Like a Pascha

Filmemacher Tidholm : "Ich frage mich als Mann, wieso Männer so sind, wie sie sind."
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Der Stockholmer Filmemacher Svante Tidholm (Foto) hat in Europas größtem Bordell, dem Pascha in Köln, über den Zeitraum von drei Jahren eine Dokumentation gedreht. Das Pascha ist ein sogenanntes Laufhaus, in dem sich die Frauen einmieten. Kostenpunkt: 150 Euro für ein Zimmer. Pro Tag. Bei 150 Frauen macht das 675000 Euro Einnahmen im Monat und acht ­Millionen im Jahr. Getränke und Verpflegung zahlen die Mieterinnen zusätzlich. Eine weitere Einnahmequelle für Pascha-Besitzer Hermann Müller, der weitere Filialen in München, Salzburg und Linz unterhält, ist die Produktion von Pornofilmen bei „Porno-Parties“, für die jeder Teilnehmer 100 Euro zahlt. „Like a Pascha“ zeigt eine Welt, die nur Freiern vorbehalten ist. Wir folgen dem Regisseur durch das elf Stockwerke hohe Bordell, das täglich von rund 800 Männern besucht wird. Wir sehen Bilder aus dem tristen Alltag der Prostituierten, hören die Ausreden der Freier und die Rechtfertigungen der Betreiber. Die Gespräche des Schweden mit der Prostituierten Sonia gehören zu den besonders berührenden Momenten des Films. Sonia, die in ihrer Heimat Rumänien sieben Mal vergewaltigt wurde, glaubt, dass Bordelle notwendig sind. Weil sie andere Frauen vor Vergewaltigungen schützen. Sie will es wenigstens glauben. Tidholm, 34, und Vater zweier Töchter, befragt auch die selbsternannten Paschas, spricht mit ihnen über ihre Beziehungen im realen Leben, ihre Motive, ins ­Bordell zu gehen, über ihre Gefühle. „Wenn du Zahnschmerzen hast, gehst du zum ­Zahnarzt. Und wenn du Sex haben willst, kommst du hier hin“, erklärt ihm ein junger Pascha-Kunde. „Like a Pascha“ ist nicht nur eine Dokumentation über Europas größtes Bordell, sondern auch über die Begegnung eines Schweden mit deutschen Männern, eines Feministen mit Freiern. Tidholms Film wurde im schwedischen Parlament diskutiert. In Deutschland hat er - bisher - noch keinen Verleih.

Svante Tidholm, wie sind Sie auf die Idee gekommen, in einem deutschen Bordell eine Dokumentation zu drehen?
Während der Fußballweltmeisterschaft 2006 gab es in Schweden eine große Debatte ­darüber, ob wir an der Weltmeisterschaft teilnehmen sollten – weil Prostitution in Deutschland legal war, befürchtete man, dass die schwedischen Fans dort ins Bordell gehen würden. Ich wollte mich vor Ort umsehen und bin mit einem Kamerateam nach Köln gefahren. Ich frage mich als Mann, wieso Männer so sind, wie sie sind. Das ist eine Frage, die ich mir jeden Tag stelle. Also bin ich immer wieder ins „Pascha“ gefahren, über ein Dutzend Mal in drei Jahren.

War es nicht schwierig, eine Drehgenehmigung zu bekommen?
Wie einer der Mitarbeiter so schön sagte: Sie haben nichts zu verbergen oder zu verlieren; sie haben es wohl als PR angesehen. Ich glaube, dass sie sogar Spaß daran hatten. Ich war ja aufrichtig interessiert. Dieser Art von Bestätigung können die meisten Leute nicht widerstehen.

Wie war die erste Begegnung mit dem Pascha?
Es war ein Schock. Prostitution ist in Schweden verboten. Sie existiert in der Öffentlichkeit und in den Medien so gut wie gar nicht. Und da war ich also: ein schwedischer Feminist, in einem elf Stockwerke hohen Bordell, zwischen hunderten Prostituierten. Das war erdrückend. Für mein Filmteam und mich war es anfangs schwer auszuhalten.

Können Sie das Bordell für uns beschreiben?
Gleich hinter der Drehtür am Eingang ­befindet sich ein Geldautomat. Man muss fünf Euro Eintritt bezahlen, um das ­Gebäude zu betreten. Am Eingang stehen außerdem rund um die Uhr große, meist glatzköpfige Sicherheitsmänner. Eine breite Treppe führt hinauf in die zweite Etage. Das ist die Express-Etage – 30 Euro für einen Orgasmus. Die Flure sehen alle mehr oder weniger gleich aus. Die Frauen verbringen ihre Zeit auf Barhockern vor den Türen ihres Raums. Ein leerer Hocker ­bedeutet, dass die Frau einen Kunden hat. Wenn der Hocker nicht da ist, schläft sie oder ist nicht im Zimmer, denn die meisten Frauen wohnen auch in diesem Raum. Es liegt ein starker Geruch nach Zigaretten, Parfüm und Reinigungsmitteln in der Luft. Und manchmal auch nach Kondomen und Körperflüssigkeiten. Über Lautsprecher ertönt überall seichte Musik. Das Licht ist gedimmt, meist rot. Im Pascha gibt es kein Tageslicht, alle Fenster sind abgedeckt. Die Leute sollen vergessen, dass es eine Welt „draußen“ gibt. Das Bordell ist der Ort, an dem die grenzenlosen Privilegien der Männer mit der Machtlosigkeit der Frauen exemplarisch zusammenprallen.

Und was war für Sie die Erkenntnis im ­Pascha?
Meine ursprüngliche Fragestellung war: Warum tun Männer das? Was ist die Motivation dahinter? Sich diese Frage zu stellen bedeutet auch, nicht an die grundsätzliche Schlechtigkeit der Männer zu glauben, sondern den Fokus auf die Gesellschaft und die jeweilige Kultur zu richten. Für Männer spielt es offensichtlich eine große Rolle, Sex zu haben. Und da wir in einem Patriarchat leben, sind sie nicht daran gewöhnt, das, was sie wollen, nicht zu bekommen. Ich glaube dabei nicht, dass Männer einen biologisch stärkeren Trieb haben als Frauen. Für mich besteht vielmehr ein Zusammenhang zwischen dem Umgang mit Sex und den emotionalen Fähigkeiten eines Menschen. Männer nutzen Sex wie eine Droge. Sie betäuben sich, wollen sich gut fühlen – anstatt sich ihren wirklichen Gefühlen zu stellen. Viele Frauen haben mir aber auch erzählt, dass Freier zu ihnen kommen, um zu reden, manchmal sogar, um zu weinen. Das hat mich sehr überrascht, weil sich die Gespräche vor den Zimmern immer nur um Preise und Leistungen drehten. Aber hinter verschlossener Tür ging es offenbar nicht nur um Sex, es ging auch um Aufmerksamkeit. Die Freier kauften die Zeit einer Frau. Sie muss ihnen zuhören, lächeln, zärtlich und fürsorglich sein. Das wirkte auf mich fast so, als ob Männer versuchen ­würden, Liebe zu kaufen.

Als Sie den Manager des Pascha interviewt und ihn gefragt haben, ob er sich vorstellen könne, seinen Körper zu verkaufen, reagierte er geradezu beleidigt.
Ich glaube, ohne diese Doppelmoral könnten Männer nicht damit umgehen, wie sich ihr Verhalten auf die Prostituierten auswirkt. Es ist Teil der männlichen Geschlechtsrolle, Gefühle nicht an sich heran zu lassen, sich jedes Mitgefühl zu verbieten – darin sind die meisten Männer sehr gut. Für den Manager des Pascha war der Gedanke, selbst in dieser Situation sein zu können, unerträglich.

Auch die gezeigten Freier schienen weder Schuldgefühle noch Mitgefühl zu haben. Glauben Sie, dass das deutsche Rechtssystem, mit der Legalisierung der Prostitution, diese Haltung begünstigt? Den Männern also gewissermaßen das Gefühl gibt, sie hätten ein Recht darauf, Frauen zu kaufen?
Ja. Mir kam es so vor, als sei es für diese Männer keine große Sache, ins Pascha zu gehen. Prostitution wurde in Deutschland legalisiert und damit regelrecht normalisiert. Und das treibt viele Kunden ins Bordell.

Hieße das umgekehrt, dass das ­schwe­dische Modell, das Freier bestraft, das ­Bewusstsein für den Frauenkauf und die Empathie für die Prostituierten verstärkt?
Ja, davon bin ich überzeugt. Das Gesetz gibt ein Signal, was falsch ist und was richtig. Es gibt einen starken Konsens in der schwedischen Gesellschaft, besonders auch innerhalb der politischen Führung, dass das Gesetz richtig ist.

In Ihrer Dokumentation führen Sie viele ­Gespräche mit der Prostituierten Sonia, die vom Ausstieg und einer eigenen Familie träumt. Wissen Sie, was aus ihr geworden ist?
Wir sind immer noch in Kontakt. Sie ist nach Spanien gezogen, um Zahnarzthelferin zu werden, sie prostituiert sich aber nach wie vor, um ihre Ausbildung zu finanzieren.

Und wie waren die Reaktionen auf den Film?
Momentan reise ich sehr viel mit „Like a Pascha“ durch Schweden, mache Vorführungen und Debatten über das Thema Männer & Sex. Der Film ist eine tolle Vorlage für Diskussionen.

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