Offener Brief: Lieber Kollegah!

Kollegah in Lieblingspose. - Foto: © Ondro Ovesny/ riva Verlag
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Lieber Kollegah,

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wir „verweichlichten Pressepussys“ möchten dir danken! Du hast uns die Augen geöffnet. Das Einzige, was uns Emanzen fehlte, war ein „Alpha-Mann“.

Nach der Lektüre deines Buches haben wir uns umgeschaut und waren schockiert: Auf den Straßen, in den Cafés, ja sogar in unseren eigenen vier Wänden trafen wir nur auf Beta-Männer, schlimmer noch: Gamma-, Delta- und Epsilon-Männer: „Lauch“ so weit das Auge reicht.

Also haben wir umgehend gehandelt. Innerhalb weniger Tage war unser Umfeld gründlich entrümpelt. Alle Erfolglosen, alle Bierbäuchigen, Weinerlichen, Zerbrechlichen, alle „Schmuseplatten-Sammler mit Pommespiekser-Ärmchen“ haben wir entsorgt. An ihre Stelle treten nun richtige Männer, Alpha-Männer eben. Wir Feministinnen wissen, was wir wollen: nämlich immer nur das Beste.

Überall nur
Beta-Männer - "Lauch" soweit das Auge reicht

Aber wir sind ja nicht herzlos. Und deshalb haben wir all den schlappen Männern ein Exemplar deines Buches mit auf den Weg gegeben. Man merkt es uns nicht immer an, aber auch wir wünschen uns unseren Prinz Alpha in weißem Mercedes – „Model S-Klasse AMG mit 1000 PS und Goldfelgen“. Auch wir wollen einen muskelbepackten Mann, der uns charmant die Tür zu seiner Villa öffnet, und uns „fickt, bis das Steißbein bricht“.

Sollten wir in Zukunft hin und wieder zurückfallen in überholte Muster und behaupten, eine emanzipierte Frau wünsche sich beruflichen Erfolg, Unabhängigkeit oder eine Beziehung auf Augenhöhe, vergib uns bitte, wir können so schnell nicht aus unserer aller Haut. Im tiefsten Inneren unserer Selbst aber wissen wir nun: „Frauen wollen vom Mann geführt werden. Es liegt einfach in der Natur der Frau, dass sie eine starke Schulter braucht, die sie führt und die ihr Sicherheit gibt.“

Wir möchten Dir auch im Namen all der orientierungslosen Männer danken, die dein Buch gekauft haben. Sofort auf Platz 1 der Bestseller-Listen – wir gratulieren zu diesem Erfolg.

Du hast ihn dir redlich verdient. Du machst es ganz deutlich, was du von der Mehrzahl von Lebensratgebern hälst: Sie sind „wacker Scheiß (auf Deutsch: schlecht)“. Die Autoren dieser Bücher tun nichts als „altbackene Motivationssprüche zu sammeln“ und zu recyceln. Wie anders doch dein Buch:

„Das Erste Gebot der Bosshaftigkeit: Du sollst niemals den leichten Weg gehen!
Das zweite Gebot: Du sollst aus deinen Fehlern lernen!
Das dritte Gebot: Du sollst dir realistische Ziele setzen.“

Ich könnte fortfahren, doch du kennst sie ja, deine unverwechselbaren Gebote, die dem „verarmten, faulen, unterfickten, unsicheren, erfolglosen, skinnyfatten TOTAL-LAUCH“, kurz: deinem Leser, nun endlich Reichtum, Ruhm und Sex en masse garantieren.

Aber dann
kamst du,
Hunsrücker Jung!

Aber wer will den unterfickten TOTAL-LAUCHS schon einen Vorwurf machen? Es ist eine schwere Zeit für sie. Wo gibt es schon noch echte Vorbilder? Auf den Straßen: Kinderwagen-Daddys an der Hand von Top-Managerinnen, dazu Schwulitäten, so weit das Auge reicht. Mann muss aufpassen, was er sagt, mann muss seine Hand bei sich behalten, mann muss im Beruf mit frau konkurrieren. Fast wäre mann so klein geworden, wie er hier geschrieben wird. Aber dann kamst du, der Hunsrücker Jung! Und du sprachst: Er werde Alpha! Und er ward Alpha! Und du sahst, dass es gut war.

Oder vielleicht doch nicht? Bist du etwa nur ein Wölflein, das laut heult – so wie dein kürzlich im Stern enthüllter Bruder Bushido?

Das fragt sich

Die EMMA-Praktikantin
Sonja

 

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Echo: Und der Sexismus?

Die Rapper Farid Bang und Kollegah. © Imago/xcitepress
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Ja, es ist überfällig, dass Deutschland endlich über Kollegah & Konsorten debattiert. Ja, es ist großartig, dass der „Echo“ sich endlich fragen lassen muss, welche Menschenverachtung da ausgezeichnet wird und ob Verkaufszahlen wirklich das Kriterium für einen Musikpreis sein können. Und ja, es ist absolut richtig, dass das widerwärtige Verhöhnen von Holocaust-Opfern diesen Eklat ausgelöst hat. Es wäre unerträglich gewesen, wenn das Echo-Publikum zur Tagesordnung übergegangen wäre. Danke, Campino!

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Und dennoch: Warum eigentlich erst jetzt? Warum brauchte es erst das Wort „Auschwitz“, damit Musiker ihren „Echo“ zurückgeben, Sponsoren abspringen und Mitglieder des so genannten „Ethik-Beirats“ zurücktreten? Die Antwort lautet: Weil die brutale Frauenfeindlichkeit von Kollegah und Farid Bang bis dato niemanden interessiert hat.

Kollegah: Ich fick deine Bitch, bis ihr Steißbein bricht

Kostprobe aus dem aktuellen, prämierten Album: „Dein Chick ist ne Broke-Ass-Bitch, denn ich fick sie, bis ihr Steißbein bricht/Dieses Album kommt, weil ihr wieder Ansagen braucht/Fuck mich ab und ich ficke deine schwangere Frau/Danach fick' ich deine Ma, die Flüchtlingsschlampe“.

Es ist nicht verwegen zu behaupten, dass diese Zeilen niemanden, selbst nicht Campino und schon gar nicht Marius Müller-Westernhagen, zu irgendeinem Protest bewegt hätten. Kollegah ist nämlich, was erstaunlicherweise niemand erwähnt, bereits 2015 und 2016 mit dem „Echo“ ausgezeichnet worden. Titel des prämierten „besten Hip Hop-Albums 2016“: „Zuhältertape Vol. 4“.

Schon 2016 hatte es durchaus Proteste gegen Kollegah gegeben - allerdings nicht bei der „Echo“-Preisverleihung. In Bielefeld hatten der AStA und das Feministische Referat der Uni gegen einen Auftritt des Rappers protestiert. Auch in Bremen forderten viele, vom Mädchenkulturhaus bis zur Schwuleninitiative, dem Rapper keine Bühne für seine „abscheulichen Texte“ zu geben, „in denen Frauen und nicht heterosexuell Orientierte bis zum tiefsten denkbaren Niveau degradiert und beleidigt werden“.

Zum Beispiel so: „Ich bau Aggressionen ab durch Vergewaltigungen von Bordsteinschlampen“ oder „Kid, ich würde lügen, wenn ich sagen würde: Nein, ich habe nie ne minderjährige Bitch missbraucht.“ Oder so: "Ich komm mit ner Horde Hunde plus Zuhältern, die dich ermorden, Tunte.“

Warum hat niemand beim Echo 2016 protestiert?

Diese enthemmte Menschenfeindlichkeit hielt jedoch weder die Jury noch den Ethikrat des „Echo“ davon ab, den selbsternannten „Zuhälter“ mit ihrem Preis zu adeln. Alle applaudierten brav.

Doch jetzt, im Jahr 2018, fliegt dem größten deutschen Musikpreis die Sache um die Ohren. Denn Deutschland ist gerade zurecht schockiert über die Erkenntnis, wie verbreitet Antisemitismus offenbar unter Muslimen ist, selbst unter solchen im Grundschulalter. Und erst vor wenigen Wochen hat die Ermordung der Holocaust-Überlebenden Mireille Knoll in Paris durch einen Franco-Marokkaner nicht nur in Frankreich für Entsetzen gesorgt.

Es ist also nicht nur Deutschlands „historische Schuld“, sondern auch die aktuelle Debatte um den Antisemitismus, die dafür gesorgt hat, dass Kollegah und Farid Bang diesmal nicht mehr durchgekommen sind. Wer sind eigentlich diese Jungs? Kollegah, der bürgerlich Felix Blume heißt und im Hunsrück mit einem algerischen Stiefvater aufwuchs, konvertierte als Jugendlicher zum Islam. Farid Bang, eigentlich: Farid Hamed El Abdellaoui, ist Sohn marokkanischer Eltern und lebt seit seinem achten Lebensjahr in Düsseldorf. Aus Slums kommen die beiden also nicht gerade.

Ja, richtig. Auch von der Frauenfeindlichkeit der Rapper ist jetzt gelegentlich die Rede. Endlich. Es wäre wünschenswert, wenn auch diese Art der Menschenverachtung künftig ein No Go wäre. Sexismus - ein k.o.-Kriterium für Musikpreise aller Art. Ganz wie Antisemitismus und Rassismus.

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