen Vizepräsidenten. Sie stellten dem etwas blassen Kandidaten Walter Mondale die spritzige Geraldine Ferraro an die Seite, die in ihrer Zeit als Staatsanwältin viele Fälle von Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch behandelt hatte.

EMMA titelte damals mit Ferraro und fragte: „Ein Sieg der Frauen?“ Die Antwort lautete: Sure! „Diese Nominierung ist ganz klar Ausdruck der Macht der Amerikanerinnen, die es verstanden haben, ihre potenzielle Macht in eine tatsächliche umzusetzen.“ Zwar ging die Wahl für die Demokraten verloren, aber die Feministinnen hatten dennoch einen Sieg errungen.

Auch in Deutschland hat die (potenzielle) Macht der weiblichen Wähler Folgen. Bereits 1972 waren es die Wählerinnen gewesen, die Kanzler Willy Brandt und der ersten SPD-geführten Regierung der Nachkriegsgeschichte zum Sieg verholfen hatten. Von nun an wählten die Frauen in der BRD – mit Ausnahme der älteren Generation – tendenziell sozialdemokratisch und grün. Spielte diese Tatsache womöglich eine Rolle, als die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl im Jahr 1994 die repräsentative Wahlstatistik nach 70 Jahren per Gesetz abschaffte? Die offizielle Begründung allerdings lautete: Datenschutz! Dagegen liefen nicht nur Wahlforscher Sturm, sondern auch ein Bündnis aus 15 Spitzenpolitikerinnen aller Parteien (EMMA 3/98). Sie erklärten: „Seit Anfang der 70er Jahre ist der Gender Gap, die Geschlechterkluft beim Wahlverhalten, immer größer geworden. Umso wichtiger, dass die Entscheidung rückgängig gemacht wird, die verhindert, dass das Wahlverhalten von Frauen und Männern getrennt benannt und analysiert werden kann.“

Der Prostest hatten Erfolg: Seit 1. Juni 1999 bestimmt das Wahlstatistikgesetz: „Aus dem Ergebnis der Wahlen sind in ausgewählten Wahlbezirken die Wähler und ihre Stimmabgabe für die einzelnen Wahlvorschläge nach Geschlecht und Geburtsjahresgruppen zu erstellen.“ Die Wählerinnen sind mitgemeint. Doch wird der Gender Gap in Deutschland in den Medien bis heute als zu vernachlässigende Größe behandelt. Und das, obwohl – oder: gerade weil? – die Benennung die Gruppe der Wählerinnen zum Machtfaktor machen würde.

In den USA hingegen ist der Gender Gap nun seit drei Jahrzehnten ein heißes Thema bei jeder US-Wahl. So auch und ­gerade bei der geschlechterpolitisch so aufgeladenen Wahl zwischen der bekennenden Feministin Clinton und dem bekennenden Sexisten Trump, der nach seinen frauenverachtenden Ausfällen den ohnehin schon historischen Geschlechtergraben zur Schlucht vergrößerte. Selbstverständlich titelt die feministische Zeitschrift Ms. mit dem Gender Gap und erklärt: „Der Gender Gap ist ein machtvolles Werkzeug, um die Standpunkte von Frauen sichtbar zu machen und Politiker zu zwingen, die Anliegen und ihren Wunsch nach Gleichstellung ernst zu nehmen. Je besser wir darüber informieren, desto stärker werden die Stimmen und Meinungen der Frauen respektiert – und desto machtvoller wird der Gender Gap.“

Und die „Mutter des Gender Gap“, Eleanor Smeal, erklärt 2016 im Ms.-Interview triumphierend: „Der Gender Gap ist heute noch größer und Frauen stellen einen noch größeren Anteil an der wählenden ­Bevölkerung.“

In der Tat: Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2012 waren schon zehn Millionen mehr Wählerinnen als Wähler an die Wahlurnen gegangen, allen voran die schwarzen Frauen. 2012, bei der Wahl Obama gegen Romney, hatten sich 70 Prozent der schwarzen Amerikanerinnen für die Wahl registriert (65% der weißen) – und fast komplett für den ersten schwarzen Präsidenten der USA gestimmt, nämlich zu 96 Prozent.

Hierzulande ist diese Erkenntnis leider noch nicht angekommen

Und es sieht ganz so aus, als ob die schwarzen Frauen mit ebenso überwältigender Mehrheit für den (potenziellen) ersten weiblichen Präsidenten stimmen werden: 91 Prozent der schwarzen Wählerinnen wollen Hillary wählen (und immerhin auch 85% der schwarzen Wähler). Für Trump sind nur dürre sechs Prozent. Und auch hispanische Frauen sind mit 71 Prozent klare Clinton-Anhängerinnen. Trump kommt bei ihnen auf nur 19 Prozent.

Dieser Gender- und Ethnien-Gap dürfte nicht nur an der berüchtigten Mauer liegen, die der polternde Populist an der mexikanischen Grenze hochziehen will. Sondern vor allem daran, dass für Wählerinnen andere Themen zählen als für Wähler. So finden 69 Prozent der Wählerinnen „sehr wichtig“, wie einE KandidatIn mit „ethnischen Minderheiten“ umgeht (Männer: 56%). Und auch das Recht auf Abtreibung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Sozialversicherung – all das ist für Wählerinnen wichtiger als für Wähler.

„Damit der Gender Gap bei den Wahlen ein entscheidender Faktor ist, müssen die unterschiedlichen Positionen der Kandidaten zu den Schlüsselthemen von Frauen ­bekannt sein – und Frauen müssen sie in ihren Netzwerken verbreiten“, schreibt Ms. Genau dafür sorgt zur Zeit die „Feminist Majority Foundation“, flankiert von dem Internet-Portal „Presidential Gender Watch“. Das Portal des „Center für American Women and Politics“ (CAWP) liefert Informationen rund um das weibliche Wahlverhalten. Zum Beispiel diese: „Noch nie hat es ein republikanischer Kandidat ins Oval Office geschafft, der nur 43 Prozent der Frauenstimmen hatte.“

Das lässt hoffen.

Chantal Louis

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